...Es sind die Hände eines alten Mannes. Faltig sind sie und rauh, von einem langen Leben gegerbt. Aber noch immer ist ihr Griff fest und sicher. Denn sieh, mit welch eiserner Entschlossenheit seine rechte Faust das Messer umfasst und wie entschlossen seine linke Hand den Kopf des Knaben auf den Stein hinunterdrückt...
Caravaggio hat sein Bild um 1603 während seiner Zeit in Rom geschaffen. Der aus der Lombardei stammende Maler ist Anfang Dreißig. Längst hat er Zugang zu führenden Familien und einflussreichen Kirchenkreisen Roms gefunden. Das Bild ist ein Auftrag des Kardinals Maffeo Barberini, des späteren Papstes Urban VIII. Die "Opferung Isaaks" gilt als eines der bedeutenden Werke des Malers aus dieser Zeit.
"Das Ansinnen bleibt ungeheuerlich"
...Kalt schimmert der dunkle Stahl in der Hand des Mannes. Glatt und schartenlos ist die scharfe Schnittkante des Messers. Bereit, mit einem schnellen Schnitt quer durch die Halsunterseite, die Kehle des Knaben zu durchtrennen...
Seit je nimmt die Geschichte von Abraham und Isaak einen besonderen Platz in den drei monotheistischen Religionen ein und lässt das Denken bis heute nicht los.
"Was ist das Faszinierende an der Geschichte, die ja eigentlich zu den grausamsten des Alten Testaments gehört? Ein Vater wird aufgefordert, seinen Sohn zu schlachten. Dass es dazu nicht kam, ist kein Trost. Das Ansinnen an sich bleibt ungeheuerlich."
Schreibt der evangelische Theologe und Judaist Michael Krupp. Denn was für ein Gott ist das, der einen solchen Tötungsbefehl an einen seiner Getreuesten richtet? Was für ein Mensch ist das, der einem solchen Befehl nachkommt? Und was für eine Art Gehorsam ist es, den Abraham leistet? Schauen wir auf die Geschichte selbst, die das Alte Testament im Buch "Genesis" erzählt. Die Geschichte beginnt mit den Worten:
"Gott prüfte den Abraham und sprach zu ihm: 'Abraham', und der sprach: 'Hier bin ich!' Und er sprach: 'Nimm doch deinen Sohn, deinen einzigartigen, den du lieb hast, den Isaak, und gehe in das Land Morija und bringe ihn dort als Brandopfer dar auf einem Berge, den ich dir nennen werde!' Da machte sich Abraham früh am Morgen auf, sattelte einen Esel, nahm zwei seiner Knechte mit sich und Isaak, seinen Sohn, und er spaltete Brandopferholz, brach auf und ging zu dem Ort, den ihm Gott gesagt hat."
Der Weg zur Schlachtbank
...All das liegt bereits hinter ihm. Das furchtbare Wort Gottes sowie sein wortloser Aufbruch früh am Morgen. Fest verschlossen ist sein Mund auch jetzt, umso deutlicher dagegen spricht die Sprache seiner beiden Hände – willfährig sind sie im Begriff, dem göttlichen Befehl Folge zu leisten...
Drei Tage hatte der Weg bis dahin gedauert. Drei lange Tage durch einen nicht enden wollenden Abgrund des Schweigens, der ihn nicht nur von seinen Allernächsten – seiner Frau Sara, seinem Sohn Isaak –, sondern überhaupt von den Menschen trennt. Denn was hätte Abraham ihnen sagen können? Welche Worte hätte er für etwas zu finden vermocht, wofür es im Grunde keine Worte gibt.
Als die Gruppe den Berg erreicht, lässt Abraham die Knechte und den Esel zurück, legt Isaak das Brandopferholz auf die Schulter, nimmt selbst das Messer sowie das Feuer und beginnt mit seinem Sohn den Aufstieg.
"Da sprach Isaak zu Abraham: 'Mein Vater!' Der sagte: 'Hier bin ich, mein Sohn.' Er sagte: 'Da ist Feuer und Holz. Wo aber ist das Schaf für das Brandopfer?' Abraham sprach: 'Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen, mein Sohn.' Da kamen sie zu dem Ort, den Gott ihm gesagt hatte. Abraham baute einen Altar, schichtete das Holz, band Isaak seinen Sohn, und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. Dann streckte Abraham seine Hand aus und ergriff das Messer, um seinen Sohn zu schlachten."
