Wegen des Krieges in der Ukraine zeichnet sich eine weltweite Ernährungskrise ab. In Stuttgart beraten die Agrarminister der G7 darüber, wie das Recht auf Nahrung durchgesetzt werden kann. Von dem Treffen am 13. Mai soll auch ein Signal der Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine ausgehen.
Dort lagern derzeit noch rund 25 Millionen Tonnen Getreide. Wegen des Krieges ist die Ausfuhr ins Stocken geraten. Russland hindere die Ukraine daran, die Häfen seien vermint und blockiert, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) im Deutschlandfunk. Diese Art der Kriegsführung sei besonders perfide.
Deutschland wolle der Ukraine dabei Helfen, das Getreide zu exportieren, so Özdemir: "Der Weizen muss schnell raus." Die Lagerflächen würden für neue Ernten gebraucht. Darüber habe er mit seinem ukrainischen Kollegen Mykola Solsky, der auch beim G7-Treffen in Stuttgart dabei ist, Gespräche geführt. Odessa, der letzte freie Hafen in der Ukraine, dürfe nicht fallen - die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine müsse gestärkt werden, sagte Özdemir.
Konkret könne Deutschland der Ukraine bei Getreideexporten auf dem Landweg, mit der Bahn oder über die Donau helfen. Dazu sei aber auch die Unterstützung der EU-Kommission und der europäischen Partner notwendig, so Özdemir. Der Seeweg könne aber nicht ersetzt werden.
Özdemir verteidigt seinen Kurs um die Nutzung von Agrarflächen
Zugleich verteidigte Özdemir seine Entscheidung, trotz der sich abzeichnenden Ernährungskrise ökologische Brachflächen in Deutschland lediglich für den Anbau von Futtermitteln freizugeben. DaEr hoffe, dass dadurch weniger Pestizide auf diesen Flächen landen, so der Grünen-Politiker. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass alle Mitgliedsländer mehr Getreide anbauen und dazu Agrarflächen umwidmen. Deutschland hat sich als einziges EU-Land dagegen entschieden, ökologische Brachflächen dafür freizugeben.
Ernährungssicherheit gelte nicht nur für heute, sagte der Landwirtschaftsminister und verwies auf Indien, wo Bodentemperaturen von bis zu 60 Grad herrschten. "Was an Biodiversität fehlt, ist weg." Diese müsse aber erhalten bleiben. Man dürfe das eine nicht gegen das andere ausspielen.
Das Interview in voller Länge:
Philipp May: Kriegt man mit Bio gerade die Welt satt?
Cem Özdemir: Das machen wir ja nicht alleine. Wir haben in Deutschland mit Biolandwirtschaft ungefähr zehn Prozent. Bis 2030 wollen wir auf 30 Prozent. Aber die konventionelle Landwirtschaft ist genauso wichtig. Auch da gibt es noch einiges, was wir besser machen können in Sachen Nachhaltigkeit.
May: Schon jetzt steigen viele wieder um auf konventionelle Lebensmittel, weil es finanziell gar nicht mehr anders geht. Gutes Essen wird immer teurer. – Wird gutes Essen jetzt in dieser Krise zum Luxus?
Özdemir: Das darf nicht der Fall sein. Darum hat die Bundesregierung ja einige Entlastungspakete beschlossen. Denken Sie an den Mindestlohn, denken Sie an die Rentenerhöhungen, denken Sie an die Entlastungen, die gestern beschlossen worden sind, insgesamt 4,5 Milliarden im laufenden Jahr, bis 2026 22,5 Milliarden. Das sind alles wichtige Maßnahmen. Aber ich sage auch ehrlicherweise: Auch der Bundeslandwirtschaftsminister, auch die Bundesregierung kann die Folgen des schrecklichen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine nicht ungeschehen machen. Wenn wir wollen, dass sich daran was ändert, dann müssen wir mit vereinten Kräften anpacken. Das tun wir auch hier in Stuttgart bei der Konferenz der G7. Wie können wir der Ukraine helfen? – Die muss sich selber verteidigen. Sie muss den russischen Aggressor zurückweisen, damit wir zum Beispiel dafür sorgen können, dass die Häfen wieder offen sind.
Weizen aus der Ukraine so schnell wie möglich exportieren
May: Wie wollen Sie das machen? Es lagern 25 Millionen Tonnen Getreide in der Ukraine, die deswegen nicht exportiert werden können.
