Die Plakatkampagne der ungarischen Regierung gegen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und den aus Ungarn stammenden jüdischen US-Milliardär George Soros sei skandalös, so der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Zudem verwende Regierungschef Viktor Orbán zwar noch den Begriff Demokratie, wolle aber ein autoritäres System, was nicht mehr an der Gewaltenteilung festhalte. Die EVP müsse dringend Konsequenzen daraus ziehen. "Ich glaube, es läuft jetzt alles auf einen Ausschluss hinaus", sagte Polenz, "und ich hoffe es auch." Der EVP-Vorstand will am 20. März in Brüssel eine Entscheidung treffen.
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: In der konservativen Parteienfamilie im europäischen Parlament gibt es Ärger: Insgesamt 13 Mitgliedsparteien haben inzwischen an das EVP-Präsidium geschrieben, sie wollen Fidesz ausschließen, also die ungarische Mitgliedspartei. Darüber möchte ich reden mit Ruprecht Polenz, CDU-Außenpolitiker, den ich jetzt herzlich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Polenz!
Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Polenz, haben Sie noch Geduld?
Polenz: Ja, sie braucht sich auf. Und ich bin eigentlich der Meinung, dass die EVP jetzt dringend Konsequenzen ziehen muss. Das Tüpfelchen auf dem i ist die Kampagne von Orbán gegen Soros und Juncker mit Plakaten, die eigentlich wirklich skandalös sind. Zumal eben jede Kampagne gegen Soros auch stark antisemitische Untertöne trägt, diese genauso. Und der Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat der EVP, Manfred Weber, hat ja Orbán quasi ein Ultimatum gestellt. Er hat gefordert, diese Kampagne sofort einzustellen und zweitens der Europäischen Universität in Budapest endlich das Arbeiten wieder ungestört möglich zu machen. Falls das nicht passiere, müsste man auf dem nächsten EVP-Treffen auch über den Ausschluss sprechen. Und Orbán hat postwendend geantwortet, dass er natürlich seine Politik nicht ändere. Also, ich muss sagen, es deutet alles auf einen Ausschluss hin, ich muss sagen, ich hoffe es auch.
"Das hat mit Demokratie nicht mehr viel zu tun"
Zurheide: Es ist ja die Grundfrage, und damit ziehen wir den Fokus ein bisschen weg von dem, was Sie angesprochen haben, so wichtig das ist. Alleine jemand, der sagt, wir haben so etwas oder wollen so etwas wie eine illiberale Demokratie - abgesehen mal von der Frage, ob es so etwas überhaupt gibt, eine Demokratie ist eine Demokratie, und illiberal, ich würde sagen, das ist ein Widerspruch in sich, aber das ist jetzt völlig semantische Spitzfindigkeit. Kann man mit so jemandem noch zusammenarbeiten, der will doch etwas anderes oder?
Polenz: Ja, er will was anderes, und Sie haben schon recht mit Ihren Fragezeichen an diesem Begriff. Orbán verwendet noch den Begriff Demokratie, will aber ein autoritäres System, was nicht mehr an der Gewaltenteilung festhält. Er sieht Demokratie eigentlich nur noch im Sinne der Akklamation von vielen zu seiner Regierung. Er möchte sich von der Justiz weniger kontrollieren lassen und auch vom Parlament. Das hat mit Demokratie dann nicht mehr viel zu tun. Und man muss ganz klar sagen, mit dieser Politik hätte Ungarn nicht Mitglied der Europäischen Union werden können. Jetzt sind sie Mitglied und jetzt muss die Europäische Union ihre Möglichkeiten nutzen, die es auch nach den Verträgen gibt, auf eine Einhaltung der Verträge zu dringen und Ungarn dazu veranlassen, sich entsprechend den europäischen Werten zu verhalten, die sie ja selber beim Eintritt unterschrieben haben.
