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CDU-Außenpolitiker Wadephul zur NATO
Investieren, damit das Bündnis in zehn Jahren noch gut funktioniert

Die NATO sei das langlebigste, erfolgreichste Bündnis der Welt, sagte der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul im Dlf. Aber es brauche Investitionen und Reformen, damit das so bleibe. In der Diskussion um das Einstimmigkeitsprinzip sieht er einen "intelligenten Vorschlag" auf dem Tisch.

Johann Wadephul im Gespräch mit Dirk Müller |
Der CDU-Außenpolitiker Dr. Johann Wadepuhl in einer Porträtaufnahme
"Die NATO funktioniert heute militärisch sehr gut", sagte der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul im Dlf (imago images / Agentur 54 Grad / Christian Schaffrath)
In den vergangenen Jahren fiel die NATO immer wieder durch Streit und Uneinigkeit auf. Sei es wegen US-Präsident Donald Trump, der plötzlich amerikanische Truppen aus Deutschland abzog, der Türkei, die in Nordsyrien einmarschierte oder der verwirrenden Afghanistan-Politik. Ist die NATO also wirklich hirntot, so wie es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor vielen Monaten gesagt hat? Viele Staats- und Regierungschefs waren über diese Äußerung aus Paris nicht erfreut. Eins scheint bei nahezu allen Beteiligten aber unstrittig: Die NATO braucht Reformen. Und auch die Forderungen nach mehr Ausgaben für Verteidigung werden immer lauter. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg fordert das.
Abzug der US-Truppen - Merz (CDU): "USA sind nicht das Inkassobüro der NATO"Donald Trump reagiere spontan und emotional, kritisierte der CDU-Politiker Friedrich Merz den geplanten Abzug von 12.000 US-Soldaten aus Deutschland. Auf der Ebene der Verteidigungsminister sei das Verhältnis sachlich und vertrauensvoll. Dennoch sei die Entscheidung ein "Weckruf für Europa".
Das Papier "NATO 2030: Einig in eine neue Ära" listet daher gut 140 Ratschläge, die die NATO in Zukunft stärken könnten. Unter anderen wird darin empfohlen, das Einstimmigkeitsprinzip aufzuweichen, um schneller Entscheidungen herbeizuführen.
Der CDU-Außenpolitiker und stellvertretende Fraktionschef der Unions-Fraktion im Bundestag, Johann Wadephul, hält das für eine gute Idee.
Dirk Müller: Geht es doch vor allem um mehr Geld?
Johann Wadephul: Na ja, es geht auch um mehr Geld, denn das ist zugesagt, das ist vereinbart.
Müller: Wird aber nicht eingehalten.
Wadephul: Genau. Dazu hat Deutschland sich verpflichtet in Wales, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, zehn Prozent der Fähigkeiten beizusteuern. Das machen wir nicht, das machen andere europäische Staaten auch nicht. Insofern ist es richtig, was gerade vor Klein gesagt hat. Es gibt in Amerika die Sorge, in den Vereinigten Staaten die Sorge, dass Europa nicht genug beiträgt. Gleichzeitig haben wir die Sorge, dass Amerika uns verlässt, und das können wir nur ändern – und wir haben eine riesen Chance, mit der Biden-Administration neu anzusetzen -, indem wir einfach das tun, wozu wir uns verpflichtet haben und dann zu den Amerikanern sagen, bleibt auch dabei.
"Der Verteidigungs-Etat muss steigen"
Müller: Aber dafür brauchten Sie nicht auf Joe Biden warten. Donald Trump hat auch gesagt, wir brauchen mehr Geld in der NATO.
Wadephul: Vollkommen richtig! Vollkommen richtig! Ich habe auch zu denjenigen gehört, die immer gesagt haben, nur weil Trump es gesagt hat, sei es falsch. Nein, es war richtig. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben unter Obama, unter Trump und werden auch unter Biden von uns verlangen, mehr zu investieren. Der Verteidigungs-Etat muss steigen, auch jetzt in schwierigen Zeiten, auch wenn die Belastungen durch Corona natürlich größer werden. Sonst werden wir das Bündnis nicht am Leben erhalten.
Müller: Ist das eine Art Vertragsbruch?
Wadephul: Soweit würde ich nicht gehen, weil es ja nicht im NATO-Vertrag festgelegt ist. Aber es geht an die Grundfesten und wer sich gegenüber neuen Herausforderungen wappnen will – und das ist ja gerade angesprochen worden -, China, Cyber, sogar der Weltraum und so weiter, die Sahelzone, die uns sehr interessiert, wo wir uns auch engagieren, der muss dafür die entsprechenden Fähigkeiten zur Verfügung haben. Und ich muss sagen, die NATO funktioniert heute militärisch sehr gut. Damit sie aber in zehn Jahren auch noch sehr gut funktioniert, braucht sie mehr Investitionen, und sie braucht, das ist richtig – Thomas de Maiziére hat da einen hervorragenden Prozess angestoßen -, auch eine Diskussion über die Politik, die Entscheidungsfindung im Bündnis.
