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Cembalist Ketil Haugsand
Schnelle Autos, smarte Leicas

Cembalist Ketil Haugsand schraubt in seinem Wintergarten nicht nur an seinen Instrumenten, sondern auch an einem Jaguar-Chassis - dem Sportwagencoupé fehlt noch einiges. Der technikbegeisterte Norweger sammelt zudem Kameras: "Leica hat einen eleganten Sound auf allen Verschlusszeiten."

Von Bernd Heyder |
    Blick in den Wintergarten von Ketil Haugsand
    Blick in den Wintergarten von Ketil Haugsand (Deutschlandradio/Bernd Heyder)
    Übersicht über die Sommer-Reihe "Das zweite Gesicht" - Musiker und ihre schrägen Leidenschaften.
    Musik: Jean-Philippe Rameau, "Pièces de Clavecin"
    Eine beschauliche Wohnstraße, direkt am Rheinufer in einem der kleineren Kölner Vororte: Eine Jaguar-Limousine jüngeren Datums, Typ XF, parkt vor einem der Häuser. Dort wohnt Ketil Haugsand. In seinem Musikzimmer stehen zwei Cembali. Das wird niemanden überraschen, der den inzwischen 70-jährigen Norweger als international gefragten Tastenvirtuosen und ehemaligen Kölner Cembaloprofessor kennt. Im Wintergarten stehen aber zwei weitere Cembali, überholungsbedürftig. Und daneben noch ein Jaguar: ein halbfertiger E-Type, Farbe "Gunmetal". Mal arbeitet Ketil Haugsand in seinen Mußestunden an den Cembali, mal an dem windschnittigen britischen Sportwagencoupé, dem noch das Interieur fehlt. Der Motor wartet nebenan in der Garage auf den Einbau.
    "Dieser E-Type, das ist ein Jaguar E., wurde abgesegnet am 26. Oktober 1961. Hat die Chassis-Nummer 126, von den linksgesteuerten Coupés. Und das ist ein Flat-Floor, das heißt, es hat einen flachen Boden. Nur die ersten 450 Autos hatten das. Das habe ich aus England gekauft, das war ziemlich ein Wrack eigentlich, aber ich habe den dann billig bekommen für 6.000 Pfund. Und das Ding ist 1,22 Meter hoch, und das ’61. Man muss sich vorstellen: Was haben die Leute gefahren damals? Das war nicht sehr prickelnd! Und dann kam dieses Auto und konnte urplötzlich 240 Stundenkilometer machen!
    Musik: Jean-Philippe Rameau aus, "Pièces de Clavecin"
    Haugsand hört Autos rosten
    Historische Modelle, die sich schnell auf Tempo bringen lassen: Sie sind eine große Leidenschaft des Ketil Haugsand. Eine Leidenschaft, die sein einstiger Cembalo-Lehrer Gustav Leonhardt mit ihm teilte.
    Ketil Haugsand und sein unfertiger Jaguar
    Ketil Haugsand und sein unfertiger Jaguar (Deutschlandradio/Bernd Heyder)
    "In den letzten Jahren fuhr der immer Alfas – schnell! Der wusste genau, wo alle Blitzer standen! Ich fuhr auch immer Alfas. Nicht nur konnte man sehen, dass die rosteten, man konnte es auch hören. Musiker haben gute Ohren, und man hat das gemerkt. Man hatte das Gefühl: Ich höre den rosten! Das ist schrecklich! Aber der fuhr wie ein Traum.
    Auch bei der Wahl des Cembalos schworen Leonhardt und Haugsand damals auf das gleiche Modell: die Kopien, die in Bremen Martin Skowronek in feinster Handarbeit nach flämischen oder italienischen Modellen des 17. und 18. Jahrhunderts fertigte. Da er zunächst weit unten auf Skowroneks Warteliste stand, baute sich Haugsand seine ersten Cembali kurzerhand selbst.
