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CDU vor Bundesparteitag
Macht ohne Ideologie

Die CDU ist derzeit auf einem ihrer Höhepunkte der Macht, obwohl die Christdemokratie als solche schwächelt. Zu verdanken hat die Partei das ihrer für sie typischen programmatischen Flexibilität. Typisch für die Partei ist allerdings auch ein unsanfter Führungswechsel - schafft Merkel es, ihre Nachfolge rechtzeitig selbst zu regeln?

Von Stephan Detjen |
    Bundeskanzlerin Merkel nach der Wiederwahl beim CDU-Bundesparteitag in Hannover
    Die CDU ringt um ihre christdemokratische Identität im 21. Jahrhundert. (picture alliance / dpa / Jochen Lübke)
    In der außenpolitischen Fachzeitschrift "Foreign Affairs" erschien in diesem Sommer ein Artikel des deutschen, seit vielen Jahren an der amerikanischen Spitzenuniversität Princeton lehrenden Politikwissenschaftlers Jan Werner Müller. Darüber ein Bild von Angela Merkel, ganz in Schwarz gekleidet mit gesenktem Kopf. "The End of Christian Democracy" - das Ende der Christdemokratie lautete der Titel des Essays. Angela Merkel, die mächtigste Frau der Welt, gerade mit fast absoluter Mehrheit wiedergewählt, unangefochten an der Spitze ihrer Partei, als Totengräberin der CDU?
    "Also man kann in der Hinsicht sicherlich sagen, dass die Christdemokraten, die heute an der Macht sind - sowohl auf nationalstaatlicher Ebene, als auch in den europäischen Institutionen - eigentlich in Anführungszeichen ihren "Glauben" verloren haben."
    Jan Werner Müller diagnostiziert einen Niedergang der Christdemokratie als europäisches Krisenphänomen. Sozialer Wandel, die Auflösung des klassisch konservativen Bürgertums, eine fortschreitende Entkonfessionalisierung hätten die Christdemokratie europaweit in eine programmatische und strukturelle Krise geführt. Das Bild mächtiger Christdemokraten an der Spitze der EU täusche, sagt Müller:
    "Herr Juncker ist gerade zum Kommissionspräsidenten gewählt worden. Barroso war auch schon ein Christdemokrat. Donald Tusk ist ein Christdemokrat. Die wichtigste Politikerin in Europa ist Christdemokratin. Auf dem Papier sieht es immer noch so aus, als sei das Ganze eine vorwiegend christdemokratische Veranstaltung. Aber die Bereitschaft, für die europäische Integration große politische Risiken einzugehen und auch große Teile nationalstaatlicher Souveränität aufzugeben, die ist heute eigentlich nicht mehr gegeben."
    In ganz Europa sind seit den Neunzigerjahren einst mächtige C-Parteien - wie die Democrazia Christiana in Italien - kollabiert. In Ungarn treibt die Fidesz Partei von Viktor Orban - nach wie vor Mitglied im EVP-Verbund der europäischen Christdemokraten - eine Renationalisierung voran, die im scharfen Gegensatz zu der pro-europäischen Tradition der Christdemokratie steht. Die Frage, warum gerade in Deutschland die CDU unter Angela Merkel eine Sonderrolle einnimmt, treibt auch den Historiker Frank Bösch um. Bösch ist Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung und Autor eines Standardwerks über die Geschichte der CDU:
    "In der Tat haben viele Beobachter Anfang der 90er-Jahre angenommen, dass die CDU kaum eine Chance hat. Und in der Tat: Die CDU muss sich seit den 90er-Jahren zunehmend auf Wechselwähler stützen. Und das führte auch dazu, dass die CDU programmatisch so flexibel wurde, wie wir das heute insbesondere unter Angela Merkel kennen."
