Bernd Lechler: Der deutsche Karikaturenpreis in Form des "Geflügelten Bleistifts" ist die wichtigste Auszeichnung der deutschsprachigen Karikaturszene. Für 2017 wird er jetzt am Sonntag im Schauspielhaus Dresden verliehen, in fünf Kategorien, mit zehntausend Euro dotiert; gut 200 Künstler haben über 1000 Arbeiten eingereicht zum Motto: "Menschen sind auch keine Lösung." AD Karnebogen, Sie haben letztes Jahr einen dritten Platz geschafft, das war eine Fahne mit den fünf bunten olympischen Ringen, die Sie so ein bisschen perspektivisch gekippt und dann nach unten zu Reagenzgläsern verlängert, die zur Hälfte gefüllt waren mit Dopingmitteln - ahnt man sofort, wenn man es sieht. Wie wichtig oder hilfreich ist es, so eine Auszeichnung zu bekommen?
Björn Karnebogen: Das ist natürlich eine schöne Wertschätzung für die eigene Arbeit, man wird auch bekannter in diesem kleinen Umkreis der Karikaturisten, Cartoonisten - vielleicht nicht in der Allgemeinheit, aber es ist natürlich schön, wenn man Anerkennung vom Kollegen bekommt.
Lechler: Und kriegt man dann gleich mal einen Auftrag, wo die dann sagen: Wir haben Sie gesehen da beim Preis?
Karnebogen: Ich hab mich zumindest daraufhin bei anderen Verlagen beworben, und zum Beispiel beim "Eulenspiegel" ist dann mal was vertreten gewesen. Also die Leute, die dann darüber entscheiden, ob so was veröffentlicht wird, die kennen den Preis natürlich und das ist natürlich eine schöne Eintrittskarte.
Lechler: Deckt sich dann Ihre eigene Einschätzung einer Arbeit normalerweise mit der Reaktion? Also hatten Sie zum Beispiel bei dem Olympia-Bild schon beim Machen das Gefühl: Das ist eine echt starke Idee, das ist besonders gelungen? Oder haben Sie auch Lieblingsarbeiten, nach denen kein Hahn gekräht hat?
Karnebogen: Ja, das gibt's auch. Bei den Olympischen Ringen... im Grunde genommen sind da gar nicht die Olympischen Ringe vorhanden, sondern nur Reagenzgläser, die das sozusagen nachstellen. Das ging relativ fix, und ich war mir selber nicht sicher. Ich hab's meiner Freundin gezeigt, die hat sofort gesagt: "super." Dann wusste ich auch, das kann nicht schlecht sein, aber es gibt wirklich auch die Sachen, da weiß man, oder denkt man selber: schöne Idee - zeigt die anderen Leuten und kriegt nur eine lauwarme Reaktion.
Lechler: Sie haben sich eingeklingt vor dem G20-Gipfel in Hamburg, da gab es einen Skandal um exzessiv feiernde Polizisten. Sie haben darauf fürs NDR-Satiremagazin "extra3" der Party-Polizei Berlin ein alternatives Wappen entworfen, mit torkelnden und kopulierenden Bären – und mit dem Ergebnis, dass sich Berliner Polizisten das Wappen in echt haben sticken lassen. Wie fanden Sie das, dass sozusagen die Kritisierten Ihre Kritik einfach kapern?
Karnebogen: Kurios. Also erstens hätte ich nicht gedacht, dass man das wirklich sticken kann, weil es ja nur im Internet veröffentlicht war über "extra3". Dort hatte es eine hohe Popularität, also wurde viel geliked und geteilt, aber dass es da wirklich Polizisten sich sticken lassen, hätte ich jetzt auch nicht gedacht. Also entweder sind die besonders cool oder besonders bescheuert. Ich weiß es nicht.
Lechler: War das eher Kompliment dann oder eher ärgerlich?
Karnebogen: Schon witzig.
Lechler: Die Urheberrechtsverletzung hat Sie nicht gestört? Denn die dürfen das ja eigentlich nicht.
Karnebogen: Das war ja natürlich veröffentlicht und es ist im Netz ... ja, was will man da machen? Das Internet lebt ja auch davon, dass Sachen wieder aufgegriffen werden. Ich wiederum habe ja auch das Wappen aufgenommen und es verändert. Ich will da jetzt keine Grenze ziehen.
Lechler: Sie stellen Ihre Arbeit auch umfänglich ins Netz, kann sich jeder alles gratis angucken. Ist das großzügig oder Kalkül?
