Dass Thomas Kemmerich in Thüringen mit Stimmen der AfD, FDP und CDU zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, führte deutschlandweit zu drastischer Kritik und löste auch Chaos in der CDU aus. Die Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer war nicht in der Lage, dieses zu befrieden und hat nun ihren Rücktritt angekündigt, nur 14 Monate nach ihrer Wahl. Wie geht es nun weiter in der CDU? Darüber sprechen wir mit der Politikwissenschaftlerin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing.
Jasper Barenberg: Das Debakel der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen, das in Augen vieler ja doch schwache Krisenmanagement von Annegret Kramp-Karrenbauer in den Tagen danach jetzt am Wochenende – war das am Ende der sprichwörtliche Tropfen in einem ohnehin schon übervollen Fass?
Ursula Münch: Würde ich so sagen, ja. Da ist jetzt noch das Letzte oben draufgekommen. Ganz viele haben ohnehin schon an ihr herumkritisiert, an Annegret Kramp-Karrenbauer, zum Teil zurecht, zum Teil auch übertrieben. Und jetzt im Grunde ihr Versuch, das in Thüringen zu klären - der Hinweis der Thüringer Parteikollegen, dort der CDU-Abgeordneten, dass man zwar viel besprechen könne, man sich aber nichts aus Berlin von der Bundeszentrale der Partei sagen lassen würde.
Und da hat sie dann im Grunde gemerkt, dieses Dilemma, in dem jetzt die gesamte CDU nicht erst seit einer Woche drinsteckt – das hat sich ja alles schon vorher abgezeichnet, aber jetzt kommt es so richtig heraus -, diese Frage dieser Äquidistanz, dieser gleichen Distanz zu zwei Parteien, einmal zu den Linken und einmal zur AfD, dass das auf dem Blatt Papier zwar schöne Grundsätze sind, dass man damit aber zumindest unter ostdeutschen Landesparlamentsbedingungen keine Mehrheiten und keine Regierung mehr bilden kann.
"Man wird vorgeführt als sogenannte bürgerliche Mitte"
Barenberg: Ist für Sie klar, dass dieses Prinzip der gleichen Distanz zur AfD auf der einen Seite und zur Linkspartei auf der anderen Seite, dass dieses Prinzip jetzt am Beispiel Thüringen klar geworden ist, dass das nicht mehr funktioniert, dass das so nicht funktionieren kann in dieser großen Volkspartei CDU?
Münch: Zumindest funktioniert es nicht so einfach, wie man sich das, als man diesen Parteitagsbeschluss im Jahre 2018 getroffen hat, vorgestellt hat. Das war schon damals eine schwierige Situation und man konnte sich ja schon damals denken, man musste ja nur in die ostdeutschen Landtage hineinschauen. Aber jetzt weiß man es endgültig: Damit manövriert man nicht nur die Partei, sondern vor allem den jeweiligen Landtag und damit ein ganzes Land in einen gewissen Stillstand, in eine Regierungsunfähigkeit. Und man wird vorgeführt als sogenannte bürgerliche Mitte, als demokratische Parteien der Mitte.
Aus diesem Dilemma hat Kramp-Karrenbauer nicht heraus gefunden und die anderen haben bis jetzt nur beobachtet und kluge Ratschläge gegeben beziehungsweise gefeixt, und jetzt werden sich potenzielle Nachfolger mit genau demselben Problem zurecht finden müssen und zurechtkommen müssen, dass man als CDU natürlich unabhängige Landesverbände hat, die in Ostdeutschland deutlich anders ticken als in Westdeutschland und dass man es mit Landtagsfraktionen zu tun hat, selbstverständlich, die nicht bereit sind, sich sagen zu lassen, was sie zu tun und zu lassen haben – abgesehen davon, dass nicht einmal diese Ratschläge besonders leicht zu treffen sind.
Barenberg: Wenn das so ist und wenn der eine oder die andere in der CDU im Zweifel in einer Sackgasse gelandet ist mit diesem Prinzip der gleichen Distanz zu beiden Seiten, stehen wir dann, was die CDU angeht und die mögliche Nachfolge jetzt von Annegret Kramp-Karrenbauer, auf Sicht vor einer Richtungsentscheidung in der CDU?
