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Cătălin Mihuleac
"Über den Holocaust wird hier nicht gesprochen"

Erst 2004 hat Rumänien eingeräumt, dass es aktiv an der Judenvernichtung während des Zweiten Weltkrieges beteiligt war. Damit begann die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels. Der Schriftsteller Cătălin Mihuleac macht sich mit seinen Romanen über die Ermordung der Juden dennoch keine Freunde.

Von Leila Knüppel |
Der rumänische Schriftsteller Catalin Mihuleac
Der rumänische Schriftsteller Cătălin Mihuleac auf der Leipziger Buchmesse (picture alliance/dpa/Birgit Zimmermann)
"Oxenberg und Bernstein"? Nein, das Buch habe man nicht, sagt die Verkäuferin in dem Buchladen in Iasi – einer Stadt im Nordosten Rumäniens. Auch Bestellen scheint nur schwer möglich. Draußen vor der Buchhandlung wartet Cătălin Mihuleac. Der Autor des 2014 erschienenen Romans, der hier in Iasi so schwer aufzutreiben ist.
"Eigentlich sollte das Buch doch hier irgendwo im Schaufenster stehen – es erzählt die Geschichte dieser Stadt. Aber es ist in keinem Buchladen erhältlich. Sie haben jetzt in zwei gefragt, aber wir können auch zehn besuchen und wir werden es nicht finden."
"Für alles machen sie hier die Deutschen verantwortlich"
Mihuleacs nur schwer erhältlicher Roman erzählt von der Zeit des Zweiten Weltkrieges in Rumänien, der mit dem NS-Regime verbündeten Regierung und von der Ermordung der jüdischen Bevölkerung, dem Pogrom hier in Iasi. Begangen von rumänischen Soldaten, Polizisten, Zivilisten und der deutschen Wehrmacht. Bis in die 2000er Jahre ein Tabuthema. Hat sich viel geändert durch das Erscheinen des Romans?
"Nein, keine Reaktion", sagt Mihuleac. "Das Buch war viel erfolgreicher in Österreich, der Schweiz, Deutschland. In Rumänien sind fünf Artikel über mein Buch erschienen. In Deutschland, Österreich, der Schweiz mehr als 100. Über den Holocaust wird hier nicht gesprochen, aus Unwissenheit und Dummheit. Für alles, was geschah, machen sie hier die Deutschen verantwortlich."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Schwierige Aufarbeitung - Die Ermordung der rumänischen Juden.
Mihuleac geht am Hotel Traian vorbei – vom berühmten Architekten Gustave Eiffel errichtet, früher in jüdischem Besitz. Damals als über die Hälfte der Bevölkerung hier in Iasi noch Juden waren. Kaum ein Gebäude in Mihuleacs Heimatstadt, das nicht von den einstigen jüdischen Bewohnern, ihrem Leben, ihrem Sterben erzählt. Aber kaum einer versteht es, hinzuhören. Erst in den vergangenen Jahren haben Kulturschaffende angefangen, die Ermordung der Juden in Rumänien zu thematisieren.
Blick auf das Hotel Traian im rumänischen Iasi
Das Hotel Traian im rumänische Iasi wurde vom Architekten Gustave Eiffel errichtet (Imago)
Verkauf von Juden als Staatsgeschäft
Wir setzen uns vor das Cafeneaua Veche. Ein altes Kaffeehaus, das auch in Mihuleacs Roman vorkommt: "Hier im Café war früher ein Modegeschäft, das von einem Juden geführt wurde. Die hatten Kleidung, Hüte."
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind nur wenige Juden in Iasi geblieben. Viele der Überlebenden versuchten, nach Israel zu immigrieren.
"Zu Zeiten von Ceaușescu wurden Juden nach Israel verkauft, alle Habseligkeiten mussten sie hierlassen. Und für jedes Familienmitglied wurde eine Summe gezahlt, abhängig von Beruf und Alter. Das war ein Staatsgeschäft. Viele Juden haben Unternehmen oder Läden gehabt, und die sind verschwunden."
Mihuleac bestellt eine Coca-Cola, blinzelt in den hellen Frühlingshimmel. Gestern hat er seinen Folgeroman beendet, erzählt er. Auch der handelt vom Holocaust, von der Deportation der jüdischen Bevölkerung Rumäniens ins besetzte Transnistrien. Mihuleac, der Schriftsteller, ist also gerade erst zurückgekehrt aus der düsteren Vergangenheit – ins Hier und Jetzt mit Kaffeehaustischen, Werbeplakaten, Lautsprechermusik und Gesprächsfetzen, die durch die Fußgängerzone flattern.
"Ich gelte als Feind des Volkes"
"Es ist eine quälende Situation, denn ich weiß ja nicht, was aus dem Roman wird. In so einem Buch stecken mehrere Jahre Arbeit. Aber wie es dann aufgenommen wird, das weiß man nie. Auch, weil ich als Anarchist, als Feind des Volkes gelte."
Der "Feind des Volkes" nimmt einen Schluck von seiner Cola. Erzählt dann, dass der Holocaust im rumänischen Schulunterricht oft so behandelt werde wie Schmeißfliegen: möglichst schnell wegwedeln.
Immer wenn es zu ernst wird, streut Mihuleac einen Witz, eine lustige Formulierung ein, ein kleiner verbaler Ausfallschritt. Das Gespräch: ein lustiges Tänzchen zu einer traurigen Musik.
"Während der Finanzkrise kamen die jüdischen Klischees wieder hoch: Die Juden sind schuld, hieß es. Es betrifft aber nicht nur Juden, alle Minderheiten hier in Rumänien haben mit Hass zu kämpfen, Homosexuelle zum Beispiel. Das ist ein großes Problem, die Kirche hat da großen negativen Einfluss. Den Holocaust zu leugnen, ist auch bei Historikern üblich. Und die rechtsradikale Legionärsbewegung – sie hat vor allem junge Leute als Anhänger. Die finden das 'sexy'."
Todesdrohungen und Warnungen
Er selbst lebe das halbe Jahr über in Frankreich, am Meer. Immer nur Iasi mit seiner Vergangenheit, das könne er nicht aushalten, meint der Schriftsteller. In seinem Jackett, dem Schal in Rosatönen, der Sonnenbrille und mit der Stirnlocke sieht er wirklich so aus, als sei er gerade direkt aus Cannes oder einem anderen Riviera-Badeort hierher gejettet. Als wolle er es den Personen in seinem Roman gleichtun, die versuchen, der Barbarei mit Kultur, der Liebe zu Mode, Architektur, Musik und Literatur entgegenzutreten.
"Während des Schreibens sind meine Haare grau geworden. Denn es sind traurige Geschichten. Und dann, als 'Oxenberg und Bernstein' herauskam, habe ich Drohungen bekommen, viele Todesdrohungen, dass sie mich mit Säure übergießen wollen. Ein Geheimdienstagent sagte mir, ich solle mich in Acht nehmen, dass ich nicht für irgendetwas festgenommen werde, das ist einfach. Einem können Drogen untergeschoben werden, oder Kinderpornos . Jetzt ist es wieder ruhig, aber das nächste Buch könnte wieder einen Skandal auslösen."