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"Wir brauchen Mut zu einer echten Runderneuerung"

Wolfgang Reinhart, CDU-Fraktionschef im Landtag von Baden-Württemberg, hat seine Partei vor dem anstehenden Bundesparteitag dazu aufgefordert, selbstkritisch einen Erneuerungsprozess anzustoßen. Die Partei müsse wieder an Profil gewinnen, sagte er im Dlf.

Wolfgang Reinhart im Gespräch mit Christine Heuer |
Das Logo der CDU ist in Berlin an der CDU-Zentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, rot beleuchtet.
Kurz vor dem CDU-Parteitag dauert die parteiinterne Kritik am Erscheinungsbild der Christdemokraten an. (picture-alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
Christine Heuer: Wohin soll die Reise gehen? Mit wem als Anführer? In der SPD stellen sie sich diese Frage seit vielen Jahren immer wieder. In der Folge wurden reihenweise Parteivorsitzende verschlissen. In der Sache fehlte den Sozialdemokraten der Kompass. In den Großen Koalitionen wurden sie weiter und weiter geschwächt.
Droht etwas Ähnliches jetzt der CDU? Könnte sein! Die Christdemokraten streiten über ihr Profil. Die Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer wird von den eigenen Leuten demontiert und mit dem Aufschwung der Grünen droht aus der Option Schwarz-Grün im Bund Grün-Schwarz zu werden - mit der CDU als kleinerem Koalitionspartner.
Am Telefon ist jetzt Wolfgang Reinhart, der Fraktionsvorsitzende der CDU in Baden-Württemberg, gerade zitiert im Beitrag von Frank Capellan. Guten Morgen, Herr Reinhart.
Wolfgang Reinhart: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Wenn Sie sagen, die CDU sei inhaltlich insolvent, dann verraten Sie uns doch bitte, wer aus Ihrer Sicht schuld daran ist?
Reinhart: Nun, es geht mir darum, einen Weckruf zu machen, eigentlich als Ermutigung, und es wird natürlich verengt jetzt, auf eine Begrifflichkeit zurückgeführt. Das Papier hat zwei Seiten und da geht es darum: Jede Firma im Mittelstand, wenn sie ein Sanierungsprogramm macht, ist das ein Programm zur Erneuerung, zur Ermutigung, zur neuen Strategie, zur Strategie nach vorne.
Diesen Gedanken, wachzurütteln, einen Weckruf zu machen, den habe ich mir gemacht, denn es wird wichtig und es ist höchste Zeit, dass wir gegen Beliebigkeit wieder Profil gewinnen, dass wir ein klares Bild haben, dass wir unterscheidbar sind, dass wir wieder auf den Erfolgsweg kommen, dass wir vom Rückwärtsgang in den Vorwärtsgang kommen.
Und ich meine, das müssen wir sehen. Wir waren mal bei 42 Prozent. Wir haben jetzt bei den Umfragen 26 Prozent. Da ist die CSU mit drin enthalten. Das heißt, die CDU liegt bundesweit deutlich unter 25 und deshalb müssen wir schauen, dass wir nach vorne kommen, und da müssen wir selbstkritisch damit umgehen, wie wir das Produkt wieder marktgängig machen, wie wir die Menschen in Zukunft erreichen können, besser erreichen können, wie wir wieder vor Ort interessante Debatten anreißen. Insoweit meine ich, es ist ganz, ganz wichtig, dass wir diesen neuen Weg finden. Davon verspreche ich mir jetzt viel.
"Wäre nicht korrekt, wenn man das auf eine einzelne Person zurückführt"
Heuer: Herr Reinhart, Sie merken, jetzt will ich mal eine Frage stellen, und zwar die, die ich anfangs gestellt habe, die Sie nicht beantwortet haben. Wer ist denn schuld an dieser negativen Entwicklung in der CDU?
Reinhart: Ich glaube, es wäre nicht korrekt, wenn man das auf eine einzelne Person zurückführt. Ich habe mich auch mit Personen gar nicht befasst, sondern ich finde, es ist die Bundespolitik. Wir haben heute gehört, auch von der Bundesvorsitzenden selbst, die sich selbstkritisch gibt, dass auch die Große Koalition ein großes Problem ist im Bild nach außen hin. Die Bewertung ist nicht positiv. Und insoweit geht es der SPD ja noch schwieriger. Das wollen wir vermeiden.
Heuer: Sie erwähnen die Bundesvorsitzende. Also geben Sie einen großen Teil der Verantwortung Annegret Kramp-Karrenbauer?
Annegret Kramp-Karrenbauer spricht beim Deutschlandtag der Jungen Union
Die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, steht in der Kritik (Phoenix/screenshot)
Reinhart: Nein! Ich habe im Grunde genommen extra darauf Wert gelegt, dass ich auch in diesem Gedanken keine einzige Person zum Gegenstand gemacht habe. Ich habe nur heute Morgen …
Heuer: Aber Politik wird von Personen gemacht, Herr Reinhart. Entschuldigung!
