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Camesina Quartett
Erinnerung an Carl Gottlieb Reissiger

Er war von 1826 an Dirigent und Chef der Dresdner Oper. Doch daneben schuf er als Komponist auch selbst ein umfangreiches Werk: Carl Gottlieb Reissiger. Nun hat das Camesina Quartett Reissigers Streichquartette op.111, Nr.1 und 2 aufgenommen.

Von Raoul Mörchen |
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    Die Hofoper Dresden ist die heutige Semper Oper. (imago/westend61)
    Wer ist Carl Gottlieb Reissiger? Vor 150 Jahren hätte ein Musikliebhaber in Deutschland gewiss die Antwort gleich parat gehabt. Heute brauchen wir die Schützenhilfe eines entdeckungsfreudigen Ensembles. Das Camesina Quartett hat für das Label Musikmanufaktur Berlin zwei Streichquartette von Reissiger aufgenommen und erinnert uns damit an einen der produktivsten und einst auch bekanntesten Komponisten der Romantik.
    Reissinger, op.111,1 – I. Allegro moderato
    Wer diese Musik noch nie gehört hat, befindet sich in bester Gesellschaft. Nach dem Tode des Komponisten ist das Werk vermutlich nur noch ein paar Mal gespielt und dann ganz vergessen worden. So wie auch Carl Gottlieb Reissiger selbst, der fleißige Schreiber, der mit seinem h-Moll-Quartett im Jahre 1837 schon bei der Opusnummer 111 angekommen war. Da lagen noch gut zwanzig Lebensjahre und ebenso viele Opusnummern vor ihm. Reissigers so umfangreiches Schaffen ist also aus unserem musikalischen Gedächtnis verschwunden. Nicht aber sein Name. Wir stoßen allenthalben auf ihn – wenn wir die Schriften und Briefe eines jungen Kollegen von Reissigers zur Hand nehmen, eines Mannes namens Richard Wagner. 1842 dirigierte Reissiger die Premiere von Wagners Rienzi und verhalf Wagner damit zum künstlerischen Durchbruch. Im folgenden Jahr begrüßte er Wagner freundlich als seinen Assistenten und zweiten Kapellmeister der Dresdner Hofoper. Damals leitete Reissiger das berühmte Haus schon beinahe zwei Jahrzehnte lang – und hatte dessen Ruf als eine des besten Adressen Europas maßgeblich mitbefördert. Dass sich Wagner mit Reissiger später so gründlich verkrachen sollte, wie mit so vielen anderen, war freilich von Anfang an abzusehen: Was konnte ein Revolutionär wie Wagner auch anfangen mit einem Kollegen, der noch mitten im 19. Jahrhundert dem Geist der Wiener Klassik huldigte?
    Reissinger, op.111,1 – III. Adagio espressivo
    Seinen einstigen Ruhm verdankte Carl Gottlieb Reissiger nicht Werken wie diesem. Seinen Zeitgenossen war Reissiger vor allem als Dirigent und als Chef der Dresdner Oper ein Begriff. Es sind gute Zeiten gewesen für die Musik damals. Robert Schumann jubelte 1836 in einem Aufsatz über die vielen klangvollen Namen an der Spitze deutscher Chöre, Orchester und Opernhäuser: Felix Mendelssohn in Leipzig, Gaspare Spontini in Berlin, Johann Nepomuk Hummel in Weimar, Heinrich Marschner in Hannover, Louis Spohr in Kassel – und eben auch Carl Gottlieb Reissiger in Dresden. So dicht an dicht gab es das nirgendwo sonst in Europa.
