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CDU-Bildungspolitikerin Prien
"Zentralabitur ist kein Abi auf hohem Niveau"

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hat eine bessere Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse gefordert. Dies sei aber ureigene Aufgabe der Länder, sagte sie im Dlf. Mit einem Zentralabitur sei vertiefte, qualitätsvolle Bildung nicht zu erreichen.

Karin Prien im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Totale von oben auf Abiturienten in der Aula vor dem Beginn der schriftlichen Englisch-Prüfung
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Prien fordert eine bessere Vergleichbarkeit der Abiturabschlüsse zwischen den Ländern (dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck)
Christoph Heinemann: Jahreszeitlich bedingt leeren sich in Deutschland gerade die Schulen. Das Zauberwort heißt Ferien - was nicht bedeutet, dass auch die Schulpolitik verstummen würde. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat gesagt, er halte den Bildungswettbewerb zwischen 16 Bundesländern für aus der Zeit gefallen. Zuvor hatte Anja Karliczek, CDU, die Länder zu raschen Schritten für die Einführung eines Zentralabiturs aufgefordert. Unterstützung bekam die Bundesbildungsministerin von Andreas Schleicher. Er ist Bildungsdirektor der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und er gab zu Protokoll: Ein Abitur auf Landesebene macht genauso wenig Sinn, wie dass jeder Provinzfürst seine eigene Währung druckt. Angestoßen hatte die Debatte Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann, ebenfalls CDU. Sie meint, in Deutschland würden innerhalb von fünf bis zehn Jahren ein zentrales Abitur und auch für andere Schulabschlüssen zentrale Prüfungen benötigt. Nicht ihrer Meinung ist ihre Parteifreundin Karin Prien, die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein. Guten Morgen!
Karin Prien: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Heinemann: Frau Prien, was spricht gegen ein Zentralabitur?
Prien: Ich finde, man muss sich in der Politik, wenn man vorankommen will, realistische Ziele setzen. Und dass wir mehr Vergleichbarkeit und mehr Transparenz in der Bildungspolitik, insbesondere auch bei den Bildungsabschlüssen, sowohl beim Abitur, als auch bei den mittleren Abschlüssen, brauchen, ist unbestritten. Aber das geradezu auf die lange Bank zu schieben und zu sagen, wir brauchen so etwas in fünf bis zehn Jahren, wird der eigentlichen Notwendigkeit nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat uns gesagt, wir müssen ab 2021 die Vergleichbarkeit des Abiturs bewerkstelligen in Deutschland, und deshalb müssen wir jetzt daran arbeiten und uns nicht hehre Ziele setzen für 2030. Wir müssen jetzt fleißig da weiterarbeiten, dass die Vergleichbarkeit besser wird.
Heinemann: Wäre nicht die beste Vergleichbarkeit ein Zentralabitur?
Prien: Wenn Sie mit Zentralabitur ein in Berlin konzipiertes Abitur meinen, dann wäre meine Antwort klar: Nein. Ich glaube, wir sind unter dem Strich mit dem Bildungsföderalismus in Deutschland, mit der Tradition, die wir an dieser Stelle haben, gut gefahren. Der Wettbewerb der Bildungssysteme in den Bundesländern, das bewerte ich auch grundsätzlich anders als Herr Schleicher, ist eher etwas, was unser Bildungssystem immer wieder stark gemacht hat. Und deshalb glaube ich: Nein. Es ist Aufgabe der Bundesländer, sich auf gemeinsame Prüfungsaufgaben zu verständigen, und es ist nicht Aufgabe des Bundes.
Heinemann: Also Ihnen geht es darum: Sie lehnen nicht das Zentralabitur ab, Sie lehnen nur die Zuständigkeit des Bundes dafür ab.
Prien: Ja! Mir geht es darum, dass es ureigene Aufgabe der Bundesländer ist, sich jetzt - und zwar sehr schnell - auf mehr Einheitlichkeit, mehr Vergleichbarkeit bei den Abituraufgaben zu verständigen. Daran arbeiten wir ja übrigens seit einigen Jahren intensiv. Wir werden ab 2021 eine ganz andere Art von gemeinsamen Abituraufgaben haben, eine ganz andere Art von Vergleichbarkeit. Und daran sollten wir jetzt weiterarbeiten und nicht eine Diskussion aufmachen über ein Zentralabitur, das ja mit dem Bildungsföderalismus gar nicht vereinbar wäre. Ich sehe niemanden, der ernsthaft unsere Verfassung dahingehend ändern wollte, den Bildungsföderalismus abzuschaffen.
Heinemann: Noch mal zum Verständnis, heißt das gleiche Prüfungen in Kiel und München?
Prien: Das heißt vergleichbare Prüfungen. Wir brauchen ein gerechtes Abitur, wir brauchen ein vergleichbares Abitur - aber wir brauchen nicht überall, in allen Fächern die gleichen Aufgaben.
Heinemann: Warum nicht?
Prien: Weil wir ein Bildungssystem haben, in dem wir ganz bewusst uns dafür entschieden haben, auf regionale Besonderheiten im Wettbewerb Rücksicht zu nehmen. Wir haben eben nicht das gleiche Bildungssystem in 16 Ländern, sondern wir stehen in ständigem Wettbewerb um das beste Bildungssystem - und daran sollten wir auch festhalten. Und das heißt dann eben auch, dass Besonderheiten in den Ländern, in dem Schulsystem möglich sind, dass wir sie sogar positiv bewerten. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Bildungsstandards die gleichen sind und dass danach auch die Vergleichbarkeit der Abituraufgaben und eben auch der übrigen Abschlüsse gegeben ist.
