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CDU-Außenpolitiker Polenz
"Die Stellvertreterkriege werden zunehmen"

Einen Krieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran hält der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz, für unwahrscheinlich. Aber die Lage in der Region drohe weiter zu eskalieren. Besonders schwierig werde nun die Situation für Syrien, wo beide Regime um Einfluss ringen.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Ruprecht Polenz
    Ruprecht Polenz (Imago/Reiner Zensen)
    "Es sieht so aus, als könne der politische Prozess nicht fortgesetzt werden", meinte der CDU-Politiker mit Blick auf die Bemühungen um eine friedliche Lösung in dem Bürgerkriegsland.
    Skeptisch äußerte sich Polenz zur Entwicklung in Saudi-Arabien. Das Herrscherhaus sehe sich in seiner Position sowohl von den Schiiten im eigenen Land als auch vom Iran gefährdet. Dies erkläre den Krieg im Jemen und die damalige Intervention in Bahrein. Deutschland sollte bei den Waffenexporten nach Saudi-Arabien zurückhaltend sein, empfiehlt Polenz. Allerdings spiele die Bundesrepublik ein kleine Rolle. Die größten Waffenlieferanten in die Region seien immer noch die USA und Russland. Moskau rüste den Iran und Syrien hoch, die Amerikaner lieferten sehr viel an die anderen Golfstaaten. Eine international abgestimmte Rüstungskontrollpolitik für den Nahen Osten wäre ein großer Fortschritt. "Das sehe ich aber nicht", so Polenz. Im Gegenteil. Es bleibe eine sehr kaufkräftige Nachfrage nach Waffen, die auf der ganzen Welt bekommen könnte.

    Das komplette Interview:
    Tobias Armbrüster: Im Nahen Osten brodelt es wieder einmal: Die Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen in Saudi-Arabien am Wochenende hat die Spannungen in der Region deutlich erhöht, vor allem die zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Beide Länder reklamieren einen Führungsanspruch im Nahen Osten. Ein Vertreter aus Riad hat nun in der vergangenen Nacht bei der UNO in New York die Hinrichtungen verteidigt, alle Verurteilten hätten einen fairen Prozess bekommen. Von einer Beilegung des Konflikts zwischen Riad und Teheran ist allerdings keine Rede. Jürgen Stryjak:
    Beitrag: "Saudi-Arabien verschärft Konflikt mit Iran - Lage in der Region angespannt"
    Jürgen Stryjak berichtete. Was bedeuten diese Spannungen nun auch für die deutsche Außenpolitik? Dazu jetzt bei uns am Telefon Ruprecht Polenz, der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, heute unter anderem Vorsitzender beim Gesprächskreis Deutsche Initiative für den Nahen Osten. Schönen guten Morgen, Herr Polenz!
    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
    "Man muss große Sorge haben, dass die Lage weiter eskaliert"
    Armbrüster: Herr Polenz, müssen wir uns da im Nahen Osten auf einen weiteren schwelenden Konflikt einstellen, auf einen weiteren Konflikt, der möglicherweise in den nächsten Monaten eskaliert?
    Polenz: Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist ja schon seit Längerem zum Grundkonflikt in der Region geworden, er ist jetzt weiter eskaliert, und die Auswirkung auf die anderen Konfliktherde - Syrien, Jemen, Libanon, Irak - sind unabsehbar. Es sind ganz schlechte Nachrichten, die uns jetzt seit den Hinrichtungen in Saudi-Arabien aus der Region erreichen. Man muss große Sorge haben, dass die Lage weiter eskaliert, obwohl ich an einen vollen Krieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran nicht denken möchte.
    Armbrüster: Nicht denken möchte oder halten Sie es für unwahrscheinlich?
    Polenz: Ich halte es eher noch für unwahrscheinlich, weil das nicht im Interesse beider Länder liegt, aber die Stellvertreterkriege oder die Konfrontation, die sie sich in verschiedenen Ländern der Region liefern, die werden an Bitterkeit und Härte zunehmen, und das ist besonders tragisch für Syrien, wo ja der Versuch, eine politische Lösung zu erreichen, in Wien mit großen Anstrengungen dazu geführt hat, dass es gelungen war, Saudi-Arabien und Iran, die gerade dort auch einen Stellvertreterkrieg führen, an einen Tisch zu bringen. Jetzt sieht es nicht danach aus, als könne dieser politische Prozess fortgesetzt werden.
    Armbrüster: Wenn wir nun über Kontrolle und über kontrolliertes Vorgehen in dieser Krise reden, müssen wir dann nicht anerkennen, dass in beiden Ländern, sowohl im Iran als auch in Saudi-Arabien, die politische Führung eigentlich die Kontrolle über ihr Land in weiten Teilen verloren hat?
