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Causa Böhmermann
"Egal ob Arschloch oder nicht: Am Ende ist es richtig, niemanden zu beleidigen"

Die Mehrheit der Deutschen lehnt laut einer Umfrage die Ermittlungen gegen Jan Böhmermann ab - Oliver Rasche nicht. Dieser "Nicht-Schulterschluss von Politik und Satire" müsse kein Nachteil sein, sagte der "Welt"-Kolumnist im Deutschlandfunk. Für den Fall einer Verurteilung Böhmermanns rechnet er mit einer Trotzreaktion.

Oliver Rasche im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Ein Zuschauer hält in Marl (Nordrhein-Westfalen) vor der Verleihung der Grimmepreise eine Plakat mit der Aufschrift "Vermisst", das auf die Abwesenheit des Satirikers Jan Böhmermann hin weist.
    Ein Zuschauer hält in Marl (Nordrhein-Westfalen) vor der Verleihung der Grimmepreise eine Plakat mit der Aufschrift "Vermisst", das auf die Abwesenheit des Satirikers Jan Böhmermann hin weist. (dpa / picture alliance / Henning Kaiser)
    "Was, wenn die Kanzlerin die Satire vor der Justiz geschützt hätte? Wäre das nicht viel schlimmer gewesen für Satire?", fragt Oliver Rasche, der für Welt.de eine wöchentliche Kolumne schreibt, und gibt die Antwort selbst: "Ich glaube schon." Die Entscheidung Merkels, den Fall nun den Gerichten zu überlassen, sei richtig. Andernfalls "hätte man das Gefühl gehabt, sie schützt den, der die Mehrheit hinter sich hat".
    Am Ende sei es richtig, niemanden zu beleidigen, "egal ob Arschloch oder nicht", so Rasche. Auf der anderen Seite sei es richtig, "abzuklopfen, wie weit man gehen kann". Dies habe Böhmermann getan. "Ob er zu weit gegangen ist, wird man jetzt sehen."
    Für den Fall, dass das Gericht gegen Böhmermann entscheidet, rechnet der Journalist nicht damit, "dass ein Maulkorb über der Satire und Comedy schweben würde". Im Gegenteil erwarte er eine Trotzreaktion: "Es würde nicht stumm werden."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Jan Böhmermann und der Streit um sein Erdogan-Gedicht, das alles hat in der vergangenen Woche für viel Wirbel gesorgt in der Berliner Politik. Selten sind SPD und CDU in dieser Großen Koalition so aufeinander losgegangen wie nach der Entscheidung von Angela Merkel, strafrechtliche Ermittlungen gegen Böhmermann zu veranlassen. Aber was heißt das nun alles für die Comedy- und die Satireszene bei uns in Deutschland? Das kann uns Oliver Rasche sagen. Er hat als Journalist gearbeitet, als Satiriker und er ist außerdem Autor einer Kolumne bei "Welt Online". Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen. - Schönen guten Tag, Herr Rasche.
    Oliver Rasche: Hallo! Guten Tag.
    "Eigentlich ist das ja ein wahnsinnig guter Stoff für Satiriker"
    Armbrüster: Herr Rasche, die Causa Böhmermann ist jetzt seit mehr als zwei Wochen in den Schlagzeilen. Wie erleben Sie als Satiriker das Ganze?
