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CDU nach der Wahl in Thüringen
Politologe: Mohring kann nicht sein Wort brechen

In Thüringen hat CDU-Chef Mike Mohring eine Koalition mit der Linken ausgeschlossen. Die CDU sollte aber mit der Linken reden und von Fall zu Fall mit ihr stimmen, sagte der Politologe Oskar Niedermayer im Dlf. So könne man der CDU keine Verweigerungshaltung, aber auch kein Wortbruch vorwerfen.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Marina Schweizer |
Porträtaufnahme von Oskar Niedermayer im November 2015
Wenn die CDU in Thüringen eine Koalition mit der Linken eingegangen wäre, "dann bin ich mir sicher, hätte die Bundes-CDU Schwierigkeiten bekommen", sagte Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer (dpa / Julian Stratenschulte)
Marina Schweizer: Über das Dilemma der CDU habe ich kurz vor der Sendung mit dem Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin gesprochen und ihn als erstes gefragt: Kann die Union gar nicht anders?
Oskar Niedermayer: Nein, sie kann wirklich nicht anders. Ich habe auch nicht verstanden, warum Mike Mohring heute Morgen in der Weise vorgeprescht ist, wohl auch unabgesprochen im eigenen Landesverband, und Äußerungen getan hat, die man ja durchaus ziemlich klar als ein Koalitionsangebot verstehen konnte, wenn man wollte. Er selbst hat das im Wahlkampf ja mehrfach und definitiv ausgeschlossen und man kann nicht unabhängig davon, wie jetzt der Wahlausgang ist, sein Wort brechen gegenüber den eigenen Anhängerinnen und Anhängern. Und was mit Politikern passiert, die ihr Wort brechen in der Weise, das haben wir schon erlebt in der Bundesrepublik. Da ist zum Beispiel an Frau Ypsilanti zu erinnern in Hessen damals, die auch vorher eine Koalition ausgeschlossen hat mit der Linken und nachher eine machen wollte.
"Es gibt die Möglichkeit einer formellen Tolerierung"
Schweizer: Man könnte aber auch sagen, man muss angesichts schwieriger Wahlergebnisse vielleicht auch Haltungen verändern und Tatsachen ins Auge blicken. Das gilt ja zum Beispiel auch für die FDP.
Niedermayer: Ja, das ist vollkommen richtig. Das kann man tun, das sollte man auch tun, denn es wäre natürlich unsinnig, wenn die CDU oder zum Beispiel auch die FDP, die ja das gleiche Problem hat, sich jetzt so verhalten würden, dass man ihnen den Vorwurf machen kann, dass sie zur Unregierbarkeit von Thüringen beitragen. Aber das ist ja nicht der Fall, denn es gibt ja unterhalb einer formalen Koalition noch zwei andere Möglichkeiten und die muss man natürlich prüfen. Es gibt die Möglichkeit einer, sagen wir mal, formellen Tolerierung, dass man eine Art Tolerierungsabkommen macht, und es gibt die Möglichkeit – und das würde ich für die viel wahrscheinlichere halten -, dass man Gespräche macht - Ramelow hat diese Gespräche ja angekündigt und Mohring wird auch mit Ramelow reden – und dann ausmacht, dass man da, wo die CDU inhaltlich mitgehen kann, immer wieder temporär, aber von Fall zu Fall und von Gesetz zu Gesetz mit der rot-rot-grünen Koalition stimmt, wenn die jetzt eine Minderheitsregierung macht. Das wäre etwas, wo man dann der CDU nicht vorwerfen könnte, sie verweigert sich, ihr aber auch gleichzeitig nicht vorwerfen könnte, sie hat ihr Wort gebrochen, weil das wäre keine formelle Koalition.
Schweizer: Die Frage ist dann immer, wie die Wählerinnen und Wähler das auffassen, wenn etablierte Parteien Vertrauen zurückgewinnen wollen. Ist dann so eine Minderheitsregierung nicht das falsche Mittel und beteiligt man sich dann nicht doch an einem weiteren Vertrauensverlust?
Niedermayer: Es ist ja die Frage, wann der Vertrauensverlust größer ist, ob man einen größeren Vertrauensverlust hat, wenn man den Wählern vorher im Wahlkampf definitiv und explizit etwas verspricht, dass man bestimmte Dinge nicht macht, um die dann nachher sofort am ersten Tag nach der Wahl zu machen, oder ob man sagt, wir haben euch das versprochen, wir halten es auch ein, aber wir erkennen an, dass wir uns der Verantwortung stellen müssen und dass wir auch dafür sorgen müssen, dass Thüringen weiter regierbar bleibt. Wir haben ja in Thüringen einen Sonderfall. Die Verfassung in Thüringen, die erlaubt ja, dass der Ministerpräsident im Amt bleibt, auch in einer Minderheitsregierung, und zwar ohne jegliche Frist. Im Gegensatz zum Beispiel zu dem, was die Bestimmungen in Brandenburg sind oder in Sachsen.
