Die Autorin Catherine Belton fordert den Westen auf, die Vertrauten von Präsident Putin aufmerksamer im Blick zu behalten. Unter dem Titel „Putins Netz - wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste“ hat sich die langjährige britische Moskau-Korrespondentin der "Financial Times" 2020 ausgiebig mit dem russischen Machthaber befasst.
Putin sei der Frontmann eines Kollektivs aus ehemaligen KGB-Männern, die er mit an die Macht gebracht habe, als er im Jahr 2000 zur Präsidentschaft aufgestiegen sei, sagte Belton im Deutschlandfunk. Nicht sicher sei sie, ob Putin persönlich der Vordenker sei.
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Die Männer um Putin hätten alle ihre frühen, prägenden Erfahrungen noch während der sowjetischen Zeit im damaligen Leningrad – heute St. Petersburg – gemacht. Und weil sie nur aus Russlands zweiter größter Stadt stammten, und eben nicht aus Moskau, wären sie in vielerlei Hinsicht skrupelloser.
Diese Männer wollten Russlands Ansehen als eine Großmacht auf der Weltbühne wiederherstellen. Es gebe eine Menge, was sie stoppen könnte, gab sich Belton überzeugt. Dazu müsse der Westen einig auftreten. Doch diese Einigkeit könne man wohl besonders an der deutschen Position derzeit gerade nicht erkennen.
Das Interview mit Catherine Belton in der englischen Originalfassung
Das Interview in voller Länge
Thielko Grieß: Ist Wladimir Wladimirowitsch Putin der der Vordenker, das Mastermind dieser jahrzehntelangen Agenda?
Catherine Belton: Ich bin nicht sicher, ob Putin persönlich das Mastermind ist. Er ist mehr der Frontmann eines Kollektivs aus ehemaligen KGB-Männern, die er mit an die Macht brachte, als er im Jahr 2000 zur Präsidentschaft aufstieg. Das ist ein Clan von Ex-KGB-Männern, die ihre frühen, prägenden Erfahrungen noch während der sowjetischen Zeit in Leningrad machten. Und weil sie aus Leningrad, weil sie aus Russlands zweiter Großstadt stammen, und eben nicht aus Moskau, sind sie in vielerlei Hinsicht skrupelloser.
Das können Sie daran erkennen, wie sie seit ihrer Machtübernahme operieren, an der Art, wie sie auch den Westen herausfordern. Putin und seine KGB-Verbündeten haben, als Putin noch stellvertretender Bürgermeister von Sankt Petersburg war, ziemlich eng mit der Organisierten Kriminalität zusammengearbeitet, um die Geldflüsse zu kontrollieren. Ein früherer KGB-Offizier, der das später nicht mehr ausgehalten habe, sagte mir, weil sie aus Russlands zweiter Stadt kämen, hätten sie einen Minderwertigkeitskomplex und seien äußerst empfindlich, und das mache sie vielleicht rücksichtsloser als der kultiviertere KGB in Moskau.
Einer der erfahrensten ist Nikolaj Patruschew, Chef des russischen Sicherheitsrates. Er ist gegenüber dem Westen wirklich sehr angriffslustig. Und er kann als Vordenker der Strategie gesehen werden, den Westen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, also den Kapitalismus zu nutzen, um die Demokratien des Westens zu untergraben.
Putins „Kommandogewalt über Russlands strategische Cashflows“
Grieß: In Ihrem Buch wenden Sie sich an die Öffentlichkeiten in Europa, in den USA, in Großbritannien. Sie fordern dazu auf, wachsam zu sein und zu wissen, was diese Leute tun. Welche Techniken nutzen die?
Belton: Sie agieren nach einem Drehbuch, das ursprünglich aus der Sowjetzeit stammt. Es ist ein Drehbuch, das der Westen sehr schnell vergaß. Nach dem Ende der Sowjetunion glaubte der Westen, Russland werde nun Teil der westlichen, regelbasierten Ordnung. Dass Russland im Grunde wirtschaftlich schwach und unorganisiert sei – und alles, was noch fehle, sei die Integration in den Westen. Das war eine ziemlich herablassende und ein bisschen arrogante Sichtweise, mit der sich die meisten westlichen Staatsführer Russland gegenüber verhielten.