Zurheide: Die Frage ist natürlich, welche Konsequenzen das hat, und ich mache es jetzt noch ein bisschen, ich weiß nicht, komplizierter: Schauen wir nach Polen, was PiS macht, Ungarn haben wir jetzt besprochen, dann können wir noch Rumänien nehmen, da haben wir vielleicht eine eher sozialdemokratische Variante oder in sozialdemokratischem Gewand kommende Variante, wo auch all das, was Sie gerade ansprechen, passiert. Wo kritischer Diskurs behindert wird, Pressefreiheit, Korruption könnte man noch hinzufügen, Einfluss auf Gerichte. Was passiert da gerade in Osteuropa, Herr Polenz?
Polenz: Ich glaube, man muss immer wieder sich daran erinnern, dass es zwar jetzt schon 30 Jahre her ist, dass die Sowjetunion als Reich beendet wurde und dass diese Länder in eine Transformation gehen konnten von Einparteiendiktaturen und Zentralverwaltungswirtschaften hin zu Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Demokratie. Aber es ist offensichtlich so, dass diese Zeit, die ja immerhin seit 1945 gewirkt hat, immer noch Nachwirkungen hat, und dass beispielsweise die postkommunistischen Parteien immer noch eine gewisse Rolle spielen und dass insofern eben Europa doch noch auch entlang der Grenzen des Kalten Krieges Trennungen aufweist, die immer mal wieder aufscheinen und wirksam werden. Das wäre eine meiner Erklärungen dafür.
"Mitgliedschaft in der EU als eine Art Anker"
Zurheide: Aber die entscheidende Frage ist ja, Herr Polenz, wächst das irgendwie zusammen oder geht das weiter auseinander? Mein Eindruck ist, es geht im Moment weiter auseinander.
Polenz: Im Augenblick geht es sicherlich weiter auseinander, aber man muss sich vorstellen, und das gehört dann auch zur ganzen Wahrheit: Wie wäre eine solche Entwicklung, ohne diese Länder in der Europäischen Union zu haben? Wären wir dann besser dran oder schlechter dran? Ich glaube, wir wären schlechter dran, vor allem die Menschen in diesen Ländern wären auch schlechter dran, denn man darf ja nicht übersehen, es gibt auch ganz viele, gerade in Rumänien, was Sie genannt haben, aber eben auch in Ungarn gibt es Opposition, in Polen gibt es eine Opposition, die an europäischen Werten festhalten möchte und die die Mitgliedschaft in der Europäischen Union als eine Art Anker ansieht, auch etwa beim Kampf gegen die Korruption. Von daher hilft die Europäische Union schon auch in dieser schwierigen Lage. Was allerdings richtig ist, ist, dass diese Entwicklungen in einzelnen Ländern die Europäische Union insgesamt im Augenblick eher schwächen.
Zurheide: Nicht nur schwächen, auch wenn wir uns anschauen, was zu befürchten ist, dass die Mehrheiten im Europäischen Parlament sich dahingehend verändern, dass gerade jene Kräfte stärker werden, die ja ein völlig anderes Bild von einem demokratischen Europa haben, als wir beide das gerade diskutieren.
Polenz: Es ist in der Tat richtig, die Wahlen zum Europäischen Parlament in diesem Jahr haben eine ganze entscheidende Bedeutung, einmal aus den Gründen, die wir gerade besprechen. In nahezu allen europäischen Ländern nehmen die Stimmen von europaskeptischen bis Europa ablehnenden Parteien zu. Und die Befürchtung, dass eine Fraktion aus diesen Parteien bis zu einem Drittel bekommen kann, also eine oder mehrere Fraktionen, in denen sich diese Parteien zusammenschließen, die sind durchaus real. Und wenn man dann noch dazunimmt, dass wir nicht nur wie eigentlich immer seit zehn Jahren Russland auf einer Seite, die an Europa zerrt und eher die Spaltung vertiefen möchte, und China, das durch die Seidenstraße-Initiative den südlichen Teil der Europäischen Union in Konferenzen und Debatten immer stärker von seinem Weltbild zu überzeugen versucht, das haben wir sozusagen als Standardsituation. Wir haben aber jetzt erstmals, und darauf würde ich gerne hinweisen, einen amerikanischen Präsidenten, der die europäische Einigung ablehnend sieht und der im Grunde auch dieser europäischen Union feindlich gegenübersteht. Das ist die prekäre Lage, in der wir eigentlich ein starkes Europa bräuchten, und die Frage ist, ob es gelingen wird, den Menschen, die jetzt in Europa zur Wahl aufgerufen sind, diese Notwendigkeit zu vermitteln.
