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CDU-Europapolitiker Elmar Brok
„Johnson träumt davon, der zweite Churchill zu werden“

Der neue britische Premierminister Boris Johnson sei hochintelligent, gebildet und lustig – aber sehe die Welt nur als ein großes Spiel an, sagte der langjährige CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok. Im Brexit-Streit empfiehlt Brok der EU, weiter auf den ausgehandelten Austrittsvertrag zu bestehen.

24.07.2019
19.01.2019, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Europapolitiker Elmar Brok steht beim Neujahrsempfang der NRW-CDU vor der Bühne. Der Landesvorstand der NRW-CDU hat Elmar Brok für die nächste Europawahl nicht wieder aufgestellt. Foto: Marcel Kusch/dpa | Verwendung weltweit
Der ehemalige Europaabgeordnete Elmar Brok kennt Boris Johnson noch aus der Zeit, als dieser noch Brüssel-Korrespondent war (dpa / picture alliance / Marcel Kusch)
Stefan Heinlein: Nach der offiziellen Bekanntgabe der Entscheidung der Tories für Boris Johnson gab es Glückwünsche aus aller Welt für den neuen britischen Premier, besonders herzlich die Reaktion aus dem Weißen Haus. Er wird großartig sein, schrieb Donald Trump, natürlich bei Twitter.
Eher verhalten dagegen die Glückwünsche aus Berlin, Paris und den meisten anderen europäischen Hauptstädten. Reserviert zeigt man sich auch in Brüssel. Der Brexit-Hardliner Johnson ist nicht der Kandidat der Herzen überzeugter Europäer. Am Telefon nun der langjährige Europaparlamentarier Elmar Brok, CDU. Guten Tag, Herr Brok!
Elmar Brok: Guten Tag, Herr Heinlein!
Heinlein: Sie kennen Boris Johnson seit rund 30 Jahren, das haben Sie uns im Vorgespräch verraten. In den späten 80er-Jahren war Johnson Brüssel-Korrespondent des "Daily Telegraph". Welche Erinnerungen haben Sie an ihn aus dieser Zeit?
Brok: Nun, es war immer interessant und lustig, mit ihm zusammen zu sein – wie bis heute. Er hat sich in der Art nicht verändert, er ist – freundlich gesagt – lebensbejahend. Allerdings hält er das mit der Wahrheit nicht so genau, wenn er meint, dass er daraus Beifall kriegen kann, dass er Einfluss ausüben kann, dass er Wirksamkeit hat. Deswegen gibt aus seiner Zeit beim "Daily Telegraph" schon eine Vielzahl von Geschichten, die heute immer noch der Europäischen Union anhängen, aber die Boris Johnsons Erfindungen waren und nichts mit der Realität zu tun haben.
Heinlein: Muss man es so hart sagen, ist Boris Johnson ein notorischer Lügner?
Brok: Nun, ich glaube, er verzichtet eher auf die Wahrheit als auf einen Gag. Das beschreibt es vielleicht.
"Ich glaube, er ist ein Spielercharakter"
Heinlein: Nimmt er die Sache nicht so ernst?
Brok: Nein, ich glaube, er ist ein Spielercharakter. Das sind diese Oxford-Boys, die auch in Eton schon waren, Gove, der Umweltminister, Cameron, er und ein paar andere, die waren damals schon in so einer Boysgroup zusammen. Ein bisschen geht es auch darum, wenn der eine Premierminister war, muss es der andere auch werden. Die Welt ist ein großes Spiel, und das betreibt er dann allerdings mit offenem Visier und macht keinen Hehl daraus, dass es so ist.
Dabei muss man wissen, dass er hochintelligent ist, sehr gebildet ist, er kommt aus einem sehr gebildeten Elternhaus. Sein Vater war in der ersten Legislaturperiode Europaabgeordneter, war auch EU-Beamter, da konnte man Latein und Griechisch, Altgriechisch. Und Boris Johnson hat beispielsweise eine hochinteressante Churchill-Biographie vor zwei Jahren geschrieben, die ein bisschen, glaube ich, auch ihn selbst reflektiert. Er träumt davon so ein bisschen, der zweite Churchill zu werden, daraus ist auch manche seiner Rhetorik zu verstehen, die an churchillsche Rhetorik von 1940 erinnert.
Heinlein: Wenn Boris Johnson ein Spieler ist, der das Leben und auch die Politik nicht ganz so ernst nimmt, Herr Brok, was treibt Boris Johnson an? Ist es die Sorge um sein Land oder ist es vor allem ein persönlicher Ehrgeiz? Sie sagen es mit Recht, er ist Eton- und Oxford-Absolvent, also ein Mitglied der britischen Upperclass, absolut elitär.
