Es sah aus wie eine Art Werbevideo: viele bewegte Bilder, schnell geschnitten, mit Musik und Kommentar:
"Warum geht man überhaupt in die Politik? Für den Applaus? Die große Bühne? Und ausgerechnet für die? Mal ehrlich: Keiner kommt einfach so als Politiker auf die Welt, keiner hier ist unfehlbar und erst recht nicht unverwundbar."
Dieser Spot stand am Anfang des entscheidenden zweiten Tags des CDU-Parteitags, den nicht nur die Delegierten sehen konnten, sondern alle – streckenweise auch beim Fernsehsender Phoenix. Dessen Kommentator Gerd-Joachim von Fallois distanzierte sich angesichts der werblichen Inszenierung sogleich vom Clip.
"Wir übertragen natürlich eine Veranstaltung, die natürlich vor allen Dingen die CDU hier gestaltet. Wir werden aber mit weiteren Interviews und den Kommentaren dafür sorgen, dass auch eine kritische Ausgewogenheit hier zustande kommt."
Keine eigenen Bilder der Berichterstatter
Tatsächlich konnten die Medien keine eigenen Bilder in der Berliner Messehalle machen, das am Wochenende "CDU-Studio" hieß, sondern sie waren auf das Fernsehsignal der Partei angewiesen. Ein Trend, den der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin schon länger sieht.
"Insofern sehen wir, dass Parteien sich auf den Weg machen, dass damit aber auch in letzter Konsequenz Kontrollmöglichkeiten sich verschieben, weg vom Fernsehen hin vielleicht zu den Organisationen selber hin, zu sozialen Netzwerken, die dann sicherlich eine starke Rolle spielen."
Einspielfilme der Kandidaten zum CDU-Vorsitz
In kurzen vorproduzierten Einspielfilmen wurden die drei Kandidaten Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen vorgestellt – und hielten anschließend ihre Reden. Wo sie normalerweise direkt in die Gesichter der Delegierten schauen konnten, sahen sie diesmal nur die Linsen von Fernsehkameras.
"taz"-Korrespondentin Sabine am Orde, die den Parteitag ebenfalls per Bildschirm verfolgt hat, findet, dass sich der spätere Wahlsieger Laschet am besten auf das Format eingestellt habe, als er sich zum Ende seiner Rede an die Seite des Pults lehnte und die Bergmannsmarke seines Vaters hochhielt.
"All das hätte man auf einer großen Bühne in einer Riesenhalle gar nicht machen können, weil man das gar nicht gesehen hätte. Aber dadurch, dass er direkt in die Kamera gesprochen hat, hat das super funktioniert. Also er hat die Delegierten direkt angesprochen. Und die beiden anderen haben eigentlich so klassische Parteitagsreden gehalten, die in der Inszenierung mit diesem Fernsehmoment nicht so richtig gut funktioniert haben, von den Inhalten jetzt mal ganz abgesehen."
"DSDS-Moment nicht nötig"
Später konnten die CDU-Delegierten zu Hause digital abstimmen – in zwei Runden. Bei der Bekanntgabe der Wahlergebnisse ließ sich Generalsekretär Paul Ziemiak Zeit – seine Sprechpausen wurden überbrückt von spannungsvoller Musik.
"Und so hat der Bundesparteitag entschieden: Auf Armin Laschet entfallen 521 Stimmen und auf Friedrich Merz 466 Stimmen. Damit ist Armin Laschet gewählt, er hat die Mehrheit, die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht. Herzlichen Glückwunsch, Armin Laschet, und vielen Dank, Friedrich Merz, kommt bitte zu uns rüber."
"Gerade dieser Moment der Verkündung der Stimmergebnisse, das war spannend genug", sagt Politikwissenschaftler Thorsten Faas, "da hätte man jetzt nicht noch einen DSDS-Moment – wer gewinnt denn jetzt, für wen haben sich die Zuschauer-Delegierten entschieden – hinzufügen müssen".
Neue Emotionen im Digitalen
Tatsächlich schuf die Parteiführung durch diese Art der Inszenierung emotionale Momente ganz neuer Art. Denn auch sonst leben Parteitage durchaus von Emotionen, die bei einer rein digitalen Veranstaltung aber wegfallen, sagt der Kommunikationswissenschaftler Marco Dohle von der Universität Düsseldorf:
"Denken Sie an den fast schon triumphalen Einmarsch von Spitzenkandidatinnen und -kandidaten, beklatscht von den Menschen, die dort in dem Saal sind. Die Reden, die dort gehalten werden, zum Teil ja in sehr dramatischer, sich verausgabender Form. Denken Sie an den demonstrativen Applaus der Delegierten, die dann auch aufstehen und Einigkeit zeigen möchten."
Schwierige Arbeit für Journalistinnen und Journalisten
Für Berichterstatter war eine solche Inszenierung aber auch inhaltlich schwierig, denn sie konnten keinerlei Reaktionen einfangen wie bei einem Parteitag vor Ort, bedauert "taz"-Journalistin Sabine am Orde.
"Wie reagieren die Delegierten? Wie lange wird geklatscht? Wer geht raus, wer guckt wie auf dem Präsidium? Und solche Sachen. Das fiel jetzt alles weg. Das heißt, man hatte diese Rede oder diese drei Reden und konnte nur gucken: Wie wirken die eigentlich auf mich?"
Dass sich Parteitage auf Dauer rein ins Digitale verlagern, glaubt Kommunikationswissenschaftler Marco Dohle denn auch nicht. Er sieht eher Hybridformen, Präsenzparteitage blieben wichtig – nicht nur für die Partei nach innen, sondern auch nach außen, "also im Blick auf diejenigen Personen, von denen man hofft, dass sie einen wählen, sind solche inszenierten Parteitage mit Publikum mit Reden vor der Masse von Menschen, der Austausch vor Ort sowohl in den Versammlungen selber als auch außerhalb weiterhin essenziell. Und diese Rückmeldung bekommt man auch aus der Politik".