Gemeinsamkeit osteuropäischer Länder
Zurheide: Wobei ich gerne jetzt hinzufügen möchte, dass viele derjenigen, die da protestieren und die möglicherweise das so zum Ausdruck bringen, wie sie es im Moment tun, die haben natürlich auch reale Fragen und reale Sorgen. Da kann man dann die Frage umgekehrt stellen, was hat Europa falsch gemacht, dass die Menschen sich so im Moment entscheiden. Wir können ja nicht jetzt die Wähler beschimpfen.
Polenz: Nein, man muss, glaube ich, sich dann jedes Land ein bisschen extra anschauen. Was aber viele osteuropäische Länder gemeinsam haben, ist ein beträchtlicher Exitus an Menschen, die in den Westen Europas gegangen sind, weil sie dort bessere Arbeits- und Aufstiegsmöglichkeiten gesehen haben. Und das hat zum Beispiel in Ländern wie Polen, Ungarn, aber auch Bulgarien und Rumänien zu einem Gefühl geführt, wir werden hier von den guten, tüchtigen Leuten zu einem Teil verlassen, wir werden abgehängt. Das ist ein Problem, wobei ich da jetzt auch noch keine Lösung für habe, denn man kann ja die Freizügigkeit, die einer der großen Erfolge der Europäischen Union ist, nicht deshalb jetzt einschränken, weil man sagt, ihr müsst alle jetzt dort bleiben, in Polen und Ungarn und so weiter, wo ihr seid. Aber das ist ein objektives Problem und die wirtschaftliche Entwicklung ist sicherlich in Teilen auch hinter bestimmten Erwartungen zurückgeblieben. Auf der anderen Seite würde jeder Blick auf die Karte und jede Fahrt durch die Länder zeigen, wie viel durch Investitionen, die mit europäischem Geld in den letzten 30 Jahren auf den Weg gebracht worden sind, das Land auch vorangebracht haben.
Zurheide: Vielleicht hat man die sozialen Dinge ein Stück zu weit vergessen und zu wenig berücksichtigt, dass die Menschen da so entsetzt sind?
Polenz: Ja, wobei die Europäische Union ja nach wie vor davon ausgeht, dass die Sozialpolitik im Wesentlichen Sache der Nationalstaaten bleibt, einfach auch aus dem Grund, weil die Niveaus im Lohn, in den sozialen Lebensstandards von Land zu Land noch so unterschiedlich sind, dass man jetzt beispielsweise nicht so ohne Weiteres einen gemeinsamen europäischen Mindestlohn, in Euro ausgedrückt von was weiß ich, 18 oder wie viel Euro, verfügen könnte, denn das wäre in manchen Ländern nicht an der unteren Lohngrenze, sondern deutlich in der Mitte.
Probleme nicht wegen, sondern trotz der EU
Zurheide: Man könnte aber dafür sorgen, dass es insgesamt eher steigt, und damit auch Signale geben.
Polenz: Das ist richtig. Ich denke, dass die Probleme, die es wirtschaftlich gibt in diesen Ländern nicht wegen, sondern eher trotz der Europäischen Union noch da sind, und dass eine stärker auf das eigene Land zurückgeworfene Nationalökonomie, wie man das so schön sagen könnte, die Länder nicht wirklich voranbringen könnte. Aber was ich mir schon auch wünschen würde, und das würde dann auch in Deutschland eine spannende Debatte auslösen, dass wir uns noch viel stärker als bisher als ein gemeinsamer Raum verstehen, wo wir eben nicht nur über die Regionalhilfen zu einem Ausgleich beitragen, sondern wo wir uns vielleicht auch intensiver engagieren, beispielsweise eben auch in berufliche Bildung in anderen Ländern investieren, auch von deutscher Seite.
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