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Can Dündar auf der lit.Cologne
Über die Freiheit des Wortes

Sie leben im Exil, wurden verhaftet, unter Druck gesetzt: Türkische Intellektuelle wie der Journalist Can Dündar oder die Autorin Asli Erdogan wissen, wovon sie reden, wenn sie über die Freiheit des Wortes sprechen. Auf der Auftaktveranstaltung der lit.Cologne zeigten sie sich zugleich dankbar und besorgt.

Von Kersten Knipp |
    Der türkische Journalist Can Dündar bei der Eröffnung des Online-Magazins Özgürüz
    Can Dündar: "Ich bin überrascht, dass ich die Tagesordnung der Türkei hier noch Tag für Tag erlebe. Ich dachte, in Deutschland gäbe es eine andere Tagesordnung." (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Was für eine Veranstaltung: türkische Stimmen ohne Demagogie. Zumindest gefühlt sind sie derzeit selten, die Botschaften aus der Türkei, die ohne Populismus und zynische Geschichtsklitterung auskommen. Türkische Scharfmacher hatten keinen Platz auf der Auftaktveranstaltung der lit.Cologne. Und doch waren sie auch als Abwesende irgendwie anwesend. Der im Exil lebende Journalist Can Dündar formulierte es so:
    "Ich bin überrascht, dass ich die Tagesordnung der Türkei hier noch Tag für Tag erlebe. Ich dachte, in Deutschland gäbe es eine andere Tagesordnung, aber auch hier reden wir die ganze Zeit über Erdogan. Das ist natürlich traurig. Und ich fühle mich gar nicht fremd hier."
    Wissen um die Unterschiede
    Und doch kennt Can Dündar die Unterschiede zwischen einer Demokratie und einer sich entwickelnden Diktatur. In einem von Günter Wallraff vorgetragenen Text hörte sich das so an:
    "Meine Liebste, meine Familie, meine Zukunft: Dieses Leben habe ich verloren. Aber ich habe ein neues. Die eigentliche Freiheit, die ich gewonnen habe ist: Ich muss mich nicht mehr darum sorgen, was morgen geschieht. Denn ich bin froh darüber, über das, was ich heute tue."
    Aus der Türkei via Skype zugeschaltet war für einige Minuten die verhaftete und inzwischen wieder auf Kaution freigelassene Autorin Asli Erdogan. Osman Okkan, der gewandte Moderator des Abends, unterhielt sich aus seinem Sessel auf der Bühne heraus mit der Autorin in Istanbul, die ihrerseits auf einer großen Leinwand zu sehen war. Ihr Fazit im Angesicht des autoritären Staats:
    "Man muss den Glauben immer in sich lebendig halten, dass man die Welt verändern kann – wenigstens die Welt in uns selbst. Denn warum sollen wir sonst leben, warum sollen wir dann schreiben?"
    Asli Erdogan kam frei – wohl auch aufgrund der internationalen Solidarität. Ihr Fazit, beeindruckend rasch von dem Simultandolmetscher Recai Hallaç ins Deutsche übertragen:
    "Ich weiß, dass die Solidarität sehr wertvoll war, und nicht nur für Asli. Aber selbst, wenn man nur Asli rettet, ist das ein Schritt. Ich bin sehr dankbar."
    Die Solidarität auf der Veranstaltung ging weiter, wie nebenbei und höchst charmant angestoßen von Günter Wallraff.
    "Hier geht ein Körbchen rum, und damit es auch ernst gemeint ist: Für das, was hier zustande kommt, verpflichte ich mich, die gleiche Summe noch mal reinzugeben. Mit der Bitte, macht hier keine zuviel 100-Euro-Scheine und keine 500-Euro-Scheine, dann übersteigt es auch meine Möglichkeiten. Und hier habe ich gehört, auch der Vertreter der Bundesregierung will dann – mit Gabriel zusammen am besten – das gleiche auch noch mal drauflegen. Und da kommt ja dann wirklich was zusammen."
    Der türkisch-deutsche Schriftsteller, vor der Willkür der Macht bereits vor vielen Jahren nach Deutschland geflohen, verglich seine Situation und die anderer willkürlich Verhafteter mit der von Josef K. in Kafkas Roman "Der Prozess". Nur das Ende stellt Akhanli sich anders vor:
    "Wir können die Situation zusammenfassen und sagen: Ein Putsch wurde verhindert. Aber eine Junta ist an die Macht gekommen. Der erste, der endlich vor Gericht gestellt werden sollte, ist der Präsident der Republik Recep Tayyip Erdogan. ... Ob die Nation ihm vergibt oder nicht, ist Sache der Nation. Ob Gott ihm seine Sünden vergibt oder nicht, ist keine weltliche Angelegenheit."
    Ein sehr würdiger Abend
    Die Auftaktveranstaltung der lit.Cologne: Ein sehr würdiger Abend, Interkulturalität und Demokratie in vornehmster Form. Und die Erinnerung an eines: Eine andere Türkei ist möglich.