Tobias Armbrüster: Für Großbritannien sind das entscheidende Wochen. Im Laufe dieses Sommers muss sich das Land mit der EU über den Brexit einig werden. Theresa May, die Premierministerin in London, die hat deshalb schon vor einer Woche Leitlinien festgelegt. Mehrere Regierungsmitglieder haben daraufhin ihren Rücktritt erklärt. Es hat also ziemlich gekracht in London.
Gestern hat Theresa May ihre Pläne dann noch einmal konkretisiert - in einem Weißbuch in einem White Paper -, und was ihr jetzt vorschwebt, das ist eine Freihandelszone mit der EU. Großbritannien und die EU bilden einen gemeinsamen Wirtschaftsraum, in dem Waren, wohl gemerkt, Waren, nichts anderes, frei gehandelt werden können.
Das Ganze ist gedacht als konkreter Vorschlag an die Europäische Union, und aus London heißt es jetzt, man warte auf eine positive Antwort aus Brüssel. Wir wollen mal nachhören beim Brexit-Beauftragten der Europäischen Volkspartei. Das ist Elmar Brok von der CDU. Schönen guten Morgen!
Vernünftige Grundlage für Verhandlungen
Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Brok, ist das ein gutes Angebot, was Theresa May da gemacht hat?
Brok: Sie soll jetzt mal nichts auf eilig machen. Wir haben anderthalb Jahre auf ihre Position gewartet. Jetzt können wir darüber konkret verhandeln und ich glaube, dass das ein Vorschlag ist, den man nicht so eins zu eins nehmen kann, aber der doch eine gute Verhandlungsgrundlage ist. Es ist nicht der Anspruch, in einem Binnenmarkt zu sein, sondern in den Bereichen, wo wir gemeinsame Standards haben - zurzeit haben wir in allen Bereichen gemeinsame Standards, da Großbritannien noch Mitglied der Europäischen Union ist -, vollen Marktzugang gegenseitig zu gewähren. Allerdings sagt Großbritannien in dem Papier, das Unterhaus ist durchaus berechtigt, auch andere Standards etwa zum Verbraucherschutz und so was festzulegen. Dann verändert sich das. Aber das hat auch Theresa May eingesehen. Sie hat gesagt, je mehr wir unterschiedliche Standards machen, desto weniger Marktzugang werden wir haben, so dass das, glaube ich, eine vernünftige Grundlage für Verhandlungen ist.
"Eine wirkliche Zollunion wäre sicherlich hilfreich"
Armbrüster: Das heißt, Theresa May - kann man das so festhalten - hat mit diesem Weißbuch schon mal einen guten Schritt getan, einen Schritt auf Richtung Brüssel zu?
Brok: Ich glaube ja, dass das eine Linie sein könnte, wo wir sagen können, das ist die Grundlage für die zukünftigen Beziehungen. Sie sprachen ja auch andere Vorschläge noch an, die beispielsweise über die innere und äußere Sicherheit gehen. Es gibt die Fragen, wie insgesamt die Beziehungen auch institutionell gelagert sein sollen. Schwierig wird allerdings der Vorschlag sein, wo sie von einer Art Zollvereinbarung reden. Das heißt, dass sie demnächst an ihren Außengrenzen auch unsere Zölle kassieren und weitergeben. Damit wollen sie vermeiden, dass Kontrollen zwischen Nordirland und Irland stattfinden. Da wissen wir noch nicht, ob so was funktionieren kann. Da gibt es doch erhebliche Zweifel, ob das ausreichend ist und ob das praktikabel überhaupt ist, und das muss man im Einzelnen diskutieren. Eine wirkliche Zollunion wäre da sicherlich hilfreich.
"Gültigen Vertrag verhandeln bis Dezember 2020"
Armbrüster: Sie sagt, keine Zollunion, aber ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, eine Freihandelszone. Ich höre leichte positive Tendenzen aus dem, was Sie sagen. Ich versuche, das heute Morgen ein bisschen einzuordnen, Herr Brok. Kann man sagen, nachdem die EU tatsächlich anderthalb Jahre gewartet hat, ist das, was da jetzt aus London gekommen ist, ein Durchbruch?
Brok: Darüber ist noch nicht gesprochen worden, aber das könnte wirklich einer sein.
Armbrüster: Wie sehen Sie es als jemand, der ständig mit dem Brexit zu tun hat?
Brok: Ich glaube, ja. Das ist ein vernünftiger Ansatz. Das ist eine Verhandlungsgrundlage, auch verglichen mit dem, was wir bisher vorgeschlagen haben. Und wenn wir jetzt einen Austrittsvertrag machen, den wir jetzt schnell machen müssen, wo die Finanzregelungen gemacht werden können, die Bürgerrechte, die nordirische Frage mit dem Backstop geregelt ist und ein paar andere Fragen, und dort hineinschreiben können, dass in Zukunft man einen Freihandelsvertrag verhandeln will und die anderen Bereiche, die mit Sicherheit und so weiter zu tun haben, wäre das eine Grundlage, jetzt schnell bis Oktober den Austrittsvertrag abzuschließen und dann die Übergangsfrist, die damit vereinbart wäre, zu nutzen, um auch aus dieser Grundlage heraus einen gültigen Vertrag zu verhandeln bis Dezember 2020.
