"Johann Sebastian Bach war immer ein Teil meiner Kultur", betont Yo-Yo Ma.
"Auch wenn meine Eltern chinesische Wurzeln haben, ich in Paris geboren wurde und Amerikaner bin. In seinen Cellosuiten hat er Tänze aus unterschiedlichen Kulturen verarbeitet: deutsche, französische, italienische Tänze. Die Gigue ist ursprünglich ein keltischer Tanz! Und die Sarabande war ein Frauentanz bei den Beduinen, der von Afrika über Spanien nach Frankreich gekommen ist! All das hat Bach aufgenommen – und heute denkt man, er war ein deutscher Komponist! Obwohl Deutschland als Staat in dieser Zeit noch gar nicht existiert hat!"
Podiumsdiskussion im Gewandhaus mit Yo-Yo Ma
Yo-Yo Ma sitzt auf der Bühne im kleinen Saal des Leipziger Gewandhauses und sagt Dinge, die eigentlich jeder musikalisch gebildete Mensch wissen sollte und die nach rationalen Kriterien auch nicht in Frage zu stellen sind. Er sagt diese Dinge zur gleichen Zeit, in der rund 80 Kilometer entfernt, in Chemnitz, auf der Straße Parolen gebrüllt werden wie "Deutschland den Deutschen" und offen der Hitlergruß gezeigt wird. Die Parallelität der Ereignisse, sie ist rein zufällig, betont der Dramaturg des Gewandhauses Tobias Niederschlag.
"Das ist keine explizite Reaktion auf das, was in Chemnitz passiert."
Dennoch ist Chemnitz in den Köpfen aller Anwesenden präsent, sowohl im Publikum als auch auf dem Podium. "Kultur als Brücke für ein Miteinander in Vielfalt – Fragezeichen", so war die Diskussionsrunde am vergangenen Samstag überschrieben. Yo-Yo-Ma hatte sie selbst bereits vor einem Jahr angeregt, betont Tobias Niederschlag.
"Da haben wir natürlich nicht 'nein' gesagt, das ist ein großes Geschenk."
Als weitere Gesprächspartner saßen die Autorin Anna Kaleri und der Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig Oliver Decker mit auf dem Podium. Immer wieder wurde auf die Ereignisse in Chemnitz Bezug genommen. Anna Kaleri und Oliver Decker betonten, man müsse beachten, dass es sich bei den rechten Demonstranten auf die gesamte deutsche Zivilgesellschaft bezogen um eine Minderheit handelt. Das Grundgesetz gebe den Maßstab vor, was legal ist und was nicht. Gefährlich werde es allerdings dann, wenn die Minderheit mit demokratischen Mitteln versucht, die Demokratie abschaffen. Deshalb, so Yo-Yo Ma, sollte der Gesprächsfaden innerhalb der Gesellschaft nicht abreißen.
"Menschen machen sich unbewusst ganz schnell ganz viele Vorstellungen von dem Menschen gegenüber, das passiert automatisch. Dabei sollte man sich aber immer bewusst machen, wenn man anderen begegnet: Menschen wollen ernst genommen werden. Und kein Mensch möchte als dumm abqualifiziert werden, sondern anerkannt werden als der, der er ist, das ist das Wichtige."
Aber wie will man Menschen wertschätzen, die dezidiert menschenfeindlich agieren? Hier, so der Cellist, sei die Kultur gefragt. Mit diesem Statement wirkte Yo-Yo Ma auf dem Podium bisweilen wie eine Art weltfremder Weisheitslehrer oder Guru. Bei seinen Konzertauftritten am Wochenende in Leipzig vermittelte er eine große Authentizität.
Musikalische Projekte für ein Miteinander der Kulturen
"Mein Begriff von Kultur hat sich im Laufe der Zeit verändert", sagt Yo-Yo Ma.
"Früher habe ich immer gedacht, Kultur, das ist das Cellorepertoire (lacht). Aber es ist viel mehr: Musik, Tanz, Theater, all das. Kultur muss gleichberechtigt am Tisch sitzen neben der Wissenschaft, neben der Wirtschaft. Aber heute glaube ich, Kultur ist der Tisch."
