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Schweinefleisch
Cem Özdemir: "Höhere Haltungsformen werden ihren Preis haben"

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) möchte ein Tierhaltungssiegel für Schweinefleisch einführen. Schritt für Schritt solle dies auch für weitere Nutztierarten gelten, sagte Özdemir im Dlf. Unklar ist, wie die Umstellung von Ställen und Infrastruktur langfristig finanziert werden kann.

Cem Özdemir im Gespräch mit Thilko Grieß |
Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft,
Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) plädiert für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft und will die regionale Konzentration von Tierhaltung reduzieren (picture alliance / dpa / Fabian Sommer)
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) plant ein staatliches Tierhaltungssiegel, das verpflichtend für frisches und unverarbeitetes Schweinefleisch aus Deutschland sein soll. Für Fleisch aus dem Ausland wäre das Siegel nur freiwillig. Es ist relevant für die Mast, aber nicht dafür, wie zum Beispiel Ferkel leben. Fünf Haltungsstufen sind geplant, vom Mindeststandard angefangen über mehr Platz, mehr Frischluft bis hin zu Biohaltung.
Um eine höhere Haltungsstufe zu bekommen, müssten viele Schweinehalter ihre Ställe umbauen. Dafür sollen sie, nach Özdemirs Plan, Zuschüsse bekommen, die auch zehn Jahre lang für laufende Kosten genutzt werden könnten. Insgesamt will Özdemir für diesen Wandel bei der Schweinhaltung eine Milliarden Euro bereitstellen.
Im Interview ließ Özdemir offen, wer langfristig für die höheren Kosten der Landwirte infolge der geplanten Tierhaltungskennzeichnung aufkommt. Ob man dafür eine Abgabe einführe, die Mehrwertsteuer angehe oder den Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums erhöhe, darüber werde die Koalition entscheiden, sagte Özdemir. Man könne von den Bauern aber nicht mehr Klima- und Tierschutz zum Nulltarif erwarten, betonte der Grünen-Politiker.

Das Interview in voller Länge

Thielko Grieß: Es gibt ja schon, wenn ich in den Supermarkt gehe, einige Siegel, einige Kennzeichnungen, zum Beispiel der privaten Initiative Tierwohl. Wollen Sie dieser Initiative, diesem Siegel soweit Konkurrenz machen, dass es vom Markt verschwindet?
Cem Özdemir: Nein! Erst mal bin ich dankbar dafür, denn sie haben ja eine Lücke gefüllt, weil der Staat nicht in der Lage war, in der letzten Bundesregierung, obwohl es dafür politische Mehrheiten gab, den Willen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Aber die Union hat das damals verhindert und damit leider auch dazu beigetragen, dass viele Schweinehalter mittlerweile aufgeben mussten. Ich pack das jetzt an.
Wir fangen an bei den Schweinen. Warum, könnte man sich fragen, weil dies das Fleisch ist, das bevorzugt in Deutschland gegessen wird. Warum die Mast, könnte man fragen, weil das die längste Lebensphase ist. Ich muss halt – ich bin ja nicht von der CSU in Bayern und heiße Andreas Scheuer – europarechtskonform arbeiten. Ich will ja kein Mautdesaster. Ich brauche die Notifizierung in Brüssel. Sobald ich die habe, geht es weiter mit den weiteren Haltungsformen und mit den weiteren Nutztierarten, Schritt für Schritt, und dann bekommen wir ein staatliches Siegel, nicht mehr freiwillig wie bislang, sondern auf jeder Verpackung steht dann drauf, wie ist das Tier gehalten worden.

Klimaschutz, Tierschutz und Verbraucherschutz

Grieß: So ein Siegel, solche Kennzeichen, die spiegeln wieder, wie die Lage ist für ein in der Mast befindliches Schwein im Stall. Aber das Siegel allein ändert noch überhaupt nichts an den Haltungsbedingungen. Wieso loben Sie Ihr eigenes Gesetzesvorhaben?
Özdemir: Ich lobe es nicht nur, weil es von mir ist, sondern ich lobe es auch, weil es gut ist, weil wir so was ja schon mal gemacht haben, Sie erinnern sich, unter Renate Künast bei den Eiern. Das Ergebnis war, dass sich die höheren Haltungsformen durchgesetzt haben. Wir wissen auch hier, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sich wünschen, mehr Transparenz, aber auch die Bäuerinnen und Bauern, die sich ja längst auf den Weg gemacht haben zu investieren. Ich will, dass diese Leistung anerkannt wird.
Wir bringen da ganz verschiedene Dinge zusammen: Beitrag zum Klimaschutz, indem wir weniger Tiere halten, Beitrag zum Tierschutz, indem wir weniger Tieren mehr Platz geben, Beitrag zum Verbraucherschutz, indem wir Transparenz schaffen, man sieht, wie das Tier gehalten wurde, und ganz entscheidend, wenn Bäuerinnen und Bauern Tieren mehr Platz geben, mehr Beschäftigungsmaterial und so weiter, dann kostet das Geld und das muss kompensiert werden. Deshalb gibt es eine Milliarde als Anschubfinanzierung bei den Schweinen.
Und bevor Sie mich jetzt fragen, reicht das für die anderen Nutztierarten – nein, es reicht nicht. Darum ist die Koalition gerade auch dabei zu verhandeln, wie es danach weitergeht. Ich finde – nicht nur, weil ich der zuständige Minister bin -, das ist gut angelegtes Geld.

