Hamburg hat gewählt - und auch wenn das Ergebnis noch vorläufig ist, steht jetzt schon fest: Die Hamburger CDU ist mit derzeit 11,2 Prozent auf ein Allzeittief abgestürzt.
Philipp May: Frau Breher, Sie werden heute auch dabei sein bei der besagten Präsidiumssitzung. Schauen wir erst mal kurz auf die Wahlen in Hamburg. Elf Prozent für die CDU, das ist nicht mehr Volkspartei. Zerlegt sich die Union gerade selbst?
Silvia Breher: Auf jeden Fall ist Hamburg für uns ein absolut bitteres Ergebnis. Da gibt es absolut auch nichts schönzureden. Das ist einfach ein trauriger Tag für die CDU in Hamburg. Es war ein trauriger Tag aber insbesondere auch für die vielen ehrenamtlichen Wahlkämpfer, die wirklich um jede einzelne Stimme gerungen haben.
May: Wie groß ist denn der Anteil der Bundespartei an diesem Wahldesaster?
Breher: Der ist definitiv vorhanden. Es sind sicherlich Themen auch in Hamburg, dass die Hamburger CDU es nicht geschafft hat, mit ihren Themen, mit ihren Vorschlägen und Ideen für die Stadt Hamburg durchzudringen, aber dabei hatten sie es auch in der jetzigen Situation unfassbar schwer im Hinblick auf Thüringen und im Hinblick auf die Situation in Berlin.
May: Das ziemlich bürgerliche Hamburg kann in ihrer Bürgerschaft auf bürgerliche Parteien, also CDU und FDP, offenbar gut verzichten.
Breher: Na ja, also Hamburg ist definitiv schon immer ein besonderes Biotop, ein besonderes …
"Es geht am Ende auch darum, wofür steht die CDU"
May: Aber es gab auch schon Zeiten, da hat ein Ole von Beust da die absolute Mehrheit geholt. Ist gar nicht so lange her.
Breher: Ist vollkommen richtig. Derzeit macht aber insbesondere auch die SPD ja eine sehr bürgerliche Politik in Hamburg, und, wie gesagt, es ist der CDU nicht gelungen, mit ihren Themen, mit ihren Vorschlägen für Hamburg durchzudringen, auch im Hinblick darauf, dass es einen Zweikampf gab zwischen SPD und Grüne. Da haben es die anderen wirklich schwergehabt, durchzukommen.
May: Frau Breher, aber auch wenn wir die Nachwahlbefragung anschauen von Infratest dimap, viele Wähler in Hamburg – ich glaube, 60 Prozent oder so waren es – haben gesagt, sie wüssten gar nicht mehr, für welchen Kurs die CDU steht. Hat Daniel Günther also recht mit seiner Diagnose einer irrlichternden Union?
Breher: Na ja, es ist zumindest eine richtige Situationsbeschreibung, dass wir uns jetzt neu aufstellen müssen. Also ganz klar. Wir haben heute Präsidium, wir haben Bundesvorstand. Es geht nicht nur um die Position der Namen, der Personen, es geht am Ende auch darum, wofür steht die CDU, und das ist eindeutig auch ein Einfluss aus Thüringen, wenn die Thüringer CDU sich von Anfang an nicht aus diesem politischen Machtspielchen rausgehalten hat, nach links guckt, nach rechts guckt. Diese fatalen Wendungen, wie wir sie als Signal einfach aus Thüringen sehen und die so breit auch in der Presse sind, ist das völlig klar, dass die Menschen sagen, na ja, wo steht ihr denn, wollt ihr nach links, wollt ihr nach rechts, in welcher Position geht es. Deswegen geht es nicht nur um Personen, es geht auch um Haltungen, es geht um die Zukunft der CDU.
May: Das heißt, welche Konsequenzen hat das heute? Wird darüber diskutiert, ob die kategorische Gleichbehandlung von Linken und AfD, diese sogenannte Äquidistanz, in Zeiten komplizierter Wahlergebnisse noch grundsätzlich zu halten ist?
Breher: Also zunächst mal geht es um das Ergebnis in Hamburg und um eine kurze Nachlese zur Wahl. Dann geht es aber insbesondere auch um den Fahrplan der Partei für den Vorsitz und als letztes natürlich immer, das ist in den letzten Tagen ja omnipräsent, das Thema Thüringen, aber niemand bei uns in der CDU setzt AfD und Linke gleich. Das wird immer wieder und immer wieder unterstellt, aber dem ist nicht so.
"Ich bin sehr dafür, dass man eine klare Ansage macht"
May: Aber Sie behandeln die AfD und die Linke gleich. Ich habe extra Gleichbehandlung gesagt, indem Sie die Zusammenarbeit mit beiden Parteien ausschließen.
Breher: Es ist ein Beschluss unseres Bundesparteitages und laut Satzung ist das unser höchstes Beschlussgremium. Wenn man sich nicht entscheiden kann, was man machen will, weder geht man nach links oder nach rechts, in welche Richtung wollen wir, wollen wir mitregieren oder nicht, aber ein bisschen mitregieren, das verstehen Wähler nicht. Ich bin sehr dafür, dass man eine klare Ansage macht. Ich bin Wahlverlierer, dann bin ich der Wahlverlierer. Dann habe ich das zu akzeptieren, und dann nicht mal: vielleicht kann ich da mitregieren, vielleicht da. Wenn ich eine Situation habe, dann habe ich die anzuerkennen, und dann ist für mich in diesem Falle in Thüringen, wäre für Thüringen die beste Lösung, schnelle Neuwahlen.
