Tobias Armbrüster: Es war eine kleine Episode am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz, aber trotzdem ein Vorfall, der wahrscheinlich Bände spricht über die aktuellen deutsch-türkischen Beziehungen. Türkische Sicherheitskräfte in München haben ihre Kollegen bei der Sicherheitskonferenz alarmiert, und zwar mit der Meldung, dass in ihrem Hotel ein Terrorist untergebracht sei. Sie meinten damit den Grünen-Politiker Cem Özdemir. Der war ebenfalls zu Gast bei der Sicherheitskonferenz. Die deutschen Beamten haben ihn daraufhin unter Polizeischutz gestellt. Das haben sie ihm so empfohlen. - Wir wollen das etwas genauer wissen. Schönen guten Morgen, Cem Özdemir.
Cem Özdemir: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Özdemir, haben Sie immer noch Personenschutz?
Özdemir: Ich habe generell Personenschutz bei öffentlichen Auftritten. Aber als ich auf dem Weg war auf die Münchner Sicherheitskonferenz dachte ich, da brauche ich ihn nun nicht. Das heißt ja Sicherheitskonferenz. Da dachte ich, auf einer Sicherheitskonferenz ist man sicher. Da laufen auch viele Sicherheitsbeamte herum. Da brauche ich nun garantiert nichts. Das hat sich dann etwas anders gestaltet.
"Da störe ich eben, indem ich permanent darüber rede"
Armbrüster: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, dass die türkischen Beamten, die türkischen Sicherheitskräfte Sie als Terroristen gesehen haben?
Özdemir: Es gibt ja manchmal so blöde Zufälle im Leben. Ich bin im gleichen Hotel untergebracht worden durch die Münchner Sicherheitskonferenz wie die türkische Delegation. Als ich das Hotel betreten habe am Freitag, konnte ich schon in der Hotel-Lobby sehr nervöse Blicke sehen, als sie mich erkannt haben und ich dann eingecheckt habe und aufs Zimmer gegangen bin. Und wie gesagt, am nächsten Morgen stand dann auch schon eine Abordnung der Polizei, um mich auf das hinzuweisen, was Sie gerade in Ihrer Anmoderation gesagt haben.
Das hängt sicherlich damit zusammen, dass ich bekannt bin als jemand, der einen maßgeblichen Anteil am Zustandekommen der Armenien-Resolution beigetragen hat. Das hängt aber wahrscheinlich auch zusammen mit dem, was der türkische Außenminister jetzt ja gesagt hat, wo er offen Deniz Yücel und mich angeht. Ich glaube, dass er nicht so Unrecht hat. Er sagt, die zwei stören. Der Deniz Yücel hat gestört, das eine Jahr im Gefängnis, dass man ständig auf den Fall hingewiesen hat, und jetzt stört eben der Cem Özdemir, weil das läuft doch gerade so gut mit Berlin: Wir verständigen uns, wir haben eine Geisel, die wir ein Jahr gehalten haben, die haben wir jetzt freigelassen. Berlin bedankt sich artig bei uns und jetzt kann man wieder zurück in die schönen alten Zustände, und hoffentlich redet niemand darüber, dass am gleichen Tag mehrere Journalisten zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden sind. Und da störe ich eben, indem ich permanent darüber rede, und das versucht man, auf diese Weise zu lösen.
"Keine normalen Beziehungen"
Armbrüster: Der türkische Ministerpräsident Yildirim, der hat diese ganze Darstellung, die Sie präsentieren, inzwischen bestritten und er sagt, das sei nie passiert. Und Sie, Herr Özdemir, seien ein Wichtigtuer.
Özdemir: Das meine ich damit genau. Ich störe da. Das kann ich auch gut verstehen aus türkischer Sicht, denn die wünschen sich natürlich, dass jetzt nach der Freilassung von Deniz Yücel alles wieder so wird wie früher. Die Gegenleistung, die hat er ja auch angesprochen, auch der türkische Ministerpräsident auf der Sicherheitskonferenz, nämlich in Form von Rüstungslieferungen, und ich finde, man muss bei jeder Gelegenheit - da bin ich auch Deniz Yücel sehr dankbar, dass er als eines der ersten Dinge, die er gesagt hat nach seiner Freilassung, auf das Schicksal der anderen Journalisten hingewiesen hat -, man kann es gar nicht oft genug sagen. Journalismus ist kein Verbrechen. Jemand, der nichts anderes gemacht hat, als dass er seinen Beruf ausgeübt hat, zu lebenslänglicher Haft zu verurteilen, mit einem solchen Land kann es keine normalen Beziehungen geben.
