Heinlein: Wenn Sie den französischen Präsidenten gerade noch einmal hören, spricht Ihnen Emmanuel Macron auch aus dem Herzen?
Krichbaum: Macron hat sehr viele gute Ideen präsentiert, ja auch jüngst in seiner schon mittlerweile sehr bekannten Sorbonne-Rede. Und ich glaube, es ist jetzt wichtig, nach den Monaten, die wir in Berlin für die Regierungsbildung gebraucht haben, dass wir endlich hier ins Gespräch kommen, dass wir die Vorschläge aufgreifen, auch nicht nur einzelne Dinge nur herauspicken, wie das Eurozonen-Budget oder Europäischer Währungsfonds, sondern seine Vorschläge zur Reform Europas gehen wesentlich weiter und ohne jeden Zweifel steht das europäische Schwungrad zurzeit in Paris. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir immer dann erfolgreich waren in Europa, wenn wir den deutsch-französischen Motor gesehen und ins Zentrum unseres Handelns auch gestellt haben.
"Für neuen Schwung in Europa sorgen"
Heinlein: Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Forderung, Ihr Appell nach einer Stärkung des europäischen Gedankens auch in Berlin von Ihrer Fraktion, von der Großen Koalition insgesamt gehört wird?
Krichbaum: Nun, wir haben ja im Koalitionsvertrag nicht umsonst das Thema Europa ganz nach vorne gestellt. Insoweit ist das das Herzstück auch des Regierungshandelns. Wir werden heute Nachmittag in der Fraktion ein Papier zu Europa diskutieren. Das kann in der Tat erst mal nur eine Vorlage sein; da ist noch sehr vieles zu ergänzen. Und insbesondere muss natürlich auch der Duktus klar danach ausgerichtet werden, dass wir in Deutschland und Frankreich eng miteinander kooperieren müssen und auch die Macron-Vorschläge aufnehmen müssen. Sie hatten es vorhin angesprochen: Wir haben die Europawahlen vor der Haustür. Es geht jetzt nicht darum, alles und jedes hier, was aus Paris kommt, gleich gutzuheißen, aber es gibt sehr vieles, wo wir für einen neuen Schwung in Europa sorgen können und auch viele Sorgen aufnehmen müssen der Bevölkerung. Man denke nur an die Sicherheitspolitik, und da hat ja Macron schon in der Sorbonne-Rede beispielsweise mit dem Vorschlag einer europäischen Staatsanwaltschaft, beispielsweise mit der engagierten Bekämpfung des internationalen Terrorismus, mit gemeinsamen europäischen Verteidigungsstrukturen für sehr viel Aufsehen gesorgt, aber auch sehr viele gute konstruktive Vorschläge gebracht.
Extra-Haushalt mit Doppel-Strukturen hinterfragen
Heinlein: Einiges aus dem Papier, Herr Krichbaum, das in Ihrer Fraktion heute Nachmittag diskutiert wird, ist ja bereits auf dem Markt, ist ja bereits bekannt. Es gibt Widerstand in Ihrer Fraktion gegen einen europäischen Finanzminister und einen eigenen Etat für die Eurozone. Sie sagen es: Heute Nachmittag soll darüber debattiert werden. Warum sind Teile Ihrer Fraktion zumindest so zögerlich?
Krichbaum: Gut! Wenn man es bei Lichte besieht, gerade was zum Beispiel auch den Extra-Haushalt für die Eurozonen-Länder angeht, dann muss man wissen: Wenn Großbritannien als Non-Euro-Land aus der Europäischen Union ausscheidet, werden 85 Prozent des Haushalts durch die Länder der Eurozone repräsentiert. Die Frage, die sich dann natürlich schnell stellt: Brauchen wir dann für die übrigen 15 Prozent, die verbleiben würden, die das auch mit Argwohn betrachten, dann einen Extra-Haushalt mit der Duplizierung von Strukturen. Da muss man in der Tat im Detail drüber reden und da hat ja auch Macron an der Stelle schon leichte Rückwärtsbewegungen gemacht.
Aber es gibt sehr viele andere Vorschläge, über die man reden muss, und ich kann Macron an der Stelle auch nur unterstützen. Es geht um die Herausforderungen der Globalisierung. Es gibt Herausforderungen, für die ist jeder Mitgliedsstaat zu klein, und sei er auch noch so groß. Man denke beispielsweise nur an Afrika, unser unmittelbarer Nachbarkontinent, den wir über viele Jahre sträflich vernachlässigt haben.