May: Frau Breher, Werner Henning, ein CDU-Landrat im thüringischen Eichsfeld, tief katholischer Landkreis, ungefähr so wie bei Ihnen in Vechta und Cloppenburg, der plädiert schon länger für eine Zusammenarbeit mit den Linken, wenn es die Umstände nicht anders zulassen, und zwar argumentiert er explizit mit dem C der CDU, also aus einer Position des christlichen Menschenbildes heraus, das es bei den Linken gebe im Gegensatz zur Höcke-AfD. Er war am Samstagmorgen bei uns im Interview und hat einige ganz interessante Sachen gesagt. Ich spiele nur mal einen ganz kurzen Auszug vor.
Werner Henning: Ich glaube, von Thüringen aus gehen neue Impulse in die CDU nach Deutschland, und auch die bundesdeutsche CDU ist aufgefordert, sich mit diesem Zeitenumbruch auch intellektuell zu befassen, zur Kenntnis zu nehmen, dass die alte Bundesrepublik in ihrer Philosophie so auch nicht mehr unbedingt weiterkommt. Ich glaube, dass wir hier von Thüringen einen Anstoß dazu geben.
"Wir haben uns intensiv mit der Programmatik der Linken beschäftigt"
May: Also hat die Parteiführung, also auch Sie, es bisher versäumt, sich intellektuell mit der Linkspartei zu befassen?
Breher: Nein, definitiv nicht. Wir haben uns intensiv mit der Programmatik der Linken beschäftigt, das heißt, auch mit ihren Themen und mit ihren Antworten auf die Herausforderungen. Ich finde keine Übereinstimmung mit der Programmatik der Linken in unserer CDU, und wir haben es nicht versäumt, wir diskutieren fortlaufend darüber, zuletzt auf dem Bundesparteitag, wo es zu diesem Beschluss gekommen ist. Wenn neue Diskussionen darüber notwendig sind und so wie Sie jetzt gerade den Landrat eingespielt haben, dann wird die Diskussion geführt, dann gibt es wahrscheinlich eine neue Debatte auf einem Bundesparteitag, und dann kann man einen neuen Beschluss fassen, aber wir haben eine Beschlusslage, die ist glasklar. Aber noch mal, für mich geht es gar nicht um die Zusammenarbeit oder um eine Chance, Thüringen auf den Weg zu bringen. Mir geht es darum, dass man eine Haltung hat, dass man sagt, wir arbeiten nicht mit der einen Seite und nicht mit der anderen Seite zusammen, damit man sagt, ich will nicht irgendwie ein bisschen mitregieren, wenn ich doch verloren habe, sondern dann mache ich den Weg frei für schnelle Neuwahlen.
May: Also Sie sind haltungsfest im Bundesvorstand, aber diskutieren müssen Sie dann möglicherweise in einem Jahr wieder nach den Wahlen in Sachsen-Anhalt, wenn der nächste ostdeutsche CDU-Landesverband möglicherweise vor dem gleichen Problem steht wie in Thüringen.
Breher: Wir geben alles daran und sind bereits auf dem Weg, die CDU neu aufzustellen, personell und inhaltlich, und wir werden einen neuen Vorsitzenden, eine neue Vorsitzende finden, und wir werden alle gemeinsam dafür streiten, dass wir die CDU, die Menschen wieder für unsere CDU und für unsere Themen begeistern, –
May: Wie lange wird das dauern?
Breher: – und dann wird es am Ende – und Sachsen-Anhalt ist noch ein Jahr hin – nicht zu dem Ergebnis kommen, was Sie gerade beschwören?
"Die CDU entscheidet nicht alleine über einen Kanzlerkandidaten"
May: Wann gibt es denn den neuen Vorsitzenden?
Breher: Das werden wir gleich besprechen. Sie werden verstehen, wir haben gleich unsere Präsidiumssitzung und unseren Bundesvorstand. Ich werde jetzt nicht vorpreschen, da wäre ich eine schlechte stellvertretende Vorsitzende. Wir werden das in den Gremien besprechen, der Fahrplan und auch die Gespräche, das Ergebnis der Gespräche wird unsere Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und der Generalsekretär Paul Ziemiak gleich vorstellen, und dann werden wir weitersehen.
May: Ist der Plan denn, zuerst die Kanzlerkandidatur zu bestimmen und damit dann auch erst den Parteivorsitz noch zu halten, wenn schon der CSU-Chef Markus Söder sagt, so bitte nicht, liebe Schwesterpartei?
Breher: Der Zeitplan steht ja noch gar nicht fest, sondern wir haben vor zwei Wochen …
May: Aber der Plan wurde ja ganz klar so artikuliert von Annegret Kramp-Karrenbauer.
Breher: Wir werden jetzt erst mal sehen, wie es geht. Wir haben gesagt, es wird Gespräche geben. Annegret Kramp-Karrenbauer führt diese Gespräche von vorne. Sie hat die in der letzten Woche geführt mit den möglichen Kandidaten. Diese Ergebnisse wird sie gleich vorstellen. Dann werden wir den Fahrplan besprechen. Die CDU entscheidet natürlich nicht alleine über einen Kanzlerkandidaten, sondern gemeinsam und im Einvernehmen mit der CSU.
May: Eine kurze Frage habe ich noch. Friedrich Merz, einer der potenziellen Kandidaten, sagt ganz klar, die Entscheidung über den Parteivorsitz wird auch eine Richtungsentscheidung über den Weg der Partei. Wohin sollte die Partei gehen? Ganz kurze Antwort, nach links oder nach rechts?
Breher: Die CDU ist die Partei der Mitte, und in die Mitte gehört sie hin.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.