    Typus des klassischen Unionspolitikers stirbt aus
    Programmatische Flexibilität, das erfolgreiche Werben um neue Wählerschichten und vor allem Angela Merkel sind die immer wieder genannten Gründe für die Dominanz, die der CDU - jedenfalls auf Bundesebene - in allen Meinungsumfragen zugeschrieben wird. Die deutsche Parteienlandschaft scheint knapp ein Jahr nach Regierungsbeginn der Großen Koalition um eine monolithisch stabile Union wie eingefroren. Doch auch die CDU ringt um ihre christdemokratische Identität im 21. Jahrhundert.
    Mit dem Fahrstuhl ins Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags. Dort ist das Büro von Thomas Dörflinger, der den idyllischen Hochschwarzwaldkreis im Bundestag vertritt. Natürlich CDU. An der Wand des schmalen Büros eine Kuckucksuhr. Neben dem Schreibtisch das orange-schwarze Banner des katholischen Kolpingwerks. Auf dem Regal ein Porträtfoto des deutschen Papstes Benedikt. Schon Dörflingers Vater saß für die CDU im Bundestag - damals, als es noch den Typus des klassischen Unionspolitikers gab.
    "Den gab es schon, ja. Das betrifft einen Werdegang in den 50er und 60er, vielleicht auch noch in den 70ern. Schon in den 80ern ist das die Ausnahme. Das ist der kleine Bub als Ministrant, der später in der katholischen Jugend sozialisiert wird, in die Kolpingfamilie findet, Mitglied des Pfarrgemeinderates wird, Mitglied des Gemeinderates, anschließend Bürgermeister und dann Bundestagsabgeordneter. Das ist beispielsweise der Werdegang meines Vaters. Der ist typisch."
    Dörflinger Junior kam 1998 in den Bundestag, dem Jahr, in dem sein Vater Werner Dörflinger ausschied. Der Wahlkreis Waldshut ist seit 34 Jahren in Familienhand. Mit 49 Jahren in der fünften Wahlperiode gehört Thomas Dörflinger in Berlin auch schon nicht mehr zur jüngsten Generation von Unionspolitikern.
    "Ich bin in meiner Generation schon eher die Ausnahme. Und wenn ich die Generation meiner Kinder ansehe - wobei dann die eigenen Kinder naturgemäß untypisch sind - aber wenn ich mir diese Generation ansehe, auch die Generation, die uns jetzt als Abgeordnete nachgefolgt ist, die zehn, 15 Jahre jünger sind, da ist diese Biografie eher die Ausnahme."
    Szenenwechsel: Konrad-Adenauer-Haus. Die Parteizentrale der CDU in Berlin. Peter Tauber verkörpert dort als Generalsekretär seit einem Jahr das neue, junge und immer gut gelaunte Gesicht der CDU. Der 40-Jährige twittert, chattet und mobilisiert in alle politischen und sozialen Richtungen. Tauber ist der erste Digital Native in der Chefetage des Adenauer-Hauses, er umwirbt Migranten, lädt die Lesben- und Schwulen-Union in der CDU zum großen Empfang in die Parteizentrale.
    "Also wissen Sie, ich bin 1992 in die CDU eingetreten. Und ich kann nicht behaupten, dass die CDU von '92 die von 2014 ist. Im Gegenteil: Das hat miteinander recht wenig zu tun. Trotzdem ist das noch meine CDU."
    Pragmatische Wendungen
    Die besondere Fähigkeit der CDU, immer wieder in nahezu alle Bereiche einer sich wandelnden Gesellschaft anschlussfähig zu bleiben, hat für den Generalsekretär mit dem Gründungsgedanken einer Partei zu tun, die sich in den Nachkriegsjahren bewusst nicht Partei nennen wollte:
    "Also die Union unterscheidet sich ja in einem Punkt von allen - vielen - anderen Parteien. Wir sind Union. Und dahinter steckt auch eine Idee. Wir wollen das Ziel verfolgen, möglichst für alle gesellschaftlichen Gruppen ein Angebot zu haben und die zusammenzubringen in der CDU."
