Die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger forderte, Deals im Strafrecht neu zu untersuchen und enger zu formulieren. Fälle wie jener von Ecclestone müssten mit konkreten Ausgestaltungen verhindert werden, sagte die FDP-Politikerin.
Auch dass das eingenommene Geld an gemeinnützige Organisationen weiter gegeben werde, dürfe in einem Gerichtsprozess nicht ausschlaggebend sein. Der Grundsatz, dass jeder unabhängig von seiner finanziellen Lage und seiner Stellung in der Gesellschaft zur Rechenschaft gezogen werden solle, werde durch eine solche Regelung unterlaufen. Schnarrenberger begrüßte die Forderung nach einem transparenteren Verfahren, räumte hingegen ein, dass es den Fall nicht besser mache, wenn die Bevölkerung etwa durch Protokolle von dem Deal erfahre.
Das Verfahren gegen Bernie Ecclestone läuft seit April dieses Jahres vor dem Landgericht München. Dem Geschäftsführer der Formel-1 drohte eine Haftstrafe von zehn Jahren. Nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" signalisierte die Staatsanwaltschaft ihre Bereitschaft, den Prozess gegen eine Ausgleichszahlung von 100 Millionen Euro zu beenden.
Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: Im deutschen Strafverfahren sind Absprachen, sogenannte Deals keine Neuerscheinung. Manche schätzen, dass in jedem dritten oder vierten Verfahren gedealt wird. 2009 hat der Gesetzgeber den Deal noch einmal näher gesetzlich präzisiert, diese Änderungen sind dann vom Bundesverfassungsgericht im Großen und Ganzen gebilligt worden. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP war bis vor einem Jahr Bundesjustizministerin, guten Morgen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Meurer: 100 Millionen Dollar ist ja eine ganze Menge Geld. Was denken Sie über diese Geldauflage, über diesen Deal?
Leutheusser-Schnarrenberger: Mich beschleicht erhebliches Unbehagen, um nicht ganz deutlich zu sagen, ich halte einen Deal in dieser Dimension, wenn es denn dazu käme, für nicht mit dem Sinn und Zweck unserer gesetzlichen Regelung in Einklang zu bringen. Denn 100 Millionen Dollar zu zahlen zeigt ja, dass hier im Kern schon eine ganz erhebliche Schuld vorliegen muss, die hier vor Gericht verhandelt wird, mit einem Strafmaß bis zu möglichen zehn Jahren. Und in meinen Augen darf in dieser Dimension nicht mit der Justiz, mit der Gerechtigkeit gehandelt werden. Das hat nicht nur ein Geschmäckle, das ist wirklich eine Frechheit.
Meurer: An welche Delikte haben Sie denn damals gedacht, als es um Absprachen und Deals im Gesetz ging?
Leutheusser-Schnarrenberger: Als damals die Regelung geschaffen wurde, waren ja nicht bestimmte Delikte vor Augen, aber natürlich immer dann, wenn es sich um eine erhebliche Schuld, einen erheblichen Vorwurf handelt, dann soll ja gerade nicht damit gehandelt werden, sondern immer dann, wenn es im Zusammenhang mit geeigneten Fällen - der Jurist hat das eben so unbestimmt im Gesetz niedergeschrieben, vielleicht Schwierigkeiten mit Beweisfragen, wenn es zu lange und zu komplizierte Verfahren geben könnte, dann soll so eine Möglichkeit bestehen. Aber das Verfassungsgericht hat diese Regelungen zwar bestätigt, aber hat doch ganz klar die Praxis in Deutschland gerügt, die Intransparenz, die eben gerade nicht im Einklang mit den Gesetzen sei. Sodass meiner Einschätzung nach jetzt sogar der Gesetzgeber gefordert ist, der muss noch mal an den Deal ran und auf alle Fälle ihn viel enger formulieren. Und dieser Fall, der jetzt hier in der Diskussion ist, der macht das für mich überdeutlich.
"Beschädigt das Gerechtigkeitsgefühl der Bürger massiv"
Meurer: Die Formulierung lautet also bisher so in etwa, in geeigneten Fällen kann gedealt werden, wie Sie sagen. Wie könnte denn das präzisiert werden Ihrer Meinung nach?
Leutheusser-Schnarrenberger: In meinen Augen sollte man schon präzisieren mit Blick auf Schwere der Delikte. Denn dass sich bei Strafandrohungen von bis zu zehn Jahren jemand mit einer Summe, die es ja bisher in Deutschland noch nie mal im Zusammenhang mit Deal und Einstellung gegeben hat, freikaufen kann, diese Fälle muss man wirklich versuchen, mit konkreten Ausgestaltungen zu verhindern. Das alles zusammen beschädigt ja das Gerechtigkeitsgefühl massiv von vielen Bürgerinnen und Bürgern, und leider geht damit eher Vertrauen in die Justiz verloren, als dass es gestärkt wird nach dem Motto, die sind ja pragmatisch. Das ist genau das, was man von Justiz nicht erwartet.
Meurer: Wir wissen jetzt nicht genau, was die Allgemeinheit denkt. Vielleicht denkt ja mancher, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, 100 Millionen Dollar, 75 Millionen Euro sind eine Menge Geld, geht wahrscheinlich letzten Endes an gemeinnützige Einrichtungen, besser als jahrelang Knast für Bernie Ecclestone zu bezahlen!
