Mario Dobovisek: Mitgehört hat Elmar Brok, für die CDU ist er im Europaparlament und dort Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Guten Morgen, Herr Brok!
Elmar Brok: Guten Morgen!
Dobovisek: Wenn Sie Karel Schwarzenberg da so zuhören, Herr Brok, den Positionen der Visegrád-Staaten, welche Chance in Sachen Flüchtlingen geben Sie dem EU-Gipfel am Donnerstag?
Brok: Nun, er wird nicht die Lösung der 28 für die Verteilung der Flüchtlinge bringen, aber er wird eine Zwischenbilanz haben, wie wir die Zahl der Flüchtlinge verringern konnten. Darauf kommt es einfach an.
Wir hatten im Oktober 220.000 Flüchtlinge, die über die Türkei und Griechenland kamen, im Januar waren das noch 60.000. Das sind immer noch zu viele, aber daran muss man arbeiten, mit den Griechen, mit den Türken und auch in Zukunft in Nordafrika. Die Frage von Libyen ist wichtig. Die Reduzierung der Zahl ist von entscheidender Bedeutung. Der syrische Friedensprozess ist auch von entscheidender Bedeutung. Wenn die Menschen hier sind, ist es schon verloren in vielen Bereichen.
"Die Kontingentlösung ist nicht der Kernpunkt der Sache"
Dobovisek: Trotzdem: Die Kontingentlösung, die vorgeschlagene, wird am Donnerstag scheitern?
Brok: Sie wird vor allem scheitern, denn sie ist auch nicht der Kernpunkt der Sache. Das ist ja eine Diskussion, die in Deutschland zum Kernpunkt erklärt wird.
Wir Deutschen haben bis Juni die Kontingentlösung abgelehnt, strikt abgelehnt, als die Flüchtlinge nicht bei uns ankamen, sondern in Italien, und jetzt sollten wir, wo wir in Problemen stecken, das jetzt anderen nicht so hart vorwerfen, dass sie nicht solidarisch sind, was eine nicht gute Sache ist. Die Argumentation von Karel Schwarzenberg ist dort auch völlig richtig gewesen, dass wir sehen müssen, dass wir das schrittweise erreichen, die Menschen da hinzubekommen, nicht abgeschottet zu sein wie unter den alten kommunistischen Regimen. Er hat doch gesagt, die Visegrád-Staaten haben Angst vor Fremdem.
Dobovisek: Ungern ein Diktat, hat Karel Schwarzenberg gesagt. Ist Angela Merkel zu dominant und zerbricht damit europäisches Porzellan?
Brok: Ich habe mit Karel Schwarzenberg diese Frage noch am Samstag lange besprochen und er meint nicht Diktat, dass es ausgespielt wird von Merkel. Er unterstützt die merkelsche Politik auch. Er möchte nicht, dass der Eindruck entsteht in seinen Ländern, dass dies, wie er sagte, par ordre du mufti gemacht wird.
Aus diesem Grunde sollten wir das jetzt auch so machen, dass es ein fließender Prozess wird, und je geringer wir die Zahlen bekommen, je stärker wir mit den Registrierungen in der Lage sind, wirkliche Kriegsflüchtlinge, und echte Asylbewerber zu trennen von denen, die keinen Anspruch haben, desto mehr wir in der Lage sind, die jungen Leute aus Marokko, Algerien, Tunesien nicht mehr hereinzulassen, desto größer wird auch die Bereitschaft anderer, die echten Flüchtlinge aufzunehmen. Deswegen muss diese Arbeit geleistet werden in Griechenland, mit der Türkei.
Die Rücknahmeverpflichtung nordafrikanischer Länder muss gewährleistet sein. Es muss gesichert werden, dass der Zustrom aus Afrika im Frühjahr nicht wieder größer wird, dass dieses Rennen mit der Zeit erfolgreich ist, in Libyen die Häfen dicht zu machen. Der gemeinsame Kampf gegen die Schmuggler, deswegen der Einsatz von NATO. Die EU-Meerestruppe Sofia muss in die Territorialgewässer Libyens hinein. Da sind erhebliche Fortschritte da und dieses muss fortgesetzt werden, um an die Ursachen heranzukommen und daran heranzukommen, dass nur Berechtigte überhaupt nach Europa hereinkommen.
