Was man sagen darf - darüber wird nun schon ziemlich lange diskutiert. Beschwerden über Einschränkungen der Meinungsfreiheit gibt es oft bereits, wenn jemand einer geäußerten Meinung nur widerspricht. Eine Auftritt der Kabarettistin Lisa Eckhart in Hamburg wurde vom Veranstalter abgesagt, weil er Proteste befürchtete - obwohl es noch gar keine Beschwerden über die Einladung gab. Für solche Streichungen wegen erwarteter oder tatsächlicher Proteste wird gern der Begriff "Cancel Culture" benutzt.
Zensur statt inhaltlicher Austausch
Im Dlf hat die Tübinger Philosophin Sabine Döring darauf hingewiesen, dass es eine einheitliche Definition des Begriffs aktuell nicht gebe. Man könne "Cancel Culture" aber unterscheiden von legitimer Kritik, wenn man Unterschiede benenne: "Legitime Kritik bezieht sich auf Tatsachen und bringt rationale Argumente vor, um Andersdenkende zu überzeugen." Außerdem zeichne sie sich aus durch einen respektvollen Umgang und beziehe sich nie auf die Person.
"Canceling" dagegen versuche, das soziale und mediale Umfeld des Gegners so zu manipulieren, dass dieser isoliert werde. Da gehe es nicht um einen inhaltlichen Austausch, sondern um Zensur, sagt Döring. Das gehe so weit, dass Gruppenattacken organisiert würden und die tatsächlichen Aussagen von Personen in den Hintergrund gerieten.
Eine "Moral des Opfertums"
Grundlage der "Cancel Culture" sei eine andere Form von Moral, eine Moral des Opfertums, die sehr puristisch sei und den Schutz der Person vor emotionaler Verletzung in den Mittelpunkt stelle. Die Folge ist laut Döring, dass jede Art von Diskriminierung beseitigt werden solle. Da Diskriminierung meist ganze Gruppen treffe, seien Rassismus und Genderthemen derzeit so zentral: "Das Problem entsteht dann, wenn wir sagen, am Ende haben nur noch die Opfer das Recht zu sagen, wann eine Diskriminierung vorliegt und wann nicht."
Nötig sei ein Dialog, um im Austausch herauszufinden, ob eine emotionale Verletzung oder Demütigung vorliege. Dabei müssten Betroffene stärker in die Diskurse einbezogen werden. Es könne aber auch sein, dass gar keine Demütigung vorliege, selbst wenn eine Person das so erlebe. "Wenn wir die Kritik durch Gründe verabschieden, dann landen wir in Willkür und Barbarei."