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CDU-Politiker Schipanski
"Brauchen Regeln für Meinungsbildung im Digitalen"

Der CDU-Digitalpolitiker Tankred Schipanski hat die Äußerungen von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer verteidigt. Mit den sozialen Netzwerken sei eine neue Informationsordnung jenseits der klassischen Medien entstanden, sagte Schipanski im Dlf. Jetzt müsse überlegt werden, wie eine Regulierung aussehen könne.

Tankred Schipanski im Gespräch mit Christiane Kaess |
Tankred Schipanski (CDU), spricht bei der 83. Sitzung des Bundestags zur Umsetzungsstrategie Digitalisierung
Tankred Schipanski (CDU), spricht bei der 83. Sitzung des Bundestags zur Umsetzungsstrategie Digitalisierung (dpa / Britta Pedersen)
Christiane Kaess: Anscheinend hegt die CDU für YouTuber keine große Sympathie. Nach der Kritik an dem millionenfach geklickten Video des YouTubers Rezo tat sich das Team um Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer schwer mit einer guten Antwort darauf. Und jetzt spricht Kramp-Karrenbauer in Bezug darauf auch noch von Meinungsmache im Netz, für die sie Regeln fordert.
Ich kann darüber jetzt sprechen mit Tankred Schipanski. Er ist Sprecher der Union im Ausschuss für digitale Agenda im Bundestag. Guten Tag!
Tankred Schipanski: Ich grüße Sie, Frau Kaess.
Kaess: Hat Ihre Parteichefin hier komplett über die Stränge geschlagen?
"Sie wird bewusst fehlinterpretiert"
Schipanski: Mit Sicherheit hat sie das nicht getan, und ich glaube, sie hat das ja auch noch mal sehr konkret eingeschränkt, was sie damit gemeint hat, und ich finde es traurig, dass sie wirklich bewusst fehlinterpretiert wird, durch Medien, aber insbesondere auch im Netz. Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich zur Meinungsbildung im digitalen Zeitalter geäußert und gesagt, dass wir überlegen müssen, nicht nur als Politik, sondern das macht die Wissenschaft schon seit geraumer Zeit, wie eine Regulierung hier stattfinden kann, so wie wir es bei den klassischen Medien eigentlich auch kennen.
Kaess: Herr Schipanski, ich möchte doch noch mal zurückkommen auf dieses Zitat. Wir haben es gerade im Beitrag gehört. Es ist die Rede von Meinungsmache, und Annegret Kramp-Karrenbauer fordert eine Diskussion über Regeln. Was ist das anderes als der Versuch einer Zensur?
Schipanski: Nein! Wir befinden uns bereits in einer Diskussion. Der Bundespräsident hat auf der Re:publica eine sehr grundlegende Rede gehalten zur digitalen Gesellschaft. Der Bundestagspräsident hat sich vor einigen Wochen noch einmal zur Kommunikation, auch politischen Kommunikation in der digitalen Gesellschaft geäußert, und nun auch die CDU-Parteivorsitzende. Das ist auch ein Thema, was den Bundestag beschäftigt, insbesondere den Ausschuss digitale Agenda mit mehreren Fachgesprächen. Und noch mal: Es wird in der Wissenschaft unter dem Stichwort natürlich auch der Konvergenz der Medien, dem Zusammenwachsen von unterschiedlichen Medienformen diskutiert, dass durch die sozialen Netzwerke eine neue Informationsordnung jenseits des klassischen Journalismus oder von klassischen Medien entstanden ist. Und wir müssen doch offen darüber diskutieren können, welche Anforderungen diese neue Informationsordnung haben muss.
"Es geht um Meinungsbildung in der digitalen Gesellschaft"
Kaess: Ich glaube, Herr Schipanski, Sie wollen da irgendwie ein bisschen vom Thema abkommen. Deswegen sage ich jetzt noch mal das Zitat, das diese Kontroverse ausgelöst hat, von Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie hat gesagt: "Was wäre eigentlich in diesem Land los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD! Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen."