Brok: Ich glaube, es ist eine Mischung davon. Aber ich glaube, er ist eher interessiert daran, was aus ihm wird, wie er dasteht, wie er in der Geschichte dasteht, kann er es überhaupt in die Geschichte hineinbringen. Und da fährt er hohes Risiko. Er hat mir einmal erzählt zum Thema Brexit, es kann sein, dass das falsch war und dass in 20 Jahren die Briten mich deswegen verfluchen werden. Also, das reflektiert er dann schon, aber er fährt dann das volle Risiko, in eine solche Geschichte so hineinzugehen, wie er das jetzt tut.
"Er steckt schon wirklich in einer Sackgasse"
Heinlein: Könnte es sein, weil er ein Spieler ist, weil er durchaus reflektiert ist, dass er jetzt in seiner Amtszeit als Premierminister in den kommenden Wochen, diesen Turnaround macht und den Brexit doch noch absagt und sagt, das ist besser als ein No-Deal, trauen Sie ihm diese Kehrtwende zu?
Brok: Vom Prinzip her traue ich es ihm zu, aber ich weiß nicht, ob er ein Umfeld hat, das ermöglichen zu können. Natürlich wäre das eine großartige Leistung, so Großbritannien in der EU zu lassen, aber wenn er die Wahlen gewinnen will und länger im Amt bleiben will, dann wird er das nicht machen können.
Die Tories hatten bei der Europawahl noch acht Prozent der Stimmen, Farage, der große Europagegner, mit der die Kampagne für Brexit geführt hatte, 32 Prozent. Und wenn er jetzt in der EU verbleibt, werden diese Stimmen, die die Tories wieder zurückholen müssen, um in der Regierung überleben zu können, als Partei überleben zu können, wieder zurückholen – und das kann er nicht machen, indem er den Turnaround macht.
Und da sehe ich die große Schwierigkeit, dass seine Spielräume außerordentlich gering sind. Auf der anderen Seite wird es schon schwierig sein, den harten Brexit durchzuführen, denn dafür hat er im Unterhaus keine Mehrheit. Und wenn dann im Oktober diese Mehrheit – und Philip Hammond, der bisherige Schatzmeister, hat das ja schon in den letzten Tagen angekündigt – dann ein Misstrauensvotum durchführt oder ihn gesetzgeberisch zwingt, beispielsweise eine Verlängerung vorzunehmen dieser Zeit, bis der Brexit wirkt, dann ist er in einer schwierigen Situation.
Und ich glaube, die Europäische Union wird eine solche Verlängerung der Übergangszeit nur möglich machen, das hat Frau von der Leyen indirekt auch schon ausgedrückt, wenn in der Zeit etwas Besonderes passiert. Und nach unseren Vorstellungen bisher kann das nur sein entweder Neuwahlen oder ein neues Referendum. Also, er steckt schon wirklich in einer Sackgasse.
"Nicht erschrecken lassen durch Schmeicheln und durch Drohen"
Heinlein: Aus Ihrer Kenntnis, Herr Brok, aus Ihrer Kenntnis der Persönlichkeit von Boris Johnson, was ist die richtige Taktik für Brüssel im Umgang mit Boris Johnson? Muss man schmeicheln, muss man ihm drohen?
Brok: Ich glaube, für beides ist er nicht empfänglich. Dann macht er in der entsprechenden Methode weiter. Nur darf man nicht drauf reinfallen, wenn er droht oder schmeichelt, darf man nicht in eine Falle hineinlaufen.
Heinlein: Was muss Brüssel machen?
Brok: Klar und deutlich zusammenstehen und die Arbeit weitermachen wie bisher, so wie Michel Barnier und die Kommission Juncker das bisher gemacht haben, klarzumachen, wir haben einen Vertrag ausgehandelt, da kann man vielleicht in der politischen Erklärung noch etwas machen, aber es muss klar sein, dass der Grundsatz der Guidelines für die Verhandlung der Europäischen Union erhalten bleibt, das ist ein Satz.
Ein Land, das die Europäische Union verlässt, kann nicht ähnliche Vorteile haben wie ein Land, dass in der Europäischen Union verbleibt und die Verpflichtungen dafür übernimmt.
Das ist das Erste und das Zweite ist: Die Integrität des Binnenmarktes muss gewährleistet werden. Und daraus schlussfolgert auch die Situation der Grenze zwischen den beiden Irlands.
Und da muss man völlig klar sein, dass man hier zwar Bewegungsspielraum hat in Details, aber in diesen Grundsätzen nicht. Und aus diesem Grund heraus ist es, glaube ich, klarzumachen, dass man sich nicht erschrecken lässt durch Schmeicheln und durch Drohen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.