In der Corona-Pandemie bestand neben der Gefahr einer Infektion für viele Menschen auch eine psychische Belastung. Das sogenannte Social Distancing hat zur Vereinsamung geführt, allerdings auch über die Pandemie hinaus. Manche Menschen gehen immer noch auf Distanz. Es ist von einem "Cave Syndrome" (dt. Höhlensyndrom) die Rede. Worin liegen die Ursachen und was kann dagegen helfen?
Was ist das Cave-Syndrom?
Der Begriff stammt vom US-amerikanischen Psychiater Alan Teo, der den sozialen Rückzug von Menschen nach den ersten Corona-Wellen untersucht hat. In einer Studie von 2021 fand die Amerikanische Psychologische Gesellschaft heraus, dass ungefähr 50 Prozent der repräsentativen Stichprobe sich gehemmt fühlen, wieder ins normale Leben einzutreten und manche sozialen Situationen vermeiden.
Das Cave-Syndrom sei an sich keine pathologische, keine krankhafte Erscheinung, sagt der Frankfurter Psychologe Ulrich Stangier, sondern eine gesunde Anpassung an Isolation.
Wie viele Menschen ziehen sich weiter zurück?
Knapp drei Prozent aller Menschen, die von der Pandemie betroffen waren, brauchen länger, um sich im sozialen Miteinander wieder zurechtzufinden. Das hat der Psychologe und Gründer des Augsburger Instituts für Generationenforschung, Rüdiger Maas, in einer anonymen Befragung herausgefunden. Doch nicht wenige hätten sich mittlerweile daran gewöhnt, ihren Alltag ohne direkten Austausch zu bewältigen.
Vor allem bei jungen Menschen habe die Pandemie gesellschaftliche Veränderungen beschleunigt, die bereits vorher zu beobachten waren, wie etwa den Rückzug in digitale soziale Netzwerke.
Der Anteil der Schüler und Jugendlichen mit psychischen Problemen habe sich von vier auf acht Prozent verdoppelt, sagt Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg.
International hat es einen Zuwachs von fünf Prozent an Einsamkeit gegeben, so die Psychologin Mareike Ernst von der Universität Mainz. Dazu hat sie Studien aus Europa, USA und Kanada ausgewertet. Von einer Pandemie der Einsamkeit will sie aber nicht sprechen. Die Last sei in der Gesellschaft ungleich verteilt.
Warum finden manche Menschen nicht zurück in die soziale Welt?
Dass manche Menschen aus dem Cave-Syndrom nicht oder erst nach langer Zeit wieder herausfinden, könne mit Studien aus der Stressforschung erklärt werden, so der Psychologe Ulrich Stangier. Diese zeigen, dass soziale Isolation eine erhebliche Belastung darstellt. Dadurch werde auch die Krankheitsanfälligkeit erhöht.
Menschen, die stark isoliert sind, wie etwa in Isolationshaft, im Weltall oder in menschenleeren Gebieten, leiden unter psychologischen Symptomen, können Ängste oder Depressionen entwickeln, teilweise auch Wahrnehmungsveränderungen bis hin zu Halluzinationen.
Sozialer Rückzug und Depression nach Corona-Pandemie
Der soziale Rückzug nach der Pandemie könnte aber auch damit zusammenhängen, dass jemand bereits vorher depressiv oder sozial ängstlich war und dazu neigte, sich Sorgen zu machen - oder er hat sich unabhängig davon entwickelt.
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung hat in einer europaweiten Studie festgestellt, dass Kinder und Jugendliche während der Schulschließungen zu 75 Prozent häufiger generelle Depressionssymptome aufwiesen als zuvor.
90 Prozent der Patienten, die sich an das Post-Covid-Netzwerk der Berliner Charité wenden, hätten eine kurzzeitige Belastungsstörung, die mit emotionaler Instabilität verbunden ist, eine längere Anpassungsstörung oder eine leichte Depression, sagt Adak Pirmorady, Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie.
Allerdings: Ein gewisser Anteil an sozialem Rückzug gehört zu einer gesunden Abgrenzungsfähigkeit.
Was bräuchten Betroffene, um wieder Anschluss zu finden?
Der Pädagoge Klaus Zierer hält es für dringend nötig, Kinder und Jugendliche durch gezielte Medienerziehung stärker zu schützen und zu begleiten. Das heißt, einerseits Zonen ohne digitale Geräte zu schaffen, andererseits den Umgang mit Social Media und Internet zu diskutieren. Der Schule komme dabei eine veränderte Rolle zu:
Wir müssen viel stärker als bisher Schule als einen sozialen Raum wieder verstehen, wo Erlebnisse, wo Feste feiern, wo erlebnispädagogische Maßnahmen wie Klassenfahrten, Schullandheimaufenthalte wieder viel stärker ins Zentrum gerückt werden, weil das nicht nur für die psychische Entwicklung der Kinder wichtig ist, sondern generell für Bildungsprozesse das entscheidende Moment ist, damit Kinder auch gerne in die Schule gehen.
Auch das Bundesgesundheitsministerium hat das Problem erkannt. Um den „anhaltenden psychosomatischen Stress“ bei Kindern und Jugendlichen abzumildern, wie es in einem hauseigenen Bericht heißt, versprach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich, mehr ambulante und stationäre Therapiemöglichkeiten zu schaffen. Eine Arbeitsgruppe der Bundesministerien für Gesundheit und Familien empfahl, zur „ersten psychischen Hilfe“ von Kindern und Jugendlichen im kommenden Schuljahr die schulpsychologischen Dienste auszubauen.
Welche Hilfsangebote gibt es?
Das Bundesfamilienministerium hat eine "Strategie gegen Einsamkeit" erarbeitet. Es will für das Thema sensibilisieren und es enttabuisieren. Das Ministerium unterstützt etliche Modellprojekte, unter anderem für Senioren, sowie Hilfetelefone: Neben der Telefonseelsorge (0800 111 0 111, 0800 111 0 222 oder 116 123) gibt es auch den Krisenchat für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren oder das Silbertelefon (0800 4 70 80 90) für Menschen über 60 Jahren.
Weitere Hilfsangebote und Projekt hat das "Kompetenznetz Einsamkeit" gesammelt, das sich 2022 gegründet hat, die Ursachen und Folgen von Einsamkeit zu erforschen und Gegenstrategien zu entwickeln.
Quellen: Isabel Fannrich-Lautenschläger, Bundesfamilienministerium, Kompetenznetzwerk Einsamkeit, leg