Silvia Engels: Der gestrige Nachmittag stellte die sächsische Landespolitik so ziemlich umfassend auf den Kopf. Der seit 2008 regierende Ministerpräsident Stanislaw Tillich von der CDU kündigte an, im Dezember als Regierungs- und Parteichef zurücktreten zu wollen. Er begründete das auch mit dem schlechten Abschneiden der Sachsen-CDU bei der Bundestagswahl. Sie war ja im regionalen Vergleich nur zweitstärkste Kraft hinter der AfD geworden. Die Sachsen-CDU stellt sich neu auf, mitten in beginnenden Jamaika-Sondierungen in Berlin.
Vor ein paar Minuten habe ich mit Frank Kupfer gesprochen. Er ist Fraktionschef der CDU in Sachsen und stellvertretender Landesvorsitzender. Und an ihn ging die Frage: Wie schnell kann sich die CDU Sachsen nun tatsächlich auch inhaltlich neu aufstellen?
Frank Kupfer: Der Ministerpräsident und Landesvorsitzende hat gestern das Präsidium, den Landesvorstand und auch große Teile der Fraktion, die mit eingeladen waren, davon informiert, dass er nicht mehr zur Verfügung steht im Dezember zur Wahl des Landesvorsitzenden. Und im Anschluss wird er auch dann seinen Posten als Ministerpräsidenten zur Verfügung stellen. Und er hat gleichzeitig den Michael Kretschmer, unseren jetzigen Generalsekretär, ins Gespräch gebracht für den Landesvorsitz sowohl als auch für den Posten des Ministerpräsidenten.
AfD stärkste Kraft in Sachsen: "Liegt an Politik der Bundesregierung"
Engels: Soweit für Sachsen. Aber ist der Zeitpunkt dieses angekündigten Rücktritts und auch die Begründung, dass es das schlechte Wahlergebnis bei der Bundestagswahl war, auch ein sächsisches Zeichen in Richtung Berlin, dass auch dort Führungskräfte der CDU für das schlechte Abschneiden Verantwortung übernehmen sollten?
Kupfer: Wir haben in Sachsen ein anderes Wahlergebnis als in anderen Bundesländern. Bei uns ist die AfD stärkste Kraft geworden. Wir haben natürlich auch in Sachsen Ursachenforschung betrieben. Es gibt sicherlich auch eine sächsische Komponente. Aber der Hauptanteil – da bin ich fest davon überzeugt – liegt an der Politik der Bundesregierung und insbesondere an der Flüchtlingspolitik. Das ist im Wahlkampf immer wieder gesagt worden.
Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung von Ministerpräsident Tillich, dass er jetzt die politische Verantwortung übernimmt. Ich habe aber genauso die Hoffnung, dass auch in Berlin ein Umdenken passiert.
Engels: Das heißt, die Bundes-CDU muss umsteuern vor allen Dingen in der Flüchtlingspolitik?
Kupfer: Ja, absolut!
Engels: Wie stellen Sie sich das vor, genau die Linie der CSU beispielsweise verfolgen?
Kupfer: Wir müssen uns nicht an der Linie von irgendeiner Partei orientieren, auch der CSU nicht. Wir müssen einfach Politik für die Menschen machen in Deutschland.
Engels: Die Flüchtlingspolitik ist ein großes Thema. Wenn die CDU hier auf einem harten Kurs beharrt, dann wird es schwierig mit den Jamaika-Sondierungsgesprächen oder später Koalitionsgesprächen. Nehmen Sie auch ein Scheitern in Kauf?
Kupfer: Wir wollen Politik für das Land machen und insbesondere für die Bürger Deutschlands. Und wenn das mit der FDP und mit den Grünen nicht passiert, dann muss man neu denken.
"Merkel muss zumindest in ihrer Haltung Konsequenzen ziehen"
Engels: Jetzt steht ja Bundeskanzlerin Merkel auch als Person ganz persönlich für diese Flüchtlingspolitik. Müsste sie dann auch Konsequenzen ziehen?
