Rumänien tut sich schwer mit seiner Vergangenheit. Aber nicht nur die langen Jahre der Ceaușescu-Diktatur lasten noch immer auf dem Land. Auch die weiter zurückliegende Zeit wurde nicht zur Gänze aufgearbeitet. Über die Verstrickung von rumänischen Behörden und der Bevölkerung in den Holocaust wird offenbar bis heute ungern gesprochen. Nur so lassen sich wohl die heftigen Reaktionen auf den 2014 im Original erschienenen Roman "Oxenberg & Bernstein" erklären, mit dem Cǎtǎlin Mihuleac an das furchtbare Pogrom von Iasi im Juni 1941 erinnert.
"Das Buch ist zunächst ganz gut aufgenommen worden. Gleich zu Beginn erschien eine begeisterte Besprechung. Ich dachte, dass es so weitergeht, aber dann wurden die Zeichen der Ablehnung immer deutlicher. Journalisten haben mir gesagt, dass sie den Roman für ihre Zeitung nicht rezensieren dürfen, und es gab Buchhändler, die das Buch nicht verkaufen wollten und – wenn sie es trotzdem vom Verlag bekommen hatten – zurückschickten. Diese Reaktionen waren für mich nicht nur überraschend, ihre Heftigkeit hat mich traurig gemacht."
Im Mittelpunkt des Romans steht die Familie Oxenberg, die zu den wohlhabendsten der Stadt zählt. Jacques fährt seine Frau Roza und die beiden Kinder, Lev und Golda, gern im Citroën spazieren. Den winterlichen Skiurlaub verbringt man in den österreichischen Alpen, die Sommerferien in Warnemünde an der Ostsee. Ein Dienstmädchen kümmert sich um den Haushalt. Zu verdanken hat die jüdische Familie ihr Ansehen und Auskommen den besonderen Fertigkeiten von Jacques Oxenberg. Das Familienoberhaupt ist Gynäkologe und über die Stadt hinaus bekannt. Frauen mit Geld kommen aus der ganzen Region in seine Praxis. Denn den Kaiserschnitt beherrscht in der Gegend niemand wie er. Und kein anderer Frauenarzt ist so einnehmend und galant.
"Mit knallrotem Gesicht, schön ausstaffiert und parfümiert, treten sie ins Kabinett. Stumm legen sie das Röckchen ab, dann die Strümpfe und scheren sich nicht darum, ob ein Strumpf an einem Fußnagel hängen bleibt und einen Faden zieht ... Schließlich streifen sie mit schmerzerfüllten Gesten das Höschen ab – als wär’s lebendige Haut – und steigen mit vor Scham geschlossenen Augen auf den gynäkologischen Richtstuhl. Ihr Herzklopfen ist ihnen Gewitterdonner, wenn der Herr Doktor – aber nennen Sie mich Jacques, ich bitte Sie darum von ganzem Herzen! – seine Beethoven’schen Finger darauf vorbereitet, die Partitur in Angriff zu nehmen. Die einen Partituren wirken wie fruchtbare Äcker, andere wieder sind gepflegt wie englischer Rasen, die meisten sind von der Zartheit der Rosenblütenblätter. Seine Aufgabe hier auf Erden ist es, darüber zu wachen, dass der Rose die Frische erhalten bleibt."
"Das Buch ist zunächst ganz gut aufgenommen worden. Gleich zu Beginn erschien eine begeisterte Besprechung. Ich dachte, dass es so weitergeht, aber dann wurden die Zeichen der Ablehnung immer deutlicher. Journalisten haben mir gesagt, dass sie den Roman für ihre Zeitung nicht rezensieren dürfen, und es gab Buchhändler, die das Buch nicht verkaufen wollten und – wenn sie es trotzdem vom Verlag bekommen hatten – zurückschickten. Diese Reaktionen waren für mich nicht nur überraschend, ihre Heftigkeit hat mich traurig gemacht."
