Trittin betonte, um das Abkommen rechtskräftig zu ratifizieren, müssten beide Parlamente zustimmen. "Das kann nicht ersetzt werden durch einen unverbindlichen Entschließungsantrag des Deutschen Bundestags."
Außerdem kritisierte der Grünen-Politiker das Vorgehen der EU-Kommission. Deren Plan, die nationalen Parlamente bei der Entscheidung über das umstrittene Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada zu übergehen, sei politisch instinktlos. Man könne nach dem Brexit-Votum nicht einfach so weitermachen, sondern müsse Dinge erst einmal ein bisschen liegen lassen. Das gelte nicht nur bei Ceta, sondern auch bei dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Die EU-Kommission versehe damit "das Märchen, dass Brüssel ein bürokratisches Monster sei, ohne Not mit neuen Beispielen."
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: Guten Morgen, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Beginnen wir mal mit dem Freihandelsabkommen, mit CETA. Was ist denn falsch daran, nur das Europaparlament darüber abstimmen zu lassen?
Trittin: Nun, es gibt darüber eine unterschiedliche juristische Auffassung. Der Rat, das heißt die Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist der Auffassung, dass dieses Abkommen Dinge beinhaltet, die die Europäische Union nicht alleine regeln kann, also über Handel hinausgehende Elemente des Investitionsschutzes beinhalten, und insofern haben wir es hier erst mal mit zwei sehr unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu tun. Die gehen quer zu den Parteien. Auch eine Bundesregierung, die für CETA ist, anders als die Grünen, ist der Auffassung, dass hier ein gemischtes Abkommen vorliegt.
Das Zweite ist: Es ist politisch einfach instinktlos. Wenn man darüber in einer solchen Situation sagt, wir müssen jetzt Ruhe bewahren nach dem Austritt der Briten, wir brauchen so etwas wie eine Denkpause, dann kann man nicht einfach so weitermachen wie bisher und muss solche Dinge erst mal auch ein Stück liegen lassen.
Trittin kritisiert die Zulassung von Glyphosat als fragwürdig
Die zweite, wie ich finde, fragwürdige Entscheidung der Europäischen Kommission, die nach dem Motto "wir machen einfach so weiter" gestern stattgefunden hat, war die Zulassung für 18 Monate eines Unkrautvernichtungsmittels, was im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen, nämlich Glyphosat.
Klein: Aber man könnte ja auch sagen, das müsste doch eigentlich im Sinne derer sein, die sagen, wir lassen uns die Europäische Union jetzt nicht kaputt machen, Europa muss gestärkt werden und auch die europäischen Institutionen sollen weiter ihren Weg da beschreiten und denen soll man jetzt nicht Kompetenzen wegnehmen.
Trittin: Da bin ich auch ganz dabei. Ich will doch niemandem Kompetenzen wegnehmen. Ich finde nur, in einer solchen Situation, wo eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten beispielsweise bei Glyphosat sagt, wir wollen das nicht, wir wollen erst mal diese Sache weiter überprüfen, in Fragen, wo es um die Gesundheit der Bevölkerung geht, da sagen wir im Zweifelsfall erst mal Stopp, bevor wir dieses Risiko geklärt haben. In Fragen, soll ein solches Abkommen ordentlich ratifiziert werden wie viele andere Handelsabkommen auch - wir haben Handelsabkommen jüngst mit Südamerika, die sind selbstverständlich durch den Deutschen Bundestag und durch den Bundesrat mit ratifiziert worden; das ist ein völlig normaler Vorgang -, in solchen Situationen angesichts des Votums der Briten erst mal ein Stück innezuhalten, das ist vielleicht ein Stück politischer Klugheit.
"Das Märchen der Eurogegner"
Das ist nicht juristisch geboten, aber es ist klug, und so, wie sich die Kommission jetzt verhält, ist es nicht klug, es ist unklug und es führt dazu, dass das Märchen der Eurogegner, dass nämlich Brüssel ein bürokratisches Monster sei und demokratisch nicht legitimiert, ohne Not mit neuen Beispielen versehen wird. Es ist natürlich wahr: Selbst wenn man der Auffassung ist, dass CETA kein gemischtes Abkommen ist und es ausreicht, dass die Mehrheit der Mitgliedsstaaten und die Mehrheit des Europäischen Parlaments zustimmt, ist es damit nicht undemokratisch. Aber diese Art des Vorgehens gibt dem genau diesen Anstrich.