    Polenz: Wenn man im Iran zum Beispiel sich ansieht, die Stürmung der saudischen Botschaft, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass das ohne mindestens ein bewusstes Wegsehen der staatlichen Autoritäten möglich war. Ich glaube schon, dass der Iran sein Territorium kontrolliert, und was Saudi-Arabien angeht, da ist es sicherlich richtig, dass spätestens seit dem Arabischen Frühling das Herrscherhaus sehr nervös geworden ist. Es befürchtet sozusagen von innen wie von außen, in seiner Herrschaftsposition gefährdet zu werden. Von innen insbesondere durch die Schiiten, aber auch durch andere, die dem autoritären Regierungsstil Widerstand entgegensetzen, aus welchen Gründen und mit welcher Motivation auch immer, und von außen nimmt Saudi-Arabien die ganze Region so wahr, dass der Iran sozusagen auf dem Vormarsch ist, die Region dominieren will, und deshalb beispielsweise eben auch der Krieg im Jemen oder seinerzeit die Intervention in Bahrain.
    "Im Augenblick ist eben die Stimmung besonders angeheizt"
    Armbrüster: Was heißt das alles jetzt für den Krieg in Syrien? Da haben ja beide Länder eine Menge Karten, die sie spielen könnten, mit denen sie möglicherweise diesen Krieg auch einem Ende näherbringen können. Was heißt das jetzt, wenn sich diese beiden Schlüsselmächte so spinnefeind werden?
    Polenz: Spinnefeind sind sie im Grunde die letzten Jahre gewesen, es wurde immer schlimmer, und im Augenblick ist eben die Stimmung besonders angeheizt. Die Hoffnung, die man haben kann, ist, dass es gelingt, auch durch internationale Anstrengung – und das wäre jetzt auch die Frage, was kann Europa, was kann Deutschland tun, was kann der Westen tun, was ist unser Interesse –, zur Deeskalation beizutragen, denn wir haben natürlich ein Interesse daran, dass die Region zur Ruhe kommt, dass wir in Syrien ein Ende der kriegerischen Handlungen sehen, wenigstens das als Hoffnungszeichen für eine Beendigung des Konflikts auf Dauer. Das wird nur gelingen – und das bleibt als Grundkonstellation –, wenn die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Iran abnehmen, und im Augenblick nehmen sie eben eher zu.
    Armbrüster: Und die deutsche Außenpolitik, kann man hierbei sicher ganz offen sagen, war da in den vergangenen Jahren auf dem Holzweg.
    Polenz: Nein, die deutsche Außenpolitik hat ja sowohl, was den Iran angeht, in den Verhandlungen über das Nuklearprogramm versucht, einen Konflikt zu entschärfen. Das ist in diesem Kontext gelungen. Die deutsche Außenpolitik unterstützt auch den Wiener Prozess, wo die beide an einen Tisch kommen.
    Armbrüster: Aber Saudi-Arabien wurde als strategischer Partner hofiert.
    Polenz: Saudi-Arabien ist ein wichtiger Staat in der Region, ein wichtiger Akteur, und wir dürfen nicht vergessen, die ganze Region ist ja deshalb so bedeutsam, weil die Weltwirtschaft von den Öllieferungen aus dieser Region abhängt, insbesondere von denen aus Saudi-Arabien. Saudi-Arabien hat die Fähigkeit, es verfügt über ein Viertel der Weltölreserven, die Ölforderung zu drosseln und auch zu steigern, und sie hat von dieser Fähigkeit im Hinblick auf den Weltölpreis seit den 70er-Jahren ein verhältnismäßig verantwortlichen Gebrauch gemacht und die Weltwirtschaft nicht in größere Schwierigkeiten gebracht. Man stelle sich nur mal für einen Moment vor, IS wäre in der Lage, die saudischen Ölquellen zu kontrollieren, und würde das Öl als Waffe benutzen, das wäre eine Katastrophe für die Weltwirtschaft.
    "Ich bin grundsätzlich ein Anhänger einer Politik, keine Waffen in Krisengebieten"
    Armbrüster: Herr Polenz, dann die ganz klare Frage: Soll Deutschland weiterhin Waffen nach Saudi-Arabien exportieren?