Im Mittelpunkt des Romans steht die Familie Oxenberg, die zu den wohlhabendsten der Stadt zählt. Jacques fährt seine Frau Roza und die beiden Kinder, Lev und Golda, gern im Citroën spazieren. Den winterlichen Skiurlaub verbringt man in den österreichischen Alpen, die Sommerferien in Warnemünde an der Ostsee. Ein Dienstmädchen kümmert sich um den Haushalt. Zu verdanken hat die jüdische Familie ihr Ansehen und Auskommen den besonderen Fertigkeiten von Jacques Oxenberg. Das Familienoberhaupt ist Gynäkologe und über die Stadt hinaus bekannt. Frauen mit Geld kommen aus der ganzen Region in seine Praxis. Denn den Kaiserschnitt beherrscht in der Gegend niemand wie er. Und kein anderer Frauenarzt ist so einnehmend und galant.
"Mit knallrotem Gesicht, schön ausstaffiert und parfümiert, treten sie ins Kabinett. Stumm legen sie das Röckchen ab, dann die Strümpfe und scheren sich nicht darum, ob ein Strumpf an einem Fußnagel hängen bleibt und einen Faden zieht ... Schließlich streifen sie mit schmerzerfüllten Gesten das Höschen ab – als wär’s lebendige Haut – und steigen mit vor Scham geschlossenen Augen auf den gynäkologischen Richtstuhl. Ihr Herzklopfen ist ihnen Gewitterdonner, wenn der Herr Doktor – aber nennen Sie mich Jacques, ich bitte Sie darum von ganzem Herzen! – seine Beethoven’schen Finger darauf vorbereitet, die Partitur in Angriff zu nehmen. Die einen Partituren wirken wie fruchtbare Äcker, andere wieder sind gepflegt wie englischer Rasen, die meisten sind von der Zartheit der Rosenblütenblätter. Seine Aufgabe hier auf Erden ist es, darüber zu wachen, dass der Rose die Frische erhalten bleibt."
Eine mörderische Hetze
Catalin Mihuleac, der in der bestechenden Übersetzung von Ernest Wichner erstmals von einem deutschsprachigen Publikum entdeckt werden kann, schätzt die Zuspitzung, den manchmal frivolen, zuweilen derben Ton. Das Forcierte dieser Prosa ist jedoch kein Selbstzweck. Mihuleac taucht tief ein in die Atmosphäre einer Zeit, die bald von einer mörderischen Hetze beherrscht wird. Antisemitismus gab es schon früher in Rumänien. "Keine Juden an der Universität!", hieß es in den 20er Jahren als Jacques sein Examen machte. Aber jetzt, Anfang der 40er Jahre ist es anders.
"Tod dem Fotzendoktor!"
Die mit kräftiger gelber Farbe auf ihren Zaun geschriebene Botschaft. Roza alarmiert die Polizei; die kommen herbei, verbergen nur mühsam ihr Gelächter und fotografieren die Frucht der Gesetzesübertretung. Erst als die Polizisten wieder weg sind, erfährt Roza, dass Lev den ganzen Tag in der Schule einen Zettel auf dem Rücken getragen hat. Auf diesen Zettel hatte ein wohlmeinender Mensch geschrieben: "Der kleine Fotzenmeister".
Angestachelt von staatlicher Propaganda zieht bald ein brutaler Mob durch die Straßen. Historiker haben das Geschehen dokumentiert: Dem Pogrom fielen im Juni 1941 über 13.000 Menschen zum Opfer, fast ein Drittel der jüdischen Bevölkerung von Iasi wurde ausgelöscht. Aber das Grauen bleibt – in solche Zahlen verpackt – abstrakt. Bei Mihuleac wird es konkret. Dieser Autor beschreibt quälend genau, wie die Männer Schlange stehen und wie einer nach dem anderen Roza vergewaltigt.
"Rozas Lunge schmerzt, das Becken will ihr auseinanderbrechen, die Körperhöhlen brennen, ihre Beine versagen ihr den Dienst, alles schmerzt, alles. Sie schluckt den Rum, damit es ihr vergeht. Gibt sich hin. Denen, dem Willen des Schicksals. Qualm ist und gute Laune, gesungen wird und gezecht. Sie lachen, dass das Bett zusammenkracht. Und es bricht tatsächlich."
"Tod dem Fotzendoktor!"
Die mit kräftiger gelber Farbe auf ihren Zaun geschriebene Botschaft. Roza alarmiert die Polizei; die kommen herbei, verbergen nur mühsam ihr Gelächter und fotografieren die Frucht der Gesetzesübertretung. Erst als die Polizisten wieder weg sind, erfährt Roza, dass Lev den ganzen Tag in der Schule einen Zettel auf dem Rücken getragen hat. Auf diesen Zettel hatte ein wohlmeinender Mensch geschrieben: "Der kleine Fotzenmeister".
