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Causa Pofalla
"Wie ticken eigentlich diese Leute?"

Der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann übt deutliche Kritik am möglichen Wechsel von Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in den Bahnvorstand. Damit würde eine Grenze überschritten, hier solle offenbar Insiderwissen eingekauft werden, sagt Thielemann im DLF und plädiert für eine neue politische Kultur.

Ulrich Thielemann im Gespräch mit Christiane Kaess | 03.01.2014
    Christiane Kaess: Mitgehört am Telefon hat Ulrich Thielemann. Er ist Direktor des MEM – die Abkürzung steht für "Menschliche Marktwirtschaft" – eine Denkfabrik für Wirtschaftsethik. Guten Tag!
    Ulrich Thielemann: Guten Tag, Frau Kaess!
    Kaess: Herr Thielemann, was haben Sie denn zuerst gedacht, als Sie die Nachricht über Ronald Pofalla gehört haben?
    Thielemann: Ja, erst von Klaeden, und dann kam gleich noch die Zahlung der Quandts, der BMW-Eigner, und – ist Deutschland jetzt doch korrupt? Ist es vielleicht eine Grenze – ich habe das Gefühl, eine Grenzüberschreitung hat da stattgefunden. Und ich frage mich auch, wie ticken eigentlich diese Leute, was motiviert die eigentlich – Politiker an sich.
    Kaess: Was glauben Sie denn, was sie motiviert?
    Thielemann: Ich glaube, es hat seit langer Zeit ein Wechsel stattgefunden in der politischen Kultur eigentlich. Es geht weniger darum, scheint mir, politisch zu gestalten, Programmatiken, politische Programmatiken umzusetzen, sondern es geht eigentlich darum, sogenannte Kompetenz an den Tag zu legen und, wie man so sagt, Karriere zu machen. Und da ist das Feld Politik genauso gut wie das Feld der wirtschaftlichen Entscheidungsträger.
    Kaess: Sie sagen, es hat ein Wechsel stattgefunden. Auf der anderen Seite muss man ja sagen, die Bahn als Staatsfirma hat sozusagen eine lange Tradition, Ex-Politiker unterzubringen. Die Liste der Namen geht da von der CSU über die CDU bis hin zu SPD-Politikern – nichts Neues also.
    Thielemann: Insofern könnte man sagen, nichts Neues, aber die Bahn hat sich ja auch gewandelt. Sie hat nicht mehr den Auftrag der Daseinsvorsorge, sondern ist zwar in hundert Prozent staatlichem Besitz, ist aber ein Unternehmen, welches Gewinne steigert, maximiert, also auf Unternehmenserfolg ausgerichtet ist. Das ist natürlich schon etwas anderes heute. Insofern macht dieser Unterschied eigentlich gar nicht so viel aus.
    Kaess: Vor dem Hintergrund, dass es nicht nur eine Partei betrifft – würden Sie sagen, die Aufregung, die jetzt aus den anderen Parteien kommt, ist letztendlich Heuchelei?
    Thielemann: Ja, gewissermaßen schon. Weil eben dieser Politikwechsel hin zur Wirtschaftskompetenz aller, beinahe aller politischen Strömungen ist ja eben ein breites Phänomen. Und das zeigt sich eben auch in diesen Wechseln, diesen sogenannten Drehtüreffekten. Man ist also besonders heiß darauf offenbar, in diese hoch dotierten Posten zu gelangen, weil man wirtschaftlich erfolgreich gestalten möchte und daran auch partizipieren möchte. Darum ja auch die hohen Vergütungen, die man da erhält.
    Kaess: Schauen wir noch mal konkret auf den Fall Ronald Pofalla, wenn er sich denn bestätigen sollte. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Ulrich Kelber, der sagt, es entstehe der Eindruck, dass Pofalla gezielt gekauft wird, denn es gehe um Pofallas gute Regierungskontakte. Würden Sie das so eindeutig auch sehen und interpretieren?