    Rasche: Eigentlich ist das ja ein wahnsinnig guter Stoff für Satiriker, würde ich sagen, wenn man sich anschaut, wer sich da alles meldet, wer sich äußert und wer auch auf welcher Seite ist. Wenn ich sehe, dass Beatrix von Storch von der AfD jetzt versucht, die deutsche Satire zu verteidigen auf der einen Seite, die CDU sich vielleicht sogar selbst ein bisschen wenn nicht zerfleischt, dann doch zumindest ein bisschen anpöbelt in dieser Sache, ist das eigentlich eine wahnsinnig lustige Geschichte, finde ich, natürlich mit einem sehr ernsten Hintergrund, denn ein Strafverfahren ist natürlich jetzt per se erst mal nichts Lustiges. Trotzdem finde ich, man kann da sehr, sehr viel rausziehen, und leider, leider machen das ja auch ganz, ganz viele. Ich denke da an Dieter Hallervorden mit seinem, wie ich finde, unglaublich misslungenen Lied. Man sieht, das treibt Blüten, und ich finde, das ist eigentlich ein ganz schöner Stoff. Man sieht es auch am Leserinteresse, zum Beispiel bei Zeitungen, dass die Leute das interessiert und dass es wahnsinnig viele Aspekte gibt, die man abklopfen kann. Wenn ich das aus journalistischer satirischer Sicht betrachte, finde ich es eigentlich sehr lustig. Darüber hinaus sehe ich aber, dass es eine juristische Sicht gibt und eine politische, die ist vielleicht nicht mehr ganz so lustig dann.
    Armbrüster: Wenn wir uns jetzt mal dieses Strafverfahren ansehen, was da ja angestrebt wird nach dieser Entscheidung vom vergangenen Freitag, können wir dann sagen, dass Satiriker in Deutschland jetzt gefährlicher leben?
    Rasche: Nein, ich finde das überhaupt nicht. Ich bin eigentlich ganz froh, so sehr mich das natürlich nervt oder zunächst genervt hat, was die Kanzlerin gemacht hat, nämlich dann diesem Antrag von Erdogan auch stattgeben hat, so sehr sehe ich im Grunde inzwischen, dass dieser eben nicht Schulterschluss von Politik und Satire eigentlich kein Nachteil sein muss. Ich habe mir überlegt: Wie wäre das gewesen, wenn die Kanzlerin, sagen wir mal, die deutsche Satire beschützt hat, und zwar vor der deutschen Justiz auch unter anderem? Wäre das so gewesen, dass wir Satiriker oder dass Satiriker dann der Politik hätten dankbar sein müssen? Wäre das nicht viel schlimmer gewesen für Satire? - Ich glaube schon. Inzwischen bin ich eigentlich der Meinung, dass das kein Nachteil ist, und da ich auf die deutsche Justiz vertraue, bin ich da eigentlich ziemlich entspannt.
    "Es ist aber trotzdem richtig abzuklopfen, wie weit man gehen darf"
    Armbrüster: Aber wird es denn nicht jetzt schwerer, Witze zu machen über hochrangige Politiker, vor allem über hochrangige ausländische Politiker, wenn man immer damit rechnen muss, möglicherweise hat man ein Strafverfahren am Hals?
    Rasche: Ich meine, theoretisch hätte man ja auch vorher schon immer damit rechnen müssen, nur dass es diesen Fall so offenbar seit sehr, sehr langer Zeit, wahrscheinlich seit der Kaiserzeit oder so nicht mehr gab, diese Majestätsbeleidigung, um diesen Paragraf 103 mal runterzubrechen. Ich glaube nicht, dass es schwieriger wird, denn am Ende ist es ja so, wenn man sich auf der richtigen Seite des Rechts bewegt, dann hat man ja nichts zu befürchten, völlig egal, ob in Berlin im Kanzleramt jemand entscheidet, Daumen hoch oder runter. Insofern finde ich wirklich nicht, dass man dadurch eingeengt oder irgendwie behindert wird an seiner Arbeit.
    Und ich denke auch, wenn mal sich das mal anschaut: Nehmen wir mal an, Lutz Bachmann zum Beispiel hätte jetzt Obama beleidigt auf irgendeine Art und Weise und Obama hätte dann diesen Antrag gestellt auf Paragraf 103, hätten wir dann auch geschrien, um Gottes Willen, man muss das unterbinden, man muss das Strafverfahren unterbinden? Ich glaube, wenn man das so sagen darf: Egal ob Arschloch oder nicht, am Ende ist es richtig, niemand zu beleidigen, es ist auf der anderen Seite aber trotzdem richtig abzuklopfen, wie weit man gehen darf, und so ein bisschen hat Jan Böhmermann das ja offenbar versucht. Ob er da zu weit gegangen ist, wird man jetzt sehen.