Reinhart: Ja, und darum geht es ja auch, dass wir jetzt einen Aufbruch finden, und da setze ich viel auf Leipzig, auch auf den Bundesparteitag, wo wir den Gestaltungswillen zeigen auch nach vorne. Jeder Unternehmer muss bei Zeiten schauen, ob er noch richtig aufgestellt ist, ob er das richtige Angebot und die richtige Strategie hat. Und diese Fähigkeit zur kritischen Selbstbefragung ist für jede Firma überlebenswichtig, und darum muss es gehen. Da müssen alle mitmachen. Da sind wir alle gefordert und darum muss es jetzt auch in Leipzig gehen.
"Brauchen jetzt den Mut zu einer echten Runderneuerung"
Heuer: In Hamburg ist vor knapp einem Jahr Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen Vorsitzenden der CDU gewählt worden. Da sagen Sie jetzt, man muss mal selbstkritisch mit sich ins Gericht gehen und überlegen, ob man sich neu aufstellen muss. De facto ist es doch so, Herr Reinhart, dass Sie Ihre neue Vorsitzende gerade demontieren, so wie andere in der CDU auch. Schadet das der CDU nicht eher, als dass es ihr hilft?
Reinhart: Ich glaube, wir können im Moment nicht mit Friedhofsruhe unterwegs sein, sondern wann, wenn nicht jetzt müssen wir diskutieren, eineinhalb Jahre vor mehreren Landtagswahlen, zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl in der Halbzeit.
Man kann doch nicht immer sagen, Hoppla, wenn man mal kritisch überlegt, wie können wir nach vorne kommen mit einem Sanierungs-, Erneuerungs-, Reformprogramm, dass dann gesagt wird, nein, das kann man nicht machen, das könnte Personen schaden.
Heuer: Wer sagt das?
Reinhart: Das sage ich jetzt, denn im Grunde genommen geht es doch darum, dass wir jetzt den Mut brauchen zu einer echten Runderneuerung und auch zu einer Modernisierung. Das beginnt beim Arbeitsrecht, das beginnt bei großen Themen, aber auch unsere Kernkompetenzen Sicherheit, Recht und Ordnung, dass wir die wieder so repräsentieren, dass die Menschen das Vertrauen in einen starken Rechtsstaat behalten und neu gewinnen, dass wir nicht nur Recht setzen, sondern es auch durchsetzen.
Neue Themen wie die Digitalpolitik breiter diskutieren. Das heißt, dass wir die Veränderungen bei den Hörnern packen, dass wir den Wandel in der Welt nicht nur erleiden. Wir liegen in einer Situation zwischen chinesischer Seidenstraße und "America first" und da müssen wir uns doch neu aufstellen, und darum muss es gehen.
Friedrich Merz (CDU), Vizepräsident des Wirtschaftsrats, spricht beim Deutschlandtag der Jungen Union.
Friedrich Merz (CDU), Vizepräsident des Wirtschaftsrats, hat viele Anhänger in seiner Partei (dpa-news / Harald Tittel)
"Mit wem haben wir den größten Erfolg?"
Heuer: Neu aufstellen nach einem Jahr AKK. Sie haben damals, als die Kandidatenkür für diesen Vorsitz lief, sich ziemlich stark gemacht für Friedrich Merz. Kann der Runderneuerung und Modernisierung besser als die Amtsinhaberin?
Reinhart: Ich sehe, dass auch Friedrich Merz wohl in seinen Auftritten, was Wirtschaftsrat angeht, auch jetzt wieder von der Jungen Union bejubelt worden ist. Aber ich glaube, auch er hat sich deutlich dafür ausgesprochen, dass wir diese Frage, was Kanzlerkandidat angeht, erst im nächsten Jahr klären.
Es wird in Stuttgart in einem Jahr der Bundesparteitag sein. Da wird auch der Kanzlerkandidat oder die Kanzlerkandidatin nominiert. Dort muss man die Lage sondieren. Ich glaube, da darf nur eines zählen: Wie und mit wem haben wir die beste Performance? Mit wem haben wir den größten Erfolg? Wie können wir das beste Ergebnis erzielen, um zurück auf den Erfolgsweg zu gelangen? Das muss die Frage sein.
Heuer: Stand jetzt, wer performt besser, Friedrich Merz oder Annegret Kramp-Karrenbauer?
Reinhart: Ich möchte Ihnen offen sagen: Genau diese Zuspitzung und Verengung wie auch bei der Begrifflichkeit vorhin möchte ich eigentlich nicht haben. Ich möchte jetzt eine breite Diskussion haben in der Sache. Ich bin auch sicher, dass dieser Parteitag sich um die Sachpolitik kümmern muss und damit auch den Blick nach vorne öffnen muss, und zwar breit. Das können wir nicht an einer einzigen Person allein festmachen.
Heuer: Entschuldigung, Herr Reinhart! Ein bisschen schon, denn wenn Sie so viel vermissen, dann hat Annegret Kramp-Karrenbauer ja im vergangenen Jahr nicht geliefert.
