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Cannes
Mit der Kamera auf dem Maidan

In Cannes ist der russisch-ukrainische Regisseur Sergej Loznitsa kein Unbekannter. 2012 war er mit seinem Spielfilm "Im Nebel" im Wettbewerb. Aktuell erinnert er mit seinem neuen Dokumentarfilm "Maidan" an die Ereignisse in Kiew, die zu der anstehenden Präsidentschaftswahl am 25. Mai geführt haben.

Von Sigrid Fischer |
    Menschen mit Ukraine- und EU-Flaggen auf dem Maidan in Kiew.
    Der russisch-ukrainische Regisseur Sergej Loznitsa hat per Kamera die Ereignisse auf dem Maidan in Kiew festgehalten. (dpa / picture alliance / Zurab Dzhavakhadze)
    Da gehen einem schon leichte Schauer über den Rücken, wenn die Menge auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, die ukrainische Hymne und andere patriotische Lieder anstimmt und dabei die Leinwand mit einem Menschenmeer ausgefüllt ist. "Ruhm den Helden, Helden sterben nie", singen sie, blau-gelbe Fahnen und die EU-Flagge schwenkend, und von der Bühne angefeuert: "Weg mit der kriminellen Janukowitsch-Bande. Schäm dich, Putin" wird gerufen. Bis dahin ist die Stimmung noch relativ entspannt.
    Karneval mit politischem Anspruch nennt es Sergej Loznitsa. Aber irgendwann will die Polizei den Platz räumen, mit Knüppeln, Tränengas, Wasserwerfern, auf der andern Seite fliegen Steine, es gibt Verletzte , am Ende wird ein Sarg durch die Menge getragen und ein Trauerlied gesungen. Wo die Nachrichtenbilder verfälschend Aktion verdichten und dramatisieren, steht die Kamera hier minutenlang unbewegt an der gleichen Stelle und beobachtet.
    "Weil der Held, den ich für den Film gewählt habe, mein Volk ist. Und dem folge ich mit der Kamera. Deshalb stelle ich sie auf den Platz und warte, was passiert. Wenn ich die Kamera bewege, fragt der Zuschauer: Warum schwenkt er denn dahin oder dahin? Dann wird es subjektiv. Wenn aber die Kamera nur da steht, hat man zumindest den Eindruck von Objektivität."
    Und ganz objektiv passiert auch lange Minuten nichts. Leute gehen, stehen in kleineren Gruppen zusammen, Brote werden geschmiert, Nachtruhe gehalten. Tage- und wochenlang haben sie ausgeharrt. Das vermittelt sich, Sergej Loznitsa erklärt nichts, er liefert weder Off-Kommentare zu den Bildern noch interviewt er irgendjemanden.
    "Weil das nur die Meinung von irgendjemand wäre, aber nicht von meinem Hauptdarsteller, dem Volk. Das gibt ein Statement, wenn es anfängt zu kämpfen oder die Nationalhymne zu singen oder wenn es eine Entscheidung trifft. Das sind Statements."
    Es dauert eine Weile, bis man sich als Zuschauer in die etwas monoton wirkenden Bilder hineinfindet, aber dann nehmen sie einen gefangen. Weil sie zum Beispiel die Langwierigkeit des Prozesses , die Entschlossenheit und Unbeirrbarkeit der Demonstranten vermitteln. Auch Zusammenhalt und Solidarität. Objektivität allerdings, die Loznitsa erzeugen möchte, kann es nicht geben. Denn er trifft als Regisseur Entscheidungen, und so steht seine Kamera immer auf der Seite der Demonstranten, nicht auf der der Polizei oder möglicher Janukowitsch-Anhänger am Rande. Und wenn er Stellung bezieht, ist die auch eindeutig. Europa könne helfen,
    Das sei ganz einfach, meint er: Man solle aufhören, mit Russland Handel zu treiben. Und die im April entführten OSZE-Beobachter, darunter deutsche Offiziere, die sich vor laufenden Kameras als Gäste von Slawjansk bezeichneten, hätten diese Lüge seiner Ansicht nach nicht äußern sollen.
    "Ein deutscher Oberst, der sein Land repräsentiert, hat gelogen. Dabei bekommt er sein Geld dafür, dass er bereit ist, für sein Land zu sterben, und dann frage ich mich, ob die deutsche Armee überhaupt in der Lage ist, ihr Land zu verteidigen falls nötig, mit solchen Offizieren? Und das war auf dem Maidan der Fall: Die Menschen waren bereit, ihr Leben für ihre Würde zu geben."
    Um der russischen Propaganda etwas entgegenzusetzen, will Sergej Loznitsa seinen Film ins Internet stellen. Dass nach den Wahlen am Sonntag irgendwelche Probleme zwischen Russland und der Ukraine gelöst sein könnten, daran glaubt er nicht.
    "Neinein, das hängt ganz von Russland ab. Es ist völlig egal, wer Präsident wird, in der Ukraine gibt es sowieso nur einen Politiker: das Volk."