Karnebogen: Ist für mich auch erstmal ein Test. Das sind auch viele Sachen, die habe ich angeboten, die wurden dann nicht genommen. Bevor sie bei mir sozusagen ungesehen auf der Festplatte liegenbleiben, dann werden die da einfach veröffentlicht. Manchmal kann ich dann aber auch auf alte Grafiken oder Ideen zurückgreifen, die nochmal verändern, denn Timing ist so wichtig.
Timing und Steuer-Oasis
Lechler: Stimmt. Timing. Hatten Sie auch schonmal eine Idee, bei der Sie sich dachten: Mist, wenn mir das mal vor zwei Wochen eingefallen wäre?
Karnebogen: Gerade letzte Woche waren ja die "Paradise Papers" und da war dann U2, also Bono von U2 mit drinnen. Und letztes Jahr habe ich eine CD gestaltet: "Steuer-Oasis". Und die passte jetzt natürlich super zum Thema, denn U2 ist auch eine Band, und das lief dann bei "extra3", und Christian Ehring hat das in sein Stand-Up eingebaut mit: "U2 höre ich eigentlich gar nicht so gern, ich hör lieber Steuer-Oasis." Und dazu dann diese CD. Und da hat das Timing geklappt.
Lechler: Wie hart oder nicht ist denn das täglich Brot eines Karikaturisten zu verdienen? Haben Sie Ihre festen Veröffentlichungsplätze, die verlässlich sind, oder müssen Sie ständig auch Akquise betreiben?
Karnebogen: Na gut, ich muss natürlich ständig neue Ideen haben, und die Akquise ist dann, eine Idee zu haben und die verkaufen zu können. Der Vorteil ist aber auch: Jeder Tag bietet neue Themen und somit auch neue Ideen, aber man muss halt dranbleiben.
Lechler: Und der neue Erfolg von Fernsehformaten wie "extra3" oder der "heute show" schafft das gerade neue Möglichkeiten? Da werden Themen ja auch viel illustriert.
Karnebogen: Ja sicher, und vor allem natürlich im Internet. "extra3", "heute show", diese ganzen Formate sind natürlich auch im Internet vertreten, auf Facebook und Twitter, und spielen da täglich Kommentare zum Geschehen. Die Sendung gibt's ja jeweils nur einmal in der Woche. Insofern ist das Feld natürlich größer geworden.
Lechler: Ich weiß nicht, ob man das so rechnen kann, aber: Wie viele Bilder müssen Sie jede Woche produzieren, damit's reicht?
Karnebogen: Also iso alle ein, zwei Tage muss mindestens was publiziert sein.
Lechler: Zeichnen Sie auch jeden Tag, oder: Arbeiten Sie jeden Tag am Computer an neuen Ideen?
Karnebogen: Genau, also ich arbeite jeden Tag. Und ich mache auch Postkarten und da braucht man nur eine gute Idee,und wenn die läuft, dann kann die auch jahrelang laufen. Und auch da ist interessant: Was wirklich ankommt, das weiß man vorher nicht wirklich.
Lechler: Und so machen Sie dann die Olympischen Ringe zu Reagenzgläsern, oder Sie haben die roten Streifen der US-Flagge zum Wort "Hate" gebogen oder eine alte Darstellung von Martin Luther zu Batmans Joker umgedeutet. Sie nehmen viel Vorgefundenes - Werbung, Kunst, Logos - und drehen das weiter. Können Sie überhaupt spazierengehen oder einkaufen oder fernsehen, ohne alles auf Verwendbarkeit hin anzuschauen?
Karnebogen: Zum Beispiel Fernsehen gucke ich gar nicht. Das habe ich komplett rausgestrichen, weil sonst wird's zu viel. Aber ich guck' halt viel im Internet.
"Vielleicht sogar ein Bildungsauftrag"
Lechler: Wo nehmen Sie ihr Skizzenbuch nicht mit hin? Ins Bad? Ins Bett?
Karnebogen: Gerade ins Bad. Weil die Ideen kommen oftmals da, wo man sie nicht vermutet. Und das ist bei mir zum Beispiel in der Badewanne.
Lechler: Was kann so eine Karikatur, die in Ihrem Fall oft eine Umdeutung ist, aber jedenfalls ein graphisches Statement – was kann die bewirken?
Karnebogen: Ja, das Schöne ist ja, wenn so eine Idee funktioniert, erstens haben dann die Leute was zu lachen und hoffentlich denken sie dann auch darüber nach über den Sachverhalt. Also ich versuch jetzt keine Agenda voranzutreiben, sondern ich versuche einfach den Witz, das Kuriose, in einer Situation herauszuarbeiten - und das findet sich eigentlich überall. Und gerade Macht oder mächtige Personen, wenn man die sozusagen versucht, damit zu demaskieren, dann hat das vielleicht sogar einen Bildungsauftrag.
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