Kupfer: Sie sollte zumindest in ihrer Haltung Konsequenzen ziehen. Sich immer nur hinzustellen und alles zu verteidigen und zu sagen, ich habe das richtig gemacht, das ist nicht das, was der Wähler von ihr erwartet.
Engels: Welche nächsten Schritte erwarten Sie da innerhalb der CDU?
Kupfer: Ich denke schon, dass man als CDU jetzt klare Positionen auch beziehen sollte und mit diesen klaren Positionen dann auch in die Sondierungsgespräche gehen sollte und später in Koalitionsverhandlungen. Zuerst geht es um Deutschland und nicht um irgendwas.
Engels: Wie nehmen Sie die Stimmung sowohl in Sachsen, aber auch, wenn Sie mit Kollegen der Bundes-CDU sprechen, wahr? Haben Sie da viele Befürworter Ihres Kurses?
Kupfer: Ja, die Meinungen innerhalb der CDU Deutschlands sind unterschiedlich. Wir sind als sächsische Union seit 27 Jahren in der Verantwortung. Wir stellen fast alle Wahlkreisabgeordneten im sächsischen Landtag und jetzt im Bundestag nicht mehr. Aber bisher war das immer so gewesen. Und wir sind nahe dran an der Bevölkerung und wir wissen, was die Bevölkerung denkt.
Engels: Andererseits stehen auch Sie gerade selbst ja persönlich für einen Kurs, der in der Flüchtlingspolitik immer sich abgegrenzt hat von Angela Merkel. Das hat Ihnen aber bei der Bundestagswahl in Abgrenzung zur AfD nicht sehr viel genützt?
Kupfer: Es war eine Bundestagswahl und keine Landtagswahl. Wir haben unsere sächsischen Positionen – und die haben wir schon immer und auch lautstark gesagt. Wir hatten zum Beispiel schon im März 2015, also bevor diese Flüchtlingskrise eigentlich begonnen hat, unsere Position zur Flüchtlingspolitik in Deutschland. Da stand unter anderem drin, dass die Abschiebehindernisse beseitigt werden müssen, dass es sichere Herkunftsländer gibt, dass das ausgedehnt wird. Das stand alles schon drin und das ist jetzt nach zwei Jahren noch nicht mal alles umgesetzt, was wir schon im März 2015 gesagt haben. Wir müssen uns jetzt fragen - und deswegen auch die Konsequenzen, die unser Landesvorsitzender gezogen hat -, ob wir das, unsere Position, an die Bevölkerung so richtig heranbekommen haben.
"CDU ist nach links geschwenkt"
Engels: Das an die Bevölkerung heranbekommen, das ist Ihre Linie. Auf der anderen Seite gibt es auch starke Tendenzen in der CDU, beispielsweise vom Landesverband Schleswig-Holstein, jetzt nicht zu versuchen, gerade in der Flüchtlingspolitik die AfD zu kopieren und in Richtung rechts zu schwenken. Zerreißt das die CDU?
Kupfer: Ich will überhaupt niemanden kopieren. Und ich will auch nicht dieses Schwenken nach rechts. Das hat für mich überhaupt nichts zu sagen. Wir sind eine Partei der Mitte, wir sind eine Volkspartei. Zugegeben: Die CDU ist in den letzten Jahren, wenn man schon dieses Tableau nimmt, nach links geschwenkt. Und wenn man wieder in die Mitte will, dann ist es doch logisch, dass man dann ein Stückchen nach rechts rücken muss.
Engels: Welche anderen Themen sehen Sie bei diesem Kurs, den Sie vorschlagen, neben der Flüchtlingspolitik, die die CDU wieder besetzen sollte?