Klein: Da würde ich jetzt gerne noch mal einhaken, Herr Trittin. Sie haben noch mal Glyphosat angesprochen. In der Tat, das war eine weitere Entscheidung. Noch mal kurz zurück zu CETA. Da hat Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, gerade vor einer Stunde bei uns das richtiggestellt und hat gesagt, ja, ja, sehr wohl, im September wird sich der Deutsche Bundestag damit befassen, und wir hören mal kurz hinein:
O-Ton Jürgen Hardt: "Die Kommission hat die, wie ich finde, irrige Auffassung, es sei ein Abkommen, das ausschließlich die europäischen Angelegenheiten bedenkt. Aber auch in dem Fall, selbst wenn sich die Kommission mit dieser Auffassung durchsetzen würde, hieße das nicht, dass der Deutsche Bundestag außen vor bleibt. Der Deutsche Bundestag wird im September ausführlich zum Thema CETA beraten und er wird seine Parlamentsrechte wahrnehmen, und ich bin sicher, dass die Bundesregierung nicht ohne ein klares Votum des Deutschen Bundestages zu der entsprechenden Ratssitzung nach Brüssel fährt, wo dann im Zweifel Deutschland unterschreiben muss."
Klein: … sagte Jürgen Hardt bei uns. - Herr Trittin, damit ist die Sache eigentlich erledigt. Der Deutsche Bundestag wird sich damit befassen im September und der ganze Streit ist eigentlich vergessen.
Trittin: Herr Hardt wirft eine große Nebelgranate. Dadurch, dass der Deutsche Bundestag mal eben darüber spricht und die Bundesregierung sich anhört, was er sagt, ratifiziert der Deutsche Bundestag nicht. Und insofern heißt das genau das Vorgehen, was Herr Hardt dort vorgeschrieben hat, im Bundestag mit der Mehrheit der Großen Koalition wird das Ganze durchgewunken, und am Ende wird genau das, was in einem Ratifizierungsverfahren notwendig wäre, nämlich eine detaillierte Behandlung sowohl im Bundestag wie im Bundesrat - gemischte Abkommen bedürfen auch der Mehrheit des Bundesrates - nicht stattfinden. Man versucht hier, durch eine unfreiwillige Beteiligung eine juristische Hürde schlicht und ergreifend zu umgehen. Das sind Winkeladvokaten-Tricks!
Klein: Aber Herr Trittin, das ist ja nun mal so, dass die Große Koalition und deren Fraktionen die Mehrheit haben im Deutschen Bundestag. Daran können Sie ja nicht vorbei.
Trittin: Ja! Noch mal: Zum Ratifizieren bedarf es einer Mehrheit des Bundesrates und des Bundestages.
Klein: Das ist Ihr Kritikpunkt, dass Sie sagen, der Bundesrat muss sich auch damit befassen?
"Bundesregierung im Rat darf dem CETA-Abkommen nicht zustimmen"
Trittin: Nein! Es ist schlicht und ergreifend so, dass ein völkerrechtliches Abkommen, das rechtsverbindlich in Rechte des Deutschen Bundestages, in Rechte der Länder eingreift, dass ein solches Abkommen nach allgemeinem Verständnis auch der Bundesregierung - das ist die Haltung, die sie bisher gehabt hat - durch diese Organe dann ratifiziert werden muss. Das kann nicht ersetzt werden durch einen unverbindlichen Erschließungsantrag des Deutschen Bundestags.
Klein: Versuchen Sie, da noch weiterzumachen, um das zu erwirken, was Sie gerade gefordert haben?
Trittin: Wir haben der Bundesregierung etwas ganz Einfaches mit auf den Weg gegeben. Wir haben ihr gesagt: Solange die Kommission an dieser Haltung festhält, dass es sich nicht um ein gemischtes Abkommen handelt, so lange darf die Bundesregierung im Rat dem Abkommen nicht zustimmen. Diese klare Haltung vermisse ich bei den Unions-Kollegen. Das ist das einzig Richtige. Das ist übrigens auch der Weg, wie die Kommission ihre Auffassung sehr, sehr schnell ändern wird. Wenn nämlich droht, dass es eine Sperrminorität im Rat gibt, dann wird an dieser Stelle sehr schnell die Rechtsauffassung geändert werden.
