Auf diesem Debüt-Album von Pia Davila hören wir Musik aus drei Epochen: alte Musik des Italieners Tarquinio Merula, Lieder von Claude Debussy und zeitgenössische Kompositionen von Lorenzo Romano und Aigerim Seilova.
Während der guten Stunde Musik auf dem Album springt Pia Davila zwischen den Jahrhunderten hin und her. Nicht die Chronologie der Entstehungszeiten gibt die Ordnung hier vor, sondern wir erleben mit Pia Davila einen vollständigen Tag. Der beginnt und endet in der Nacht. Wie am Anfang mit Debussys Lied "Claire de lune", also "Mondlicht".
Musik: Claude Debussy – Claire de lune, Fêtes galantes Nr.3
Am Klavier begleitet Pia Davila hier sehr farbenreich und mit hell glänzendem Klang Eric Schneider. Allerdings nicht bei allen Stücken, sondern nur bei Debussys. Bei denen des Frühbarockkomponisten Tarquinio Merula spielt mit Pia Davila der Lautist Andreas Nachtsheim. Bei den zeitgenössischen Werken singt sie dagegen a capella oder zusammen mit Elektronik. Auf dem Album noch vor Debussys "Claire de lune" zum Beispiel im zweiten Track: Lorenzo Romanos "Luna incostante", auf deutsch etwa "Unbeständiger Mond".
Musik: Lorenzo Romano - Luna incostante Luna Varia I
Die elektronischen Klänge reagieren auf die Stimme
Dieses "Luna incostante" ist ein interessantes Stück, das für diese CD das erste Mal überhaupt aufgenommen wurde. Während hier am Anfang Stimme und Elektronik noch wie gleichwertig nebeneinander "herlaufen", verschiebt sich das Verhältnis dann von beiden immer mehr: Im letzten Drittel des Stücks wird die Elektronik nach und nach zu einem reagierenden Wesen, das der Lautstärke und Intensität der Stimme genauestens folgt:
Musik: Lorenzo Romano - Luna incostante Luna Varia I
Entnommen ist diese Arie einer Oper: "La Luna", die in diesem Jahr an der Staatsoper Hamburg uraufgeführt werden soll. Für diese CD hat der Komponist Lorenzo Romano die instrumentale Begleitung eines Ensembles durch Geräuschen aus der Natur ersetzt. Durch das eben gehörte (zumindest scheinbare) Reagieren der Elektronik auf die Stimme, entsteht dabei musikalische Interaktion. Das ist wichtig: Denn ohne dieses Miteinander wäre das Tonband innerhalb dieser CD wohl nicht mehr als eine nette Soundkulisse gewesen.
Die Arie ist innerhalb der Oper die Eingangsarie und inhaltlich wird dort der Mond angerufen. Insgesamt geht es in der Oper um die romantische Seite des Mondes als damaliger Sehnsuchtsort – und als Gegenentwurf zu den aktuellen Entwicklungen, dass der Mond immer erreichbarer für uns Menschen wird. Romano will die Mystik dieses Himmelskörpers in einer Zeit beleben, in der wohl schon in wenigen Jahrzehnten Touristen dorthin reisen werden.
Mit ruhigem Fluss nach vorne
Gleich in den ersten drei Tracks präsentiert die Sopranistin Pia Davila alle drei Musiksprachen: die frühbarocke, Debussys spätromantisch-impressionistische und die zeitgenössische. Zeitlich befinden wir uns auf diesem Album noch in der Nacht. Zwei dieser drei haben wir gerade schon gehört, für den absoluten Beginn hat sich Pia Davila für Tarquinio Merulas Arie "Folle è ben che si crede" entschieden. Ein Capriccio, in dem das lyrische Ich mit inniger Ruhe und großem Selbstbewusstsein seine Liebe besingt, die selbst der Eifersucht anderer standhält.
Musik: Tarquinio Merula - Folle è ben che si crede
Wie zart und feinfühlig Andreas Nachtsheim hier an der Laute begleitet, macht viel Spaß beim Zuhören. Er stuft die Lautstärken selbst im Leisen noch sensibel voneinander ab und lässt durch ganz behutsame Tempoveränderungen die Musik atmen. Eine gute Bühne für Pia Davila.
Sie singt mit klarer Stimme und wunderbar textverständlich. Die Vokale formt sie sicher und stabil, gleichzeitig fließen sie ruhig vorwärts. Die Konsonanten artikuliert sie deutlich und kostet genussvoll ihre Klänge aus. Allerdings fallen die markanten Sprünge vom tieferen in das höhere Register unschön auf. Der Ton klingt auf einmal anders und setzt damit eine Unterbrechung in die Melodielinie, so als würde ein anderer Gedanke beginnen, was im Text allerdings nicht so ist. Gerade an dieser Stelle lässt sich gut hören, dass Pia Davila mit Druck auf der Stimme singt. Das gibt ihr einerseits ihren charakteristischen Klang, den man gut und schnell wiedererkennt, andererseits verhindert es eine Leichtigkeit, die gerade dieser Arie sehr gut tun kann.
In der Aufnahme der Italienerin Roberta Mameli aus dem Jahr 2017 kann man das schön hören:
Musik: Roberta Mameli: Tarquinio Merula - Folle è bien che si crede
Die eigene Generation im Blick
Pia Davila steht der zeitgenössischen Musik sehr offen gegenüber und setzt sich auch für sie ein. Dass eine junge Sängerin nicht nur Ersteinspielungen mit auf ihre Debüt-CD nimmt, sondern sie sogar in Auftrag dafür gibt, ist ungewöhnlich. Interesse hat sie dabei offensichtlich vor allem an den Ideen ihrer eigenen Generation. Sowohl der Italiener Lorenzo Romano als auch die Kasachin Aigerim Seilova sind nur drei bzw. ein Jahr älter als die Sopranistin.
Aber Pia Davilas Interesse für Zeitgenössische Musik wird auch schon beim Hören dieses Albums deutlich, denn gerade in den neuen Werken zeigt sie die vollen Fähigkeiten ihrer Stimme. Etwa im melodiezerhackten "bärenmarkt" von Aigerim Seilova: Wie messerscharfe Akzente setzt sie die Phrasenteile aneinander. Sie schafft es hier einen Bogen über die Satzbruchstücke zu spannen und mit intensiven, druckvollen Tönen die Spannung zu halten. Sie ist nah am Text, liebt es ganz offenbar die Geschichte darin zu erzählen.
Musik: Aigerim Seilova – bärenmarkt
Das Konzept von Pia Davilas CD stellt einen schönen Rahmen da und ermöglicht inhaltliche Bögen. Etwa zwei verschiedene Varianten von Lorenzo Romanos "Luna incostante" oder auch die zwei Lieder von Claude Debussy, die beide "Claire de lune" heißen. Eins jeweils am Anfang, eins am Ende. Zwischen den Nachtliedern steht der Tag mit den irdischen Leidenschaften. Das gibt Raum um verschiedene Bereiche des Lebens anzusprechen und dennoch einen roten Faden zu behalten.
Ästhetisch spannend an diesem neuen Album ist aber vor allem die Kombination der drei Stile mit Merula, Debussy und den beiden Zeitgenossen. Durch das wilde Hin- und Her-Springen hört man sich nicht "fest". Die Wahrnehmung bleibt flexibel und konzentriert sich schließlich auf das, was die Stücke sind – ohne historische Kontexte, und mit immer anderen Klängen, sodass auch die alten wie selbstverständlich zwischen den neuen Werken stehen.
Musik: Tarquinio Merula - Quand'io volsi l'altra sera