Wann kommt das Siegel für die anderen Nutztierarten?

Grieß: Lassen Sie mich da noch eine Frage anschließen. Mir ist aufgefallen, dass sogar der Discounter Aldi inzwischen fordert, diese Kennzeichnung nicht auf die Schweine zu beschränken, sondern weitere Tierarten mit hineinzunehmen. Wann erfüllen Sie den Wunsch von Aldi?
Özdemir: Sobald ich die Notifizierung habe, geht es weiter. Meine Beamten arbeiten quasi Tag und Nacht. Da ist einfach 16 Jahre unter der Union viel liegen geblieben. Ich will das auch, weil ich der Tierhaltung eine Zukunft geben möchte. Es hat ja eine gewisse Ironie, dass ein Vegetarier dafür sorgen möchte, dass die Tierhaltung in Deutschland abgesichert wird. Warum will ich das? – Weil ich weiß, gerade wenn wir mineralischen Dünger, der gerade sehr teuer ist, reduzieren wollen, brauchen wir Wirtschaftsdünger. Wirtschaftsdünger erzeugen die Tiere. Wenn wir den nutzen wollen für eine Kreislaufwirtschaft, die ich möchte, brauchen wir Tiere. Auf gut Deutsch: Mein Gemüse braucht Tiere.

Bessere Haltung, höhere Preise

Grieß: Mir fällt noch was ein, was Sie auch noch brauchen: Sie brauchen Verbraucher, die dann teureres Fleisch kaufen.
Özdemir: Und Verbraucherinnen.
Grieß: Und Verbraucherinnen, da haben Sie völlig recht. Wo finden Sie die?
Özdemir: Die gibt es ja. Die Bereitschaft ist da. Aber Sie sprechen zurecht einen wichtigen Punkt an. Die Bereitschaft ist vor dem Einkauf immer etwas größer wie danach, wenn man in den Einkaufskorb reinschaut. Da ist dann von den hehren Absichten nicht immer alles übrig. Das hat aktuell auch etwas mit den gestiegenen Lebensmittelpreisen zu tun. Deshalb ist es auch richtig, dass die Bundesregierung mit ihren Entlastungspaketen hilft, da wo sie kann.
Aber zur Wahrheit gehört auch: Jedes Entlastungspaket, egal wie groß es ist, kann die Folgen des Angriffskrieges von Putin auf die Ukraine nicht ungeschehen machen.
Grieß: Fleisch wird noch teurer werden?
Özdemir: Höhere Haltungsformen werden ihren Preis haben. Wie wir das machen, ob wir dafür eine Abgabe machen, ob wir die Mehrwertsteuer angehen, ob wir den Einzelplan zehn – das ist mein Haushalt – erhöhen, da gibt es verschiedene Vorschläge. Es gibt Vorarbeiten der Borchert-Kommission, die das alles untersucht hat. Das wird die Koalition entscheiden.
Aber ich sage mal, man kann nicht von den Bäuerinnen und Bauern erwarten, dass sie mehr Tierschutz machen, dass sie mehr Klimaschutz machen, dass sie das Wasser schützen, dass sie viele, viele Wünsche von 83 Millionen Deutschen erfüllen, und das Ganze zum Nulltarif, denn das ist erst mal mit Einkommenseinbußen verbunden, wenn ich die Ställe umbaue. Ich brauche Darlehen dafür, die brauchen eine Weile.
Darum habe ich mich ja auch erfolgreich dafür eingesetzt, dass es nicht nur am Anfang eine Finanzierung gibt, sondern auch die laufenden Kosten über zehn Jahre. Nochmal: Das ist gut angelegtes Geld. Wo gibt es das sonst, Klimaschutz, Tierschutz, Verbraucherschutz und Investition in den ländlichen Raum.

Die Kritik der Landwirte und Landwirtinnen

Grieß: Auf die Bauern kommen, wenn sie da mitmachen wollen, wenn sie die Förderung bekommen wollen, eine ganze Reihe von Kosten zu. Sie müssen Ställe umbauen. Wir haben einen Schweinebauern beispielhaft gefragt. Thomas Ostendorf heißt er, aus Ochtrup kommt er. Das liegt im Münsterland. Hören wir mal ganz kurz seinen Kommentar dazu:
O-Ton Thomas Ostendorf: „Und dann weiß ich doch noch gar nicht, wo die Reise da hingeht. Was soll ich dann jetzt wieder Beton und Stahl in die Hand nehmen und in fünf Jahren kann ich den ganzen Scheiß wieder abreißen und das ist noch nicht mal abbezahlt! – Nee, dann mache ich lieber gar nichts erst mal. Dann suche ich mir andere Betätigungsfelder.“

