
Nach den Wahlen soll es schnell gehen mit der Regierungsbildung: Nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Sondierungen wollen Union und SPD mit offiziellen Koalitionsverhandlungen beginnen. Die Parteigremien von CDU, CSU und SPD gaben dazu ihre Zustimmung.
In 16 Arbeitsgruppen wird laut CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ab dem 13. März verhandelt - in zehn Tagen soll demnach ein Ergebnis stehen. In den Sondierungen habe man "nicht alle Themen in aller Tiefe verabredet", sagte die Co-Vorsitzende Saskia Esken. Bis Ostern möchte CDU-Chef Friedrich Merz eine Regierung bilden und zum Kanzler gewählt werden. Kontroversen gab und gibt es noch bei einer ganzen Reihe von Themen zwischen den Unionsparteien und den Sozialdemokraten.
Bei der geplanten Grundgesetz-Änderung für schuldenfinanzierte Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur müssen Schwarz und Rot noch die Grünen überzeugen. Es gibt zudem Streit darüber, weil nicht der am 23. Februar neugewählte, sondern noch der alte Bundestag darüber abstimmen soll. Die AfD klagt dagegen in Karlsruhe. Auch die Linke, die im neuen Bundestag zum Zünglein an der Waage für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit werden könnte, erwägt rechtliche Schritte.
Ist ein Kompromiss in der Migrationspolitik erreichbar?
Nach den Anschlägen in Magdeburg, Aschaffenburg und München dominierte die Migrations- und Asylpolitik den Bundestagswahlkampf – und hier könnte es auch in den nun anstehenden Koalitionsverhandlungen noch einigen Streit geben.
Im Sondierungspapier verständigten sich Union und SPD unter anderem darauf, dass es "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen" geben könne. Die Parteien wollen alle rechtstaatlichen Maßnahmen ergreifen, "um die irreguläre Migration zu reduzieren". Auch eine "Rückführungsoffensive" ist geplant. Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten soll befristet ausgesetzt werden.
Die SPD versteht das Sondierungsergebnis anders als die Union. Jens Spahn (CDU) sagte, "Abstimmung" erfordere nicht Zustimmung, notfalls könne auch gegen den Willen der Nachbarländer gehandelt werden.
SPD-Co-Chefin Saskia Esken interpretiert die Passage im Sondierungspapier hingegen strenger. "Wir haben was anderes vereinbart, und dabei bleiben wir auch", sagte sie mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen. Man müsse auf europäischer Ebene näher zusammenkommen, statt "mit dem Kopf durch die Wand zu gehen", sagte Esken. "Das halte ich für brandgefährlich und werde auch ganz klar dagegenhalten, wenn es weiter debattiert wird."
Eine Zurückweisung von Menschen an der bundesdeutschen Grenze verstoße - selbst in Absprache mit den jeweiligen Nachbarländern - gegen das Europarecht, teilte die Organisation Pro Asyl mit.
Haushaltsfinanzierung und Debatte um Schuldenbremse
Die SPD hat sich in ihrem Wahlprogramm für eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen. Die Union betonte hingegen, an der schwarzen Null festhalten zu wollen. Wie CDU und CSU die immensen Haushaltsausgaben finanzieren wollen, blieb in ihrem Wahlprogramm vage: Sie gaben an, dass ein höheres Wirtschaftswachstum ausreichend Geld in die Staatskassen bringt – außerdem setzten sie auf Einsparungen beim Bürgergeld und bei Flüchtlingen.
Bei den Sondierungen rückte die Union deutlich von ihrer bisherigen Position ab. Mit einem schuldenfinanzierten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro soll Deutschland "wieder in Form" gebracht werden, heißt es im Sondierungspapier – durch Investitionen in Straßen, Schienen, Bildung, Digitalisierung, Energie und Gesundheit. Für alle Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, soll die Schuldenbremse ausgesetzt werden.
Um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu reformieren, sind in Bundestag und Bundesrat Zwei-Drittel-Mehrheiten erforderlich. Die Grünen wollen den Plänen von Union und SPD in der jetzigen Form nicht zustimmen. Im alten Bundestag würden ihre Stimmen aber gebraucht. Im neuen Bundestag könnte es noch schwieriger werden, weil durch die Sitzverteilung die AfD und Linke eine sogenannte Sperrminorität haben.