Jetzt ist es so: Auch wenn solche Wahlaufrufe in Deutschland nicht üblich sind, sie sind nicht verboten. Weiß die CDU-Vorsitzende das nicht?
Schipanski: Ich glaube, die CDU-Vorsitzende weiß das sehr wohl. Aber man muss diese Äußerung auch im Kontext der aktuellen politischen Debatte in Berlin sehen, und da geht es um Meinungsbildung in der digitalen Gesellschaft.
Kaess: Sie spricht aber nicht von Meinungsbildung, sondern sie spricht von Meinungsmache, wenn ich das hier noch mal einwerfen darf.
Schipanski: Ja, gut. Meinungsmache – es wird jetzt gesagt, sie will die Meinungsfreiheit einschränken. Ich glaube, Meinungsfreiheit ist erst mal grundsätzlich ein Grundsatz, um Meinungsbildung überhaupt zu machen. Das Bundesverfassungsgericht hat für die politische Meinungsbildung für die Medien, insbesondere für Rundfunk, für Presse, für Film ausdrückliche Grundsätze entwickelt. Und da muss die Frage diskutiert werden, was sie in Wissenschaft und Politik auch tut: Gelten diese Grundsätze auch für eine neue Informationsordnung in den sozialen Netzwerken. An dieser Debatte beteiligen wir uns.
Kaess: Dann müssen Sie uns erklären, Herr Schipanski: Was ist anders an diesem YouTube-Video, anders als zum Beispiel die Tatsache, dass Journalisten auch vor Wahlen kommentieren, oder dass abgesehen vom Journalismus jeder Stammtisch politische Debatten führt?
EU-Kommission ist vor der Europawahl tätig geworden
Schipanski: Wir haben bisher eine Meinungsbildung in einem konkreten öffentlichen Raum gehabt, in teilweise auch geschlossenen Räumen. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht klare Richtlinien entwickelt. Daher haben wir ja einen Rundfunkstaatsvertrag, daher haben wir Landespressegesetze. Gegenwärtig diskutieren wir, wie sieht diese Meinungsbildung eigentlich im digitalen Zeitalter aus, und stellen fest, dass die sozialen Netzwerke aktiv Meinungsbildung betreiben. Daher überlegen wir, wie kann diese neue Informationsordnung auch regulatorisch für die sozialen Netzwerke aussehen.
Ich darf darauf hinweisen: Das ist ja nicht Deutschland, was hier erstmalig tätig wird, sondern in der Tat die Europäische Kommission hat das ja bereits vor den Europawahlen gemacht mit einem Aktionsplan gegen Desinformation. Sie hat einen Codex aufgelegt im Dezember letzten Jahres, dem sich dann soziale Netzwerke wie Facebook, wie Twitter, wie Google angeschlossen haben. Sie haben das freiwillig umgesetzt. Jetzt ist es eine Sache, die man freiwillig umsetzt, wie ein Codex, den wir auch im Parlament aktiv diskutiert haben, weil es bei der Umsetzung des Codexes durchaus auch zu Schwierigkeiten, auch zu Schwierigkeiten mit Blick auf die Meinungsfreiheit gekommen ist, oder ob ich sage, es reichen keine Selbstverpflichtungen aus, ich muss, wie ich das aus dem klassischen Medienrecht heraus kenne, mit gesetzlicher Regulierung arbeiten.
Kaess: Jetzt haben Sie das Ganze sehr weit ausgeweitet, bis hin zu Fake News. Aber meine Frage war ganz konkret bezogen auf die YouTube-Videos und auf Rezo: Was ist das anderes als die Meinung eines Bürgers?
"Wir wollen uns auf gemeinsame Standards einigen"
Schipanski: Ich glaube, dass eine Meinungsbildung hier in einem sozialen Netzwerk erfolgt, und diese sozialen Netzwerke haben unterschiedliche Reichweiten. Das ist ja genau das, was Rechtswissenschaft und Kommunikationswissenschaft gemeinsam diskutieren, wie diese neue Informationsordnung dort aussehen muss.