    Auch Jan Werner Müller, der Politikwissenschaftler in Princeton, beschreibt die innerparteiliche Integrationsfähigkeit als eines der Merkmale, das die CDU seit den Anfängen ihrer Geschichte als Volkspartei von anderen Parteien unterschieden hat:
    "Das ist sicherlich richtig, und das war auch in gewisser Weise immer schon der Fall. Also auch in den 50er-Jahren hat es die CDU vermocht, zum Teil ganz unterschiedliche Gruppierungen, also konkret gesagt, Vertreter der katholischen Soziallehre, Vertreter einer neoliberalen Vorstellung von Markt, aber zum Teil auch eher nationalistisch eingestellte Wählerschichten, an sich zu binden. Wobei an sich vieles, was in der Theorie auf dem Papier eigentlich gar nicht wirklich verbunden werden konnte, irgendwie sich doch zusammengefunden hat."
    Doch Angela Merkels pragmatische Wendungen in der Atompolitik, die Abschaffung der Wehrpflicht und die Liberalisierung des Familienrechts haben die Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit vieler konservativer Anhänger auf eine harte Probe gestellt.
    "Das sehe ich in den letzten Jahren mindestens nur eingeschränkt gegeben," sagt Thomas Dörflinger auf die Frage, ob die Basis den Kurs der Kanzlerin tatsächlich so verinnerlicht habe, wie es nach außen scheint. Vor zwei Jahren hat sich Dörflinger mit einigen Kollegen im "Berliner Kreis" zusammengetan, um traditionellen Unionspositionen vor allem in der Gesellschaftspolitik wieder Gewicht zu geben. Schnell war von einer konservativen Revolte in der Union die Rede. Doch schon nach ein paar ersten Treffen war von der Gruppe nicht mehr viel zu hören.
    "Der Versuch ist noch nicht zu Ende. Tatsache ist, dass es gegenwärtig etwas ruhiger oder ruhig geworden ist, was aber nichts daran ändert, dass wir nach wie vor einen Bedarf sehen, nicht nur ein Mehr an innerparteilicher Diskussion, sondern die Frage im Grundsatz zu erörtern, ob wir an verschiedenen, für uns elementaren Punkten tatsächlich auf dem richtigen Wege sind. Auch vor dem Hintergrund, dass wir an einigen Punkten - ich nenne Familien- und Gesellschaftspolitik als Beispiel - kaum noch unterscheidbar sind von unseren politischen Markbegleitern. Und in der Regel ist es so, dass die Wählerinnen und Wähler immer noch das Original wählen und nie die Kopie."
    Jens Spahn sitzt am 12.05.2013 in Berlin im Gasometer in der ARD-Talkreihe Günther Jauch.
    Umstritten: Jens Spahn, Mitglied im CDU-Bundesvorstand (dpa / Paul Zinken)
    Noch auf dem letzten Bundesparteitag vor zwei Jahren in Hannover setzte sich der konservative Flügel der CDU nach einer heftigen Debatte mit einem Antrag gegen die steuerrechtliche Besserstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften durch. Der Sozialpolitiker Jens Spahn hatte kurz zuvor in einem Interview begründet, warum er als Homosexueller gerade in der CDU seine politische Heimat gefunden habe. Auf dem Parteitag in Hannover wetterte der junge Bundestagsabgeordnete gegen den Mehrheitsantrag seiner konservativen Parteifreunde, der mit verschwurbelten Formulierungen die steuerrechtliche Diskriminierung eingetragener Lebenspartner begründen sollte:
    "'Die in anderen Formen der Partnerschaften ihren Lebensentwurf verwirklichen'. Also Entschuldigung: Ich verwirkliche mich nicht. Ich bin einfach wie ich bin, und allein deswegen bitte ich Sie schon, die Antragskommission und Ihr Votum abzulehnen."