Özdemir: „Viele Schweinehalter haben mittlerweile aufgegeben“

Grieß: Ich glaube, dieses Lachen ganz am Ende, das war vielleicht ein Stück weit Verzweiflung, jemand, der auch um seine Existenz fürchtet, Herr Özdemir.
Özdemir: Das verstehe ich gut, denn in der Vergangenheit wurde den Bäuerinnen und Bauern viel versprochen. In der letzten Legislaturperiode gab es ja bereits einen fertigen Bericht der Borchert-Kommission, benannt nach dem ehemaligen Agrarminister unter Helmut Kohl. Da saßen ja Leute drin von der Umweltseite, von der Wissenschaft, die Landwirtschaft, also ganz unterschiedliche Akteure, Experten, Expertinnen. Die haben einen fertigen Bericht vorgelegt.
Es gab dafür die politischen Mehrheiten, aber aus der CDU heraus wurde das damals torpediert. Das Ergebnis kennen wir. Viele Schweinehalter haben mittlerweile aufgegeben oder geben gerade auf, während wir hier das Interview führen. Darum eilt es. Deshalb mache ich ja Tempo. Ich bin jetzt aber auch nicht mehr ganz am Anfang. Ich habe es erst mal durchs Kabinett durchgebracht, durch den Bundesrat. Jetzt liegt es im Bundestag und ich werde die Grüne Woche nutzen, noch mal auf die Notwendigkeit hinzuweisen, es drückt, es ist Eile angesagt.

Özdemir: „Die Tierhaltung zukunftsfest machen“

Grieß: Sie würden gerne mehr, Sie würden gerne schneller. Das argumentieren Sie in diesem Interview, das haben Sie in dieser Woche auch in einem Interview mit der „taz“ gesagt. Da lautete ein Zitat, Sie hätten harte Gegner, haben Sie gesagt, Herr Özdemir. Sitzen diese harten Gegner auch bei Ihnen in der Koalition?
Özdemir: Ich würde nicht sagen, harte Gegner, aber es gibt nicht alle, die schon von vornherein überzeugt sind, was die Finanzierung angeht. Aber ich kann da nur nochmal appellieren: Zum Nulltarif ist Klimaschutz nicht zu haben. Es ist gut angelegtes Geld. Stellen Sie sich nur mal vor, was es kostet, wenn wir es nicht machen. Wir haben das gemerkt beim Thema Nitrat. Da hat die Vorgängerregierung eine Vogel-Strauß-Politik gemacht. Es drohten Strafzahlungen bis zu eine Milliarde aus Brüssel.
Ich habe das jetzt in einem halben Jahr zusammen mit den Landesagrarministern abgewendet. Aber dieser nachsorgende Umweltschutz, immer zu spät, der bringt, glaube ich, nichts. Das haben wir in der Vergangenheit gesehen. Wir müssen mit den Bäuerinnen und Bauern die Tierhaltung in Deutschland zukunftsfest machen. Da habe ich mich auf den Weg gemacht. Die Bereitschaft bei den Landwirten ist da. Aber Ihr Einspieler hat ja auch gezeigt, die Bauern erwarten zurecht auch Planungssicherheit, Investitionssicherheit.

Özdemir: Die regionale Konzentration reduzieren

Grieß: Sie haben vorhin bedauert in einer Antwort, Herr Özdemir, dass etliche Bauern aufgeben, aus der Branche herausgehen, ihren Beruf aufgeben. Aber gleichzeitig wollen Sie ja politisch erreichen, dass in Deutschland weniger Tiere aufgezogen werden, dass die Millionenzahl abnimmt und die verbleibenden Tiere dafür besser leben. Das heißt doch eigentlich übersetzt: Weniger Bauern ist genau Ihr Ziel.
Özdemir: Nein! Das Gegenteil ist der Fall. Der Fleischkonsum geht in Deutschland zurück, und zwar auch schon, bevor Cem Özdemir Landwirtschaftsminister wurde. Es gibt die afrikanische Schweinepest. Die führt dazu, dass China, unser wichtigster Absatzmarkt im Export, mittlerweile kein deutsches Schweinefleisch mehr nimmt. Das war auch schon vor Cem Özdemir. Und China baut massive eigene Kapazitäten auf. Das heißt, ich sehe einfach den Markt – und das ist auch nicht verboten -, sich vorzubereiten, und da sieht man, der chinesische Markt, der wird nicht wiederkommen, egal was der eine oder andere von der Union träumt. Ich muss seriöse Politik machen und das heißt, ich rate dazu, dass wir die Produktion der Nachfrage anpassen.
Gegenwärtig geht es aber holterdiepolter. Wir haben dramatische Aufgaben bei den Tierhaltern und darum will ich das steuern. Es gibt aber auch Bereiche in Deutschland, da haben wir kaum Tierhaltung. Da kann ich mir auch vorstellen, dass wir dort Ställe bauen, damit dort auch Kreislaufwirtschaft entsteht, dass wir die regionale Konzentration reduzieren. Das hat Probleme fürs Grundwasser, Stichwort Nitrat. Aber auch die Bevölkerung dort findet das nicht so toll. – Weniger Tieren mehr Platz geben ist mein Programm. Da bin ich ganz in Linie mit dem, was ja auch anderswo in Europa diskutiert wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.