Özdemir: Der ukrainische Amtskollege Solsky ist ja hier. Da sind wir sehr dankbar. Ich habe gestern erste Gespräche mit ihm geführt. Wir führen jetzt auch Gespräche mit dem EU-Kommissar Woitschikowski zusammen darüber, wie wir konkret helfen können, dass der Weizen in der Ukraine so schnell wie möglich raus kann, damit Lagerflächen entstehen für die kommende Ernte. Ich meine, man kann nur wirklich den Hut ziehen vor den Bäuerinnen und Bauern in der Ukraine, die im Angesicht eines Krieges trotzdem ernten, trotzdem säen, trotzdem Landwirtschaft betreiben und damit ja auch ein hohes Risiko eingehen. Das zeigt, welchen Freiheitswillen dieses Land hat. Da können sich manche andere eine Scheibe davon abschneiden. Das hat auch Herr Solsky sehr klar gesagt. Wir haben uns darüber unterhalten, auch wie es im Falle eines hoffentlich bald stattfindenden Friedens weitergehen kann. Wie kann Deutschland helfen, um dort die Landwirtschaft wieder aufzubauen? Wir wollen da konkret mit anpacken.
Özdemir: Russland setzt Hunger gezielt als Kriegswaffe ein
May: Aber jetzt lagert ja das Getreide dort, unglaubliche Mengen, wenn man das hört, 25 Millionen Tonnen Getreide. Wie kommen die da jetzt raus?
Özdemir: Die Seewege müssen frei werden. Sie wissen, dass Odessa gerade der einzige Hafen ist, der noch frei ist. Das darf nicht fallen. Das ist der letzte freie Hafen. Und wir müssen auch die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine stärken, damit die Blockade Russlands aufgehoben werden kann. Das ist schon besonders perfide, diese Art der Kriegsführung. Es ist ja nicht nur der Krieg selber, sondern es ist auch, wie Russland Krieg führt, indem ganz gezielt Hunger als Waffe eingesetzt wird, innerhalb der Ukraine, aber auch global, weil die Ukraine so wichtig ist. Denken Sie daran, dass allein 50 Prozent des Weizens fürs World Food Program aus der Ukraine kommt. Das ist bewusste Kriegsstrategie, die Verknappung, die Erhöhung der Preise. Wir werden Russland dieses Spiel nicht durchgehen lassen und darum ist klar, wir helfen der Ukraine jetzt über den Landweg, über die Schiene, über die Donau. Wir unterhalten uns gerade konkret darüber, wie wir helfen können. Da brauchen wir auch die Kommission und die anderen europäischen Partner. Ich sage aber auch da dazu: Was immer wir tun, wird den Seeweg nicht vollständig ersetzen können. Wie denn auch!
May: Kommission ist ein gutes Stichwort. Eine andere Möglichkeit, die Weizenknappheit zumindest zu mildern, ist ja selbst mehr zu produzieren. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, dass alle Länder zusätzliche Flächen freigeben, Brachflächen, ökologische Brachflächen in dieser Sondersituation, um mehr Getreideanbau zu ermöglichen. Deutschland hat sich, soweit ich weiß, als einziges EU-Land dagegen entschieden. Das wären auch immerhin 800.000 zusätzliche Tonnen Weizen. Warum?
Özdemir: Das stimmt nicht. Ich habe mich dafür entschieden, dass man es freigibt für Futtermittel. Ich habe mich aber nicht dafür entschieden, dass man es freigibt, um alle Pestizide und alles, was wir haben, draufzuwerfen, weil das Flächen sind, wo die Bauern selber entschieden haben. Das sind Vielfaltsflächen. Die Flächen, die sich besonders gut eignen für Anbau von Getreide, da haben die Bauern gesagt, da kommt Getreide drauf. Ich glaube, dass sich die Bauern besser auskennen und die Bäuerinnen natürlich auch wie der eine oder andere CDU-Funktionär.
„Was fehlt in Biodiversität, kann ich nicht zurückbringen“
May: Aber wenn sich die Bäuerinnen und Bauern besser auskennen, dann können Sie es ja einfach freigeben und die Bauern entscheiden lassen.
Özdemir: Das ist ja eine Verständigung, auf die sich die Vorgängerregierung geeinigt hatte im Rahmen der letzten GAP, der gemeinsam Agrarpolitik, dass es solche Vielfaltsflächen geben soll. Das sind Flächen, die schon zum Teil vor zehn Jahren aus der Nutzung rausgenommen worden sind, damit sich Bestäuber beispielsweise erholen. Es geht ja auch darum, dass wir nicht nur heute die Ernährungssicherung haben, sondern meine Aufgabe besteht auch darin, morgen dafür zu sorgen, dass wir noch Landwirtschaft betreiben können. Sie sehen ja die Bilder aus Indien, Bodentemperaturen bis zu 60 Grad. Alles was fehlt in Biodiversität, kann ich nicht zurückbringen. Das ist weg, für immer weg. Also muss man auch diese Folgen sehen. Ich bin sehr dankbar, dass meine Kollegen das hier genauso sehen. Wir müssen Erträge steigern; gleichzeitig müssen wir die Biodiversität erhalten; gleichzeitig müssen wir was tun gegen die Klimakrise. Das eine gegen das andere auszuspielen, das ist doch so, wie wenn Sie vorne einen Platten haben am Auto, und der Vorschlag der CDU ist, das Rad von der Hinterachse nach vorne zu setzen. Dann können Sie trotzdem nicht fahren.