May hat "sich weitestgehend bereits durchgesetzt"
Armbrüster: Nun ist ja Theresa May, die Premierministerin wegen dieses Papiers, wegen dieser Vorschläge in ihrem eigenen Land schon ziemlich unter Druck geraten. Wir haben das auch heute Morgen gehört. Selbst Donald Trump hat das scharf kritisiert. Aber wir haben auch in den letzten Tagen gesehen: Mehrere Regierungsmitglieder sind abgesprungen, haben ihren Rücktritt eingereicht. Ist man sich darüber in London im Klaren, dass das hier eine der letzten Gesten ist, die Theresa May in Richtung Brüssel noch machen kann, dass sie eigentlich nicht besonders viel weiter gehen kann?
Brok: Man muss auch sehen, dass sie jetzt den Kampf aufgenommen hat zuhause. Sie hat in der Regierung mit 20:8 gewonnen, also eine deutliche Mehrheit, und ich glaube, dass sie bei einem Führungskampf, der nach dem Prinzip der Tory-Partei vorgetragen würde, gewinnen würde. Im Parlament hätte sie dann sowieso eine Mehrheit für bessere Beziehungen mit der Europäischen Union, so dass sie jetzt eine Chance hat, sich durchzusetzen, und sich weitestgehend bereits durchgesetzt hat. Jetzt wollen wir hoffen, dass sie da auch die nächsten Wochen und Monate bestehen kann, wenn sie diese Linie fortfährt und wir auch konstruktiv mit ihr verhandeln.
Probleme des harten Brexit erkannt
Armbrüster: Aber ist das nicht im absoluten Interesse der Europäischen Union, dass Theresa May in diesem Amt bleibt? Wenn sie gehen müsste, dann würde ihr wahrscheinlich wieder jemand nachfolgen, der die Verhandlungen eher schwieriger gestalten würde.
Brok: Nein! Wir sollten wirklich das jetzt konstruktiv aufnehmen. Sie haben völlig Recht. Theresa May hat offensichtlich die Probleme erkannt, die auf Großbritannien bei einem harten Brexit zukommen. Wenn die Marktzugänge völlig weg wären, würden auch Unternehmen aus Großbritannien weggehen. Solche urbritischen Unternehmen wie Jaguar haben das schon angekündigt, aber auch BMW mit der Mini-Produktion, auch Airbus und viele außereuropäische Unternehmen aus den USA und Asien sind hier dabei, schon ihre Produktion nach Europa, ihre Investitionen zu verlegen, weil sie sagen, wenn kein Marktzugang da ist, dann wird Großbritannien die Rolle eines Tores zur Europäischen Union verlieren und dann werden diese Unternehmen nur noch für den britischen Markt dort produzieren wollen und werden einen Großteil ihrer Produktion auf den europäischen Kontinent legen. Das wäre eine Katastrophe für Großbritannien. Theresa May scheint, dies erkannt zu haben; Boris Johnson in seiner imperialen Größe noch nicht.
"Unsere Standards müssen hier eingehalten werden"
Armbrüster: Theresa May, kann man ja auch zusammenfassend sagen, lässt ihren eigenen, den britischen Bankensektor ziemlich hängen. Die City of London hat scharf protestiert gegen diese Pläne, weil sie - Sie haben es auch gesagt - den Zugang zum europäischen Bankenmarkt in vielen Bereichen verlieren würden. Sind das heute gute Nachrichten für Frankfurt zum Beispiel und für andere Bankenplätze auf dem europäischen Festland?
Brok: Dies könnte das sein. Aber auch Finanzdienstleistungen sind in anderen Handelsverträgen etwa mit Kanada und so weiter nicht vorgesehen. Da müssen wir sehen, wie weit wir das machen können. Aber der britische Bankensektor möchte am liebsten die Standards gesenkt haben und dann vollen Marktzugang haben. Das wollen wir nach den Erfahrungen der Finanzkrise der letzten zehn Jahre nicht mehr. Wir möchten klare Bedingungen der Kontrolle von Banken haben, damit Banken uns nicht mehr in dieses Unglück treiben können, das wir seit 2008 erlebt haben. Deswegen müssen unsere Standards hier eingehalten werden, und das müssen die Briten wissen. Wenn sie das tun wollten, dann könnten sie beim Binnenmarkt für Güter, beim Zugang zum Binnenmarkt für Güter das für den Finanzsektor auch haben. Aber sie möchten lieber spielen und lieber geringere Standards für Banken haben, um Marktvorteile zu haben, und das können wir so natürlich nicht akzeptieren.
Armbrüster: Im Deutschlandfunk- Interview war das der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Vielen Dank für das Gespräch.
Brok: Ich danke auch, Herr Armbrüster.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.