    Thielemann: Um das anzusprechen, ich weiß gar nicht, wie man das anders sehen sollte. Ich meine, es wurde dieser Posten geschaffen, ein Lobby-Posten, der offenbar vor allen Dingen auch in die EU rein wirken soll. Und diese Kontakte, dieses Insiderwissen wird da offenbar eingekauft. Welche andere Begründung sollte es denn sonst dafür geben?
    Kaess: Also, Sie finden, gerade die Tatsache, dass dieser Posten extra geschaffen wird, das finden Sie dann umso anrüchiger?
    Thielemann: Ja, das könnte man eigentlich sagen, und vor allen Dingen natürlich auch, ob der jetzt geschaffen wurde oder vorher bestand, ist gar nicht so entscheidend, sondern entscheidend ist, dass jemand, der Insiderwissen hat auf höchster politischer Ebene, in ein privatwirtschaftlich geführtes, juristisch ist was anderes, aber privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen wechselt. Das ist eigentlich das Skandalöse daran.
    Kaess: Jetzt kocht diese Diskussion wieder nach oben, nicht zum ersten Mal, um die Karenzfristen. Sehen Sie darin eine mögliche Lösung von solchen Fällen?
    Thielemann: Man muss wahrscheinlich dahin gehen, und dahin wird es wahrscheinlich auch gehen. Der Fall Pofalla wird das weiter vorantreiben. Aber ich glaube, was wichtiger ist, scheint mir, ist ein Wandel in der politischen Kultur. Dass eben wieder politische Programme an erster Stelle stehen, und Leute, die dann aus der Politik ausscheiden, ja doch ein Interesse daran haben sollten, dieses politische Programm in welcher Form auch immer weiter zu verfolgen, und nicht sozusagen eine Erfolgskarriere anzustreben. Das scheint mir wichtiger zu sein eigentlich.
    Kaess: Aber Leute, die eben aus der Politik ausscheiden, müssen sich ja auch Gedanken über ihre weitere Zukunft ohne die Politik machen. Wie soll das denn miteinander gehen?
    Thielemann: Das stimmt schon auch, aber müssen es derart hochkarätige Posten sein? Kann man nicht weiter arbeiten als Anwalt oder in welcher Funktion man immer auch vorher war. Muss man denn das politische Mandat nutzen als Sprungbrett in einen höchst dotierten Job? Ich meine, wir haben die Leute ja nicht gewählt, damit sie nachher Vorstände werden.
    Kaess: Und Karenzfristen würden da etwas bringen? Oder würden Sie sagen, nein, da muss man ganz strikt sein, so was sollte überhaupt nicht vorkommen?
    Thielemann: Das würde ich jetzt nicht sagen. Allerdings würde ich sagen, es muss beides zusammenwirken. Einerseits die Regulierung, beispielsweise durch eine Karenzfrist einerseits, aber auch der Wandel in der politischen Kultur, sodass die Interessenlage gar nicht mehr so ist, wie sie im Moment ja bei beinahe allen Parteien ist.
    Kaess: Aber so ein Wandel der politischen Kultur kann natürlich nicht verordnet werden.
    Thielemann: Nein, natürlich nicht. Es kann nicht alles verordnet werden, aber darum kritisieren wir das ja auch, um sozusagen auch diese politische Kultur mit zu verändern. Ich glaube, wir sollten nicht nur allein auf die Regulierungsseite sehen, sondern auch auf die politische Kultur schauen, dass es wieder um die politischen Programmatiken geht und die Politikverdrossenheit damit auch vielleicht geringer wird.
    Kaess: Die Meinung von Ulrich Thielemann. Er ist Direktor der Denkfabrik für Wirtschaftsethik, MeM. Danke für das Gespräch heute Mittag, Herr Thielemann!
    Thielemann: Ja, vielen Dank auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.