    Umstrittene Nachwuchspolitiker
    Wenig später gab das Bundesverfassungsgericht Spahn recht und kassierte erwartungsgemäß die Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartner bei der Einkommensteuer. Die CDU sah alt aus. Spahn wurde zu einer Galionsfigur des aufstrebenden Parteinachwuchses. Auf dem morgen beginnenden Parteitag sorgt er wieder für einen der wenigen, echten Spannungsmomente. Der 34-Jährige tritt in einer Kampfkandidatur für das siebenköpfige Parteipräsidium an. Doch gerade diese Kandidatur illustriert auch, dass sich die Lagerbildungen in der Union längst nicht mehr einfach zwischen konservativen Traditionalisten und progressiven Reformern kartografieren lassen. Auch ein Wertkonservativer wie Thomas Dörflinger, der 2012 in Hannover noch vehement gegen Spahns Gleichberechtigungsforderungen kämpfte, sieht dessen jetzige Präsidiumskandidatur mit offener Sympathie. Wichtiger als das Familienbild des schwulen Sozialpolitikers ist für den konservativen Katholiken Dörflinger jetzt, dass Spahn seine Kritik an der von der SPD diktierten Rentenreform der Großen Koalition teilt.
    "Weil die Positionen, die Spahn vertritt, also wenn ich die ganze Diskussion über die Rente mit 63 als Beispiel nehme, das ist eine Diskussion, die den klassischen CDU-Wähler oder die klassischen Sympathisanten der CDU sehr bewegt. Weil wir uns alle fragen, wieso wir das eigentlich gemacht haben."
    Die Präsidiumswahl ist der einzige Punkt der morgigen Tagesordnung mit echtem Überraschungspotenzial. Selbst erfahrene Parteistrategen wie der ehemalige CDU- Generalsekretär Peter Hintze wagen keine Vorhersage, ob es dem jungen Nachwuchstalent Spahn gelingen könnte, eines der politischen Schwergewichte aus der Unionsspitze zu verdrängen.
    "Wenn Sie das ganze Präsidium anschauen, gehören da alle rein: Tillich als der große und erfolgreiche Ministerpräsident in Sachsen. Frau Demirbüken als die Repräsentantin der Migrantinnen und Migranten in Deutschland, auch der Muslime, Frau Kramp-Karrenbauer als erfolgreiche Ministerpräsidentin im Saarland. David McAllister, der gerade für die CDU eine neue Funktion in der internationalen Politik einnimmt. Also das wird sehr schwer. Also da wird mancher noch auf seinem Bleistift kauen und sich vielleicht im letzten Moment erst überlegen, wen er ankreuzt. Kann sein, dass dabei Spahn scheitert."
    Jens Spahn ist nicht der einzige Nachwuchspolitiker, der die Partei schon im Vorfeld des Kölner Treffens in Bewegung gebracht hat. Der andere ist Carsten Linnemann. Der 37-Jährige ist seit Oktober letzten Jahres Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung. Nach einem Jahr Großer Koalition, das vor allem in Zeichen sozialpolitischer Leistungsgesetze stand, will er das wirtschafts- und finanzpolitische Profil seiner Partei wieder schärfen:
    "Ich möchte, dass die Union an der Speerspitze steht beim Thema Abbau der kalten Progression. Ich möchte, dass wir unseren Nimbus nicht verlieren. Wir haben lange genug das Thema Abbau der kalten Progression angekündigt. Und wir müssen jetzt es auch endlich anpacken."
    Linnemann hat eine Allianz aus Junger Union, Mittelstandsvereinigung und Arbeitnehmerflügel hinter sich zusammengeschlossen, um Angela Merkel und Finanzminister Schäuble mit einem konkreten Stichdatum unter Handlungsdruck zu setzen: Anfang 2017, noch in dieser Wahlperiode, soll der Abbau der kalten Progression spürbar werden. Gehaltssteigerungen im entscheidenden Grenzbereich sollen ab dann nicht mehr durch den Übergang in höhere Steuertarife verzehrt werden. Carsten Linnemann befriedigt die Sehnsucht vieler Unionsanhänger nach jenem eleganten Schneid, mit dem einst Friedrich Merz die leistungsbetonte und ordnungspolitisch kühle Vernunft des CDU-Wirtschaftsflügels verkörperte.
    "Wir brauchen Leistungsanreize. Und es muss sich lohnen, in Deutschland zu arbeiten und diejenigen, die eine Lohnerhöhung bekommen, müssten auch den größten Teil davon behalten dürfen."