Dobovisek: Und trotzdem wird es für Deutschland keine Entlastung geben beim Zustrom der Flüchtlinge, zumindest nicht auf kurzfristige Sicht. Selbst Frankreich, der starke Nachbar sagt, 30.000 Flüchtlinge nehmen wir auf und dann ist Schluss. Steht Deutschland inzwischen alleine da in Europa?
Brok: Erstens steht es nicht alleine da und zweitens wird die Zahl geringer. Wenn die Zahlen, die nach Europa reinkommen, geringer werden, wird auch der Zustrom nach Deutschland geringer.
Die Kontingente sind doch nur ein Herumkurieren an den Symptomen. Wir müssen auf der Balkan-Route in der Zusammenarbeit mit Mazedonien, aber vor allen Dingen mit Griechenland etwas machen. In Griechenland sind im September fünf Prozent der Ankommenden registriert worden. Inzwischen sind es über 70 Prozent.
Daraus muss man jetzt die Schlussfolgerung ziehen, dass dann diejenigen, die nicht berechtigt sind - und das ist die Zusammenarbeit mit der Türkei, die jetzt anläuft - wieder zurückgeschickt werden können. Da ist die NATO-Mission in dem Bereich von großer Bedeutung. Das sind die entscheidenden Fragen, wie kriegt man den Zufluss nach Europa niedriger, nicht wie kriegt man die Verteilung großer Zahlen in Europa voran. Deswegen sollte man das Erste vor dem Zweiten machen.
"Griechenland hat sich bisher sehr holprig verhalten"
Dobovisek: Der Wirtschaftsrat Ihrer Partei, Herr Brok, der CDU, will am liebsten Griechenland aus dem Schengen-Raum ausschließen und damit sozusagen die Grenzen über die Balkan-Route dicht machen. Ist das die Zukunft, wenn wir nicht mehr über Kontingente reden können?
Brok: Ich glaube, dass Griechenland sich bisher sehr holprig verhalten hat und dass deutlich gemacht werden muss, dass nicht bereit sein, die Linie dicht zu machen, zu Folgen führt. Aber das hat, glaube ich, in den letzten 14 Tagen, drei Wochen zu den Folgen schon geführt in dem Sinne, dass Griechenland jetzt offensichtlich mehr macht und die NATO-Mission zugelassen wird, mehr registriert wird mit europäischer Unterstützung, mit europäischen Geräten, die wir dort hingebracht haben. Aber wenn Griechenland nicht wirklich mitmacht, dann müssen wir auch bereit sein, in Zusammenarbeit mit Mazedonien etwas zu machen. Das heißt nicht dicht machen. Natürlich müssen diejenigen durchgehen können, die berechtigt sind.
Dobovisek: Aber was heißt es denn dann, wenn nicht dicht machen mit Zäunen und geschlossenen Grenzen?
Brok: Es heißt, dass nur diejenigen, die hineinkommen, die Berechtigung haben, die echte Kriegsflüchtlinge sind. Das würde bedeuten, dass wir diese Hotspots auch in Mazedonien haben, um dort die Unterscheidung vorzunehmen, und alle anderen in Griechenland belassen müssen, solange wie Griechenland nicht bereit ist, an seinen Außengrenzen was zu machen.
Das heißt, das Wort "nicht bereit sein" muss ich inzwischen wieder korrigieren, denn Griechenland zeigt sich offensichtlich jetzt eher bereit, weil es diese Gefahr sieht, dass die Zusammenarbeit mit Mazedonien für Griechenland problematisch wird, und da hoffe ich, dass da in der nächsten Woche hier weitere Fortschritte erreicht werden.
