"Ein großer See. Elle Marja sitzt in einem langen, schmalen Boot und zieht die Ruder durchs Wasser. Ihre Schwester liegt zusammengekauert an der Spitze des Bootes."
Ein Ausschnitt der Audio-Deskription zum Film "Das Mädchen aus dem Norden". Dieser Zusatztext hilft Menschen mit Sehbehinderung, der Handlung zu folgen. Gesprochen hat ihn Susanne Hauf, freiberufliche Sprecherin.
Sprecherinnen beklagen Alterdiskriminierung
Die Berlinerin vertont auch Telefonwarteschleifen und Radio-Jingles. Ob es in ihrer Branche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, war für sie lange kein Thema. Inzwischen ist sie 52 und merkt:
"Meine männlichen Kollegen in meinem Alter haben noch mehr zu tun, und zwar auch noch in den Bereichen, in denen sie schon immer sind – in Werbespots, Lokalfunk und so weiter. Da werde ich kaum noch gebucht. Da ist meine Stimme wahrscheinlich tatsächlich schon zu reif, sage ich mal."
Männerstimmen dominieren den Werbemarkt
Es gebe in der Sprecherbranche eine Altersdiskriminierung, findet sie. Mit Zahlen belegen lässt sich das nicht. Wohl aber die Tatsache, dass Männerstimmen grundsätzlich häufiger gebucht werden als Frauen.
Der Audiovermarkter RMS hat 2.200 Radiospots ausgewertet und herausgefunden: Gut die Hälfte werden ausschließlich von Männern gesprochen, aber nur sieben Prozent ausschließlich von Frauen. Und das, obwohl die gleiche Auswertung zeigt: Radiowerbung mit weiblichen Stimmen erregt mehr Aufmerksamkeit und ist wirksamer.
Casterin wirbt für Frauenstimmen
Nicht nur in der Werbebranche kommen Sprecherinnen zu kurz. Cornelia Herischek arbeitet für die Berliner Agentur "Brilliant Voice" und vermittelt Stimmen an große Konzerne, zum Beispiel für Erklärvideos, Audioguides und Imagefilme. Gerade wenn es um Technik gehe, würden mehr männliche Sprecher nachgefragt, erzählt sie. Sie versuche dann manchmal, gezielt Frauenstimmen anzubieten.
"Wenn zum Beispiel nicht direkt ein Wunschname genannt wird, sondern eher Attribute, wie: ich hätte gerne einen männlichen Sprecher, der freundlich-informativ ist, jung-agil klingt und trotzdem seriös ist, und ich weiß, ich habe genau eine Dame , die die Attribute erfüllt, dann streu ich die immer so mit ins Casting und sage: Hey, vielleicht willst du mal reinhören, ich hab da auch eine weibliche Sprecherin, die vielleicht ganz gut passt, die schnell verfügbar wäre, mit der wir gut zusammenarbeiten – hör dir das mal an."
Stereotype weiterhin gefragt
Längst nicht jede Casterin ist so engagiert – schließlich zählt in erster Linie, was der Kunde will und zahlt. Und das entspricht Stereotypen, die seit Jahrzehnten etabliert sind. Eine Umfrage des Verbands Deutscher Sprecher unter 230 Mitgliedern zeigt: Männliche Sprecher arbeiten häufiger in den Bereichen Technik, Sport, Finanzen und Politik. Frauen bekommen mehr Sprechaufträge zu Kosmetik, Wellness, Erziehung und Familie.
Eine, die das ändern will, ist Christina Puciata, Vorsitzende des Verbands. Ihr Alter will sie lieber nicht nennen – auch sie kennt das Thema Altersdiskriminierung. Die Profi-Sprecherin liest nicht nur regelmäßig die Nachrichten im Deutschlandfunk, sondern spricht auch Werbung, Dokus – und Computerspiele:
"Kräfte zu haben ist gut, Mann. Lass sie raus! Ja genau, Dämon. Zeig es ihnen nur! Die Leute hier sind unterlegen. Wir haben die Macht!"
Männer als Welterklärer
Dass Frauen so viel Aggression zeigen dürfen, sei selten, erzählt Christina. Sie findet das bedenklich:
"Ich bin der Meinung, dass Stimmen auch ein Bild unserer Gesellschaft abgeben. Also das, was wir in den Medien hören, spiegelt auf der auditiven Ebene auch unsere Gesellschaft. Und da sind wir Frauen nach wie vor unterrepräsentiert. Die Botschaft ist: Männer haben mehr zu sagen als Frauen. Männer erklären uns die Welt mit ihren Stimmen, und zwar prozentual wesentlich häufiger als Frauen."
Frauen als Dienstleisterinnen
Um das zu ändern, hat sich Christina Puciata vor zwei Jahren zur ersten weiblichen Vorsitzenden des Verbands Deutscher Sprecher wählen lassen. Auch ihre Kollegin Susanne Hauf engagiert sich für mehr Gleichberechtigung, und zwar bei ProQuote, einer Interessengemeinschaft weiblicher Filmschaffender. Die Frauen müssten sich viel stärker vernetzen, fordert sie – aber nicht nur.
"In allererster Linie geht es wirklich um Hörgewohnheiten. Wenn man einfach mal bedenkt, dass schon im Kindesalter, wenn ich ein Hörspiel höre: Neun von zehn Tierfiguren in Kindergeschichten sind männlich. Wenn die Kinder Frauen- oder Mädchenstimmen hören, dann sind es immer so ganz Liebe, dann ist es vielleicht noch mal ne Mama und so. Aber es ist schon sehr festgelegt – immer noch."
Auch wenn es um Serviceleistungen geht, sind vor allem Frauenstimmen zu hören. Das ist seit Jahren bei Navigationsgeräten zu hören, und seit ein paar Jahren nun auch bei Sprachassistentinnen. Denn Siri und Alexa sind in erster Linie Dienstleisterinnen – und sprechen meist mit weiblichen Stimmen.