Darüber vergaßen sie das sowjetische Drehbuch, als der KGB Strohfirmen, Mittelsmänner und Handelsverbindungen nutzte, um auf sehr intransparente Weise Geld anzuhäufen und damit Operationen von kommunistischen, verbündeten Parteien zu finanzieren. Oder für illegale, Unruhe stiftende Aktivitäten wie Desinformationskampagnen oder sogar für politische Morde oder um Verbündete an der Macht zu halten. Darin waren sie sehr geübt.
Heute nutzen sie Offshore-Unternehmen, um das Geld in solche Operationen zu leiten. Sobald Putin an die Macht gelangte, waren er und seine Verbündeten in der Lage, die Kommandogewalt über Russlands strategische Cashflows auszuüben und vieles davon durch Netze von Offshore-Companies abzuzweigen. Durch Leaks wie die Panama Papers haben wir erst die Spitze des Eisbergs gesehen. Und dann begannen sie, diese Gelder an die eigenen Verbündeten im Westen fließen zu lassen, um zu versuchen, in unseren Demokratien Unruhe und Spaltungen hervorzurufen. Wir bekommen ja erst jetzt eine Vorstellung davon, wie man dem Geld folgt, weil sie so viele Modelle nutzen.
„Den Westen untergraben, um ein großer Spieler auf der Weltbühne zu werden“
Grieß: Was denken Sie, was ist letztlich das Ziel Wladimir Putins und der Geheimdienstler?
Belton: Ich fürchte, das Ziel ist kein konstruktives. Natürlich wollen sie Russlands Ansehen als eine Großmacht auf der Weltbühne wiederherstellen. Sie könnten das tun, in dem sie eine kreative und starke Wirtschaft aufbauen. Aber sie haben anscheinend nicht die Fähigkeiten und das Know-how, um das zu tun. Doch sie sind in der Lage, Geldflüsse zu kontrollieren und sie für schwarze Untergrundoperationen abzuzweigen.
Zuerst haben sie die strategischen Geldflüsse der Volkswirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht. Das brauchten sie, um im Inland ihre Macht zu demonstrieren. Sie konnten sie für Propaganda zu Hause nutzen und um sicherzustellen, dass Wahlen, auch die regionalen Wahlen, in ihrem Sinne ausgingen.
Sobald sie eine bestimmte kritische Masse an Geld erreicht hatten, konnten sie Geld abzweigen, um den Westen zu untergraben. Das ist, denke ich, der einzige Weg, den sie kennen, um ein großer Spieler auf der Weltbühne zu werden. Das ist keine strategische oder konstruktive Position.
„Durch Gazprom den Einfluss in das Herz Europas ausgeweitet“
Grieß: Gibt es etwas, wie man sie stoppen könnte?
Belton: Es gibt eine Menge, was sie stoppen könnte: Die Hauptsache ist Einigkeit im Westen, die wir jedoch besonders an der deutschen Position wohl gerade nicht erkennen können. Ich habe erst vor kurzem mit einem früheren russischen Banker gesprochen, der nun im Ausland lebt. Seine Bank wurde ihm vom russischen Staat weggenommen als Teil der Versuche, die Cashflows zu kontrollieren. Und er sagt, der einzige Weg, um das Verhalten der russischen Führung zu verändern, ist, sie von den Gewinnen aus dem Energiegeschäft abzuschneiden.
Sie können Oligarchen mit Sanktionen so viel ins Visier nehmen, wie Sie wollen, aber die schieben ihr Geld nur von einer Tasche in die andere. Sie geben ihr Vermögen ihren Verwandten oder schaffen neue Strohmänner, um das Geld um den Erdball zu bewegen.
Bleiben dem Putin-Regime jedoch die Einkünfte aus dem Energiegeschäft, die ja zurzeit sehr groß sind, kann es seine Macht für viele, viele vor uns liegende Jahre erhalten. Das Geld, das dann weiter reinkommt, reicht zwar nicht aus, um die russische Wirtschaftskraft zu erhöhen, aber mindestens, um allen ein Einkommen zu sichern, die auf den Staatshaushalt angewiesen sind: der öffentliche Dienst, Lehrer, Rentner und so weiter. Das reicht, um sich weiter an der Macht festzuhalten.