Der Schrei
...Da – ein ungeheurer Schrei zerreißt mit einem Mal das abgrundtiefe Schweigen, das über dem Ganzen liegt. Ein Schrei plötzlichen Begreifens – ein Schrei blanken Entsetzens, der nackten Panik und der schieren Todesangst. Es ist ein Schrei aus der Kehle Isaaks, seines Sohns...
Von einem solchen Schrei jedoch ist im Alten Testament nirgendwo die Rede. Beispiellos ist seine Darstellung ebenso in der Kunst; beispiellos ist der Schrei Isaaks, den Caravaggio ins Bild bringt - entgegen alle Tradition.
...Weit aufgerissen ist sein Mund. Gerade noch vermag Isaak seinen Kopf ein wenig zur Seite zu drehen, um seinen Mund zu diesem ungeheuren Schrei zu öffnen. Während sein Gesicht von der Hand seines Vaters unerbittlich auf den Opferstein niedergedrückt wird...
Auch die Auslegungstradition der drei Religionen bleibt bei der stummen Opferbereitschaft Isaaks. "Er wäre nicht wert geboren zu sein, wenn er nicht dem folgen würde, was Gott und sein Vater über ihn beschlossen hätten", heißt es im Text eines jüdischen Erzählers. "Mein Vater, wenn du mich zu opfern wünschtest, würde ich dich nicht daran zu hindern versuchen", sagt eine frühe islamische Schrift. Die christliche Tradition wiederum sieht in der Opferwilligkeit des Sohnes eine Vorwegnahme des Opfertods Christi. So lautet es bei dem Kirchenvater Augustinus:
"Darum musste auch Isaak, wie der Herr sein Kreuz, selbst das Holz, auf das er gelegt werden sollte, zur Opferstätte tragen."
Die Bindung Isaaks
Doch im Unterschied zu Christus wird Isaak, wie der weitere Verlauf der Geschichte zeigt, nicht geopfert. Deshalb spricht man im Judentum auch nicht von der Opferung, sondern von der Bindung Isaaks – der "akedah" Isaaks. Denn so wie man ein Opfertier vor dem Schlachten bindet, hatte auch Abraham seinen Sohn gebunden – "akedat jizchak". Der israelisch-französische Literaturwissenschaftler Stéphane Moses:
"Diese Bezeichnung hebt den wesentlichen Zug der Episode hervor, nämlich die Tatsache, dass das Opfer Isaaks nicht stattgefunden hat. Allerdings, und das ist nicht weniger wichtig, hätte es fast stattgefunden."
Fast – doch nur der biblische Erzähler und die Leser wissen von Anfang an, wie das Ganze ausgeht. Abraham nicht – er gehorcht. "Er wusste", schreibt der Philosoph Sören Kierkegaard, "dass kein Opfer zu schwer war, wenn es Gott forderte – und er zog das Messer".
"Da rief der Engel Jahwes vom Himmel her ihm zu und sprach: 'Abraham, Abraham!' Er antwortete: 'Hier bin ich!' Da sprach er: 'Strecke deine Hand nicht nach dem Jungen aus und tue ihm nichts zuleide. Denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten hast.'"
Elohim oder Jwhw?
...Doch seltsam – in den Zügen Abrahams zeichnet sich keine Erleichterung ab. Fast unwillig über die Unterbrechung seines Tuns wendet er sein Gesicht dem Engel zu: die Stirn gerunzelt, die Brauen eng zusammengezogen. In seinem Blick auf den himmlischen Boten liegt ein eigenartiges Nichtverstehen, etwas wie Misstrauen, eine Ungläubigkeit, als habe er nicht recht gehört...
Denn wie kann das sein? Wie kann Gott sich selbst ins Wort fallen? Wie kann Gott mit zwei sich widersprechenden Stimmen reden?
...Schau nur, wie handgreiflich der Engel in das Geschehen eingreifen muss. Wie brachial er von links Abraham in den Arm fällt und ihn entschlossen am Handgelenk packt, um ihn daran zu hindern, Isaak das Messer an die Kehle zu setzen...
Welcher Stimme aber soll Abraham Folge leisten: der Stimme, die ihm die Tötung Isaaks befohlen hatte, oder der, die ihm nun das Sohnesopfer untersagt? Der hebräische Text unterscheidet zwischen den beiden Stimmen und spricht im ersten Fall von Gott als "Elohim", im zweiten Fall von Gott als "Jhwh". Dazu der Theologe und Alttestamentler Jürgen Ebach:
"Als der, der die Forderung des Menschenopfers erhebt, ist Gott "Elohim" – als der, der rettend eingreift, ist er "Jhwh". Offenkundig folgt der Bezeichnungswechsel der dramaturgischen beziehungsweise theologischen Struktur der Erzählung. Der Eigenname des Gottes Israels – "Jhwh" – taucht zum ersten Male bei dem Isaak rettenden Auftritt des Engels auf."
