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CDU-Politikerin Diana Kinnert
Es fehlt ein Agendasetting

Die CDU-Nachwuchspolitikerin Diana Kinnert fordert von ihrer Partei ein klareres Profil. Statt sich auf die alte Links-Rechts-Debatte zu fokussieren, komme es auf eine Agenda für die kommenden Jahrzehnte an, sagte sie im Dlf. Große Hoffnungen setzt sie dabei auf die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Diana Kinnert im Gespräch mit Stephanie Rhode |
    Diana Kinnert, Mitglied in der CDU-Parteireformkommission, steht am 14.12.2015 in Karlsruhe (Baden-Württemberg) beim Bundesparteitag der CDU im Plenarsaal.
    Diana Kinnert (CDU) glaubt, dass Politik in der Vergangenheit zu reaktiv gewesen sei (dpa / picture alliance / Uwe Anspach)
    Stephanie Rohde: Es grummelt in der CDU, vor allem von konservativer Seite kam in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder der Appell, die CDU müsse zurück zu ihren Wurzeln finden in einer neuen Großen Koalition. Die Parteivorsitzende Angela Merkel vernimmt dieses Grummeln in der Partei, gibt sich allerdings total entspannt.
    Angela Merkel: Wenn ich das von meiner Seite aus sagen darf, ich sehe jetzt keine Revolution vor uns, ehrlich gesagt.
    Rohde: Morgen will Merkel ihre CDU-Minister vorstellen, am Montag dann soll der CDU-Parteitag über den Koalitionsvertrag abstimmen und Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen Generalsekretärin wählen. Darüber habe ich vor der Sendung mit Diana Kinnert gesprochen. Sie ist CDU-Mitglied, 27 Jahre alt, queer, migrantisch und macht sich in der Reformkommission der CDU Gedanken über die Zukunft ihrer Partei. Und ich wollte eingangs von ihr wissen: Friedrich Merz hat gesagt, die CDU hat sich aufgegeben, wenn sie den Koalitionsvertrag annimmt. Gibt sich Ihre CDU am Montag auf?
    Diana Kinnert: Das Statement würde ich nicht mitunterschreiben. Ich glaube, dass wir einen klaren Regierungsauftrag haben durch das Wahlergebnis, und dann muss man aus dem schöpfen, was es an Möglichkeiten gibt. Und die Große Koalition war auch nicht meine Wunschkoalition und da muss man zu Kompromissen kommen, aber ich glaube, dass das schon in der Verantwortung liegt, regieren zu müssen, wenn man gewählt wird.
    "Ich glaube, dass Politik in letzter Zeit zu reaktiv geworden ist"
    Rohde: Selbst der gar nicht so konservative Norbert Röttgen hat eine lange nicht da gewesene Inhaltsleere diagnostiziert und spricht von einem tiefen emotionalen Vertrauensverlust. Macht Ihnen das Angst, wenn selbst Leute aus der Mitte der Partei so was sagen?
    Kinnert: Nein, weil ich das auch ein Stück weit teile, aber nicht auf der Ebene, dass ich sage, wir brauchen eine neue Links-Rechts-Debatte oder müssen da irgendeine Art von rechter Flanke schließen, sondern …
    Rohde: Sondern?
    Kinnert: … ich glaube, dass Politik in letzter Zeit zu reaktiv geworden ist. Ich halte Problemlösungen aus Krisen für eine wichtige politische Aufgabe, aber mir geht ein bisschen verloren, ein Agendasetting durchzuführen, das in die Jahrzehnte gedacht ist. Und da denken wir zu wenig über die Konsequenzen von Digitalisierung und vor allem dem demografischen Wandel nach, finde ich.
    Rohde: Und sehen Sie davon irgendetwas im Koalitionsvertrag?
    Kinnert: Zu wenig, ehrlich gesagt. Und deswegen erhoffe ich mir zum Beispiel durch eine neue Generalsekretärin, die ihre Wurzeln auch in der christlichen Soziallehre hat, dass wir da neue ethische Debatten führen, die zum Grundsatz der CDU zurückführen und die sich beispielsweise auch mit neuen Debatten beschäftigen, was Maschine und Mensch und der technologische Wandel für unsere ethischen Debatten zur Folge haben.
    Rohde: Was ist denn der Grundsatz, zu dem die CDU zurückkehren soll?