    Armbrüster: Wie sehen Sie denn seinen Auftritt? Wie sehen Sie dieses Ganze, diese Videosequenz, diese Sendung mit dem Gedicht?
    Rasche: Ich sage ganz ehrlich: Ich bin Riesenfan von Jan Böhmermann, finde eigentlich alles richtig, was er macht, und in diesem "eigentlich" steckt es ja eigentlich auch schon. In diesem Fall, finde ich, ist er tatsächlich ein bisschen weit gegangen. Ich bin kein Jurist und kann das nicht beurteilen. Wenn ich mich frage, was darf Satire, dann frage ich mich: Okay, welcher Sinn steckt hinter dem, was ich tue? Wenn er jetzt sagt, er wollte genau das ausloten, dabei aber natürlich schon bewusst auch so weit gegangen ist, dass er eigentlich wusste, das es zu weit geht, dann musste er vielleicht auch damit rechnen. Ich bin für wahnsinnig harte Kritik und ich finde, auch die ist in diesem Sinne oder auch in dieser Stärke möglich, wenn sie in irgendeiner Form sinnvoll ist. Ich sehe aber den Sinn noch nicht so ganz.
    Armbrüster: Jetzt haben Sie gesagt, es wäre problematisch, wenn Angela Merkel sich schützend vor ihn gestellt hätte und dieses Strafverfahren nicht angestrengt hätte. Können wir dann im Umkehrschluss sagen, dass Jan Böhmermann der Kanzlerin eigentlich dankbar sein muss für diese Entscheidung vom Freitag?
    Rasche: Ich glaube, dass es richtig ist, dass ein Gericht entscheidet und hoffentlich dann auch am Ende dann doch zu seinen Gunsten entscheidet. Ob er ihr dankbar sein kann? Ich glaube zumindest, er hätte ihr nicht dankbar sein müssen, wenn sie es umgekehrt gemacht hätte, und das wäre schwierig gewesen, denn natürlich hätte man irgendwie das Gefühl gehabt, sie schützt jetzt den, der die Mehrheit hinter sich hat, der vielleicht hier in Deutschland dann mit seiner Meinung populärer dasteht, als Erdogan. Ich glaube, dann wäre es schwierig gewesen, ihr nicht dankbar zu sein vielleicht, und dann ist es so herum jetzt einfacher.
    "Es würde ganz natürlich eine Trotzreaktion geben"
    Armbrüster: Sie haben jetzt selber gesagt, Sie sehen dieses Gedicht kritisch. Es gibt da ja durchaus viele Leute, die sagen, Böhmermann hat damit eine Grenze überschritten. Mal angenommen, das zuständige Gericht sieht das genauso und er wird schuldig gesprochen, was sendet das für ein Signal an die Comedy- und Satireszene in Deutschland?