    Diese goldene Generation der Musik- und Operndirektoren sollte die letzte sein, die nicht nur Werke aufführte, sondern ganz selbstverständlich auch eigene schrieb. Bei Reissigers Dienstantritt in Dresden, als Nachfolger des früh verstorbenen Carl Maria von Weber, stand das sogar noch ausdrücklich im Vertrag: Für das Gehalt, das der Hof ihm zahlte, musste Reissiger alljährlich auch eine große Messe komponieren. Dass er das Repertoire des Opernhauses mit eigenen Arbeiten erweiterte, verstand sich von selbst. Die Kammermusik dagegen, darunter dreiundzwanzig Klaviertrios und acht Streichquartette, war wohl überwiegend Musik für Freunde: geschrieben als Haus- und Kammermusik für das gesellige Beisammensein im bürgerlichen Wohnzimmer. Entsprechend frisch sind diese Werke und gut gelaunt. Sie wollen ihr Publikum nicht fordern, sondern vergnügen.
    Reissiger, Quartett op.111,1 – II. Scherzo (ohne Trio)
    Carl Gottlieb Reissiger war, was man später einen Eklektiker nennen sollte: Ein Künstler, der seine Inspiration in den Werken anderer Künstler fand. Hört man die beiden Streichquartette op.111 auf der neuen Platte des Camesinas Quartetts, dann entdeckt man nicht einen einzigen Komponisten, man entdeckt eine ganze Epoche: Franz Schuberts liedhafte Melodik, Mendelssohns Flüchtigkeit, das Faible Schumanns für Kontrapunkt, das Arioso der italienischen Oper, mit der Rossini damals Furore machte, ein wenig Spohr, ein wenig Weber, und in Form und Haltung ganz viel Haydn und Mozart. Dem Camesina Quartett kommt gerade das wohl sehr recht. Leitet das Ensemble doch seinen Namen ab vom sogenannten Camesina-Haus in der Wiener Schulergasse, wo dereinst Mozart gemeinsam mit Haydn musizierte.
    Doch nicht dieser Rückbezug auf das späte 18. Jahrhundert ist der Grund für den charakteristischen Klang des Ensembles. Seine Reissiger-Aufnahme spielt es auf Instrumenten, die nach neusten Erkenntnissen tatsächlich noch bis 1850 in Dresden verwendet wurden. Es sind letztlich Instrumente, wie sie schon im Barock verwendet wurden und zu Lebzeiten Reissigers anderorts bereits lange außer Mode waren. Auch die Sitzordnung mit den geteilten Violinen und dem Cello links der Bratsche ist eine lokale Besonderheit.
    op.111,1 – IV. Final: Vivace
    Authentischer also geht es kaum – man darf mit einigem Recht vermuten, dass so, wie das Camesina Quartett Reissiger spielt, diese Musik auch einst in Dresden geklungen hat. Das Ensemble, 2007 gegründet, bringt in seiner leichten und wendigen Interpretation viel zurück vom Charme dieser Musik, die Wagner einst „philisterhaft" geschimpft hat, weil sie sich mit den Errungenschaften der Tradition zufrieden gab, die andere dagegen priesen als „Gemütsmusik" – als „ehrlich" und „natürlich".
    Wer technische Brillanz sucht, ja Perfektion, der wird mit dieser Aufnahme sicher nicht ganz glücklich werden und auf eine andere warten müssen. Doch Makellosigkeit ist eh eine Forderung, die der Romantik fremd war. Reissiger und sein Publikum haben sie weder gefordert noch gekannt. Auch in dieser Hinsicht also ist die neue Platte des Camesina Quartetts ausgesprochen authentisch.
    op.111,1 – IV. Final: Vivace (auf Ende)
    Das war das Finale des Streichquartetts op.111 Nummer 1 des Dresdner Operndirektors Carl Gottlieb Reissiger. Das Camesina Quartett hat dieses Werk gemeinsam mit der Opusnummer 111 - 2 aufgenommen für das Label Musikmanufaktur Berlin. Die neue Platte wurden Ihnen vorstellt von Raoul Mörchen.
    Carl Gottlied Reissiger
    Streichquartette op.111, Nr.1 und 2
    Camesina Quartett
    Musikmanufaktur Berlin CD 447