Adalbert Siniawski: Gigantische 14 Meter ist sie hoch, aus metallisch-glänzendem Material und im landläufigen Sinne ziemlich kitschig: US-Künstler Jeff Koons sorgt mit seiner aufblasbaren Plastik-Ballerina, die er vor wenigen Tagen vor dem Rockefeller Center in New York hat installieren lassen, für aufsehenerregende Bilder. Koons steht für Kitsch-Art - eine Kunst, die mit der Ästhetik der Massenkultur spielt.
Stefanie Roenneke ist Popkultur-Journalistin, schreibt unter anderem für den Blog waahr.de und hat gerade ihre Dissertation publiziert, die die Phänomene der Kitsch-Ästhetik, der Übertreibung, der Nonkonformität und Queerness in der Populärkultur beschreibt: "Camp als Konzept". Guten Tag nach Bochum, Stefanie Roenneke!
Stefanie Roenneke: Hallo.
Siniawski: Bleiben wir bei dem Beispiel der Plastik-Ballerina von Koons - inwiefern passt seine Kunst in zum Konzept "Camp"?
Roenneke: Also bei Koons ist zu beobachten, dass er sich massenkulturellen Produkten, Spielformen bedient. Beispielsweise diese kleine Ballerina würde man vielleicht auch in Miniaturform irgendwo auf einem Fenstersims finden. Und er dekontextualisiert diese kleine Ballerina und bläst sie auf. Er holt sie rein in diesen Kunstraum und spielt mit dieser sonst etwas verworfenen Weise der Dekoration. Und durch diese Größe, gleichzeitig aber auch durch diese Materialien ist da diese massenkulturelle Referenz immer noch gegeben.
Siniawski: Koons sagt ja, es gibt keine falsche und keine richtige Ästhetik. Ist es das, was auch ein Teil des Camp-Konzepts ist?
Witz, Humor und Spaß am schlechten Geschmack
Roenneke: Ja, das ist eine Form von Camp. Wobei - bei Camp ist es dann doch ausschlaggebend, um diesen Effekt erkennen zu können, dass wir ihn überhaupt wahrnehmen können als Übertreibung, ist, dass es schon solche Stabilisierung oder solche Gegensätze wie "gut" oder "schlecht" auch geben muss. Oder auch solche Gegensätze wie Mann und Frau, wenn es um das Spiel mit Geschlechteridentitäten geht. Und das ist der Hintergrund, der auch immer gegeben sein muss. Es muss bestimmte normierte, herrschende Vorstellungen geben, von denen sich diese Übertreibung, dieses augenzwinkernde Over-the-Top dann auch absetzen kann.
Siniawski: Camp gibt es in der Kunst, im Film - zum Beispiel beim Underground-Filmemacher Jack Smith - und in der Musik: Was sind die gemeinsamen Merkmale von dieses Ansatzes?
Roenneke: Es geht grundlegend immer um Übertreibung, beispielsweise in der Aneignung stereotyper weiblicher Verhaltensweisen oder Darstellungsformen durch Männer oder auch Frauen. Oder das Spiel mit Geschmackshierarchien, indem man sich dem zuwendet, was ein schlechter Geschmack ist. Ein sehr basales Beispiel ist natürlich, dass eine Drag Queen per se nicht Camp sein muss, gerade wenn es um Perfektionierung und Vollendung geht. Aber dieser campy Effekt kann entstehen, wenn es betont theatralisch und humorvoll überzogen wird, womit dann mit dieser Mann-und-Frau-Dualität gespielt wird, auf diese verwiesen wird und nach außen erkennbar wird.
Siniawski: Also es geht auch um Witz, Humor, Spaß? Und Spaß auch am schlechten Geschmack, ja?
Ironie-Modus bei Susan Sontag
Roenneke: Das ist schon eine grundlegende Komponente. Also wenn man keinen Spaß daran hat oder an diesem Augenzwinkernden, dann würde ich es auch nicht als Camp bezeichnen. Oftmals wird Camp auch - gerade im Bezug auf Susan Sontags Essay …
Siniawski: ... "Notes on Camp" ...
Roenneke: ... genau, "Notes on Camp", betont, dass es immer so ein Ironie-Modus ist. Dass man sich doch distanziert und reflexiv gibt: Ja, ja, ich schaue mir irgendeine Trash-Sendung an, aber ich weiß natürlich, dass es schlecht ist. Sie hat ja auch den Satz geprägt: Es ist gut, weil es schrecklich ist. Aber ich ziehe mich dann wieder zurück und konsumiere dann doch das, was anständig und normiert ist.
Aber das ist zum Beispiel bei Jack Smith ganz anders. Also gerade in seinem Essay "Die vollendete filmische Maria Montez", wo er dieser dominikanischen Schauspielerin, die in den 40er-Jahren viele Hollywood-Streifen gedreht hat, huldigt, dann ist es wirklich eine Hingabe an diese Person, ja dann auch eine große Verehrung. Also er gibt sich nicht distanziert zu diesem glamourösen Trash, wie er es beschreibt, sondern er gibt sich dem voll hin. Und das ist halt auch ein großer Unterschied zu Sontags Camp, die sich dann doch immer etwas distanzierter gibt.