Kaess: Aber daran ist ja nichts illegal.
Schipanski: Und noch mal: Die Europäische Kommission reagiert ja genau auf diese Dinge, und das hat natürlich auch direkt was mit Kampagnen, wie es die Europäische Union formuliert, Desinformationskampagnen zu tun, weil wir das aus verschiedenen Wahlkämpfen erleben mussten.
Kaess: Aber das ist ja nichts Illegales, muss ich da noch mal nachsetzen, was da bei YouTube passiert ist.
Schipanski: Nein! Von daher sagt ja auch die Europäische Kommission, wir wollen uns hier auf gemeinsame Standards einigen. Die sozialen Netzwerke sind zur Europawahl da auch mitgegangen. Ich bin gespannt, wenn sie ihre Daten veröffentlichen, was haben sie rausgenommen, wie hat man sich da verhalten, was war da gewesen. Das sind Dinge, die wir im Bundestag diskutieren, die in der Wissenschaft diskutiert werden, und ich verstehe den Beitrag von Annegret Kramp-Karrenbauer da zu einem wichtigen Debattenbeitrag, weil wir uns darüber als Gesetzgeber selbstverständlich Gedanken machen müssen. Wenn das Bundesverfassungsgericht für die klassische Medienwelt Grundsätze entwickelt hat, die sich auch übertragen auf diese neue Informationsordnung, denke ich, ist der Gesetzgeber auch hier gefordert.
Kaess: Wir brauchen Regeln für Meinungsäußerung?
"Wir fragen regelmäßig, wo ist Regulierung nötig"
Schipanski: Nein! Wir brauchen klare Regeln für Meinungsbildung in der digitalen Gesellschaft.
Kaess: Aber dann verstehe ich immer noch nicht, was jetzt an dem Video falsch war und warum wir dafür Regeln brauchen. Wir sind uns einig darüber: Das Video, um das es geht, oder die Videos sind Meinungsäußerungen von Bürgern, ja?
Schipanski: Ja, aber im Rahmen eines sozialen Netzwerkes. Oder sehe ich das falsch? – Wir diskutieren über Meinungsbildung in sozialen Netzwerken im Parlament, in der Wissenschaft, unter dem großen Kontext von Meinungsbildung im digitalen Zeitalter, und da finde ich es einen richtigen Gedankenbeitrag. Das macht auch nicht nur Annegret Kramp-Karrenbauer alleine. Ich habe andere Politiker genannt, die sich aktiv an dieser Debatte beteiligen. Und wir fragen regelmäßig, wo ist Regulierung nötig, wo ist eine Forderung an die Politik, und sind da in einem intensiven Austausch, und ich verstehe den Beitrag von Annegret Kramp-Karrenbauer als einen Debattenbeitrag dazu.
Kaess: Jetzt hat Bundestagsvizepräsidentin Roth auf noch etwas ganz anderes verwiesen. Sie hat gesagt, seit Jahren heiße es bei der Union, rechtspopulistische Diskursverschiebung, bisweilen gar rechtsnationale Hetze dürfe man nicht allzu hart angehen. Kaum aber äußere sich ein YouTuber kritisch, fabuliere Kramp-Karrenbauer über die Beschränkung der Meinungsfreiheit im Wahlkampf. – Misst die Union hier mit zweierlei Maß?
Schipanski: Nein, wir messen nicht mit zweierlei Maß. Ich will daran erinnern, dass wir die Partei waren, die in der letzten Legislatur das sogenannte Netzwerk-Durchsetzungsgesetz aktiv auf den Weg gebracht haben – ein Gesetz, was wir in dieser Legislatur noch einmal evaluieren wollen, was auch ein Meilenstein ist für Haftung im Netz, für Rechtedurchsetzung im Internet. Und ich finde, das war die richtige Reaktion auf Beleidigung, üble Nachrede oder Volksverhetzung, die im Netz stattfindet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.