Abraham lässt sich bewegen
...Wie merkwürdig bewegungslos aber wirkt alles. Wie ausweglos gefangen in seinem Gehorsam Abraham. Wie erstarrt der Engel, der mit stocksteifem Arm das Handgelenk Abrahams fixiert. Während der gestreckte Zeigefinger seiner linken Hand deutlich auf den Kopf des Widders weist, der rechts hinter Isaaks Kopf ins Bild ragt – "Dort, sieh doch dorthin!"...
"Als Abraham seine Augen erhob, sah er einen Widder, der sich mit seinen Hörnern im Dickicht verfangen hatte. Abraham ging hin, nahm den Widder und brachte ihn an die Stelle seines Sohnes als Brandopfer dar."
So lautet es im Buch "Genesis" weiter. Abraham hatte sich also bewegen lassen und hatte begriffen, dass das Wort des "Elohim" nicht das letzte Wort "Jhwhs" gewesen war. Der Philosoph Emmanuel Lévinas hebt hervor:
"Dass Abraham der ersten Stimme gehorchte, ist verwunderlich: Dass er angesichts dieses Gehorsams genug Distanz hatte, um die zweite Stimme zu hören: darin liegt das Wesentliche."
Isaak und der Holocaust
...Und Isaak? Was ist mit Isaak? Er weiß nicht, was hinter seinem Rücken geschieht. Weiß nichts von der Stimme, die sein Vater hört, weiß nichts vom Engel, nichts vom Widder. Er spürt lediglich die Hand seines Vaters im Nacken, seinen harten Daumen, der sich in das Fleisch seiner Wange eindrückt...
Als Caravaggio 1603 sein Bild "Opferung Isaaks" malt, ist die katholische Reformbewegung – die sogenannte "Gegenreformation" – auch für Künstler längst zu einer Wirklichkeit geworden, auf die sie sich einzustellen haben. 1563 hatte das Konzil von Trient ein Dekret über Darstellung und Gebrauch religiöser Bilder verabschiedet. Caravaggios Bild folgt keineswegs den theologischen Vorgaben. Umso expressiver hingegen wirkt sein unorthodox schreiender Isaak. Was Kardinal Maffeo Barberini in dem Bild sah, ist nicht überliefert. Nach seiner Wahl zum Papst übereignete er es seinem Bruder, dem Kardinal Carlo Barberini.
...Was also ist mit Isaak? Für immer scheint er auf den Opferstein niedergedrückt, und für immer scheint sich aus seiner Kehle dieser ungeheure Schrei des Entsetzens und der Angst lösen zu müssen...
Gewiss – dass er nicht geopfert wird, hat Isaak auf dem Berg Morija bald erfahren. Er ist ein "Überlebender", wie der Schriftsteller Elie Wiesel formuliert. Ein Überlebender des Brand- oder Ganzopfers, für das er vorgesehen war. Der hebräische Text verwendet das Wort "ōlăh". Es bezeichnet die Opferform, bei der das Opfertier ganz verbrannt wird. Die Vulgata des Hieronymus, die lateinische Bibelübertragung aus dem 4. Jahrhundert, übersetzt "ōlăh" mit dem entsprechenden lateinischen Wort "holocaustum". In seinem Aufsatz "Die Opferung Isaaks: Geschichte des Überlebenden" hält Elie Wiesel fest:
"Isaak vergisst niemals den Schrecken jener Szene, die seine Jugend zerstört hat. Er wird sich immer an den Holocaust erinnern und bleibt gezeichnet bis an das Ende der Zeiten."
"Stärker als ich ist der Schrei"
Im Christentum steht die Gestalt Isaaks im Schatten seines Vaters. Auf seine beinahe Opferung durch Abraham wirft die christliche Heilsgeschichte ihr eigenes Licht und deutet sie als Präfiguration der tatsächlichen Opferung Christi. Im Judentum wiederum kommt angesichts der eigenen Verfolgungs- und Überlebensgeschichte der Gestalt Isaaks eine besondere Bedeutung zu. Der Rabbiner und Historiker Edward van Voolen schreibt:
"Die Bibel berichtet nur wenig über Isaak. Stille umgibt ihn. Am Abend pflegte er aufs Feld zu gehen, um ein wenig nachzudenken. Von Stille bleibt Isaak umgeben. Es ist die Stille dessen, der mit seiner Erfahrung nicht ein noch aus weiß. Stille als Reaktion auf den Holocaust."