    Polenz: Ich bin grundsätzlich ein Anhänger einer Politik, keine Waffen in Krisengebieten. Wir haben jetzt bei der Lieferung an Peschmerga im Norden des Irak davon eine Ausnahme gemacht, sind davon abgewichen aus Gründen, die mit dem Kampf gegen IS zu tun haben und der Unterstützung der Kurden. Ich glaube, die Frage nach Waffennachfrage in der Region hängt davon ab, ob es gelingt, die Spannung zu vermindern. Die Länder mit Rüstungswettläufen und hohen Waffenkäufen auf der Welt sind eben auch durch große Spannungen im Grunde gekennzeichnet, und deshalb ist die Region insgesamt so sehr auch hinter Waffen her. Sie verschärfen dann natürlich auch weiter die Spannung. Grundsätzlich bin ich der Meinung, Deutschland sollte hier sehr zurückhaltend sein. In der jetzigen Situation halte ich es aber auch für falsch, nun einseitig sich nur auf Saudi-Arabien wegen dieser Hinrichtung zu konzentrieren, über die man natürlich auch noch einiges Kritisches sagen müsste, nicht nur, weil wir gegen die Todesstrafe sind, man darf aber dabei eben nicht vergessen, der Iran hat im letzten Jahr 700 Menschen hingerichtet.
    Armbrüster: Höre ich es da jetzt richtig raus: Sie fordern in der aktuellen Kontroverse ein bisschen mehr Nachsicht mit Riad, mit Saudi-Arabien?
    Polenz: Nein, ich fordere einen Gesamtansatz. Es bringt in der Region des Nahen Ostens aus meiner Sicht gar nichts, sich nur auf einen Punkt zu konzentrieren und zu glauben, wenn man sich darauf fokussiert, löst man die verworrene Lage. Man muss immer auch die Gesamtlage im Blick haben. Übrigens, noch ein Punkt: Wir haben noch gar nicht über die Lage Israels gesprochen - auch aus dem Grund war ich immer sehr skeptisch etwa auch bei Waffenlieferungen an Saudi-Arabien.
    Armbrüster: Und wenn wir über die Gesamtlage sprechen, müssen wir dann nicht einfach festhalten, dass es in den vergangenen Jahren ein Fehler war, Waffen nach Saudi-Arabien zu liefern, auch wenn wir dieses Land möglicherweise als Partner verstehen, aber wir müssen gleichzeitig doch auch sagen, es ist schon seit Jahren Teil einer Krisenregion.
    Polenz: Das ist richtig. Auf der anderen Seite, wenn Sie jetzt die Ströme von Waffen in die Region ansehen, dann sind nach wie vor die größten Waffenlieferanten Russland und die USA, in umgekehrter Reihenfolge, aber mit wenig Abstand, und Russland rüstet den Iran und Syrien hoch und ist auch entsprechend in Syrien präsent. Die Amerikaner haben sehr viel an den Golf geliefert und nach Saudi-Arabien. Das, was Deutschland macht, spielt für die Frage der Konflikte eine vergleichsweise kleinere Rolle, aber Sie haben schon recht: Eine abgestimmte Rüstungskontrollpolitik für den Nahen Osten international, ein internationales Waffenembargo, wenn man dahin käme, das wäre ein großer Fortschritt, aber das sehe ich nicht. Im Gegenteil, es bleibt eine sehr kaufkräftige Nachfrage nach Waffen, und die kann man leider auf der Welt überall bekommen.
    "Das sind schwierige Prozesse"
    Armbrüster: Aber muss Deutschland diese Nachfrage denn unbedingt bedienen?
    Polenz: Nein, das tut Deutschland ja auch nicht in jedem Punkt, wo die Nachfrage da ist. Wir haben Schiffe geliefert, bei den Panzern ist die Diskussion noch im Gange. Ich wäre nicht dafür, sie zu liefern. Wie gesagt, ich plädiere für große Zurückhaltung, aber noch mal, man muss auch sehen, wie man die jeweiligen Gleichgewichte in der Region beeinflusst. Wenn Saudi-Arabien sich jetzt schon in die Ecke gedrängt fühlt durch den Iran, wie wird das Königreich reagieren, wenn es das Gefühl hat, es verliert jetzt auch noch Partner, mit denen es bisher zusammengearbeitet hat, also das sind schwierige Prozesse. Im Übrigen halte ich es für ganz wichtig, dass Deutschland und der Westen sich hier abstimmt und zu gemeinsamen Positionen findet. Alleine besteht sowieso nur sehr wenig Einfluss, und selbst wenn wir zu einer gemeinsamen Position finden, ist die Region so komplex und schwierig, dass auch das noch nicht ausreicht, um dieser Meinung oder dieser Linie zum Erfolg vor Ort zu verhelfen.
    Armbrüster: Was bedeuten die aktuellen Vorgänge im Nahen Osten für die deutsche Außenpolitik. Darüber habe ich in den vergangen Minuten gesprochen mit Ruprecht Polenz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Herr Polenz, für Ihre Zeit heute Morgen!
    Polenz: Danke, Herr Armbrüster!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.