Grieß: Um all diese Gewinne aus dem Energiegeschäft zu ziehen, ist der russische Staatskonzern Gazprom ein wichtiges Instrument. Eines von mehreren. Sie haben über Deutschlands politische Rolle gesprochen. Deutsche Unternehmen haben, gemeinsam mit anderen europäischen Unternehmen und Gazprom, die Pipelines Nord Stream 1 und 2 gebaut. Es gibt darüber hinaus den Altkanzler Gerhard Schröder, der bei Gazprom und dem Ölkonzern Rosneft wichtige Ämter bekleidet. Wie tragen sie dazu bei, dass Putin seine Ziele erreicht?
Belton: Wir beobachten seit langer Zeit, wie es dem Kreml möglich gewesen ist, durch Gazprom seinen Einfluss in das Herz Europas auszuweiten. Ich erinnere mich an Gespräche in den Jahren 2007/2008 mit einem westlichen Senior Banker, der sagte: Sehen Sie sich die ganzen Gazprom-Zwischenhändler in Deutschland an, die sind alle mit ehemaligen Stasi-Funktionären besetzt. Das sind alles Wege, um Amtsträgern Geld zuzuleiten und zu beginnen, sie zu korrumpieren oder sie zu benutzen, indem man mit ihnen eine Art russischer Softpower zur Geltung bringt.
Ich finde, ein Beispiel war gerade am vergangenen Wochenende der nun ehemalige Chef der Deutschen Marine, der sagte, Russland solle als Großmacht anerkannt und Russland sollte Respekt gezollt werden und alles würde gut. Das scheint ein wenig unsinnig, wenn es doch Russland ist, das mehr als 100.000 Soldaten an der ukrainischen Grenze zusammengezogen hat.
Sie sehen, mit dieser großen ökonomischen Präsenz kann man Einfluss gewinnen. Gazprom ist mit Hilfe seiner Mittelsmänner und mit Hilfe von Leuten wie dem ehemaligen Kanzler Gerhard Schröder darin sehr, sehr effektiv.
Ukraine-Konflikt als „mythische Konfrontation mit dem Westen“
Grieß: Sie haben die englische Version ihres Buches im Jahr 2020 veröffentlicht und Sie konnten damals noch nicht beschreiben, was sich jetzt an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland zuträgt. Wenn Sie Ihr Buch erst jetzt oder in naher Zukunft veröffentlichen würden, inwiefern würden die heutigen Geschehnisse zu Hauptthese Ihres Buches passen?
Belton: Es ist die Kulmination von allem, was ich versucht habe, nachzuzeichnen. Es ist der Höhepunkt der Anstrengungen des Putin-Regimes, für Russland Anerkennung zu gewinnen, sein Ansehen als Großmacht auf der Weltbühne wiederherzustellen. Wie ich sagte, geschieht das nicht konstruktiv, sondern indem man versucht, seine Nachbarn zu spalten und Uneinigkeit im Westen zu stiften. Es ist wirklich eine sehr verstörende Taktik.
Für mich ist das auch ein Zeichen der Verzweiflung des Putin-Regimes. Je länger diese Leute an der Macht festhalten, desto mehr gehen ihnen die Tricks aus, um ihre eigene Position im Inland zu stützen. Die Wirtschaft stagniert seit mehreren Jahren, die Einkommen der Menschen liegen zehn Prozent niedriger als vor acht Jahren. Daher suchen sie eine verbindende Ideologie. Und die einzige verbindende Ideologie, die sie haben, um sich an der Macht zu halten, ist die mythische Konfrontation mit dem Westen, ihn auf Abstand zu halten.
Natürlich wollen sie gern die Ukraine wieder einnehmen, natürlich wollen sie Einflusssphären wieder erschaffen, in denen es der Westen nicht wagt, Russlands Einfluss zu beeinträchtigen. Wo sie sogar befehlen könnten, dass sich die NATO aus Rumänien oder Bulgarien zurückzieht. Aber mir scheint: Natürlich sind sie nicht stark genug, das zu tun. Aber sie werden versuchen, diese Konfrontation mit dem Westen zu kreieren. Sie versuchen, den Westen zu schikanieren und einzuschüchtern, sodass er Sicherheitszugeständnisse einräumt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.