Und ich wünschte, das würden Frau Merkel und Herr Gabriel in genau dieser Klarheit auch sagen, und sie würden es vielleicht nicht nur im Deutschlandfunk sagen, sondern auch ihren Kollegen gegenüber. Und tun wir mal nicht so, als ob wir abhängig wären von der Türkei. Nur umgekehrt ist es doch genauso. Man muss doch mal sich die Fundamentaldaten der türkischen Wirtschaft anschauen: Die Inflation, die Staatsverschuldung, den Rückgang der Investitionen, aber auch die außenpolitische Isolation. Die zwei Partner der Türkei - das haben Sie vorhin in Ihrem Beitrag ja gesagt, oder hat Ihre Kollegin gesagt -, das ist der Iran und das ist Russland. Das ist keine Partnerschaft auf Augenhöhe.
"Eine demokratische Türkei, die hat ihren Platz in Europa"
Armbrüster: Trotzdem, Herr Özdemir, muss man sich ja auch in der Außenpolitik immer mal wieder in die Lage der Partner hinein versetzen, und da kann man sicher sagen, die Türkei steht in diesen Wochen, in diesen Monaten enorm unter Druck. Sie hat nach wie vor ja einen Putsch hinter sich mit vielen Folgen und außerdem eine Bedrohung durch den Krieg in Syrien, direkt an einer ihrer Außengrenzen. Muss man da von deutscher Seite nicht ein bisschen verständnisvoller sein und auch ein bisschen verständnisvoller diesem Land gegenüber auftreten?
Özdemir: Man muss vor allem Verständnis haben gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung in der Türkei, die sich ja für Demokratie ausgesprochen hat beim letzten Referendum, wenn es nicht zu Betrug gekommen wäre. Denen muss auch die Solidarität gelten und da haben Sie sicherlich recht: Die Schwierigkeit besteht darin, wie drückt man das eine aus, ohne nicht die Falschen zu unterstützen. Das ist die große Herausforderung in der Türkei-Politik. Deshalb halte ich beispielsweise auch nichts davon, dass man die auf Eis liegenden Beitrittsverhandlungen jetzt komplett abbricht, sondern man muss immer sagen, eine demokratische Türkei, die hat ihren Platz in Europa. Aber das Unrechtsregime von Herrn Erdogan wird sicherlich niemals Mitglied der Europäischen Union werden.
Und zu dem Putschversuch: Das ist ja hinreichend dokumentiert mittlerweile, dass Erdogan wohl gut gewarnt war. Ich halte nichts von der These, dass er da bei Kerzenschein irgendwo saß und dann Listen aufgeschrieben hat von Leuten, die in den Putsch verwickelt gewesen sein könnten. Die Listen standen bereit. Da standen drauf all die Leute, die Erdogan ein Dorn im Auge sind, und die werden jetzt Schritt für Schritt verhaftet. Mit dem Putsch hat das nichts zu tun. Und der Vorwurf mit der Gülen-Bewegung - vergessen wir mal nicht: Herr Erdogan hat Herrn Gülen in den Staat eingeführt. Das war nicht Deutschland.
Armbrüster: Aber er hat diesen Kurs ja jetzt geändert.
Özdemir: So wie er seinen Kurs permanent ändert. Nehmen Sie Syrien; er war mal für Assad, wollte mit ihm Urlaub machen. Jetzt bekämpft er Assad. Er hat ein russisches Flugzeug abschießen lassen; jetzt ist Putin sein engster Freund. Er hat Deutschland mit der Nazi-Zeit verglichen; jetzt sind wir gegenwärtig seine Partner, weil er deutsches Geld braucht. Lange Rede, kurzer Sinn: Kein verlässlicher Partner. Die türkische Zivilgesellschaft ja; gegenüber Erdogan ist Klartext angesagt.