Angestachelt von staatlicher Propaganda zieht bald ein brutaler Mob durch die Straßen. Historiker haben das Geschehen dokumentiert: Dem Pogrom fielen im Juni 1941 über 13.000 Menschen zum Opfer, fast ein Drittel der jüdischen Bevölkerung von Iasi wurde ausgelöscht. Aber das Grauen bleibt – in solche Zahlen verpackt – abstrakt. Bei Mihuleac wird es konkret. Dieser Autor beschreibt quälend genau, wie die Männer Schlange stehen und wie einer nach dem anderen Roza vergewaltigt.
"Rozas Lunge schmerzt, das Becken will ihr auseinanderbrechen, die Körperhöhlen brennen, ihre Beine versagen ihr den Dienst, alles schmerzt, alles. Sie schluckt den Rum, damit es ihr vergeht. Gibt sich hin. Denen, dem Willen des Schicksals. Qualm ist und gute Laune, gesungen wird und gezecht. Sie lachen, dass das Bett zusammenkracht. Und es bricht tatsächlich."
Mit Frechheit zum Erfolg
Bald darauf setzt sie dem eigenen Leben ein Ende. Ihr Mann und ihr Sohn liegen da schon im Dreck –erschlagen der eine und erschossen der andere. Nur die elfjährige Golda überlebt wie durch ein Wunder. Das traumatisierte Mädchen hat nach dem Krieg nur ein Ziel: weg. Und noch einmal hat Golda Glück: Ein amerikanischer GI nimmt sie mit in seine Heimat. "Oxenberg & Bernstein" ist zuweilen in seiner drastischen Bildlichkeit gepaart mit einer oft saloppen Sprache nur schwer erträglich, aber Cǎtǎlin Mihuleac wollte nicht anders über den Holocaust schreiben.
"Ich hatte das Privileg, Überlebende des Holocausts persönlich kennenzulernen. Zudem habe ich viel recherchiert. Der Roman hat mir massiv zugesetzt, mein Leben bestimmt. Ich bin ergraut während der Arbeit daran. Doch ich wollte, dass die Leser hineingezogen werden in das Buch. Man hat mir den Ton des Buches vorgehalten. Man könne so nicht über den Holocaust sprechen. Aber nur mit solcher Frechheit kann ein Buch durchkommen, das von einem No Name wie mir geschrieben wurde."
Doch Catalin Mihuleac fängt nicht nur die Schrecken ein. Eine zweite Erzählung unterbricht immer wieder das rumänische Geschehen der Kriegszeit und führt in die USA kurz nach der Jahrtausendwende. Im Zentrum steht ebenfalls eine jüdische Familie. Die Bernsteins haben ein Imperium für Second-Hand-Waren aufgebaut. Um das internationale Geschäft kümmert sich Suzy. Die gebürtige Rumänin hat in die Familie aus Washington D.C. eingeheiratet. Aus der Perspektive der jungen Frau wird der amerikanische Teil des Romans erzählt.
"Meine Kreativität und mein gewinnendes Wesen helfen mir, rumänische Geschichte nach Asien zu exportieren. Der Kommunismus ist ein großartiges Label. Enthält eine ganze Menge Stories. Ich verkaufe die Pionierkrawatte von Nadia Comaneci für viel Geld. Und die Mütze, die der Tennisspieler Ilie Nastase nachts im Schlaf trug, um seine nonkonformistische Mähne nicht zu derangieren. Und die Jagdmütze Ceaușescus. Sowie den Köcher, in den er die Hasen- und Wachtel-Bälger steckte. Und das Telefon, an dem er den Russen getrotzt hat, als sie in die Tschechoslowakei eingefallen sind. Und das Kopftuch seiner Frau Elena. Und eine von den Papiertüten, in der sie gebratene Sonnenblumensamen verkauft hat. Und die Creme, mit der sie ihre Hämorrhoiden besänftigt hat."