    Kinnert: Na ja, die CDU hat in ihrer Gründungsgeschichte von 70 Jahren drei Wurzeln, das ist die christlich-soziale Wurzel, die bürgerlich-liberale Wurzel und die wertkonservative Wurzel. Ich glaube, dass alle drei richtige Säulen sind für ein anspruchsvolles Gesellschaftsbild, das die CDU vertreten möchte als Volkspartei. Aber ich denke eben, dass wir in einer neuen Wirklichkeit – und in der sind wir mit einem globalen Kontext, in der sind wir mit Industrien, die sich verändern, und einem Erwerbsleben, das brüchig ist, und in dem sind wir, in der Maschine und Mensch ganz neu zusammenarbeiten –, da muss man diese Werte einfach neu übersetzen. Und ich glaube, dass es da auf neue Debatten ankommt, die jede einzelne Säule und jede einzelne Wurzel neu berücksichtigen.
    "ich glaube, dass Annegret Kramp-Karrenbauer die ideale Generalsekretärin ist"
    Rohde: Diese drei Säulen hat ja auch Annegret Kramp-Karrenbauer genannt. Sie soll ja neue Generalsekretärin jetzt werden, allerdings kommt Kramp-Karrenbauer manchem Beobachter vor wie ein Vexierbild oder so ein Kippbild: Die einen sehen eben das und die anderen sehen das andere, also das eher Konservative. Läuft die Partei mit so einer Person dann nicht Gefahr, wieder gar keinen scharfen Markenkern zu haben, sondern alles zu sein?
    Kinnert: Nein, ich glaube, dass Annegret Kramp-Karrenbauer die ideale Generalsekretärin ist, ehrlich gesagt. Das ist für mich auch ein relativ neuer Gedanke, ich hatte mit ihrer Personalie nicht gerechnet. Ich glaube aber, dass gerade weil sie eine sehr eigenständige, unabhängige Politikerin ist, die Regierungserfahrung hat, die Ministerpräsidentin war, dass sie dort Debatten streitlustig führen kann. Ich glaube, den neuen Streit brauchen wir in der CDU, um uns da auch selbstbewusst wieder neu aufzustellen.
    Rohde: Und das sagen Sie, obwohl Kramp-Karrenbauer die Homo-Ehe bezeichnet hat als einen Schritt Richtung Verwandtenehe?
    Kinnert: Ja, was ich für eine unmögliche Aussage halte und die ich absolut nicht teile, aber wir sind 500.000 Mitglieder in der CDU und da kann ich nicht erwarten, dass jedes einzelne Mitglied in jeder Debatte meiner Meinung ist. Ich glaube aber, dass sie insgesamt jemand ist, der in der Sache fair bleiben kann, der insgesamt nüchtern-analytisch ist, deswegen vielleicht auch viel entwaffnender sein kann gegenüber Populismus als andere Politiker. Und ich glaube, dass sie als Debattenführerin und als integrative Kraft in der CDU einen guten Job machen könnte.
    Rohde: Und das Kramp-Karrenbauer immer wieder konsequentere Abschiebungen gefordert hat, das finden Sie dann auch gut, wenn das auf Bundesebene der Fall sein wird?
    Kinnert: Na ja, ich glaube, dass die Migrationskrise einfach ganz große Politika bei uns aufwirft, und das hat was mit Ordnungssystem zu tun, das hat was mit der Beibehaltung unseres Rechtssystems zu tun. Und wenn Leute abgeschoben werden sollen und das der aktuelle Befund ist, dann muss ein Rechtssystem das auch sicherstellen. Und das, finde ich, ist Länderaufgabe und da halte ich ihre Aussagen auch nicht für schlecht.
    "Jugend allein ist grundsätzlich kein inhaltiches Merkmal"
    Rohde: Sie fordern ja selber eine Verjüngung der CDU. Der 37-jährige Jens Spahn, ist der eine Verjüngung für die Partei?
    Kinnert: Altersmäßig auf jeden Fall, ich glaube, dass der sich sehr gut profiliert hat vor allem in der Gesundheitspolitik und den digitalen Themen. Aber ganz grundsätzlich ist Jugend allein natürlich kein inhaltliches Merkmal. Das bringt Dinge mit, die für einen Bildungsaufbruch stehen können, die für einen Reformgeist stehen können, die ich befürworte, aber das muss man auch nicht auf jede einzelne Personalie runterbrechen.
    Rohde: Wo wir gerade bei Personen sind: Warum macht in der CDU eigentlich niemand mal einen auf Kevin Kühnert, den Juso-Chef?
    Kinnert: Ich glaube, wir haben mit Paul Ziemiak einen ganz guten JU-Chef, der aber eben anderer Meinung ist. Und der ist nicht der Meinung, dass die Mutterpartei da ins Verderben läuft und man das revolutionär aufhalten muss, sondern – und das ist eine Meinung, die ich teile – er glaubt, dass der Koalitionsvertrag was Gutes bringen kann und dass das in der Regierungsverantwortung liegt, da einen Schritt auf eine Koalition zu zu machen.
    Rohde: Aber so wirkliches Rebellentum ist das nicht!