    Regierungsstil ohne ideologische Bindung
    Auch Linnemann steht für eine typische Unionsbiografie: Volkswirtschaftsstudium, frühes Engagement in der Jungen Union, Assistent in der Führungsetage der Deutschen Bank. Er trägt dunklen Anzug, kurz geschnittenes Haar, schwarzes Brillengestell im Stil des späten Guido Westerwelle. Eloquent und gelehrt stellt sich Linnemann in die Traditionslinie christdemokratischer Wirtschaftspolitik:
    "Ich bin der festen Überzeugung, dass das christliche Menschenbild zeitlos ist. Ich glaube, sowohl die Personalität, die Würde des Menschen als auch das Thema Solidarität, wirklich für diejenigen da zu sein, die es bitter nötig haben. Das ist die Freiburger Schule. Das ist Walter Eucken, das ist Müller-Armack. Das ist Ludwig Erhard. Und wirklich auf die zu konzentrieren und auf der einen Seite Subsidiarität groß zu schreiben, dass jeder selbst in der Verantwortung steht, das Leben zu organisieren."
    Carsten Linnemann, Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, im ZDF
    Carsten Linnemann, Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung (dpa / Karlheinz Schindler)
    Im Ringen um den Abbau der Kalten Progression hat Linnemann seiner Partei heute Abend kurz vor Beginn des Parteitags einen Kompromiss abgerungen. Erste Entlastungswirkungen sollen 2017 spürbar werden. Die CDU ist schließlich die Meisterin des politischen Timings, meint Peter Hintze. Der einstige Pfarrer und CDU-Generalsekretär zu Kohls Zeiten - heute Vizepräsident des Deutschen Bundestages - erklärt das mit einem kühnen Verweis auf die Kirchengeschichte:
    "Die Frage, ob etwas richtig oder falsch ist, wie wir aus der Kirchengeschichte wissen, ist gar nicht immer eine Frage der Sache, sondern oft eine Frage des Zeitpunkts. Es ist vielleicht auch ein Punkt, dass man sagt, wenn die Zeit für eine bestimmte politische Entscheidung reif ist, dann sind wir die Partei, die diesen Zeitpunkt am ehesten erfasst. Den Kairos, griechisch gesprochen. Johannes Hus ist als Ketzer verbrannt worden. Martin Luther ist der große Reformator. Ich weiß nicht wie es ihm 100 Jahre vorher ergangen wäre. Ist jetzt vielleicht ein etwas steiler Vergleich. Aber die CDU fällt dann eine Entscheidung, wenn ein gewisser gesellschaftlicher Konsens auch durch ihre eigene Diskussion dazu herbeigeführt ist."
    Hintzes Reformationsgleichnis liefert so etwas wie den theologischen Überbau zum Regierungsstil einer Kanzlerin, die selbst jede ideologische Bindung abwirft, wenn wieder einmal der rechte Zeitpunkt gekommen ist, sich auf dem Markt der politischen Möglichkeiten zu bedienen:
    Angela Merkel:
    "Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn die SPD als erste mal eine gute Idee hatte, dann bin ich doch die Letzte, die das nicht unter dem Etikett Verbraucherschutzpatentierung nun wirklich auch festschreibt. Ja, es war eine SPD-Idee. Es ist von CDU-Oberbürgermeistern übernommen worden. Anschließend von CDU und CSU, und dann müssen wir es bloß noch umsetzen, meine Damen und Herren."
    Wenn am Ende der politische Gewinn auf dem eigenen Konto eingeht, ist die CDU ihren starken Führungsfiguren schon immer auf den verschlungensten Pfaden gefolgt, weiß der Historiker Frank Bösch:
    "Die CDU wurde deshalb von Beginn an eher aus dem Kanzleramt heraus geführt, weniger von starken Parteiorganisatoren und Funktionären. Und das ist in der Tat ein strategischer Vorteil. Sie ist die Partei, die immer programmatisch flexibel war, stärker auf die Regierungsspitze setzte als auf lange programmatische Debatten, mit Mitgliedern, die in den letzten Jahrzehnten ja zunehmend weggebrochen sind."