Und durch diese Vereinigung von Hoch- und Populärkultur, was damals natürlich auch noch neu war und viel diskutiert wurde, dann natürlich auch zu zeigen, dass man doch etwas Avantgarde ist und sich somit natürlich auch von bestimmten herrschenden Normen absetzen kann.
"Die erste Datierung geht zurück ins Jahr 1909"
Siniawski: Aber das ist schon Susan Sontags Verdienst, dass diese Hierarche von Hochkultur und Massen- beziehungsweise Popkultur nivelliert wurde.
Roenneke: Also, ob es jetzt allein Susan Sontags Verdienst ist, das möchte ich so nicht unterzeichnen. Aber ein großer Verdienst ist natürlich, dass sie diesen Camp-Begriff sehr populär gemacht hat. Denn davor war es ein Slang-Ausdruck, der hauptsächlich mündlich überliefert wurde. Es gibt natürlich einige Hinweise in Romanen oder Erzählungen aus den 20er, 30er-Jahren, und dann tauchte er auch in Slang-Wörterbüchern langsam auf. Die erste Datierung geht zurück ins Jahr 1909. Aber trotzdem war es ja eher so ein In-Group-Phänomen. Was auch damit zusammenhängt, dass die Camp-Ästhetik oftmals mit schwuler Kultur in Verbindung gebracht wurde, die natürlich jahrzehntelang gesamtgesellschaftlich nicht stattgefunden hat und unterdrückt wurde. Dementsprechend hatten natürlich nur bestimmte Gruppen Zugang. Das sind natürlich Künstler und Intellektuelle, aber natürlich auch innerhalb der schwulen Szene.
Siniawski: Kulturkritiker in den 60er-Jahren konnten dann mit Bezug zum Camp auch über solche angeblich banalen Dinge wie TV-Serien wie "Batman" oder so schreiben.
Roenneke: Genau. Das war quasi deren Rettung, weil es jetzt auch nicht unbedingt damals Mode war. Also heute machen wir uns ja gar keine Gedanken mehr, wenn wir irgendwelche schrecklichen TV-Formate gucken und dann Spaß daran haben. Das ist dann so eine Haltung, der wir auch frönen und uns ganz normal das goutieren können. Aber damals war es dann auch schon schwierig, damit umzugehen. Und das, was Sontag in "Notes on Camp" beschreibt, gab dann Kritikern die Möglichkeit, das einzuordnen und vielleicht auch zugänglich zu machen für den damaligen Leser.
Ist Camp noch subversiv?
Siniawski: Weil sie sagen, heute ist das fast normal - Kann es sein, dass so ein Begriff wie Camp irgendwann aus der Zeit fällt und nicht mehr passt? Weil vieles einfach erreicht ist? Geschlechtszuschreibungen sind fluider als früher, kitschige Kunst wird teuer gehandelt, Hoch- und Pop-Kultur finden gleiche Beachtung, die Hipster-Kultur feiert die Dauer-Ironie. Warum brauche ich dann eigentlich Camp noch?
Roenneke: Ja die Herausforderung heutzutage mit Camp ist es, immer zu fragen, welche hegemonialen Praktiken es eigentlich heute noch gibt, um das halt hervorzubringen. Und natürlich gab es gesellschaftliche Fortschritte, über die wir alle so glücklich sind, über die Rolle Homosexueller als auch der Frau in der Gesellschaft. Aber trotzdem gibt es immer noch bestimmte Gegensätze, die weiter aktuell sind und die trotzdem noch stattfinden. Und das findet man heutzutage aber auch. Sie haben zwar einige Beispiele genannt, die sich dem so ein bisschen entgegenstellen, aber die geschlechtliche Differenzierung zwischen Mann und Frau wurde auch wiederbelebt und Begehren wird auch immer noch mit Reproduktion gleichgesetzt und auch das wachsende Bedürfnis nach Identität ist ja auch vorhanden. Also gibt es schon auch immer noch bestimmte Hintergründe und Stabilisierungen, die diesen Camp-Effekt noch hervorbringen können.
Ob jetzt bestimmte Praktiken oder Formen von Camp - wie wir sie beispielsweise bei Lady Gaga auch sehen mit ihren Darstellungsformen oder wie man es bei Madonna kennt - auch noch immer subversiv sind oder ob damit noch immer so ein progressiver Ansatz, der die Pop-Kultur immer weiter hervortreibt, einhergeht, da streitet man sich drüber. Aber trotzdem gibt es diese Form.
Siniawski: Stefanie Roenneke, Popkultur-Journalistin und Autorin des Buches "Camp als Konzept - Ästhetik, Popkultur, Queerness", jetzt erschienen im Posth-Verlag. Vielen Dank für das Gespräch.
Roenneke: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.