    Studium mit selbstgebauten Cembali finanziert
    "Das erste, das war so ein Bausatz von Frank Hubbard – sehr gut! Aber ich wollte dann auch ein Instrument aus freier Hand, from scratch. Und das habe ich dann ’71 sofort gemacht, und das waren dann nicht die letzten. Ich habe damals eigentlich meine Studien in Amsterdam damit finanziert, das war eine gute Sache. Hat mich viel gelehrt, auch in puncto Material-Verstehung. Wie sieht Klang aus? Das kann man nicht nur per Erfahrung machen, da muss man ein Gespür für haben. Das hatte ich dann."
    Wie sieht Klang aus? Das bewegt Ketil Haugsand auch, wenn er auf sein anderes und ältestes Hobby zu sprechen kommt: das Fotografieren.
    "Ich glaube, ich bin ein guter Musiker-Fotograf, denn ich bin ja auch schließlich Musiker selbst. Und dann weiß ich auch das Timing: In dem Moment, wo es einen Auftakt gibt oder genau die Zehntel-Sekunde nach dem Schlussakkord, das ist immer ein wunderbarer Moment. Und dann ist es still, und dann kommt die Leica und … klick."
    Seit seiner Jugend fotografiert er mit den Apparaten aus der Produktion der damaligen Firma Ernst Leitz in Wetzlar. Inzwischen sammelt er sie mit Leidenschaft.
    Kameras mit elegantem Klang
    "Die älteste Dame aus 1926, die klingt so munter: Klack! Dann 1951, eine Leica 3F [Auslösegeräusch]. Sehr dezent! Dann eine Leica M2 aus 1963: sehr dezent! [Auslösegeräusch] Ah! Dann eine moderne M-Kamera. [Auslösegeräusch]. Und für Musiker ist das natürlich Musik in den Ohren. Leica hat einen eleganten Sound auf allen Verschlusszeiten. Wenn man dann solche Dinger sucht, dann sollte man unbedingt eine ganze Sekunde auslösen [langes Auslösegeräusch]. Muss lange nachschnurren!"
    Die Kameras brauchen ihre regelmäßige Pflege. Das sei dann so ähnlich, wie beim Cembalo Kiele auszutauschen.
    "Man muss es nur vorsichtig tun, muss die richtigen Werkzeuge haben und wissen, wie das wieder ineinander kommt. Ich bin gottseidank ein sehr praktischer Mensch und pragmatisch, und ich habe keine Berührungsangst mit den Dingen, und das ist sehr hilfreich."
    Vielleicht ist das ja auch Haugsands Erfolgsgeheimnis als Interpret – und nicht zuletzt als Lehrer.
    "Wenn es so ein bisschen viele Probleme sind, muss man alle Probleme einzeln isolieren. 'Was führt hierzu? Ist das das oder das? Nein, das kann es nicht sein. Weil dann wäre das und das passiert.' Und wenn man das erkennt, dann ist das nur ein Frage von 'Tu das dann mal auch richtig!'"
    Der Jaguar E-Type im Wintergarten, er soll auch bald einmal fertig werden, beteuert Haugsand – auch wenn er einräumt, dass der Wagen nur selten oben auf seiner To-do-Liste steht.
    "Freude-Therapie" auf vier Rädern
    "Jetzt ist es meistens Fotografieren, das muss ich zugeben. Aber ich sehe ja den Jaguar jeden Tag, und ich möchte es auch tun. Eigentlich muss ich mich beeilen, weil in zehn Jahren dürfen wir das nicht mehr fahren. Und ich finde es schade, einen Elektromotor in einen E-Type einzubauen, ehrlich gesagt. Wir werden sehen. Ich fahre auch einen XF, und das ist wunderbar. Das ist kein Auto mehr, das ist eine Freude-Therapie. Ich nenne das eine Freude-Therapie, weil ab und zu ist das Menschenleben ziemlich mies – habe ich auch erlebt. Aber ab und zu ist es wunderbar reich. Und ich habe meine Musik, und ich habe meine Leicas; so spiele ich dann Konzerte ab und zu, und ich bin sehr dankbar. Aber eines Tages, wenn ich nicht zu alt werde, dann läuft der auch."
    Musik: Johann Sebastian Bach aus: Englische Suite A-Dur, BWV 806