Doch ist damit der Anspruch, den an die Kultur stellt, nicht zu hoch? Zumal ja auch Musiker nicht dagegen gefeit sind, etwa bei Pegida in Dresden mitzumarschieren.
Dass Musik aber im konkreten Einzelfall Menschen zusammenbringen kann, das bestätigte Thabet Azzawi in seinem Statement auf dem Podium. Der junge Mann ist aus Syrien geflüchtet und studiert heute in Dresden Medizin. Da er hervorragend die orientalische Laute Oud spielt, engagiert er sich in der Instrumentalgruppe Banda Internationale, die sich als konstruktives Gegenprojekt zu Pegida versteht.
"Also Musik ist natürlich eine universelle Sprache, eine gemeinsame Sprache. Wenn Deutsche auf arabische Lieder tanzen und Araber auf Klezmermusik tanzen und es ist super gemischt, OK wir haben Spaß, und ob der neben mir aus Afrika, Asien oder sonst woher kommt, das interessiert mich gar nicht. Diese Laune ist der Grund, was mit Menschen zu erreichen."
Dennoch ist sich Thabet Azzawi bewusst, dass Projekte wie die Banda Internationale Menschen, die rassistisch denken, eben leider nicht erreicht, Stichwort Filterblase. Deswegen stimmt er den Thesen von Yo-Yo Ma zu, solche Menschen nicht als dumm abzustempeln.
"Die Menschen, die 'auf der anderen Seite' sozusagen sind, wenn man sie alle als Nazis oder Neonazis benennt ist das auch falsch. Sie haben ihre Ängste, sie haben ihre Meinungen. Und unsere Verantwortung ist, auch mit denen zu reden. Leider ist das manchmal so kompliziert, wie es jetzt in Chemnitz passiert ist."
Das Problem lässt sich wohl nur langfristig lösen. Initiativen wie das Ensemble Banda Internationale in Dresden können in jedem Fall zu mehr Miteinander verhelfen. Ein ähnliches Projekt aus Leipzig mit Namen Klänge der Hoffnung sorgte übrigens für die musikalische Umrahmung des Podiums mit Yo-Yo Ma. Der Pianist Tilmann Löser hat es unter der Ägide der Stiftung Friedliche Revolution initiiert.
"Das Ensemble entstand 2017 aus geflüchteten Musikern und Leuten, die schon länger hier leben. Und wir haben das Ziel, hier in Leipzig den interkulturellen Dialog durch Musik zu stärken und wollen einfach zeigen, dass Musik ein Signal sein kann, wie es positiv läuft."
Yo-Yo Ma griff spontan zum Cello
Der Auftritt des Leipziger Ensembles Klänge der Hoffnung hat den Weltstar und Humanisten Yo-Yo Ma beeindruckt. So sehr, dass er nach der Podiumsdiskussion spontan zum Cello griff und mitspielte. Bezeichnenderweise wurde gemeinsam über das Klavierstück "Von fremden ändern und Menschen" aus Robert Schumanns Zyklus "Kinderszenen" improvisiert.
Die Kraft der Musik als Mittel gegen destruktive Tendenzen. Yo-Yo Ma demonstrierte das bei seinem Aufenthalt in Leipzig noch durch einen weiteren besonderen Auftritt. Und zwar im Leipziger Osten, dem Teil der Stadt, in dem die meisten Migranten leben. Hier nahm er sich auch die Zeit, um mit einigen Bewohnern über deren Probleme zu sprechen. Dass diese Probleme – Stichwort Chemnitz - nicht von heute auf morgen lösen sind, das ist Thabet Azzawi, dem syrischen Medizinstudenten und Oud-Spieler aus Dresden bewusst. Dennoch waren die Veranstaltungen mit Yo-Yo Ma in Leipzig für ihn ein ermutigendes Zeichen.
"So könnte unser Leben sein. So könnte ganz Deutschland sein, so offen, gemischt! Und die Ergebnisse können nur schön sein!"