Suzy ist es, die den jüdisch-rumänischen Wurzeln der Familie Bernstein nachgeht und in engem Kontakt zu einem Holocaustforscher steht. Ihren recht einfältigen Mann bringt sie auf rabiate Weise dazu, sich mit der grausamen Vergangenheit zu beschäftigen: Sie droht schlichtweg, ihn umzubringen, wenn er sich nicht endlich seiner eigenen Geschichte versichert. Warum sich Suzy mit solcher Vehemenz auf die dunkle Vergangenheitssuche begibt, wird indes nie klar. Und obwohl der Leser – anders als lange Zeit die Erzählerin –bald ahnt, dass es eine Verbindung zwischen den Familien Oxenberg und Bernstein gibt, bleibt der amerikanische Strang des Buches seltsam belanglos und blass. Trotz solcher Schwächen klingt der Roman nach. Denn Mihuleac gelingt die präzise literarische Rekonstruktion eines massenhaften Mordens. Und er rührt damit an ein in seiner Heimat noch heute lieber verschwiegenes Kapitel der eigenen Geschichte.
"Ich hatte das Privileg, Überlebende des Holocausts persönlich kennenzulernen. Zudem habe ich viel recherchiert. Der Roman hat mir massiv zugesetzt, mein Leben bestimmt. Ich bin ergraut während der Arbeit daran. Doch ich wollte, dass die Leser hineingezogen werden in das Buch. Man hat mir den Ton des Buches vorgehalten. Man könne so nicht über den Holocaust sprechen. Aber nur mit solcher Frechheit kann ein Buch durchkommen, das von einem No Name wie mir geschrieben wurde."
Doch Catalin Mihuleac fängt nicht nur die Schrecken ein. Eine zweite Erzählung unterbricht immer wieder das rumänische Geschehen der Kriegszeit und führt in die USA kurz nach der Jahrtausendwende. Im Zentrum steht ebenfalls eine jüdische Familie. Die Bernsteins haben ein Imperium für Second-Hand-Waren aufgebaut. Um das internationale Geschäft kümmert sich Suzy. Die gebürtige Rumänin hat in die Familie aus Washington D.C. eingeheiratet. Aus der Perspektive der jungen Frau wird der amerikanische Teil des Romans erzählt.
"Meine Kreativität und mein gewinnendes Wesen helfen mir, rumänische Geschichte nach Asien zu exportieren. Der Kommunismus ist ein großartiges Label. Enthält eine ganze Menge Stories. Ich verkaufe die Pionierkrawatte von Nadia Comaneci für viel Geld. Und die Mütze, die der Tennisspieler Ilie Nastase nachts im Schlaf trug, um seine nonkonformistische Mähne nicht zu derangieren. Und die Jagdmütze Ceaușescus. Sowie den Köcher, in den er die Hasen- und Wachtel-Bälger steckte. Und das Telefon, an dem er den Russen getrotzt hat, als sie in die Tschechoslowakei eingefallen sind. Und das Kopftuch seiner Frau Elena. Und eine von den Papiertüten, in der sie gebratene Sonnenblumensamen verkauft hat. Und die Creme, mit der sie ihre Hämorrhoiden besänftigt hat."
Suzy ist es, die den jüdisch-rumänischen Wurzeln der Familie Bernstein nachgeht und in engem Kontakt zu einem Holocaustforscher steht. Ihren recht einfältigen Mann bringt sie auf rabiate Weise dazu, sich mit der grausamen Vergangenheit zu beschäftigen: Sie droht schlichtweg, ihn umzubringen, wenn er sich nicht endlich seiner eigenen Geschichte versichert. Warum sich Suzy mit solcher Vehemenz auf die dunkle Vergangenheitssuche begibt, wird indes nie klar. Und obwohl der Leser – anders als lange Zeit die Erzählerin –bald ahnt, dass es eine Verbindung zwischen den Familien Oxenberg und Bernstein gibt, bleibt der amerikanische Strang des Buches seltsam belanglos und blass. Trotz solcher Schwächen klingt der Roman nach. Denn Mihuleac gelingt die präzise literarische Rekonstruktion eines massenhaften Mordens. Und er rührt damit an ein in seiner Heimat noch heute lieber verschwiegenes Kapitel der eigenen Geschichte.
Catalin Mihuleac: "Oxenberg & Bernstein". Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Zsolnay Verlag, 368 Seiten, 24 Euro