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Causa Selmayr im EU-Parlament
Selmayr-Beförderung wird untersucht

Binnen neun Minuten vom Kabinettschef des Kommissionspräsidenten zum EU-Generalsekretär: In Brüssel sorgte die Blitzkarriere des deutschen EU-Beamten Martin Selmayr für heftige Debatten. Jetzt muss sich der für Personal zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger im Europaparlament erklären.

Von Peter Kapern |
    European Commission President Jean-Claude Juncker's Chief of Cabinet Martin Selmayr arrives for an Eurogroup meeting at the European Council, in Brussels, on May 11, 2015. AFP PHOTO / JOHN THYS / AFP PHOTO / JOHN THYS
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sei ohne Selmayr, der sein ehemaliger Kabinettsleiter ist, verloren, heißt es in Brüssel (AFP)
    Mehr als 32.000 Beamte arbeiten für die EU-Kommission. Der einzige von ihnen, der es geschafft, einen EU-Gipfel von 28 Staats- und Regierungschefs zu beschäftigen, heißt Martin Selmayr. 47 Jahre alt, ein deutscher Jurist, ausgewiesener Experte in EU-Dingen. Hemdsärmelig im Umgang, manche sagen: brutal. Auf jeden Fall ist er mit einer Menge Durchsetzungsfähigkeit ausgestattet, was Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfeltreffen in der vergangenen Woche ausdrücklich lobte und damit steht sie bei Weitem nicht allein. Auch Emmanuelle Macron war voll des Lobes:
    "Auf seiner früheren Position habe ich seine Professionalität geschätzt. Die Person und seine Qualitäten dürfen nicht infrage gestellt werden. Er ist jemand mit herausragenden Qualitäten und kennt Europa gut."
    Jean-Claude Juncker: Ohne Selmayr verloren
    Martin Selmayr hat seit 2014 das Kabinett von Jean-Claude Juncker geleitet. Ohne ihn sei Juncker verloren, heißt es. Dann, Ende Februar, bekam Selmayr einen neuen Job: Den des EU-Generalsekretärs, also des Chefs der mehr als 32.000 EU-Beamten. Das Verfahren, das zu seiner Ernennung führte, war mindestens bemerkenswert. Vom Kabinettschef wurde er erst zum stellvertretenden Generalsekretär und dann zum Generalsekretär ernannt. Binnen neun Minuten. Die Runde der 28 EU-Kommissare wurde von dieser Blitzbeförderung sehr überrascht. Als sie den Sitzungssaal betraten, wussten sie noch gar nicht, dass die Personalie auf der Tagesordnung stand. Aber sie stimmten trotzdem zu. Seit Kommissionspräsident Juncker den Schleier über Selmayrs Blitzbeförderung lüftete, kennt die Empörung im Brüsseler Pressechor, in einigen Mitgliedstaaten, vor allem aber im Europaparlament keine Grenzen mehr. Von Staatsstreich war da die Rede, oder davon, dass Burkina Faso die Entwicklungshilfe gestrichen bekäme, wenn dort solche Patronage herrschen würde. Häufig richtete sich die Kritik nicht gegen Selmayr, sondern gegen dessen Staatsangehörigkeit. Noch ein Deutscher auf einem Brüsseler Top-Job! Jean-Claude Juncker allerdings stand und steht zu Selmayr. Allerdings auf zunehmend schwankendem Grund. Selbst aus seiner eigenen christlich-konservativen Parteienfamilie, der EVP, bekam der Kommissionschef kaum Rückendeckung. Weshalb er am Rande des EU-Gipfels in einer vertraulichen Runde mit dem Rücktritt drohte. Geht Selmayr- dann gehe ich auch. So wurde er von verschiedenen Teilnehmern der Besprechung zitiert. Kurz drauf versuchte Juncker öffentlich zu dementieren, was nicht mehr zu dementieren war – als er nach seinem eigenen Rücktritt gefragt wurde:
    "Da ja Herr Selmayr nicht zurücktritt, weil ich ja der Einzige bin, der ihn dazu auffordern könnte, ist die andere Frage irrelevant."
    EU-Abgeordnete sind empört
    Das stimmt nur zum Teil. Denn heute befasst sich der Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments mit der Personalie Selmayr. Haushaltskommissar Günther Öttinger, der auch für Personalfragen zuständig ist, muss Rede und Antwort stehen. Und er wird bei seinem Auftritt im Ausschuss erfahren, dass viele Abgeordnete mit Junckers Rücktrittsdrohung alles andere als glücklich sind. Sven Giegold von den Grünen:
    "Die Drohung von Jean-Claude Juncker zurückzutreten, wenn Martin Selmayr gehen muss, sind eine Respektlosigkeit vor den Untersuchungsrechten des europäischen Parlaments, das ist völlig inakzeptabel."
    Einschüchtern lassen werden sich die Abgeordneten durch die Rücktrittsdrohung wohl kaum. 134 Fragen zum Fall Selmayr haben sie der Kommission bereits schriftlich zukommen lassen. Die Antworten waren 80 Seiten lang. Ob das Parlament damit zufrieden ist, wird sich zeigen. Selmayr selbst jedenfalls hat sich nur ein Mal in dieser Sache zu Wort gemeldet. Die Qualität der Tonaufzeichnung seiner Stellungnahme lässt zu wünschen übrig, die Stoßrichtung seines Arguments allerdings ist glasklar.
    "Die Kommission muss solche Debatten durchstehen. Das europäische Parlament stellt die Öffentlichkeit her, um alles zu prüfen und am Ende sicherlich festzustellen, dass die Kommission in der Frage in allen Punkten richtig entschieden hat."
    Die Kommission hat also alles richtig gemacht – und das Parlament wird dafür sorgen, dass das auch bekannt wird. Nicht ausgeschlossen, dass es am Ende genau so kommt.