Vor Schmutz starren die Füße von Pilgern, die die "Madonna von Loreto" anbeten. In dem Gemälde "Salome erhält das Haupt des Täufers" schweben die Figuren in einem geheimnisvollen Dunkel. Und aus tiefen Schatten tritt uns auch das "Bildnis eines Malteserritters" entgegen und wirkt doch zugleich ungeheuer plastisch.
Wie hat Caravaggio das bloß geschafft? Bereits Künstlerkollegen fragten sich neidisch, wie der Maler aus der Lombardei unter oft ungünstigen Umständen so präzise und meist auch schnell arbeiten konnte. Selten hatte der Einzelgänger Geld, um Modelle zu bezahlen, die er für seine realistischen Darstellungen brauchte. Und immer wieder war er auf der Flucht vor der Rechtssprechung. Verurteilungen wegen nicht bezahlter Rechnungen, unerlaubten Waffenbesitzes, gar wegen Mordes trieben ihn von Mailand nach Rom und bald weiter kreuz und quer durch Süditalien bis nach Malta. Über 50 bekannte Meisterwerke sind innerhalb von nur zwölf oder dreizehn Schaffensjahren entstanden. Dazu kommen verschollene Arbeiten.
Caravaggio wird seit den 50ern geröntgt
"Wissenschaftler sind schon länger dabei, sich zu fragen, welche Kniffe und Techniken er wohl bei seinen Arbeiten benutzt haben könnte. Zum Beispiel hatte man an Spiegel gedacht, mit denen er Abbilder auf die Leinwand projizierte. Andere Hypothesen sprachen von Kartonvorlagen wie bei der Freskotechnik."
Claudio Falcucci ist ein Nuklearwissenschaftler, der sich auf die Untersuchung von Kunstwerken mit Strahlungsmethoden spezialisiert hat. Caravaggio war man bereits in den 1950er-Jahren mit ersten, noch rudimentären Röntgenbildern auf den Leib gerückt.
"Inzwischen spielen Multispektraltechniken wie die Infrarotstrahlung eine Hauptrolle. Sie erlauben, ins Innere des Werkes vorzudringen und Informationen über einzelne Details zu geben, die mit der Röntendignostik nicht möglich sind."
Keine kalte technische Ausstellung
Die Mailänder Ausstellung versucht, die Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Untersuchungen einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Doch ist das keine kalte technische Ausstellung. In den einzelnen, ganz rot ausgeschlagenen Räumen werden die Gemälde auf Stellflächen gezeigt, die den Besuchern zugewandt sind. Eine geschickte Lichtregie entgeht der Gefahr, Bildern wie etwa dem "Malteserritter" von 1608 ihre von innen leuchtende Kraft zu nehmen.
Auf den ersten Blick ist das also eine prächtige Ausstellung, die mit 20 Leihgaben von Museen aus den USA, England, Spanien und natürlich Italien in chronologischer Folge einen Querschnitt durch das Gesamtwerk von Caravaggio bietet. Die Kunsthistorikerin Rossella Vodret hat sie eingerichtet.
Auf der Rückseite der Stellwände aber werden in einem Schattenbereich mit multimedialen Installationen zu jedem einzelnen Bild Beispiele der jüngeren Forschung präsentiert. Sie bestätigen etwa, dass Caravaggio etwa die Technik des "Abozzo" benutzte, eine Vorzeichnung mit Farbe und Pinsel für seine Figuren. Gut zu erkennen sind in den Infrarotaufnahmen auch die sogenannten "Pentimenti", also die Änderungen, die der Maler während der Arbeit an seinem Bildaufbau vornahm. So wanderte der Engel in dem Gemälde "Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" vom rechten Bildrand in die Mitte.
Caravaggio plante genau, was er malte
Claudio Falcucci hatte in einer konzentrierten Untersuchung zwischen 2009 und 2012 alle in Rom vorhandenen Arbeiten des Malers unter die Lupe genommen:
"Dadurch, dass wir in einem kurzen Zeitraum eine große Zahl von Arbeiten analysieren und vergleichen konnten, haben wir uns auch auf Aspekte konzentriert, die bislang eher vernachlässigt wurden. Ganz wichtig wurde etwa die Rolle der Grundierung."
Es gehörte, von Caravaggios Romaufenthalt angefangen, zur Grundcharakteristik seiner Maltechnik, dass er nicht vom Hellen ins Dunkle, sondern vom Dunklen ins Helle malte. Bislang hatte man angenommen, dass die Grundierung für die einzelnen Arbeiten uniform sei. Jetzt aber stellt sich heraus, dass der Maler in einem Bild nebeneinander liegende, verschieden getönte Flächen anlegte. Unterschiedliche Grundierungen also für die entsprechenden Gegenstände und Personen des Bildes.
Damit wird auch eine beliebte These widerlegt, Caravaggio habe seine Bilder in einer Art genialen Ekstase aus dem Stand ohne präzise Vorarbeiten geschaffen. Er kannte also im Gegenteil bereits bei der Anlage der Grundierung ganz genau den Aufbau des Bildes.
Caravaggio, eigentlich Michelangelo Merisi, hatte nach einem unsteten Leben bis zu seinem frühen Tod 1610 im Alter von nur 38 Jahren ein Werk geschaffen, das die Kunst revolutionierte. Realistische Szenerien, schräg einfallendes Licht, und weite Schattenflächen verbanden sich zu einer nie gesehenen Plastizität. Über die Techniken seiner Malweise wurde lange und gerne gerätselt. Die Mailänder Ausstellung, die noch bis zum 28. Januar im Palazzo Reale zu sehen ist, fasst nun den aktuellen Stand einer Enträtselung zusammen und fasziniert zugleich mit den Originalen.