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CDU-Politiker Stübgen: Lissabon-Vertrag stärkt europäische Integration

Der europapolitische Sprecher der Unionsfraktion, Michael Stübgen, ist fest davon überzeugt, dass der Vertrag von Lissabon in Übereinstimmung mit dem deutschen Grundgesetz steht. Es sei gerade ein Novum des Vertrags, dass das demokratisch legitimierte Europäische Parlament grundsätzlich in allen Entscheidungen volle Mitwirkung habe.

Michael Stübgen im Gespäch mit Mario Dobovisek | 10.02.2009
    Mario Dobovisek: Die Iren sagten nein zum Vertrag von Lissabon, das tschechische Parlament zögert weiter mit der Ratifizierung und auch hierzulande bleibt der Reformvertrag zwischen Parlament, Bundespräsidenten und Bundesverfassungsgericht stecken. Gleich zwei Tage lang wollen sich die Richter in Karlsruhe Zeit nehmen, um über die Klagen gegen den Vertrag zu beraten. Die Materie ist komplex, die Konsequenzen möglicherweise weitreichend und es handelt sich dabei vielleicht sogar um das letzte Urteil des Gerichts in Sachen EU.

    Am Telefon im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erreichen wir Michael Stübgen. Er ist europapolitischer Sprecher von CDU und CSU im Bundestag. Guten Tag, Herr Stübgen!

    Michael Stübgen: Guten Tag.

    Dobovisek: Sie verfolgen die Verhandlungen in Karlsruhe. Worüber wird denn im Moment diskutiert?

    Stübgen: Im Moment wird über die Schwerpunkte der Neuregelung im Vertrag diskutiert, gerade mit Blick auf neue Zuständigkeiten der Europäischen Union – supranational erste Säule und die sogenannte zweite Säule, die Zusammenarbeit an der Außenpolitik und Sicherheitspolitik, die ja im Wesentlichen doch intergovermental verbleibt. Das sind jetzt diese einzelnen Fragen. Da ist ganz wichtig die Frage, inwieweit Primärrecht geändert wird und inwieweit die Parlamente die Entscheidungsverfahren mit beeinflussen können.

    Dobovisek: Wichtig ist die Frage, inwieweit eben die Kompetenzen nationaler Parlamente möglicherweise ausgehebelt werden können. – Was erwarten Sie von der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht?

    Stübgen: Ich habe selber als federführender Berichterstatter vor einigen Monaten meiner Fraktion die Zustimmung zum Vertrag empfohlen, weil ich fest davon überzeugt bin, dass er mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ja, dass er sogar Forderungen des Grundgesetzes, nämlich nach einer stärkeren europäischen Integration Folge leistet und sie befördert. Ich bin überzeugt, dass dieser Vertrag nicht verfassungswidrig ist.

    Dobovisek: Klagen gegen den Vertrag von Lissabon kommen aber auch aus der Union. Der CSU-Politiker Peter Gauweiler – wir haben es im Bericht gehört – klagt gegen die Kompetenzausweitung der europäischen Institutionen. Warum ist die Union in dieser Frage so gespalten?

    Stübgen: Das ist auch gerade ein Ausweis unserer Demokratie, dass ein einzelner Abgeordneter, wenn er der Überzeugung ist, nach eigenem Wissen und nach eigener Prüfung, dass Regelungen des Zustimmungsgesetzes, Regelungen des Vertrages gegen Grundgesetz verstoßen, dass er dies beantragen kann, beim Bundesverfassungsgericht zu prüfen.

    Dobovisek: Steht Peter Gauweiler damit alleine in der Union?

    Stübgen: Ja. Er ist der einzige, der geklagt hat. Wir hatten einige Gegenstimmen, die das auch begründet haben, in Einzelfällen in der CDU/CSU-Fraktion, aber Klage führt nur Peter Gauweiler.

    Dobovisek: Können Sie die Punkte der Kritiker nachvollziehen?

    Stübgen: Nein. Mir fällt es zum Teil schwer, weil die Hauptbegründung von Peter Gauweiler und seines Vertreters ist ja die: Zum einen die Behauptung, dass der Vertrag so kompliziert ist, dass die Abgeordneten des Bundestages gar nicht in der Lage gewesen sein sollen, ihn zu verstehen, und trotzdem zugestimmt haben.