"Andere Länder schauen gerade auf Berlin und Paris"
Heinlein: Im Detail ist die Sache sehr, sehr schwierig, sehr kompliziert und für Nicht-Europaexperten auch schwer zu durchschauen. Herr Krichbaum, der Gesamteindruck, Paris marschiert und Berlin steht auf der Bremse, zumindest Teile der Union, ist dieser Eindruck ganz falsch aus Ihrem Blickwinkel eines Europapolitikers?
Krichbaum: Genau dieser Eindruck darf nicht entstehen. Deswegen ist nach meinem Dafürhalten auch dieses Papier eine erste Vorlage. Das kann man so in dieser Form sicherlich nicht durchwinken. Da muss noch drüber gesprochen werden, zumal viele Aspekte da noch nicht aufgegriffen wurden. Andere, die dafür eher, ich sage jetzt mal, deklaratorischer Natur sind, weil sie Selbstverständlichkeiten eher klarstellen. Aber wichtig ist mir vor allem, wenn wir europapolitische Papiere der Fraktion verabschieden, dass der Duktus, dass die Intention stimmt, dass wir für ein Europa stehen und dass wir auch für eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich stehen. Das grenzt nicht andere Länder aus, das war auch noch nie so. Aber die anderen Länder schauen gerade auf Berlin und Paris und möchten, dass wir hier vorangehen, denn wenn Berlin und Paris untereinander quer im Stall stehen, dann wird sich in Europa nichts bewegen.
"Wir brauchen diesen Aufbruch in Europa"
Heinlein: Sie sind – ich verstehe das, Herr Krichbaum – im Vorfeld der Debatte in Ihrer Fraktion heute Nachmittag ein wenig diplomatisch, ein wenig zurückhaltend. Ihr Parteifreund, EU-Kommissar Oettinger ist da deutlicher und er kritisiert die CDU-Fraktion. Sie gefährdet den Aufbruch in Europa. Hat er recht mit diesem Klartext?
Krichbaum: Ich begrüße es immer, wenn Günther Oettinger Klartext redet. Das zeichnet ihn aus. Er spricht mir durchaus in dem Punkt aus dem Herzen, dass wir auch diesen Aufbruch brauchen in Europa, zumal wenn es in einem solchen Positionspapier drinsteht. Dann sollten wir auch danach handeln.
"Kann nicht sein, dass wir uns immer abhängig machen von einem IWF"
Heinlein: Was ist denn aber grundsätzlich falsch an dem Gedanken von Teilen Ihrer Fraktion, wenn sie fordern, dass über deutsche Steuergelder letztendlich in Berlin entschieden werden muss und nicht dauerhaft dann in Brüssel?
Krichbaum: Da ist überhaupt nichts falsch dran und das ist ja auch schon so. Denn wir können immer nur die Kompetenzen, die von uns ausgehen, herausverlagern. Brüssel kann sich keine Kompetenzen aneignen. Brüssel kann immer nur auf der Grundlage dessen agieren, was wir auch aus Souveränität abgetreten haben. Da wacht schon das Bundesverfassungsgericht darüber. Aber wenn wir beispielsweise über dann einen europäischen Währungsfonds reden – sicher wird sich dann die Frage stellen, wie gestalten wir den aus. Das muss eine Weiterentwicklung des ESM sein, des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Ich weiß, das sind sehr jetzt sehr technokratisch anmutende Begrifflichkeiten, aber es geht einfach darum, dass Europa selber das Heft des Handelns in die Hand nehmen muss. Es kann ja nicht sein, dass wir uns immer abhängig machen von einem IWF – der IWF, der ganz andere Baustellen auf der Welt kennt, der normalerweise eher in Entwicklungsländern aktiv ist. Von daher passt das eigentlich nicht zusammen, dass der IWF auch hier in Europa auftritt. Wir müssen das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen. Deswegen brauchen wir auch einen europäischen Währungsfonds und die Ausgestaltung muss selbstverständlich so sein, dass die nationalen Parlamente auch über die nationalen Haushaltsmittel bestimmen.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag der CDU-Europapolitiker Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
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