Müller: Sie sagen, Herr Wadephul, die NATO funktioniert militärisch ganz gut. Aber nicht, wenn die Bundeswehr mit ihrer Ausrüstung beteiligt ist. Dann klappt es nicht so gut.
Wadephul: Doch, sie funktioniert.
Müller: Woran liegt das?
Wadephul: Nein, nein, sie funktioniert. Das militärische Bündnis NATO läuft tagtäglich wie am Schnürchen. Es ist das erfolgreichste, langlebigste und jetzt hoffentlich auch reformfähige Bündnis, was es gibt auf der Welt. Dazu trägt auch die Bundeswehr mit hervorragendem Material und vor allen Dingen hervorragenden Soldatinnen und Soldaten bei.
"Ich bin der Letzte, der Ausrüstungsmängel bestreitet"
Müller: Diese Ausrüstungsdefizite stimmen nicht?
Wadephul: Natürlich stimmen die Ausrüstungsdefizite. Aber das, was wir stellen, beispielsweise in den Kräften, die jetzt in der Reaktion auf die Krim-Annexion die Ostflanke stärken, die WTTF-Kräfte, die wir dort stellen, das ist hervorragendes Material. Das sind tolle Soldatinnen und Soldaten. Auch das, was wir in Afghanistan jetzt 20 Jahre geleistet haben - neigt sich jetzt dem Ende entgegen, wird auch ein Thema jetzt sein auf dem Außenminister-Treffen -, das sind hervorragende militärische Leistungen, die von der Bundeswehr erbracht worden sind, die wir jeden Tag erbringen. Ich bin der Letzte, der Ausrüstungsmängel bestreitet. Es gibt eklatante Ausrüstungsmängel in der Bundeswehr, das ist völlig unbestreitbar. Trotzdem leistet die Bundeswehr jeden Tag Hervorragendes und wir leben seit dem Zweiten Weltkrieg in Frieden und Freiheit und dazu hat die Bundeswehr, die NATO den herausragenden Beitrag geleistet.
NATO-General a.D. zu Afghanistan - "Ich hoffe, dass die Amerikaner nicht so schnell abziehen"
In Afghanistan seien die US-Truppen die "Möglichmacher" des Einsatzes, sagte der ehemalige NATO-General Egon Ramms im Dlf. Sollten sie, wie von US-Präsident Donald Trump geplant, abziehen, bliebe den restlichen Truppen nichts anderes übrig, als selbst das Land zu verlassen.
Müller: Sie haben gerade das Stichwort Afghanistan genannt, die Auseinandersetzung mit den USA, mit Donald Trump über den möglichen vorzeitigen Rückzug, der eingeleitet ist, aber noch nicht ganz vollendet. Dann sagen Sie, 20 Jahre Afghanistan, das ist ein Erfolg. Wo sehen Sie da einen Erfolg?
Wadephul: Na ja. Dieses Land versank im absoluten Chaos, in der Steinzeit. Es gab ein wirklich menschenunwürdiges Regime, wie wir es selten, vielleicht noch bei den Roten Khmer in Kambodscha früher einmal gesehen haben auf dieser Welt. Schwerste Misshandlungen - insbesondere von Frauen. Das ist nicht alles auf einen Standard gehoben, wie wir ihn bei uns kennen, aber das ist doch weitgehend beendet worden. Wir haben insbesondere terroristische Gefahren gehabt. 9.11 kennt jeder eigentlich. Das hat seinen Ursprung in Afghanistan gehabt. Das gibt es in der Form nicht mehr.
"Soldatinnen und Soldaten haben großes geleistet in Afghanistan"
Müller: Aber die Taliban sind immer noch im Geschäft, mehr denn je!
Wadephul: Na ja, gut. Die Taliban gibt es nach wie vor. Sie sind ein politischer Faktor. Das muss man in der Tat konzedieren.
Müller: Es gibt auch noch Anschläge, nicht nur politisch.
Wadephul: Ja, natürlich. Ich sage ja: Das Land – und das ist wahrscheinlich auch im Ergebnis natürlich nicht erreichbar – wird nicht einen westlichen oder westeuropäischen Standard erreichen. Das ist manchmal eine Vorstellung vielleicht gewesen. Aber die Taliban von heute sind auch nicht mehr die Taliban von vor 20 Jahren. Sie haben sich gewandelt. Ich will sie nicht an unseren Maßstäben messen. Nur wenn wir sehen, wie die Verhandlungen jetzt laufen, dann sagen uns alle, die diese Gespräche dort führen, alle Diplomaten, alle Politiker, die die Gespräche führen, dann sind das am Ende rational handelnde Personen und dann gibt es die Chance, einen Friedensvertrag zu erreichen, der ein Mindestmaß an humanitären Maßstäben in dem Land am Ende walten lässt und der erwarten lässt, dass dieses Land nicht erneut ein Hort des Terrorismus wird.