"Wir sind offen für Flüchtlinge, die um ihr Leben rennen, wir sind offen für echte Asylbewerber, aber nicht für Wirtschaftszuläufe"
Dobovisek: Schauen wir uns kurz das Integrationspapier der CDU an, das der Vorstand heute vorstellen will. Sie versucht, Deutschland für Flüchtlinge unattraktiver zu machen - Stichwort Sanktionen und Fordern. Ist das der Weg, um tatsächlich Flüchtlinge abzuhalten, nach Deutschland zu kommen?
Brok: Ich glaube, wir müssen auf der europäischen Ebene, wie auch die europäische Gesetzgebung es vorschreibt, zu gemeinsamen Standards kommen, dass die anderen ihre Standards erhöhen, die anderen Länder, aber wir auch heruntersenken.
Es darf nicht sein, dass die wirtschaftliche und soziale Attraktivität Deutschlands zur Zuwanderung führt von Leuten, die nicht berechtigt sind, und ich glaube, dass diese Botschaft etwa an die jungen Leute in Algerien, in Marokko und vielen anderen Gegenden deutlich sein muss: Wir sind offen für Flüchtlinge, die um ihr Leben rennen, wir sind offen für echte Asylbewerber, aber nicht für Wirtschaftszuläufe. Deswegen muss man das allen deutlich sagen.
Dobovisek: Aber das funktioniert doch nur, wenn alle Europäer das genauso machen und die gleichen Standards bieten.
Brok: Das bedeutet, dass die sie höher setzen. Aber wenn wir sie niedriger setzen, ist dieses auch ein Abnehmen an Attraktivität. Das ist ja ein teilweiser Vorwurf, dass unsere Unterstützung zu groß ist und dass wir nicht schnell genug abschieben.
Die EU-Kommission hat gesagt, Deutschland verletzt europäisches Recht, weil wir nicht schnell genug abgeschoben haben. Das heißt, die Bundesländer. Das ist in den letzten Wochen auch besser geworden in Deutschland, aber hier müssen wir doch stärker ansetzen und hier müssen wir auch in Deutschland den Laden in Ordnung bringen. Wenn wir in Bayern registrieren und ein Flüchtling wird nach Schleswig-Holstein gebracht, muss der fünfmal registriert werden, weil die Internet-Kontakte zwischen den Bundesländern nicht funktionieren oder das System nicht kompatibel ist.
"Wir sollten nicht kurzfristig populistisch sein, sondern daran arbeiten, gemeinsam die Flut stoppen"
Dobovisek: Fassen wir zusammen: Angela Merkel wollte die europäische Lösung, sie wollte sie jetzt. Die europäische Lösung gibt es nicht. Muss sie die Vertrauensfrage stellen, wie FDP-Chef Lindner es fordert?
Brok: Die europäische Lösung gibt es schrittweise. So wie wir in Deutschland schrittweise vorankommen, kommen wir auf der europäischen Ebene schrittweise voran. Deswegen sehe ich nicht diesen Schnittpunkt jetzt 18. Februar. Es ist für die europäische Lösung weit stärker und besser geworden als im September und nun müssen wir mit Geduld daran arbeiten. Die Grenzen hochzuziehen, doch nicht alle europäischen Länder einzuzäunen, was die Konsequenz ist, weil man da auch die Grünen Grenzen einbeziehen muss, würde bedeuten, dass wir mehr Stacheldraht in Europa haben als zur Zeit des Kalten Krieges.
Wir können uns nicht einmauern, das wäre eine Katastrophe für unsere Menschen und für die Deutschen, die über Grenzen reisen wollen, aber auch eine Katastrophe für die deutsche Wirtschaft, weil dann ein unglaublicher Nachteil auf dem europäischen Binnenmarkt für uns alle entsteht, der Binnenmarkt zerbrechen würde, und deswegen sollte man nicht kurzfristig populistisch sein, sondern daran arbeiten, gemeinsam die Flut stoppen.
Dobovisek: Halten wir das so fest. Der CDU-Abgeordnete Elmar Brok heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank.
Brok: Ich danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.