    Rasche: Ich weiß gar nicht, ob das am Ende dann eine neue Ära wird, die wir einläuten würden. Denn wenn ein Gericht, nur mal angenommen, zu dem Schluss kommen würde, dass da eine Grenze überschritten war, dann bin ich der Meinung: Wenn juristisch Grenzen überschritten werden, dann muss man das ahnden. Das finde ich richtig. Ich hoffe für ihn, dass es nicht der Fall ist in diesem Fall. Ich bin kein Jurist zum Glück und muss das nicht entscheiden, auch nicht entscheiden wollen. Aber sollte es so sein, dann muss natürlich so entschieden werden. Ich glaube nicht, dass es dazu führt, dass in der Comedy, in der Satire eine Art Maulkorb über uns schweben würde. Ganz im Gegenteil! Ich glaube, es würde ganz natürlich eine Trotzreaktion geben, so ein bisschen vielleicht, wie wenn man sich diese Utopien "1984" und "Brave New World" anguckt. Da gibt es diese Brave-New-World-Utopie, diese Idee, alles ist wenn auch nicht erlaubt, aber es sind doch zumindest alle irgendwie zufrieden mit dem, was sie haben, und auf der anderen Seite bei 1984 sind alle unzufrieden. Wir hätten jetzt hier so eine 1984-Situation, wenn das passieren würde, glaube ich, weil die Leute gerade im Comedy-Bereich, im Medienbereich journalistisch natürlich dann auch nach Freiheit streben würden und sagen würden, jetzt erst recht, und dann wird halt ausgelotet. Ich glaube, dass es dann mehr Fälle geben würde, die soweit an die Grenze gehen, dass man es ausloten müsste. Ich finde es aber richtig und ich fände es dann auch richtig, das zu tun, und glaube nicht, dass es dazu führen würde, dass es stumm würde um die Comedy - ganz im Gegenteil.
    Armbrüster: Wie oft hören Sie denn jetzt schon Sätze von Kollegen, die beispielsweise sagen, oh, bei solchen Sätzen oder bei solchen Jokes und Witzen müssen wir aber aufpassen?
    Rasche: Ganz und gar nicht, überhaupt nicht. Man merkt ja auch, dass der Reflex - ich habe Dieter Hallervorden am Anfang angesprochen - bei ganz vielen ist, wir machen da jetzt mit. Ob das jetzt aus populären Gründen der Fall ist, aus populistischen Gründen, oder ob das jetzt wirklich dann von Herzen kommt, ist noch mal eine andere Frage. Aber sicherlich ist es so, dass der Reflex eher ist, dass man sagt, wir machen da jetzt mit, und weniger, dass man sagt, wir ziehen uns da jetzt eher zurück und sind vorsichtig. Das habe ich noch überhaupt nicht erlebt bei Kollegen und ich glaube auch nicht, dass das kommen wird.
    Armbrüster: Jetzt hat sich ja Jan Böhmermann in den vergangenen Tagen zurückgezogen: kein Auftritt mehr von ihm, auch nicht mehr bei der Grimme-Preisverleihung, keine Sendung, er will jetzt auch mal eine längere Fernsehpause machen. Ist er feige?
    Rasche: Nein. Ich glaube, er ist ein Mensch, und als Mensch hat er jetzt erlebt, wie es ist, natürlich auf der einen Seite, was Bekanntheit angeht, was vielleicht auch Bedeutung angeht, unheimlich hochgespült zu werden. Natürlich! Das ist sicherlich auch was, was man erreichen will, wenn man provoziert, keine Frage. Auf der anderen Seite dann aber mit Polizeischutz tatsächlich Zuhause beschützt werden zu müssen, bedroht zu werden und natürlich auch sehr, sehr harte Kritik zu bekommen von allen möglichen Seiten, die sicherlich dann auch wieder nicht auf der juristischen richtigen Seite ist, glaube ich, das macht natürlich schon mürbe und das sorgt sicherlich dafür, dass man vielleicht das Gefühl hat, es ist gut, wenn es ein bisschen stiller wird.
    Armbrüster: Herr Rasche, Sie sind ja selbst auch Journalist. Geben Sie uns bitte eine Einschätzung. Was meinen Sie, wie lange wird dieser ganze Fall noch in den Schlagzeilen bleiben?
    Rasche: Ich glaube, das wird noch weitergehen, weil sich immer mehr Menschen aus wirklich skurrilen Ecken noch dazu äußern werden, ihre Meinung oder ihre Halbmeinung dazutun werden. Das wird sicherlich noch eine Zeit lang weiterschwelen. Und dann ist es: Wie jede Sau, die durchs Dorf getrieben wird, oder wir könnten in diesem Fall auch sagen jede Ziege, die durchs Dorf getrieben wird, wird sie dann irgendwann verschwinden. Ich glaube, das wird noch ein bisschen halten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.