Insofern haben alle Soldatinnen und Soldaten, die dort gedient haben – und wir denken natürlich insbesondere an die Verletzten und auch Gefallenen mit besonderer Hingabe; das sage ich nicht einfach so dahin, sondern es beschwert uns jeden Tag und lässt uns auch bei keiner Verlängerung des Mandates ruhen, darüber nachzudenken -, die haben Großes geleistet.
Müller: Verhandlungen mit den Taliban, weil es nicht anders ging, weil diese Gruppierung immer noch so stark ist, dass sie Afghanistan außerhalb Kabuls fast überall dominiert. Das ist ja Realpolitik und keine Wunschpolitik.
Wadephul: Na ja. Politik beginnt immer mit der Betrachtung der Realität und Wunschpolitik kann man auf dieser Welt immer weniger machen. Das kann man weder dort machen, noch können Sie es in Karabach machen, noch können Sie es in der Sahelzone machen, noch können Sie es in Libyen machen. Als Außenpolitiker bin ich gewohnt, mich mit Realitäten auseinanderzusetzen und Kräfte, politische Kräfte zur Kenntnis zu nehmen, die militärischer vorgehen, die menschenverachtender vorgehen, als ich das für richtig halte, die nicht so demokratisch organisiert sind. Das ist so auf dieser Welt. Trotzdem ist das ein Einsatz gewesen und ist es nach wie vor, und ich denke, wir können ihn jetzt zu einem vernünftigen Ende bringen. Irgendwann muss natürlich der Einsatz auch einmal beendet werden, der erreichen kann, dass ein Friedenszustand in einem wirklich sehr geschundenen Land gefunden wird. Das wird ein Verdienst der westlichen Welt und insbesondere auch der Kräfte aus Deutschland bleiben, denn wir sind am längsten an der Seite der Amerikaner dort aktiv gewesen. Das übrigens wird in den Vereinigten Staaten sehr honoriert.
Aufnahmen nach einer Bombenattacke in Kabul am 9. September
Friedensverhandlungen in Afghanistan "Wer unter 50 Jahren alt ist, weiß nicht, was Frieden ist"
Die Mehrheit der Männer in Afghanistan sei davon überzeugt, dass es ohne Kooperation mit den Taliban keine stabilen Verhältnisse geben wird, sagte Reinhard Erös, Gründer und Leiter der Kinderhilfe Afghanistan, im Dlf.
"NATO muss hier in der Entscheidungsfähigkeit vorangehen"
Müller: Herr Wadephul, noch ein Punkt. Zum Thema Reformen waren wir ursprünglich verabredet. Dazu kommen wir jetzt noch zum Schluss. Einschränkungen der Vetomöglichkeiten, das haben wir gehört. Thomas de Maiziére hat das genannt. Weg vom Einstimmigkeitsprinzip, die ähnliche Diskussion wie in der Europäischen Union. Da sagt der Außenminister, vollkommen unrealistisch. Sie haben eben das Stichwort Realpolitik genannt. Ist das ein Ziel beziehungsweise ein Vorschlag, der ernst zu nehmen ist, an dem gearbeitet werden soll?
Wadephul: Ja, das ist ein ernst zu nehmender Vorschlag. Ich bin Thomas de Maiziére sehr dankbar, dass er ihn gemacht hat, und ich muss sagen, ich finde die Stellungnahme des Außenministers dazu mutlos. Das ist nicht nötig, zu einem so frühen Zeitpunkt hier Wasser in den Wein zu gießen. Das wird schwer, aber wir sind ein Bündnis von 30 Staaten und wir können uns nicht davon abhängig machen, dass jeder immer mit allem einverstanden ist. Vielleicht möchte auch gar nicht jeder immer dazu gezwungen werden, positiv zuzustimmen. Die Reformkommission hat ja einen intelligenten Vorschlag gemacht, dass man das wandeln könnte in eine Vetomöglichkeit und nicht jedes Mal eine positive Zustimmung erforderlich ist. Die NATO muss hier in der Entscheidungsfähigkeit vorangehen. Sie ist natürlich nicht die EU, aber sie muss wie die EU handlungsfähiger werden.
Müller: Das werden die Trouble Maker wie die Türkei beispielsweise, um die es häufig geht, dann einfach zulassen?
Wadephul: Das würde ja gerade bedeuten, dass auch die relative Bedeutung eines Einzelstaates, meinetwegen auch der Türkei, kann aber auch mal für andere Staaten gelten, geringer werden würde. Wir werden ohnehin mit der Türkei Grundsatzdebatten führen müssen. Ich bin dringend dafür, die Türkei in der NATO zu belassen. Die Nordostflanke der NATO ist ja nicht weniger gefährlich geworden, wenn Sie nach Syrien und Irak blicken. Aber die NATO ist trotzdem auch ein Bündnis, was Grundsätze und Maßstäbe hat, und wenn ich sehe, wie die Türkei in vergangener Zeit operiert, nicht nur in Libyen, auch in Karabach, dann müssen wir Sachen klären. Wenn dort Söldner angeheuert werden, dann hat das mit Kriegsvölkerrecht nichts mehr zu tun, und das passt nicht zur NATO. Das muss mit der Türkei besprochen werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.