Klein: Das werden wir noch mal abwarten müssen, Herr Trittin. - Das war jetzt auch nur ein Kritikpunkt, der in der letzten Woche laut wurde an der EU-Kommission und auch an Jean-Claude Juncker. Es gab aus anderen Parteien, auch aus dem Europaparlament sogar die Aufforderung oder die Idee, man möge jetzt die Stunde nutzen und durch das Europaparlament die EU-Kommission absetzen lassen oder Herrn Juncker zu stürzen. So weit würden Sie aber nicht gehen? Das ist im Prinzip schon alles in Ordnung, oder wie?
Trittin: Warum sollte man das tun? Man kann im Parlament den Antrag stellen, die Kommission abzuwählen. Dann kann man das machen. Das ist ja eine ganz einfache und demokratische Veranstaltung. Ich glaube aber nicht, dass das Parlament das machen wird, weil die Kommission weiß in vielen Fragen das Parlament hinter sich. Ich glaube, wir müssen etwas ganz anderes tun.
"Finanzmarktkrise von 2009 bis heute nicht überwunden"
Wir müssen endlich dahin kommen zu begreifen, was in Europa passiert ist, und der Kern des Problems bleibt: Wir haben die zentrale Frage, nämlich den Umgang mit der Finanzmarktkrise von 2009, bis heute nicht gelöst und nicht überwunden. Wir haben nach wie vor in den Ländern der Peripherie - das gilt für im Osten Polen, das gilt für den Süden Gesamteuropas - die Finanzkrise nicht überwunden und in dieser Situation müssen wir das Versprechen - und die Europäische Union beruht im Wesentlichen auf drei Versprechen: Frieden für alle, Demokratie für alle und Wohlstand für alle - dieses Versprechen wieder erneuern. Und das heißt, wir müssen zu einer ganz anderen Politik kommen. Wir müssen dahin kommen, dass mehr investiert wird, dass mehr Wachstum stimuliert wird, dass wir zu einer anderen Wirtschaftspolitik an der Stelle kommen. Das ist die eigentliche Herausforderung.
Klein: Nun ist es aber so, Herr Trittin, dass nicht Staaten Südosteuropas oder Südeuropas den Austritt sich wünschen aus der Europäischen Union, sondern Großbritannien, also ein Land, was mit der Währungsunion ja gar nichts zu tun hat. Das heißt, es gibt ja offensichtlich auch andere Gründe dafür als die, die Sie gerade genannt haben.
Trittin: Es ist wie immer im Leben ein ganzes Bündel von Ursachen, was wir an dieser Stelle haben. Die Krise in Großbritannien hat nichts zu tun oder weniger zu tun beispielsweise mit den Folgen der Kriege im Süden und der daraus ausgelösten Flüchtlingswellen. Einen richtigen Turbo der Auseinandersetzungen in Großbritannien hat es gegeben, als in Folge der Finanzkrise es dort wirtschaftliche Schwierigkeiten gab, und dann hat man angefangen, als einen Sündenbock die im Lande lebenden EU-Bürger, nämlich Polen heranzuziehen.
"Dieses Europa strebt auseinander, auch wirtschaftlich"
Das ist eines der Dinge, die einen solchen Zusammenhang dort gehabt haben, und wir entdecken genau diese Haltung des rechten Populismus in fast allen Staaten Europas, mehr in den nördlichen als in den südlichen. Dennoch bleibt der Umstand, dass die Frage, dass dieses Europa auseinanderstrebt, auch wirtschaftlich, eines, was sehr, sehr mit zu den Treibern der Krise der Legitimation der Europäischen Union gehört.
Klein: Jürgen Trittin, der Grünen-Außenpolitiker aus dem Deutschen Bundestag, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Trittin, danke für Ihre Zeit und Ihre Einschätzungen heute Morgen.
Trittin: Guten Morgen!
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