Kupfer: Die innere Sicherheit ist ein Kernthema der CDU. Das müssen wir stärker besetzen. Wirtschaftspolitik ist Kernthema der CDU. Auch hier müssen wir mehr machen. Wir müssen die Unternehmen entlasten von Bürokratie. Gerade wenn man sich das Wahlergebnis in Sachsen mal genauer anschaut: Die Unternehmer haben in der Großzahl AfD gewählt, und nicht, weil sie jetzt unbedingt AfD-Befürworter sind, sondern weil sie ein Zeichen setzen wollten. Sie kommen mit dieser ganzen Bürokratie nicht mehr zurecht. Die Strukturen in Sachsen in der Wirtschaft sind anders als im Rest, oder zumindest in Westdeutschland. Wir haben kleinere Strukturen. Wenn man dort als Unternehmer immer nur gegängelt wird vom Staat, das lassen die sich irgendwann mal nicht mehr gefallen.
"Thema Rente ist ostdeutsches Thema"
Engels: Wie steht es dann mit hausgemachten Ursachen der Sachsen-CDU für diese Wahlniederlage? Haben Sie auch mit Blick auf die speziellen Befindlichkeiten in Ostdeutschland zu lange wenig zugehört bei den Bürgern, die ja beispielsweise auch über drohende Abstürze in der Rentenversorgung klagen, oder ohnehin die mangelhafte Infrastruktur in vielen ländlichen Räumen?
Kupfer: Ja gut, das Thema Rente ist ein allgemein ostdeutsches Thema. Dieses Gefühl der Ungerechtigkeit und die Diskussionen, die auch deutschlandweit geführt werden, dass die Ostrentner benachteiligt sind, das hat natürlich auch einen Ausschlag gegeben bei den Wahlen. Das ist vollkommen klar. – Sie haben jetzt nach sächsischen Themen gefragt. Wir sind nicht so, dass wir immer nur nach Berlin schielen und sagen, Berlin hat das alles verursacht, dieses ganze Wahlergebnis in Sachsen. Wir haben natürlich auch geschaut, wo sind unsere eigenen Ursachen. Und da gibt es bei der inneren Sicherheit Diskussionen, die Besetzung mit Polizeistellen. Wir haben damals nicht nur in Sachsen, sondern überall in Deutschland, auch bei der Bundespolizei aufgrund der Sicherheitslage, der besseren, Polizeistellen abgebaut. Das zeigt sich mit dem heutigen Wissen als ein Fehler. Jetzt bauen wir wieder Personal auf. Wir haben 1000 Stellen zusätzlich im Haushalt stehen. Das braucht natürlich erst ein paar Jahre, ehe das wirkt, weil die zusätzlichen Stellen natürlich erst ausgebildet werden müssen, die Beamten.
Das ist eine Ursache und das andere ist das Thema Unterricht und Lehrerversorgung. Wir haben nicht nur in Sachsen, überall in Deutschland das Thema der Lehrerversorgung. Schleswig-Holstein geht wieder von dem G8 auf das G9. Das braucht mehr Lehrer. In Nordrhein-Westfalen sind über 2000 Stellen unbesetzt. Überall werden mehr Lehrer gebraucht. Auch in Sachsen werden Lehrer gebraucht. Wir bilden Lehrer aus, aber wir bilden halt nicht nur sächsische Landeskinder aus. Das geht laut Verfassung nicht, wie immer wieder gesagt wird. Wir bilden genügend Lehrer aus, aber diejenigen, die aus anderen Bundesländern nach Sachsen kommen und studieren, die gehen natürlich wieder nachhause zurück. Das ist vollkommen klar. Also wir haben dieses Lehrerthema und das hat auch mit zu diesem Wahlergebnis beigetragen.
Engels: Dann drehen wir es noch mal nach vorne. Sie haben angesprochen, der bisherige Generalsekretär Kretschmer soll nun neuer Ministerpräsident werden. Wird er mit den Themen, die Sie angesprochen haben, ein direkter Gegenspieler von Angela Merkels Kurs?
Kupfer: Michael Kretschmer hat immer seine Positionen gehabt und hat auch nicht auf irgendwelche Hierarchien geachtet. Er hat sächsische Positionen im Bundestag vertreten und er wird als Ministerpräsident, wenn er gewählt ist, auch sächsische Positionen gegenüber Berlin vertreten. Das ist vollkommen klar und da bin ich mir auch sicher.
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