Münch: Ja, das ist natürlich leicht gesagt. – Ja, ich würde schon sagen, da muss man neue Entscheidungen treffen. Man muss das neu abstimmen. Aber wie will man das schaffen mit diesen unterschiedlichen Ausgangslagen? Die ostdeutschen Landesverbände der CDU haben einen anderen Blick auf die AfD. Die sagen, so weit entfernt sind wir gar nicht, wir sind ohnehin die konservativeren Landesverbände. Da sagt man, warum sollen wir eigentlich mühsame Konstellationen und Koalitionen mit SPD und Grünen bilden, wenn es doch eigentlich was Naheliegenderes gäbe. Die finden das nicht so verwerflich mit der AfD. Für die westdeutschen Landesverbände ist das der erste Schritt in ein ganz großes Übel hinein, das sich ja dann auch rächt, wie wir in Thüringen gesehen haben.
Vor diesem Dilemma, da helfen Grundsatzentscheidungen immer nur bis zur nächsten Wahl. Das ist meines Erachtens innerhalb der Partei, innerhalb der CDU eigentlich nicht stimmig zu lösen. Man muss entweder sagen, wir geben eine gewisse Freiheit, und dann macht man sich natürlich anfechtbar. Wenn man jetzt zum Beispiel sagen würde, eine gewisse Freiheit zur Rechten hin, zur AfD hin, dann wollen die anderen und sagen, warum dann eigentlich nicht mit der Linkspartei, und auf einmal kommt die CDU in dieses Dilemma hinein, dass sie auch nicht mehr unterscheidbar wird. Wie man das löst, da beneide ich niemanden drum.
"Merz hat relativ gute Chancen auf die Kanzlerkandidatur"
Barenberg: Darauf können wir alle gespannt sein. – Frau Münch, wir wissen von einigen Politikern in der CDU, dass sie durchaus Interesse an einer Kanzlerkandidatur haben, dass sie sich auch einen Parteivorsitz vorstellen können. Armin Laschet, der Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, zählt dazu. Friedrich Merz oder auch Gesundheitsminister Jens Spahn. Trauen Sie einem dieser drei zu, gute Chancen zu haben bei der jetzigen Lage der Partei?
Münch: Natürlich! Die nehmen sich ja gegenseitig auch ein bisschen die Chancen. Ich würde sagen, Merz hat relativ gute Chancen zurzeit – schlicht und ergreifend deshalb, weil er ja auch schon bei der letzten Wahl in der Konkurrenz zu Kramp-Karrenbauer nicht schlecht abgeschnitten hat. Der hat vielleicht einen gewissen Vorrang. Andererseits sollte man nicht vernachlässigen, dass Laschet natürlich einen starken Landesverband hinter sich hat.
Das Grundthema ist, wem traut man zu, einerseits nicht nur Führungsqualitäten zu haben. Das ist das eine. Führung allein genügt nicht. Man muss auch integrieren und diesen Unionsgedanken, das Unterschiedliche unter dem gleichen Dach, das Miteinander zu integrieren, das ist die Voraussetzung und die Anforderung an einen künftigen neuen Kandidaten. Da gibt es auch noch andere. Ich meine, da gibt es sicherlich auch Ministerpräsidenten, nicht zuletzt in Sachsen, an die manch einer denken wird.
Barenberg: Jetzt haben wir es ja damit zu tun, dass Annegret Kramp-Karrenbauer entschieden hat, erst will sie noch bis Sommer die Kanzlerkandidatur-Frage klären und organisieren in der CDU. Dann erst soll der Parteivorsitz neu bestimmt werden. Wie ungewöhnlich finden Sie das und sehen Sie da auch einen Fingerzeig in Richtung des einen oder anderen Kandidaten?
Münch: Das ist natürlich sehr ungewöhnlich. Frau Kramp-Karrenbauer kann es damit erklären, dass sie sagt, sie will jetzt die Partei nicht kopflos lassen, dieser Prozess müsse organisiert werden. Im Grunde ist es auch schon ein Hinweis auch an die CSU, weil wenn sie sagt, zunächst Klärung des Kanzlerkandidaten, dann interpretiere ich das so, dass sie sagt, zunächst innerhalb der CDU diese Klärung. Da würde ja dann die CSU allerhöchstens Mitspracherecht haben. Dann würde Markus Söder überhaupt nicht gefragt werden nach dieser Ankündigung. Nur die Frage ist natürlich: Wieviel Kraft hat eine Annegret Kramp-Karrenbauer tatsächlich noch, diesen Prozess zu entscheiden? Sie versucht, es ordentlich abzuwickeln. Das ist ja auch sehr ehrenhaft. Die Frage ist nur: Lässt man sie das noch ordentlich abwickeln? Kann sie tatsächlich die einzelnen Schritte, deren Reihenfolge bestimmen? Ich bezweifele es.
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