May: Es ist ja nicht nur der Vorschlag der CDU. Es war ja ein Vorschlag der EU-Kommission.
Özdemir: Ich mach das ja! Ich arbeite ja mit der Kommission. Ich habe mit dem Kommissar mich darauf verständigt, dass wir die Fruchtfolgen freigeben. Das bringt viel mehr Fläche. Und der Kommissar hat mir da auch schon vorsichtig Zustimmung signalisiert. Das ermöglicht Weizen auf Weizen. – Ich habe radikale Kritiker von der einen Seite. Die werfen mir vor, ich wäre zu bauernfreundlich. Die anderen werfen mir vor, ich sei zu kritisch. Ich denke, es ist genau die Mitte. Mit Maß und Mitte, das ist das Richtige.
May: Das ist das Los eines Ministers.
Özdemir: Augen auf bei der Berufswahl.
"Mein Kurs hat in Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit"
May: Absolut! – Noch mal: Alle anderen EU-Länder sehen es anders und auch alle Agrarminister der Bundesländer, abgesehen von denen der Grünen. Ich frage mich, ob wieder alle anderen die Geisterfahrer sind wie beim Atomausstieg.
Özdemir: Aber wenn das so wäre, dann hätte ich ja keine Mehrheit im Bundesrat bekommen. – Herr May, ich habe ja eine Mehrheit bekommen im Bundesrat und im Bundestag. Das stimmt ja, dass die CDU-Agrarminister auf Kommando alle auf Parteipolitik umgeschaltet haben. Da haben Sie ja leider recht, obwohl mir übrigens viele im direkten Gespräch gesagt haben, dass ich recht habe. Aber das ist ja egal, das darf man machen, wir haben Wahlkampf und die CDU muss irgendwie gucken, wie sie Nachrichten kreiert. Aber im Bundesrat hatte ich eine Mehrheit und da ist die CDU auch schon mit beteiligt. Darunter gehören auch CDU-mitregierte Länder. Da habe ich meine Mehrheit organisiert bekommen. Der Kurs, den ich mache, hat im Bundestag und im Bundesrat eine Mehrheit. Mir ist wichtig, was die Bäuerinnen und Bauern sagen, und die Bauern sagen mir, wir brauchen Verlässlichkeit, wir brauchen verlässliche Preise. Da versuchen wir gerade zu helfen, 180 Millionen Entlastungspaket kurzfristig. Wir haben die Mittel von Brüssel noch mal verdoppelt. Und was wir jetzt machen ist, dass wir zum Beispiel bei der Beimischung für Kraftstoffe runtergehen. Ich meine, das ist doch absurd, dass wir wertvolles Getreide ins Auto packen, in den Tank packen. Dass die Union dazu nichts sagt, das zeigt, dass es ihnen nicht wirklich um Fläche geht. Das ist bedauerlich, aber ich kann mich davon nicht aufhalten. Ich muss dafür sorgen, dass wir in Deutschland unsere Eigenversorgung aufrechterhalten, unseren Beitrag leisten zur Bekämpfung des Hungers in der Welt, aber vor allem jetzt Solidarität mit der Ukraine zeigen. Für Parteipolitik ist bei mir keine Zeit.
May: Aber Sie sagen es ja. 60 Prozent der Getreideproduktion geht nicht in die direkte Nahrungsmittelproduktion, sondern für Tank, wie Sie es immer sagen, und Futtermittel. Wie kriegen Sie denn diese Quote runter?
Özdemir: Ja, wir fangen jetzt an bei der Beimischung für Kraftstoffe. Da haben wir uns jetzt geeinigt mit der Umweltministerin, die federführend ist, und mit dem Wirtschaftsminister und wollen das jetzt schnell im Kabinett beschließen. Das andere Thema, das Sie angesprochen haben, das fällt unter die Rubrik Reform der Tierhaltung. Auch da bin ich gerade dabei und kann hoffentlich sehr bald erste Ergebnisse präsentieren. Das sind viele, viele Gespräche mit den Bauern, mit dem Handel, die Borchert-Kommission, die großartige Vorarbeit geleistet hat, die jetzt dafür sorgen, weniger Tiere, das besser verteilen in Deutschland, mehr Platz für die Tiere. Wir leisten dadurch auch einen Beitrag für den Tierschutz. Aber dafür müssen die Bäuerinnen und Bauern natürlich auch Geld bekommen. Da sind wir jetzt gerade dabei. Das würde auch einen Beitrag leisten, dass wir dadurch Fläche gewinnen, die wir dann, so wie Sie gesagt haben, nutzen können für die direkte Versorgung der Menschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.