Vorteile des Bildungsföderalismus
Heinemann: Regionale Besonderheiten sagen Sie, Frau Prien. Gibt es einen spezifisch schleswig-holsteinischen Ansatz zur Stochastik oder zur Geometrie?
Prien: Es gibt tatsächlich etwa Meinungsunterschiede zwischen den Bundesländern, auch zwischen Schleswig-Holstein und anderen Bundesländern - etwa mit welchen Taschenrechnern Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe arbeiten sollten in dem Bereich der Abituraufgaben, der mit Hilfsmitteln bearbeitet wird. Ja, da gibt es Unterschiede - und die gibt es auch mit gutem Grund. Und natürlich spielt bei uns Theodor Storm oder Emil Nolde eine andere Rolle als in Bayern. Natürlich gibt es Unterschiede, natürlich ist die Windenergie ein Thema, das an unseren Schulen, übrigens ebenso wie die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung spielt bei uns eine andere Rolle als in anderen Bundesländern. Und diese Besonderheiten, die sollten wir uns auch weiter leisten können.
Heinemann: Auf ein Ergebnis weist jetzt die Wochenzeitung "Die Zeit" hin: Niedersächsische Schülerinnen und Schüler waren in diesem Jahr im Schnitt eine Drittelnote schlechter als thüringische. Fällt Ihnen ein Grund ein, warum junge Leute in Hannover weniger klug sein sollten als in Erfurt?
Prien: Nein. Und das ist, glaube ich, der zentrale Punkt. Damit muss Schluss sein. Ich bin mit Frau Eisenmann, der Kollegin, und auch mit vielen anderen Kollegen absolut einig, dass wir damit aufhören müssen. Das Abitur muss vergleichbar sein, dass darf in Thüringen nicht leichter sein als in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein. Das können wir durch eine konsequente Vereinheitlichung der Abiturprüfungsbedingungen unter den Ländern erreichen - und das müssen wir auch erreichen. Deshalb sollten wir uns jetzt darauf konzentrieren, die Staatsvertragsverhandlungen, die wir ja im Moment gerade führen, zu einem Erfolg zu führen. Wir brauchen mehr Vergleichbarkeit im Bildungssystem, aber das ist ureigene Aufgabe der Länder und die müssen sie jetzt verantwortlich wahrnehmen.
Zentralabitur ist "kleinster gemeinsamer Nenner"
Heinemann: Diese Vergleichbarkeit wird nie zu 100 Prozent gewährleistet sein, wenn es nicht die gleichen Aufgaben und die gleichen Fragen überall geben wird. Eine Folge ist, dass Schülerinnen und Schüler, die in Hannover Abitur gemacht haben, schwieriger an begehrte Studienplätze kommen als diejenigen in Erfurt. Womit haben die das verdient?
Prien: Eine hundertprozentige Gleichheit eines Schulsystem werden wir nie erreichen.
Heinemann: Warum nicht?
Prien: Weil, Sie haben ja schon innerhalb eines Bundeslandes erhebliche Unterschiede. Lehrer sind keine Maschinen, die in jeder Stunde an jedem Tag in jeder Schule das Gleiche unterrichten würden. Das ist auch eine Vorstellung von Schule, die ich ziemlich schrecklich fände. Insofern ist dieser absolute Gleichheitsanspruch ein falscher. Aber noch mal: Gerechtigkeit bedeutet, dass natürlich das Abitur nicht grundsätzlich in Thüringen besser ausfallen kann als in Niedersachsen oder auch Schleswig-Holstein, wo das Abitur ja auch traditionell sehr streng bewertet wird. Insofern brauchen wir Vergleichbarkeit auf hohem Niveau. Das ist übrigens noch so ein anderer Punkt. Diejenigen, die jetzt von einem Zentralabitur, möglichst noch vom Bund konzipiert, träumen, müssen sich doch darüber im Klaren sein, dass das kein Abitur sein wird auf hohem Niveau, sondern das würde sozusagen den kleinsten gemeinsamen Nenner bedeuten. Auch daran können diejenigen kein Interesse haben, die ein qualitätsvolles, niveauvolles Abitur für erforderlich halten. Und im Übrigen warne ich auch vor einem "teaching to the test", das mit zentralen Aufgaben häufig einhergeht. Ich wünsche mir mehr vertiefte, qualitätsvolle Bildung, insbesondere auch in unseren Oberstufen an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen - und das wird man mit einem Zentralabitur aus Berlin sicher nicht erreichen.
Heinemann: Wieso sollte Zentralabitur automatisch eine Korrektur nach unten bedeuten?
Prien: Weil es die Erfahrung ist. Wir müssten uns ja irgendwie auf gemeinsame Standards ...
Heinemann: Das könnten doch die von Bayern oder von Sachsen sein.
Prien: Ja, von mir aus sehr gerne. Aber dafür müssten wir eine Einigkeit in der Bundesrepublik erzielen, und das ist ein völlig unrealistisches Szenario. Deshalb noch mal, lassen Sie uns als Länder darauf konzentrieren, zu erreichen, dass der Aufgabenpool möglichst ab 2021 nahezu alle Modifikationsmöglichkeiten ausschließt und im Übrigen auch die Verbindlichkeit der Aufgabenentnahme vereinbart wird. Allerdings muss man da aus meiner Sicht nicht zu 100 Prozent realisieren, es wäre schon ein großer Erfolg, wenn wir uns darauf verständigen können, dass 50 Prozent der Aufgaben aus dem Aufgabenpool im Abitur in den Kernfächern entnommen werden müssen.
Heinemann: Danke schön für das Gespräch!
Prien: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.