    "Die CDU hat denkbar schlechte Erfahrungen mit Führungswechseln"
    Zehn Jahre wird Angela Merkel im kommenden Jahr Bundeskanzlerin sein. Kaum einer hat geahnt, dass auch die anfangs so fremde Frau aus dem Osten einmal so wie Adenauer und Kohl zu einer jener Führungsfiguren werden könnte, hinter der die CDU alle innerparteilichen Gräben und programmatischen Differenzen vergisst. Armin Laschet, Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen nimmt den Vorhalt, seine Partei sei auch unter Merkel längst wieder zu einem Kanzlerwahlverein geworden, mit rheinischem Frohsinn an:
    "Sagen Sie mal eine Antwort: "Merkel, Merkel, Merkel, Merkel... Was hat die CDU noch?" Und da habe ich gesagt: "Merkel!""
    Selbst Mitglieder der Parteispitze sagten vor nicht allzu langer Zeit hinter verschlossenen Türen noch voraus, die Frage nach einer Merkel-Nachfolge werde zwangsläufig noch in diesem Jahr zum offenen Thema in der CDU werden. Doch die Partei weicht dem Thema aus. Man setze fest darauf, dass Merkel 2017 noch einmal antrete, heißt die eisern wiederholte Antwort, wo immer die Frage aufgeworfen wird. Die CDU hat guten Grund, sich vor dem Ende der Ära Merkel zu fürchten, meint der Historiker Frank Bösch:
    "Die CDU hat denkbar schlechte Erfahrungen mit Führungswechseln. Bisher hat der Führungswechsel in keinem Fall geklappt. Nach den großen Kanzlern Adenauer, Kohl, und in Zukunft wird man dann auch sagen, nach Merkel."
    Spekulationen, sie könne noch während der Legislaturperiode einen Stabwechsel, etwa an Ursula von der Leyen, vollziehen, hat Merkel stets dezidiert zurückgewiesen. Sie trete für die volle Wahlperiode an, versprach sie ihren Wählern und wischte alle Fragen nach dem "was dann?" mit unbeschwertem Lachen beiseite:
    "Es hat sich schon immer jemand gefunden, der was werden wollte in Deutschland."
    Wann muss die Partei sich von Übermutter Merkel trennen?
    Doch so einfach wird das nicht. Auch Peter Hintze, seit Beginn ihrer ersten Ministerzeit im Kabinett Kohls einer ihrer engsten Vertrauten und Ratgeber, bezweifelt, dass es Merkel als erster Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik gelingen könnte, als finalen Beleg ihrer Regierungskunst die eigene Nachfolge selbst zu regeln:
    "Dass das einer bestimmen kann? Ja ... schwierig. Superschwierig," sagt Hintze. Also: weitermachen. "Ich hab ja mal die Prognose gestellt, dass Angela Merkel länger Kanzlerin sein wird als Helmut Kohl. Und dann hätten wir ja noch eine ganze Zeit vor uns, bis die Frage zu beantworten ist. Und Angela Merkel, denke ich, hat ihre beste Zeit erst noch vor sich."
    Wirklich glaubensfest aber wirkt keiner der Christdemokraten, wenn es um die Frage geht, wann sich die Partei von der Übermutter Merkel lösen muss. Allein Ursula von der Leyen wird in der CDU der unbedingte Wille zugeschrieben, nach Merkel an die Spitze von Partei und Regierung nachzurücken. Übersteht sie das Säurebad des Bundesverteidigungsministeriums, dürfte die ehrgeizige Niedersächsin die Kritiker und Zweifler in den eigenen Reihen davon überzeugt haben, dass sie auch die Fähigkeit dazu hat. Auf dem letzten Parteitag bekam von der Leyen mit einem schlechten Ergebnis bei der Wahl in den Kreis der fünf Merkel-Stellvertreter noch Vorbehalte und Kritik aus den eigenen Reihen zu spüren. Morgen stellt sich auch von der Leyen zur Wiederwahl als Parteivize. Ihr Ergebnis wird eines der beachtenswerten Signale des Kölner Parteitages sein.