Stille, Schweigen – doch nicht nur. Von Elie Wiesel, selbst ein Überlebender des Holocaust, gibt es ein Theaterstück mit dem Titel "Ani maamin, ein Gesang, der verloren war und wiedergefunden wurde". In diesem Stück findet Isaak zu seinem niemals ausgestoßenen Schrei und zu niemals ausgesprochenen Worten:
Erinnerst du dich an die akedah?
Dort auf dem Berg Morija?
Ich war der Einzige, den du fordertest als Brandopfer.
Und gefragt habe ich nicht:
Warum ich?
Ich habe nichts gesagt.
Kein Schrei.
Ich habe mein Fragen unterdrückt.
Meine Worte habe ich erstickt.
Jetzt werde ich sprechen, ich muss es.
Stärker als ich ist der Schrei.
Siehst du dort unten, was ich gesehen habe?
Sieh doch, Gott Abrahams! Gott der Barmherzigkeit!
Öffne deine Augen, so wie du sie mir geöffnet hast.
Öffne deine Augen und sieh, was ich gesehen habe.
Dort auf dem Berg Morija?
Ich war der Einzige, den du fordertest als Brandopfer.
Und gefragt habe ich nicht:
Warum ich?
Ich habe nichts gesagt.
Kein Schrei.
Ich habe mein Fragen unterdrückt.
Meine Worte habe ich erstickt.
Jetzt werde ich sprechen, ich muss es.
Stärker als ich ist der Schrei.
Siehst du dort unten, was ich gesehen habe?
Sieh doch, Gott Abrahams! Gott der Barmherzigkeit!
Öffne deine Augen, so wie du sie mir geöffnet hast.
Öffne deine Augen und sieh, was ich gesehen habe.
Zweifel an Gott
...Über seinem Schrei hat Isaak die Augen geöffnet. Grenzenlose Not, völliges Ausgesetztsein sprechen aus seinem Blick. Ein Blick, dunkel und fassungslos, der aus dem Bildgeschehen hinausdrängt, als suche er woanders Antwort auf das Unfassbare, das ihm widerfährt...
Antwort auf das "Warum ich?" – Antwort darauf, warum jenes "Strecke deine Hand nicht nach dem Jungen aus und tue ihm nichts zuleide" für ihn, den Sohn, zu spät kommt? Antwort darauf, weshalb sein Schrei im Verlauf der Geschichte immer wieder ungehört verhallt? Der Theologe und Alttestamentler Jürgen Ebach:
"Es ist die Realität, die zweifeln lässt, dass die Nichtopferung Isaaks letztes geltendes Wort ist. Isaak wird wieder geopfert. Warum? Etwa weil "Jhwh" wieder zu "Elohim" werden konnte? Oder sind es ganz andere Gottheiten, die Menschenopfer fordern? Oder sind es gar keine Gottheiten, sondern Menschen und Systeme?"
Spätestens seit der Neuzeit verstummen diese Fragen nicht mehr. Schon der Philosoph Immanuel Kant hatte aus dem Opferbefehl geschlossen, dass er eine andere Herkunft als Gott haben müsse. Er schreibt:
"Wenn Gott zu den Menschen wirklich spräche, so kann dieser doch niemals wissen, dass es Gott sei. Abraham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme antworten müssen: 'Dass ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiss; dass aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiss und kann es auch nicht werden.'"
Hoffnung auf eine andere Geschichte
Stimmen aber gab und gibt es bis heute, die Gehorsam fordern und Väter auffordern, ihre Söhne in wessen Namen und auf wessen Altar auch immer zu opfern. Vom Dichter und Sänger Leonard Cohen stammt das Lied "Story of Isaac" – "Geschichte von Isaak". Darin heißt es:
Ihr, die ihr jetzt diese Altäre baut,
Um diese Kinder zu opfern,
Ihr dürft es nicht mehr tun.
Ein Plan ist keine Vision,
Und niemals wurdet ihr
Von einem Dämon oder einem Gott versucht.
Um diese Kinder zu opfern,
Ihr dürft es nicht mehr tun.
Ein Plan ist keine Vision,
Und niemals wurdet ihr
Von einem Dämon oder einem Gott versucht.
...Nur Isaak blickt aus dem Bild heraus. Sein Vater hinter ihm ist von seiner eigenen Geschichte absorbiert und schaut angestrengt auf den Engel. Nur sein Sohn blickt den Betrachter an – in der Hoffnung auf eine andere Geschichte? Vielleicht. Klar und deutlich jedenfalls dringen sein Blick wie auch sein Schrei nach draußen...