"Nicht Die Linke hat gewonnen, sondern Bodo Ramelow"
Schweizer: Apropos Sonderfall. Könnte man denn nicht aus CDU-Sicht eine Thüringer Linke, die sich stark auf Bodo Ramelow fokussiert und fokussiert hat, könnte man die nicht doch als Sonderfall verkaufen?
Niedermayer: Es ist ein Sonderfall. Da haben Sie vollkommen recht. Ich meine, in Thüringen hat ja bei der Wahl auch nicht Die Linke gewonnen, sondern das hat Bodo Ramelow gewonnen, der ja alles getan hat während des Wahlkampfes und auch schon in seiner gesamten Legislaturperiode, um nicht als linker Ministerpräsident wahrgenommen zu werden, sondern als bürgernaher Kümmerer, Landesvater für Thüringen insgesamt. Auf der anderen Seite ist auch der linke Landesverband in Thüringen jetzt nicht einer der ideologischen Hardliner. Insofern kann man schon Argumente finden, warum Thüringen ein Sonderfall ist. Aber das Problem sind ja die Auswirkungen auf den Bund und die Auswirkungen auf die Anhängerinnen und Anhänger der CDU im Bund, sprich dann auch in Westdeutschland, und da haben wir die Situation, dass sehr viele noch die Linkspartei nicht als normale demokratische Partei ansehen, wegen ihrer DDR-Vergangenheit, wegen ihrer unklaren Haltung zu dieser Vergangenheit, auch wegen der Tatsache, dass es Organisationseinheiten in der Linkspartei gibt, in der Bundes-Linkspartei, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden als linksextremistische Organisation. Das kommt ja alles dazu und da ist auf der Bundesebene und in Westdeutschland, auch bei den westdeutschen Landesverbänden bei den Bürgerinnen und Bürgern ein anderes Bild da der Linkspartei, als es jetzt in Thüringen der Fall ist, und auf das muss Rücksicht genommen werden. Wenn die CDU in Thüringen eine Koalition eingegangen wäre, dann bin ich mir sicher, hätte die Bundes-CDU da Schwierigkeiten bekommen.
"Eine Politik machen, die die Ursachen des Protestes verringert"
Schweizer: Herr Niedermayer, die große Frage, die ja an so einem Nachwahltag im Raum steht, ist: Führen denn nicht zwangsläufig alle Konstellationen aktuell zu mehr Protestwählern am Ende, weil die Unzufriedenheit sehr wahrscheinlich steigen wird?
Niedermayer: Die AfD wird natürlich versuchen, jegliche Konstellation, die sich jetzt ergibt, zu ihren Gunsten auszunutzen und zu sagen, ja, die anderen, die verschwören sich und verbünden sich jetzt in irgendeiner Form gegen uns, nur um uns von der Macht fernzuhalten. Wir haben so etwas wie ein Kartell oder eine Volksfront, um DDR-Jargon zu benutzen, gegen uns jetzt. Das wird kommen. Das ist, glaube ich, auch gar nicht zu vermeiden.
Andererseits hat man ja durchaus seitens der anderen Parteien ein probates Mittel, um noch stärkeres Anwachsen des Protestes zu verhindern. Man muss nämlich eine Politik machen, die die Ursachen des Protestes verringert oder beseitigt. Da geht es nicht einmal nur um Flüchtlingsfragen, die ja immer noch ganz zentral sind für die Wählerinnen und Wähler der AfD. Da geht es gerade im Osten – und das hat Brandenburg, Sachsen und jetzt auch Thüringen wieder gezeigt – zum Beispiel um das starke Stadt-Land-Gefälle, um die Frage von Infrastruktur, von schlechter Infrastruktur, dass sich die Leute auf dem Land abgehängt fühlen und dass sie das Gefühl haben, die Politik hat sie vergessen und geht nicht genügend auf ihre Interessen ein. Das sind ja Dinge, die kann man ändern, indem man zum Beispiel für bessere Infrastruktur sorgt, indem man zum Beispiel die Lebensverhältnisse auf dem Land stärker angleicht an die in den städtischeren Regionen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.