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Carl Amery (Hrsg.): Briefe an den Reichtum

Vor wenigen Wochen starb der Schriftsteller Carl Amery im Alter von 83 Jahren. 1922 war er als Christian Mayer geboren worden. Er war Mitglied der Gruppe 47 und mischte sich als Kulturkritiker und engagierter Ökologe gerne in die politischen Debatten ein. Auch sein letztes Buch dürfte den Zeitgeist wieder getroffen haben. Die Heuschrecken-Debatte vorausahnend, versammelte Amery darin 13 Briefe an den Reichtum. Die Adressaten reichen von Oliver Kahn bis hin zum Bundespräsidenten.

Von Frank J. Heinemann | 27.06.2005
    "Die Absicht dieses Buches ist schlicht Aufklärung; Aufklärung über Tatbestände des Reichtums, die für das Weiterleben der Menschheit so wichtig, so krisenhaft wichtig sind wie nie zuvor ... Die sozialen wie die biosphärischen und kulturellen Verluste tauchen in den Bilanzen des Reichtums nicht auf ... Patriotische oder heimatliche Bande werden immer unwesentlicher, es regiert eine Internationale des korporativen Reichtums. Und die Welt wird ärmer."

    Die meisten der 13 Beiträge sind anregend, teils durch faktenorientierte Wut, teils durch präzise Ironie. Zu den Ironikern gehört der Schriftsteller Andreas Eschbach. Mit seinem Roman "Eine Billion Dollar" hat er sich als Zinseszins-Kenner ausgewiesen, und nun schreibt er einen Brief an einen "Max Mustermann", den er angeblich bei einem Gespräch mit einem öligen Finanzberater belauscht hat, der Mustermann riet, sein Geld sich "vermehren" und "arbeiten" zu lassen.

    "Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie das eigentlich vor sich gehen soll? Wenn man einen Zwanzig-Euro-Schein und einen Zehn-Euro-Schein gemeinsam in einen dunklen Schrank legt, kann es dann vorkommen, dass irgendwann kleine Euromünzen zur Welt kommen? ... Nein, mögen Sie in Erinnerung an das gestrige Gespräch einwenden, so ist das natürlich nicht zu verstehen. Geld vermehrt sich, indem es arbeitet ... Wie, bitte schön, soll Geld arbeiten? Und wann? Und wo? Es scheinen doch heute schon Arbeitsplätze für Menschen rar zu sein ..."

    Was Bankberater gern verschweigen: natürlich arbeitet nicht das Geld, sondern der Schuldner, der sich Mustermanns Geld bei der Bank leiht und Zinsen bezahlen muss. Eschbach führt mit viel Witz in die Karussellfahrten des so genannten giralen Geldes ein und erklärt, wie dabei mit möglicherweise gefährlichen Folgen die Geldmenge wächst – ein Ringelspiel, bei dem seltsamerweise Geld sich vermehrt bei den einen, weil andere Schulden machen.

    Nicht unbedingt weitergehen muss es mit dem krebsartigen Wachstum von Zins und Zinseszins nach Meinung von Margrit Kennedy. Sie beschreibt die Arbeit von "JAK", einer kleinen genossenschaftlichen Bank in Schweden, die auf Zinsen verzichtet. Sie verlangt nur relativ geringe Gebühren von ihren Mitgliedern, die zugleich Schuldner und Sparer sind.

    Herausgeber Amery hat Kennedys Beitrag unter das Stichwort "Therapie" gestellt. Schwerpunkt der meisten anderen Beiträge ist freilich die Diagnose. Ein pseudonym auftretender Forstexperte führt mit einem Brief an die Großgrundbesitzer tief ins kapitale Dickicht der Waldwirtschaft; an die nach britischen und us-amerikanischen Öl-Interessen stinkende Geschichte des Iran nach 45 erinnert die österreichische Alt-Grüne Freda Meissner-Blau; ein Brief des Theaterwissenschaftlers Gottfried Fischborn an den kürzlich erneut ins Zwielicht geratenen Opernfreund Alberto Vilar versucht die Ambivalenz des kulturellen Mäzenatentums zu erhellen.

    Der Schriftsteller Harald Grill umarmt den Polit-Milliardär Berlusconi auf hinterhältigste Weise, indem er ihm scheinbar gute Ratschläge gibt, wie er Einfluss und Ansehen noch weiter steigern könnte. Vergnügliche Aufklärung in Schwejkscher Manier. Der ehemalige Spiegel-Redakteur Harald Schumann orientiert sich eher an Brecht. Er inszeniert den ehemaligen Vodafone-Manager Gent und dessen erfolgreiche Kaperung des Mannesmann-Konzerns als Lehrstück über den Globalkapitalismus. In seinem Brief "An Mr. Gent" bedankt er sich dafür, dass dieser überzeugend vorgeführt habe, wie Turbo-Kapitalismus funktioniert. Auch der Anteil einer diensteifrigen Rot-Grünen Regierung an der Geldvermehrung auf den Konten der Bosse sei herrlich klar geworden.

