Trotz der Differenzen zwischen Union und SPD habe die Bundesregierung entschieden, die Ermächtigung zu erteilen, betonte Merkel. Das Ersuchen sei entsprechend der Staatspraxis geprüft worden. Daran seien das Auswärtige Amt, das Bundesjustizministerium, das Bundesinnenministerium und das Bundeskanzleramt beteiligt gewesen.
Die Kanzlerin unterstrich, in einem Rechtsstaat sei es nicht Sache der Regierung, sondern die Angelegenheit von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen. Die Türkei hatte förmlich eine Strafverfolgung verlangt.
SPD-Minister stimmten dagegen
Die beteiligten SPD-Bundesminister haben gegen die Zulassung eines Verfahrens gestimmt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, wegen der Stimmengleichheit habe es keine Mehrheit gegeben. Deshalb habe die Stimme der Kanzlerin entschieden. Steinmeier und Bundesjustizminister Heiko Haas erklärten, die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit seien höchste Schutzgüter der Verfassung. Aus diesem Grund würden sie die Entscheidung nicht mittragen.
Unionsfraktionschef Volker Kauder sprach von einer "richtigen Entscheidung". Zwar dürfe Satire alles, aber nicht jede Beleidigung sei auch eine Satire. "Wo die Grenze liegt, entscheiden in unserem Rechtsstaat die Gerichte", betonte Kauder.
Sein SPD-Kollege Thomas Oppermann bezeichnete das Vorgehen als falsch, wenngleich er das Gedicht "inhaltlich abstoßend" finde. "Strafverfolgung von Satire wegen 'Majestätsbeleidigung' passt nicht in moderne Demokratie", erklärte Oppermann auf Twitter.
Paragraf 103 soll nun abgeschafft werden
Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs. Wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, muss demnach mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. In ihrer Erklärung teilte Merkel mit, dass der Paragraf für die Zukunft entbehrlich sei. Die Koalition werde noch in dieser Wahlperiode ein Gesetz zu seiner Abschaffung des Paragrafen verabschieden.
DLF-Hauptstadtkorrespondent Stephan Detjen berichtete, Merkel habe betont, dass die Erlaubnis zu einer Strafverfolgung keine Vorverurteilung bedeute. Zugleich habe die Kanzlerin auch ihre Sorge über die Lage der Medien in der Türkei und die Einschränkung des Demonstrationsrechtes dort geäußert. Nach Einschätzungen Detjens wird Merkel "politisch nicht ganz unbefleckt aus der ganzen Sache" herauskommen. Sie werde sich in jedem Fall Vorwürfe der Opposition anhören lassen, dass sie vor Erdogan eingeknickt sei.
Jan Böhmermann hatte in seiner TV-Sendung "Neo Magazin Royale" ein Gedicht unter dem Titel "Schmähkritik" in Richtung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verlesen.
Die türkische Regierung hatte anschließend in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt das Verlangen nach Strafverfolgung formuliert. In dem Fall geht es um den Vorwurf der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Erdogan stellte zusätzlich auch persönlich Strafanzeige wegen Beleidigung.
Künast: Merkel hat sich zu früh eingeschaltet
Die Grünen-Politikerin Renate Künast kritisierte, Merkel habe sich abhängig von der türkischen Regierung gemacht. Im DLF begründete sie dies damit, dass sich die Bundeskanzlerin zu früh in die Debatte um das Gedicht eingeschaltet und es als "bewusst verletztend" bezeichnet hatte. Merkel habe sich schlicht und einfach falsch verhalten, so Künast. Künast bezeichnete das Gedicht als "isoliert betrachtet geschmacklos".
(pg/vic/kis)