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CETA-Diskussion
"Ein so langes Vertragswerk ist in sich widersprüchlich"

Wenn ein Vertrag so lang sei, dann bedeute das später viel Arbeit für Rechtsanwälte, sagte Max Otte, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Graz, im DLF. Kritik an dem CETA-Abkommen sei berechtigt - denn es sei eine Nummer zu groß für die EU.

Max Otte im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Containerschiffe liegen kurz nach Sonnenuntergang im Hafen in Hamburg am Terminal Burchardkai.
    Ceta wird auch als Blaupause für das wesentlich größere und wichtigere Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) gesehen. (Daniel Reinhardt, dpa)
    Tobias Armbrüster: Und mitgehört hat Professor Max Otte. Er ist Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Graz, Buchautor und außerdem Manager eines unabhängigen Investmentfonds. Schönen guten Morgen, Herr Otte!
    Max Otte: Guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Otte, haben Sie schon einen Blick geworfen in diese 1.600 Seiten?
    Otte: Ja, ich habe es mir über Nacht angeschaut, ich habe aber auch die entsprechenden Kommentare gelesen. Es hat sich nicht viel verändert zu dem, was wir vermutet haben. Natürlich kann man 1.600 Seiten jetzt nicht im Detail durchlesen. Nur, man kann immer sagen: Je länger ein Gesetz oder eine Vorlage, desto komplizierter, desto einfacher lassen sich dann auch Sonderdinge durchsetzen, desto leichter lässt sich das manipulieren, aber auch interpretieren im Einzelfall, also desto unklarer wird alles. Es ist schon sehr lang.
    Armbrüster: Das heißt, schon der Umfang dieses Vertrags ist ein Problem?
    Otte: Natürlich. Genauso, wie zum Beispiel beim Vertrag über die Europäische Union, der ja auch etliche Hundert Seiten lang ist. Die amerikanische Verfassung hatte ein paar Seiten, und das war's. Das ist ein relativ klarer Vertrag. Und wenn man diese Dinge so lang macht, dann gibt es immer sehr viel Arbeit für Rechtsanwälte. Und dann kann man sich über viele Dinge trefflich streiten, weil ein so langes Vertragswerk in sich widersprüchlich sein muss.
    Armbrüster: Wenn wir mal an die Details gucken, an die groben Linien, die der Kollege Jörg Münchenberg ja gerade aufgezeichnet hat – sollten wir das Ganze, so wie es ist, akzeptieren?
    Otte: Nein, auf keinen Fall. Es wurde ja schon darüber gesprochen, dass man mit potenziellen Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum wirbt, aber zehn Milliarden für die EU, das ist ein Klacks. Das Problem ist eben die schleichende Veränderung des politischen Prozesses oder auch die starke Veränderung des politischen Prozesses. Also die tatsächlichen ökonomischen Impulse halten sich sehr in Grenzen. Das muss, wenn man das nüchtern sieht, müssen das auch die Befürworter sagen. Natürlich kann es solche Impulse geben, aber die sind doch relativ gering. Die wahren Interessen sind andere.
    Armbrüster: Sie bezeichnen zehn Milliarden Euro als einen Klacks?
    Otte: Ja, wenn man das im Vergleich zur Wirtschaftsleistung der Europäischen Union sieht, dann ist das im ganz unteren Prozentbereich.
    Armbrüster: Kann man denn überhaupt so klar absehen, wie so ein Abkommen sich auswirken wird? Lässt sich das vorher sagen? Ich meine, auch in der Europäischen Union haben ja wahrscheinlich viele Leute in den 70er- oder 80er-Jahren nicht gesehen, wo wir mal enden werden.
    Max Otte, deutsch-US-amerikanischer Ökonom, Professor für allgemeine und internationale Betriebwirtschaftslehre an der Fachhochschule Worms,
    Über Max Otte
    Geboren 1964 in Plettenberg, Nordrhein-Westfalen. Der Wissenschaftler studierte bis 1989 Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und politische Wissenschaften in Köln. 1997 promovierte er. Nach verschiedenen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Berufsstationen ist Otte Professor für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Worms, seit 2011 zudem Professor für quantitative und qualitative Unternehmensanalyse und -diagnose an der Universität Graz sowie unabhängiger Fondsmanager.
