Wetten werden immer noch angenommen. Inzwischen geht es aber nicht mehr um den Ausgang des Brexit-Referendums, sondern um den nächsten britischen Premier und den künftigen Vorsitzenden der konservativen Torys. Dafür wird Boris Johnson, der frühere Bürgermeister von London, bei den Buchmachern jetzt ganz hoch gehandelt. Dass das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlässt, ist schließlich auch sein Erfolg. Er hatte die Pro-Brexit-Kampagne angeführt. In einer ersten Reaktion versuchte er zu beruhigen, Ängsten zu begegnen:
"Das wird nicht bedeuten, dass das Vereinigte Königreich künftig weniger vereint sein wird und auch nicht, dass es weniger europäisch wäre. Ich wende mich ganz direkt an die Millionen Menschen, gerade die jungen, die nicht für dieses Ergebnis gestimmt haben: Vielleicht glauben sie, dass jetzt die Zugbrücken hochgehen. Das Gegenteil ist wahr. Wir können Europa nicht den Rücken zukehren, denn wir sind ein Teil davon.
Buhrufe für Johnson
Johnson, der für die Torys im Unterhaus sitzt, musste sich heute Morgen aber zunächst den Weg durch ein Spalier von Demonstranten bahnen, als er von zu Hause aufbrach. "Schäm dich, Boris", riefen Briten, die ihre Zukunft gerne in der EU gesehen hätten und nicht in der Isolation, wie auch immer sie aussehen mag. Innenministerin May, Schatzkanzler Osborne und Justizminister Gowe gelten ebenfalls als mögliche Kandidaten für Downing Street Number 10.
Dort, vor der berühmten Haustür, gab der noch amtierende Premierminister David Cameron heute Morgen seinen Rücktritt bekannt – an der Seite seiner Frau. Cameron hatte selbst auf das Referendum gedrängt. Was wie ein Befreiungsschlag gedacht war, endete im Desaster. Seine Strategie ist gescheitert. Noch bis zum Oktober will Cameron im Amt bleiben, um einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen:
"Obwohl es nicht mein Rat war Europa zu verlassen, bin ich der Erste, der unsere unglaubliche Stärke lobt. Jetzt, da diese Entscheidung gefallen ist, müssen wir den besten Weg finden. Ich werde alles tun, um dabei zu helfen. Ich liebe dieses Land, und es ist mir eine Ehre, ihm gedient zu haben. Ich werde auch künftig alles tun, damit es erfolgreich ist."
Zeit lassen bei den Austrittsverhandlungen
Cameron und Johnson hatten womöglich schon miteinander telefoniert, als sich abzeichnete, dass die Brexit-Befürworter siegen würden. Beide unterstrichen, dass man sich in den Verhandlungen mit der EU Zeit lassen müsse. Noch kurz nach Beginn der Auszählung hatten Umfrageergebnisse darauf schließen lassen, dass es anders ausgehen würde. Doch schon Stunden bevor die Wahlleiterin in Manchester das Endergebnis verkündete, war klar, dass es für den Brexit reichen würde.
Die Brexit-Befürworter waren mit fast 52 Prozent siegreich. Die Wahlbeteiligung hatte bei gut 72 Prozent gelegen. Rein rechtlich ist die Regierung nicht verpflichtet, das Ergebnis des Referendums zu berücksichtigen. Alles andere wäre jedoch politischer Selbstmord.
Schotten prüfen neues Referendum über Unabhängigkeit von England
Wales war mehrheitlich für den Brexit, genauso wie England. Nordirland und Schottland stimmten für die EU. Die nordirische Sinn Fein fordert eine Abstimmung über die Vereinigung mit Irland. Die schottische Ministerpräsident Sturgeon sagte, ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit liege jetzt wieder auf dem Tisch, es sei "sehr wahrscheinlich". Der Chef der UKIP, der United Kingdom Independence Party, Nigel Farage, war heute trotzdem bester Laune.
"Good morning everybody. The sun has risen over an independent UK. Just look at it, even the weather has been improved"
Sogar das Wetter ist besser geworden, meinte er. Später sagte Farage noch, dass Europa sterbe.