    Kinnert: Ja, mir fehlt, dass Rebellen zum Beispiel eben in Reformthemen, Aufbruchsthemen, in Digitalisierungsthemen, in Demografiethemen, dass das etwas ist, was wenig vernehmbar ist, das wenig [Anmerkung der Redaktion: Das nachfolgende Wort ist leider unverständlich aufgrund der schlechten Telefonleitung] ist, das findet aber statt. Und ich glaube, da müsste man einfach genauer auf die Debatten hingucken, da äußert sich so ein Rebellentum eben nicht in einem Koalitionsvertrag, sondern in der Sache. Und ich glaube, dass das eine mediale Geschichte ist, dass man da auf die Sachthemen nun einfach nicht so sehr Bezug nimmt.
    "Wir haben eine Identitätssuche in der CDU"
    Rohde: Annegret Kramp-Karrenbauer hat ja ein neues Grundsatzprogramm angekündigt. Sie sagen jetzt die ganze Zeit, es kommt auf die Inhalte an. Was wäre denn Ihr Rezept für die Genesung der CDU?
    Kinnert: Ich glaube, dass diese alte Links-Rechts-Debatte und diese Konservatismusdebatte, die wir in den letzten Wochen und Monaten führen, sehr viel Nebenschauplatz ist, dass sich daraus erschöpft, dass wir eine Identitätssuche in der CDU haben.
    Und ich glaube, dass so ein Grundsatzprogramm eine ganz gute Lösung dafür sein könnte, da den Wurzeln wieder näherzukommen. Und da, glaube ich, kommt es darauf an, wie wir zum Beispiel die Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft neu definieren bei einem technologischen Wandel, der Industrien verändert, bei dem wir nicht genau wissen, wie brüchig ein Erwerbsleben sein wird, wie verschiedene Leute unverschuldet, deren Ausbildungen auf einmal zwecklos sind, weil sich andere Berufe [Anmerkung der Redaktion: Das Wort ist leider unverständlich] machen. Und ich glaube, da zu überlegen, was hat das noch mit sozialer Marktwirtschaft zu tun und wo können wir über ein christlich-soziales Menschenbild Arbeit gewähren und auch Arbeitsschutz gewähren, ich glaube, dass das ganz wichtige Fragen sind, die mit Arbeitspolitik und unserem Wohlfahrtssystem zu tun haben.
    "Ministerien auf Zeit könnten eine Lösung sein"
    Rohde: Sie fordern ja auch die Einsetzung von Ministerien auf Zeit, also dass es Minister auf Zeit gibt. Wem in der CDU würden Sie denn zutrauen, dass er sich darauf einlässt?
    Kinnert: Ja, das ist eine Idee, über die muss man wahrscheinlich noch in verschiedenen Denkfabriken nachdenken. Ich mache mir ganz insgesamt Gedanken darüber, dass ich das Gefühl habe, wir haben Apparate und Satzungen erfunden vor Jahrzehnten, und bei denen ich das Gefühl habe, dass sie nicht mehr so flexibel und beweglich auf Dinge reagieren und auf Arbeitsprozesse reagieren können, mit denen wir heute zu tun haben. Es gibt in Skandinavien und in den Niederlanden beispielsweise Innovationslaboratorien, die sind zwischen Ministerien angesiedelt, wo man Querschnittsthemen interdisziplinär behandelt, und diese Arbeitsprozesse gibt es bei uns in Deutschland nicht. Und da, finde ich, könnten Ministerien auf Zeit eine Lösung sein. Über die muss man natürlich nachdenken, da muss man über die Ausgestaltung nachdenken, aber Themen wie beispielsweise der demografische Wandel, wie beispielsweise die Anbringung des ländlichen Raums, wie beispielsweise Integration sind zum Beispiel Themen, die des Schwerpunktes bedürfen, glaube ich.
    "Ich mache mir um die Personalien wenig Sorgen"
    Rohde: Morgen stellt Angela Merkel ja ihre Minister und Ministerinnen vor. Womit könnte die Bundeskanzlerin Sie überraschen?
    Kinnert: Ich mache mir da um die Personalien wenig Sorgen, weil ich glaube, dass wir gute Leute haben, und weil ich auch glaube, dass die Ministerialposten gar nicht personell so überzubewerten sind. Wir sind eine, finde ich, große Volkspartei, die sich in großen Debatten einbringen kann, und da macht der eine oder andere Name mir wenig Kopfschmerzen. Ich glaube, dass, wenn wir es wirklich schaffen würden, einen guten Frauenanteil auch unter den Ministerinnen hinzukriegen – oder unter den Ministern insgesamt, dass wir dann einige Ministerinnen haben –-, dass das ein schöner Fortschritt für uns wäre.
    Rohde: Das sagt Diana Kinnert, sie ist CDU-Mitglied und in der Reformkommission der Partei. Dieses Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.