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, das kann überhaupt nicht der Maßstab sein. Das mögen vielleicht einige denken, aber meine Erfahrung und Einschätzung ist die, dass es, wenn es überhaupt einmal zu einer Anklageerhebung kommt - und wir sind ja hier in einem fortgeschrittenen Verfahrenszustand -, dann wollen nicht die Bürger, dass jemand, der viel Geld hat - und wer kann schon 100 Millionen Dollar hinlegen -, sich freikaufen kann, und andere, die vielleicht nicht dazu in der Lage sind, für ein viel geringeres Strafmaß oder Strafandrohung dann drei oder vier Jahre Haft verbüßen müssen. Dann gerät alles in Schieflage. Und Ziel von Gerichtsverfahren ist nicht, Geld einzunehmen, um es dann für wirklich gute Zwecke verwenden zu können, das ist nicht Sinn und Zweck von Justitia!
"Bringt einfach die Justiz in eine Schieflage"
Meurer: Da die Frage wahrscheinlich trotzdem viele interessiert: Geht das Geld tatsächlich an gemeinnützige Organisationen oder in den Haushalt des Freistaats Bayern?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, diese Geld, wenn es jetzt Auflagen sind, nach der Strafprozessordnung, die hier erfüllt werden mit so einer Zahlung, dann geht das Geld - da hatten wir auch die Diskussion schon bei anderen Beträgen, damals bei Josef Ackermann, der 3,2 Millionen Euro gezahlt hat -, dann geht dieses Geld eben auch an gemeinnützige Organisationen. Das ist dann je nach Gericht und Bundesland unterschiedlich, da gibt es große Listen, das wird dann alles sehr nach vorgegebenen Regelungen auch erledigt. Da würde also schon auch was bei gemeinnützigen Organisationen ankommen. Aber das finde ich einen Aspekt, der wirklich nicht hier ausschlaggebend sein kann, ob sich jemand von Justiz freikaufen kann. Das ist etwas, was wir in anderen Staaten, die nicht Rechtsstaaten sind, massiv kritisieren, weil das einfach die Justiz in eine Schieflage bringt. Die soll sich wirklich darum kümmern, hat jemand schwere Strafbestimmungen - hier geht es um Korruption, um Bestechung und um Untreue - verletzt oder nicht? Und dazu muss dann eben auch ein Verfahren durchgeführt werden, auch wenn es etwas aufwendiger ist.
Meurer: Jetzt könnte es vielleicht einen Unterschied zu anderen Verfahren geben, nämlich dass das Ganze doch transparent abläuft. Morgen wird das sozusagen in die Hauptverhandlung eingespeist und möglicherweise erfahren wir dann ja en détail, was da abgesprochen worden ist. Und dann wäre die Forderung, es darf nicht geklüngelt werden, sondern es muss transparent sein, doch erfüllt, oder?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist ja schon die Forderung nach der geltenden Gesetzeslage, die in der Vergangenheit leider immer wieder verletzt wurde, dass nicht in der Kantine etwas verhandelt wird, sondern das Minimum ist, dass es ein Protokoll gibt und dass dann die wesentlichen Fakten festgehalten werden. Aber da wird natürlich nicht drin stehen, dass das Verfahren eingestellt wird, damit man sich viel Arbeit erspart und damit Herr Ecclestone jetzt als Formel-1-Chef weiter seine Milliardengeschäfte machen kann. Das wird nicht drin stehen, aber wenigstens erfährt die Öffentlichkeit, weil es in einer mündlichen Verhandlung eine Protokollierung gibt, dass es so einen Deal gibt. Aber das macht ihn doch nicht besser. Ich halte diese ganzen Regelungen in unserer Strafprozessordnung, die eben diese Form von Verhandlungen zwischen den Verfahrensbeteiligten ermöglichen, wirklich für sehr, sehr kritikwürdig.
"Ich habe immer den Deal sehr, sehr kritisch gesehen"
Meurer: Sie sagen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Deals sollten nicht für schwere Straftaten angewendet werden. Jetzt lesen wir, jeder dritte oder vierte Strafprozess wird gegen Geldauflage eingestellt, und das sind ja vermutlich nicht alles schwere Straftaten. Läuft da immer noch etwas ganz grundsätzlich schief in den Justizsälen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe immer den Deal sehr, sehr kritisch gesehen. Natürlich wird, wenn es die Möglichkeit nach dem Gesetz gibt, er angewandt, weil es zu einer Entlastung auch von Strafanwaltschaft und Gericht kommt und häufig eben für einen Beschuldigten es viel schonender ist, wenn man hinterher nicht vorbestraft ist und nach Hause gehen kann. Aber ich halte das für ganz problematisch in unserem Justizsystem, was ja gerade, wie auch in der Anmoderation deutlich wurde, zum Ziel hat: Jeder soll unabhängig von seiner finanziellen Lage, seiner Stellung in der Gesellschaft auch zur Rechenschaft gezogen werden. Und das wird mit diesen Regelungen wirklich unterlaufen. Und ich bin der Meinung, die müssen massiv eingeschränkt werden, es ist politisch nicht durchsetzbar, sie komplett abzuschaffen. Denn nur wenn man den Deal verbieten würde, würde man mit dieser Praxis im Strafprozess auch enden können.
Meurer: Deals im Strafrecht. Morgen wird aller Wahrscheinlichkeit nach der Prozess gegen Formel-1-Chef Bernie Ecclestone in München eingestellt, gegen die Rekordauflagesumme von 100 Millionen Dollar, gleich 75 Millionen Euro übrigens. Danke schön, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Wiederhören!
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, danke schön, Wiederhören!
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