    Dobovisek: Aber wer soll denn dann in der Lage sein, über den Vertrag abzustimmen und zu empfinden?

    Stübgen: Eben, aber das müssen Sie Herrn Gauweiler fragen. Ich halte das für einen wirklich falschen Vorwurf. Es ist richtig, der Vertrag ist kompliziert. Es ist eine sehr komplizierte Rechtsmaterie. Aber wir haben uns im Deutschen Bundestag über viele Monate und vorher schon im Verfahren zu Lissabon über viele Jahre mit sehr vielen Detailfragen, mit allen Detailfragen dieses Vertragswerkes beschäftigt, haben viele Anhörungen gehabt, haben Rechtsexperten gehört, haben auch Kritiker gehört zu der Sache. Das heißt, die Bundestagsabgeordneten haben sich sehr, sehr außergewöhnlich intensiv mit dieser Frage beschäftigt und sind dann mit über 90 Prozent der Abgeordneten zu der Überzeugung gelangt, dass dieser Vertrag verfassungskonform ist, ja, dass er den politischen Zielen Deutschlands und auch denen, die das Grundgesetz stellt, entspricht und diese fördert.

    Dobovisek: Sie sagen es, Herr Stübgen. Dennoch ist der Reformvertrag auch in der abgespeckten Version sehr kompliziert. Er umfasst immerhin noch 287 Seiten. Wird es nicht immer jemanden geben, der einzelne Punkte kritisiert und der möglicherweise dann diesen Vertrag in welcher Form auch immer stoppen könnte?

    Stübgen: Es wird auch immer jemanden geben, der einzelne Punkte des Grundgesetzes nicht für richtig hält und meint, das wäre falsch. Das ist nicht letztlich die Frage, dass nicht alle, fast 500 Millionen Unionsbürger in der jetzigen Europäischen Union einzelne Punkte dieses Vertrages nicht für richtig halten. Entscheidend ist die Frage, hat der Deutsche Bundestag richtig gehandelt mit der Zustimmung zu diesem Reformwerk, ist es richtig, dass dieses Reformwerk notwendig ist, und politisch sind wir davon überzeugt, denn die alten Rechtsgrundlagen, die wir jetzt über den so genannten Vertrag von Nizza haben, reichen nicht aus für eine EU der 27 und mehr Mitglieder. Diese Union ist nicht mehr handlungsfähig genug.

    Wir hatten bisher – und das ist ja das besondere Novum des Lissabon-Vertrages – immer die Situation, dass in wesentlichen Teilen der europäischen Rechtsetzung das europäische Parlament nur eine marginale Rolle spielte, also ein Anhörungsrecht hatte. Jetzt ist es so, dass das demokratisch legitimierte Europäische Parlament grundsätzlich in allen Entscheidungen volle Mitentscheidung hat. Das heißt, ohne Zustimmung des Europäischen Parlamentes können fast keine Rechtsakte mehr erlassen werden.

    Dobovisek: Aber ist die Europäische Union reif für eine Reform ihrer Institutionen?

    Stübgen: Ja, eigentlich überreif. Nach meiner Überzeugung hätte es einen ähnlichen Vertrag schon früher geben müssen, aber solche Prozesse dauern in der Abstimmung mit 27 Mitgliedsländern länger, und Sie wissen ja, dass der Verfassungsvertrag, der übrigens leichter verständlich war, weil er in einem Guss sozusagen eine Neuauflage gebracht hat, bei Referenden gescheitert ist, so dass wir die Notwendigkeit hatten, mit einem geänderten Vertrag, jetzt dem Lissabon-Vertrag, diesen notwendigen Reformprozess weiterzuführen.

    Dobovisek: Und was, wenn das Bundesverfassungsgericht den Vertrag von Lissabon jetzt auch noch kippt? Wie ginge es dann weiter?

    Stübgen: Wenn das Bundesverfassungsgericht die Zustimmung des Deutschen Bundestages und des Bundesrates kippt, kann dieser Vertrag nicht in Kraft treten.

    Dobovisek: Michael Stübgen. Er ist europapolitischer Sprecher von CDU und CSU im Deutschen Bundestag und verfolgt im Moment die mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über den Vertrag von Lissabon. Vielen Dank für das Gespräch.