Reinhart: Sie hat sich heute Morgen, so sehe ich das, zum Beispiel in der Überschrift im "Mannheimer Morgen" geäußert. Sie gibt sich selbstkritisch. Sie hat selber analysiert. Das ist auch richtig. Deshalb geht es auch darum, dass wir jetzt an dem Punkt angelangt sind, wo man sagt, die Menschen haben uns doch was zu sagen und die Menschen haben uns zu sagen, ihr seid jetzt von 42 auf 26 Prozent, die CDU wie gesagt noch tiefer, wenn man die CSU rausrechnet, angelangt, und da ist doch der Punkt gekommen, wo man auch zurecht selbstkritisch sagen muss, was ist schiefgelaufen.
Natürlich sind das auch viele Dinge, die im letzten Jahr nicht so optimal gelaufen sind. Jetzt haben wir ein weiteres Jahr vor uns bis zum nächsten Parteitag dann in einem Jahr. Da müssen die Personalfragen mit einem Kanzlerkandidat oder einer Kanzlerkandidatin gelöst werden, mit der wie gesagt die beste Erfolgsaussicht, die beste Performance auch für die CDU im Erfolgsweg möglich wird. Ich sehe das als einzig richtigen Weg. Frau Kramp-Karrenbauer ist die Bundesvorsitzende. Ich bin Demokrat, auch innerparteilicher Demokrat.
Sie ist für zwei Jahre gewählt und damit ist das auch für alle bindend. Sie ist die Bundesvorsitzende, sie wird jetzt, davon bin ich überzeugt, auch eine gute Rede auf dem Parteitag halten. Aber dann erwarte ich von diesem Parteitag auch diese Selbstkritik, die sie selbst anspricht, dass wir das mal offen analysieren, dass wir nicht totschweigen.
"Es wird zum Schluss darum gehen, mit wem hat man überhaupt Mehrheiten"
Heuer: Beim Parteitag wird unter anderem die JU beantragen, dass der nächste Kanzlerkandidat per Mitgliederentscheid in der CDU bestimmt wird. Sagen Sie da Ja? Stimmen Sie mit Ja, oder sind Sie dagegen?
!!:!! Ich bin, wenn es machbar wäre, mit der CSU gemeinsam immer positiv für Mitgliederbefragungen. Allerdings nachdem die CSU sagt, mit uns ist das nicht zu machen, muss man erkennen, der Kanzlerkandidat wird gemeinsam nominiert und insoweit müsste man im ersten Schritt eine Einigung mit der CSU haben. Vorher macht es keinen Sinn, dass man sich dort noch mehr auseinanderdividiert.
Wolfgang Reinhart, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, nimmt am 25.02.2019 in Stuttgart an einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur teil.
Wolfgang Reinhart, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg (picture alliance / Marijan Murat)
Heuer: Die CDU ist nicht mehr die stärkste Kraft. Mit Ihren Baden-Württemberg-Erfahrungen, empfehlen Sie als Option, auf die man sich ausrichten sollte, mit wem dann auch immer an der Spitze, ein Bündnis mit den Grünen im Bund?
Reinhart: Nun, es ist natürlich so: Wir arbeiten in Baden-Württemberg sehr gut mit den Grünen zusammen. Ob es im Bund genauso möglich ist, habe ich meine Zweifel, denn der Bundesparteitag am vergangenen Wochenende hat doch auch Beschlüsse gesetzt, die nicht so einfach kompatibel sind. Insoweit ist sicherlich auch dann die Frage, wo sind überhaupt in der Demokratie Mehrheitsfähigkeiten möglich.
Natürlich heißt Politik immer, Kompromisse zu machen. Helmut Schmidt hat einmal gesagt, wer nicht kompromissfähig ist, der ist für die Demokratie nicht geeignet als Partei und damit auch für die Regierungsfähigkeit. Aber das wird sich zeigen müssen. Es kann ja sein, dass von der Kompatibilität der Mehrheitsmöglichkeit das als einziger Partner in Betracht kommt …
Heuer: Auch wenn die Grünen stärker werden und den Kanzler stellen?
Reinhart: Ich sage ja gerade: Es wird zum Schluss darum gehen, mit wem hat man überhaupt Mehrheiten zur Durchsetzungsfähigkeit. Es muss ja jetzt erst mal darum gehen - das sehen Sie ja bei sechs Parteien im Deutschen Bundestag -, dass man sich nicht einmal einigen kann, das Parlament auf eine Maximalgröße zu vereinbaren.
Ich meine, das kann doch nicht die Zukunft sein, dass wir nach China das größte Parlament der Welt haben und möglicherweise über 800 Abgeordnete wenn es ein entsprechendes Ergebnis gäbe. Vor dem Hintergrund muss ich Ihnen sagen: Ja, das ist nicht auszuschließen. Sie haben jetzt allerdings weitreichende inhaltliche Positionen bezogen, die Grünen, und deshalb muss man sehen, ob man da klarkommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.