"Ich würde Waffen auch in die Türkei gegenwärtig nicht liefern"
Armbrüster: Das sind Vorwürfe, die wir immer wieder hören. Aber viele Menschen fragen sich, glaube ich, warum wenden wir diese hohen Maßstäbe ausgerechnet und immer wieder bei der Türkei an und bei vielen anderen Ländern sehen wir darüber hinweg, wenn dort solche Menschenrechtsverstöße passieren, oder wenn die Außenpolitik manchmal nicht ganz leicht durchschaubar ist.
Özdemir: Auch das ist ein berechtigter Vorwurf. Nur China, um mal ein Beispiel zu nehmen, um das es da geht, ist weder Mitglied der NATO, noch Mitglied des Europarates, noch will China Mitglied der Europäischen Union werden. Für die Türkei gilt das alles nicht.
Armbrüster: Saudi-Arabien - mit denen macht Deutschland auch Waffengeschäfte.
Özdemir: Und das ist falsch und das hätten wir bei Jamaika geändert, wenn Herr Lindner nicht gelindnert hätte. Dann hätten wir das gestoppt und hätten dafür gesorgt, dass keines der Länder, das Waffen liefert nach Jemen, Waffen bekommt. Ich würde aber noch einen Schritt weitergehen. Ich würde sie auch in die Türkei gegenwärtig nicht liefern, denn dort wird mit diesen Waffen ein völkerrechtswidriger Krieg in Syrien geführt. Die Türkei verstrickt sich da immer mehr.
Freundschaft kann ja auch mal bedeuten, dass man einem Land Klartext sagt, liebe Freunde, ihr verrennt euch da in Syrien, ihr kommt da leicht rein, aber ihr kommt nicht mehr so schnell raus. Jetzt gibt es immer mehr türkische tote Soldaten. Auch das kann ja Freundschaft zur Türkei sein, dass man der Türkei sagt, dass das der Holzweg ist.
"Guten Kontakt zu Leuten, die die AKP mit gegründet haben"
Armbrüster: Herr Özdemir, hatten Sie in München Gelegenheit, sich mit türkischen Politikern auszutauschen?
Özdemir: Ich habe ja immer noch Kontakt zu dem einen oder anderen. Ich kenne ja die AKP, ich kenne auch Herrn Erdogan aus der Gründungsphase der Partei sehr gut.
Armbrüster: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Da waren durchaus Leute dabei, die auch noch mit Ihnen reden und die Sie nicht nur als Terroristen sehen?
Özdemir: In der offiziellen Delegation darf das niemand machen. Das wäre, glaube ich, gegenwärtig nicht unbedingt karriereförderlich. Aber aus der Entourage beziehungsweise aus der Gründungsphase der AKP kenne ich natürlich viele Leute. Die sind allerdings mittlerweile fast alle geschasst worden oder haben sich zurückgezogen oder mussten sich zurückziehen. Aber darüber habe ich doch noch einen ganz guten Kontakt zu Leuten, die die AKP mit gegründet haben.
Armbrüster: Ganz kurz noch zum Schluss. Dass Sie im gleichen Hotel untergebracht waren wie die türkische Delegation, machen Sie da den Veranstaltern bei der Sicherheitskonferenz Vorwürfe?
Özdemir: Nein. Das kann schon mal passieren bei so vielen Leuten, die da kommen. Im Übrigen will ich auch die Gelegenheit nutzen, der Polizei herzlich zu danken, die da wirklich einen tollen Job gemacht haben. Aber manchmal ist ja das Leben auch sehr ironisch. Sie wollen Kontakt vermeiden und begegnen sich dann permanent. Als ich die Sicherheitskonferenz betreten habe, war die türkische Delegation quasi direkt hinter mir, und auch auf den Gängen des Bayerischen Hofes passiert das manchmal, dass man sich über den Weg läuft. Gott sei Dank ist nichts passiert; das liegt auch an der Professionalität der Polizei in München und in Bayern.
Armbrüster: Cem Özdemir, Außenpolitiker der Grünen. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
Özdemir: Gerne!
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