In der Union sehen viele den Schwenk von CDU-Chef Merz hin zur massiven Aufnahme neuer Schulden kritisch. Der CDU-Wirtschaftsrat warnte vor Verschwendung. Abgeordnete wie Tilman Kuban und Julia Klöckner forderten mehr Zugeständnisse der SPD. Ex-CSU-Chef Horst Seehofer wurde besonders deutlich und warf Merz "Wortbruch" vor.
Bürgergeld, Mindestlohn und Steuerpolitik
Recht unterschiedliche Vorstellungen hatten CDU/CSU und SPD im Wahlkampf auch bei der Sozialpolitik. Nunmehr verständigten sich die Parteien im Sondierungspapier darauf, dass das bisherige Bürgergeldsystem zu einer "neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende" umgewandelt werden soll.
Über den gesetzlichen Mindestlohn soll weiterhin eine "starke und unabhängige Mindestlohnkommission" entscheiden: "Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar."
Beim Sozialen gibt es Forderungen nach Änderungen aus der SPD. "In den Koalitionsverhandlungen muss hier dringend nachgebessert werden, damit eine Zustimmung der SPD möglich ist", sagte der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Tim Klüssendorf. Generalsekretär Matthias Miersch räumte ein, die Sondierungen seien bereits "nicht ganz einfach" gewesen. Die Koalitionsverhandlungen könnten durchaus auch scheitern - zumal am Ende die Parteibasis entscheidet.
In der Steuerpolitik soll die "breite Mittelschicht" laut Sondierungspapier entlastet werden. Geplant ist eine Reform der Einkommensteuer. Außerdem soll die Pendlerpauschale in der Steuererklärung erhöht werden. Eine Unternehmenssteuerreform ist geplant. An diesen Punkten sind die bisherigen Vereinbarungen eher allgemein, weshalb in den Koalitionsverhandlungen noch viel Arbeit ansteht.
Energie, Klima und Verbraucher
Das Energieangebot soll gesteigert werden - wobei vage bleibt, wie das kurzfristig gelingen könnte. Der Bau neuer Gaskraftwerke ist geplant. Bei den Energiekosten soll die Stromsteuer um fünf Cent pro Kilowattstunde "auf das europäische Mindestmaß" gesenkt werden. Das Bekenntnis zu den deutschen Klimazielen ist im Sondierungspapier enthalten, aber gibt es nur wenige Maßnahmen, mit denen dieses Ziel auch hinterlegt wird.
Den Landwirten wollen Union und SPD "den Rücken stärken". Deshalb soll die Agrardiesel-Rückvergütung wieder vollständig eingeführt werden. Um Gastronomie und Verbraucher zu entlasten, soll die Umsatzsteuer für Speisen dauerhaft auf sieben Prozent sinken.
Ungeklärte und nicht erwähnte Themen
Das Cannabisgesetz der Ampel oder die Wahlrechtsreform - beides wollte die Union eigentlich wieder rückgängig machen - spielten bei den Gesprächen bisher offenbar keine zentrale Rolle. Zum Wahlrecht heißt es sehr knapp im Sondierungspapier: "Wir prüfen eine erneute Reform des Wahlrechts." Das Thema ist seit Jahren politisch und juristisch umstritten.
Die Mietpreisbremse wollen die möglichen zukünftigen Koalitionäre "zunächst für zwei Jahre verlängern". Ansonsten sind die Aussagen zum Thema Mieten und Wohnen sehr allgemein.
Das von der Ampel-Koalition reformierte Staatsangehörigkeitsrecht soll hingegen weiter Bestand haben. Zum Deutschlandticket, dessen Fortbestand in den letzten Monaten aus den Reihen der Union angezweifelt worden war, heißt es im Sondierungspapier: "Wir beraten über die Fortsetzung des Deutschlandtickets sowie den Ausbau und die Modernisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs." Eine Einigung steht hier also bisher noch aus.
Hinzu kommt, dass sich in nahezu allen Politikfeldern Experten, Lobbyverbände und andere politische Parteien zu Wort melden. Sie fordern Änderungen und Korrekturen an den Sondierungsergebnissen. Union und SPD haben noch viel Arbeit vor sich, bis ein Koalitionsvertrag fertig ist.
lkn, cp, tei