"Du bist tot, darum verstehe ich nicht, warum Du ein Bein anwinkelst. Du hast einen Bauchschuss…."
Ja, so kann es gehen. Im Krieg. Zumindest auf der Bühne, da kann man dann doch noch mal schnell das Bein anwinkeln. Und auch sonst kann viel passieren in so einem Krieg, davon zumindest erzählt Jaroslav Haseks sogenannter Schelmenroman, dem allerdings durch die filmischen Verkörperungen von Heinz Rühmann bis Peter Alexander eher das Klischee der gemütlich einherböhmelnden Schvejkiaden anhaftet.
Dass der Roman aber eigentlich in seinen unzähligen Anekdoten einen harten Blick wirft auf den Terror des Krieges und die Entmenschlichung der Menschen, die an ihm beteiligt sind, das nun wiederum hat wohl Frank Castorf herausgefordert, sich mit dem Klassiker und der Figur des guten Soldaten Svejk auseinanderzusetzen.
"Wenn heute irgendwo ein Krieg ausbricht, dann meld ich mich freiwillig und ziehe, bis sie mich in Stücke reißen."
Freier Zugriff in Haseks Anekdotenschatz
Svejk ist Freiwilliger, wenn auch mit rheumatischen Einschränkungen, ein Freiwilliger der ersten Stunde gleich nach dem Attentat von Sarajewo. Und zugleich ist er ein Widerständiger auf Kriegsodyssee, dem in seiner gelebten Willfährigkeit weder die Haft noch die Psychiatrie oder der Vorwurf des Vaterlandsverrats etwas anhaben können. Er ist einer, der als sogenannter Putzfleck Offizieren dient und mit ihnen die Schützengräben durchquert und in dem manche sogar "Gott" vermuten. Dabei ist der unvollendete und 900-Seiten starke Roman mindestens so geschwätzig wie seine Hauptfigur selbst. Ein Schelm, wer behauptet, er könne sich all die so schnell dahinerzählten Geschichten merken. Das aber macht auch zugleich nun die Theaterfassung von Frank Castorf über weite Phasen so schwer verständlich, hat der doch seine Interpretation als eine "Explosion von Zufälligkeiten" angekündigt und bedient sich im künstlerisch sehr freien Zugriff in Haseks Anekdotenschatz, der von verzweifelten Simulanten und ersehnten Gulaschkanonen handelt, von missbrauchten Hunden und hungrigen Frauen, von gefüllten Latrinen und baumelnden Leichen.
Mal ist man hier, mal ist man dort. Und von Svejk erfährt man nur wenig, fast ist es, als sei er eine Randfigur. Natürlich kommt das gewohnt atemlos daher in einer Castorfinszenierung, doch diesmal schleudert einen die sich immer wieder drehende Bühne so manches Mal auch aus der Kurve des Verständnisses:
"Du elender Mistkerl. Du Russe, Du Russenknecht. Du Sowjetkommissar. Du Verräter unserer Moldau… "
Bretterbudiges Schrumpfformat der Berliner Volksbühne
Dass sich Frank Castorf auf diese Bühne des Münchner Residenztheaters von Bühnenbildner Aleksandar Denic nun ein bretterbudiges Schrumpfformat seiner Berliner Volksbühne hat bauen lassen, deren Intendant er seit fast 25 Jahren ist, entbehrt nicht einer gewissen Selbstironie. Castorf, der sich selbst gern als widerständiger Außenseiter stilisiert, identifiziert sich offensichtlich mit dem Widerständler Svejk. Allerdings ist die Bude dann ein mit Plüsch und Kronleuchter vollgestopfter Salon, also auch die Volksbühne ist letztlich nur ein Kunstpalast.
Daneben bietet die Drehbühne vom Stacheldrahtverhau über den Galgen bis zum Gulaschkanone alles, was der Krieg begehrt. Nur gut, dass Castorf auch in München mit Schauspielern wie Franz Pätzold oder Bibiana Beglau und dem wunderbar viril-wanstigen Aurel Manthei als Svejk wirklich starke Spieler hat, die einen mit ihrer immer wieder überraschenden Präsenz dann letztlich doch über sämtliche Hintertreppen dieser Welt und durch die viereinhalb Stunden lange Aufführung tragen. Die will irgendwie auch in ein Heute ragen mit Europaflagge und Coca-Cola against Pepsi- Emblemen und mit Sätzen wie: Angela ist doof. Es hat wahrlich schon klügere Arbeiten von Frank Castorf gegeben, treffendere und schmerzhaftere.