    In einem im Vergleich zu Schumanns Brief schwerblütigen Text teilt der Soziologe und Alt-Sozialist Oskar Negt leider nichts darüber mit, warum er seinen gelegentlichen hannoverschen Gesprächspartner Gerhard Schröder nicht davon abbringen konnte, sich als "Genosse der Bosse" zu betätigen. Negt redet in seinem Brief dem scheidenden Boss des Siemens-Konzerns, Heinrich von Pierer, ins Gewissen.

    "Eine Gesellschaft, die nicht mehr im Stande ist, ihren gewaltigen Reichtum der Gesamtheit produktiv zur Verfügung zu stellen, die ihn vielmehr wild wuchern und in Privatschatullen versickern lässt, zehrt allmählich die Bindekräfte auf, die der Überzeugung entwachsen, dass es in den gesellschaftlichen Ordnungen nach Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit zugeht. ... Es gibt eine Managerkaste, die sich dumm und dämlich verdient, ohne auch nur einen Cent in das Gemeinwesen einzuzahlen..."

    Negt fordert die finanzstarke Oberschicht dazu auf, freiwillig Geld für Projekte einer ausgleichenden Gerechtigkeit zu stiften. Ähnliches äußert auch Amery zum Abschluss in einem kurzen Brief an den neuen Bundespräsidenten. Horst Köhler solle eine "Zukunftswerkstatt" gründen, für die die "Millionäre" ein Prozent ihres Vermögens stiften sollten. In der Präsidentenwerkstatt solle, unbeeinflusst von Tagespolitik, nach radikalen Lösungen für die Weltprobleme gesucht werden. Horst Köhler hat, so wird im Buch mitgeteilt, Amery noch im November 2004 in seinem Haus besucht. Eine freundliche Geste, doch Konsequenzen wird die Visite wohl nicht haben.

    Vielleicht hilft wirklich nur noch Beten. Jedenfalls hat ein Gottesmann den radikalsten Text verfasst, der 70-jährige Heidelberger Theologe und Wirtschaftsethiker Ulrich Duchrow. Er wird als "Befreiungstheologe" vorgestellt, und wenn man seinen Beitrag liest, versteht man, warum der verblichene Papst und sein Großinquisitor Ratzinger die "Befreiungstheologie" in Lateinamerika stillgelegt haben. Duchrow, Protestant in jeder Beziehung, belegt mit zahlreichen Bibelstellen, warum ein Christ den internationalen Turbo-Kapitalismus nicht gutheißen kann und präsentiert zugleich, als Ökonom, nichtglaubensabhängige Fakten. Wie es in der Realität des etablierten Christenlebens aussieht, konnte man Anfang des Jahres in Köln beobachten. Im Hohen Dom fand ein Gottesdienst für den verstorbenen Kölner Bankier Alfred von Oppenheim statt, ein Protestant, der vor langer Zeit schon aus der Kirche ausgetreten war. Von den Schwierigkeiten eines Reichen beim Eintritt ins Himmelreich war allerdings keine Rede.

    In München, beim Luchterhand Verlag, der seit einiger Zeit zum Bertelsmann-Konzern gehört, mag vielleicht angesichts des überraschenden Todes des Bankiers eine gewisse Erleichterung geherrscht haben. Musste doch nun über ein problematisches Manuskript für Amerys Sammelband nicht mehr entschieden werden. Der Kölner Wirtschaftspublizist und Globalisierungs-Kritiker Werner Rügemer hatte, von Amery angeregt, im Sommer 2004 einen "Brief" an den Bankier Oppenheim geschrieben, einen äußerst kritischen Text. Er wurde zunächst in München abgelehnt, weil man Rügemer, wie dieser sagt, die vorgetragenen Fakten einfach nicht glauben wollte. Der Autor lieferte dann zahlreiche Belege für seine Kritik an den Geschäftspraktiken von Bank und Bankier nach. Die Herausgabe des Buchs verzögerte sich. Als Oppenheim dann im Januar starb, konnte der Verlag auf Rügemers Text verzichten, aus Gründen der Pietät. Trotz Pressionsversuchen konnte der Oppenheim-Kritiker seinen Text kürzlich in der Kölner Fachhochschule vortragen. In den Zeitungen der Millionenstadt, die nahezu ausschließlich vom Verleger Alfred Neven-Dumont herausgegeben werden - mit Oppenheim und seiner Bank vielfältig verbunden -, erschien über diesen Konflikt kein Wort.

    Die Realität bestätigt die Thesen eines Buches, das eindrucksvoll beschreibt, wie sich eine Gesellschaft auf den Weg zu einem Neofeudalismus des Geldes begibt.

    Frank. J. Heinemann besprach "Briefe an den Reichtum", herausgegeben von Carl Amery, erschienen im Luchterhand Verlag. Das Buch kostet 18 Euro und hat 269 Seiten.