    Otte: Richtig. Wenn das gesehen worden wäre, hätte man wahrscheinlich einiges anders gemacht. Natürlich lässt es sich nicht klar absehen. Es gibt schon Gewinne durch Handel, aber es kann natürlich auch andererseits Wohlfahrtsverluste geben eben bei den Standards. Und dann ist die Frage, wie sie so was bewerten. Dann beauftragen Sie ein Forschungsinstitut mit Ergebnis A, das nächste mit Ergebnis B – das ist also so ähnlich, wie wenn sie eine Rechtsfrage, ein Rechtsgutachten machen. Das ist selten, dass es da absolute Klarheit gibt. Die haben wir erst hinterher irgendwann.
    Armbrüster: Nun hat Deutschland ja schon eine Menge Freihandelsabkommen unterzeichnet. Oder auch eine Menge Abkommen, die jetzt nicht unbedingt so heißen, die aber trotzdem so etwas erfüllen. Viele Leute haben ja, glaube ich, den Eindruck, hier springt sozusagen die Politik, möglicherweise auch die SPD, einfach auf einen Trend auf, und kritisiert so etwas einfach, weil einige Globalisierungskritiker so etwas vorgeben. Wieso lässt sich so ein Vertrag überhaupt kritisieren?
    Otte: Na ja, wir haben ja schon eine globale Wirtschaft. Und wenn man da kritisch ist, ist man nicht gleich gegen die Globalisierung. Ich bin ja auch sehr kritisch bei diesem Vertrag. Ich habe mal mit dem Dekan meiner Universalität diskutiert, das ist ein Ökonom. Der hat gesagt, wir wissen eigentlich sehr gut, wie sich Regeln auswirken, aber wir studieren nicht, wie die Regeln gemacht werden. Und hier geht es darum: Wer hat in Zukunft die Kompetenz, die Regeln zu machen?
    "Konzerne machen die Regeln"
    Armbrüster: Und wer hat das Ihrer Meinung nach hier?
    Otte: Das geht ganz klar bei CETA und auch bei TTIP in Richtung, dass die Konzerne die Regeln machen über ihre Lobbyisten. Und dass die Gesetzgebung zunehmend ausgehebelt wird. Dass also immer mehr des ganzen Prozesses auf die privatwirtschaftliche Ebene geschoben wird. Und die eigentliche Politik immer weniger zu sagen hat. Und das ist das Riesenproblem. Und da ist CETA ein Türöffner.
    Armbrüster: Und die ganzen schlauen Politiker in Deutschland und auf europäischer Ebene waren nicht in der Lage, das zu sehen?
    Otte: Ob sie nicht in der Lage sind, das zu sehen, weiß ich nicht. Einige werden es sehen – ich meine, von links, auch von den Grünen, kommt ja deutliche Kritik. Gabriel hat auch deutliche Kritik geäußert. Ich denke aber, dass letztlich die SPD sich dieser Sache anschließen wird. Da gibt es Sachzwänge, da gibt es dann auch Fraktionszwänge. Der Widerstand erscheint mir letztlich nicht stark genug.
    Armbrüster: Woher sollte er denn kommen?
    Otte: Er muss eigentlich schon aus dem Bundestag kommen, vom Parlament. Und ich meine, Gabriel hat da ja einiges geäußert, aber das war mir ein bisschen wenig.
    Armbrüster: Jetzt ist nicht unbedingt die Politikwissenschaft Ihr Feld, aber wie hoch schätzen Sie denn die Möglichkeit ein, dass der Bundestag hier tatsächlich noch mal nachverhandeln kann? Barroso hat das ja gestern quasi ausgeschlossen.
    Otte: Also ich habe schon auch einen Abschluss in Politikwissenschaft, so ist das nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Ich hoffe, dass es funktioniert. Die EU ist nun mal in Handelsfragen die maßgebliche Ebene, das zu entscheiden. Es ist so ein bisschen wie bei der Euro-Rettungspolitik, wo also Kompetenzen schleichend oder auch per Gesetz wegwandern vom Bundestag. Und wo da das Verfassungsgericht da noch einen kleinen Riegel vorgeschoben hat. In diesem Fall könnte das auch passieren vielleicht. Barroso möchte natürlich keine Nachverhandlungen, aber ich hoffe, dass da noch eine kleine Tür auf ist, dass man da tatsächlich noch mal ran gehen kann.
    Armbrüster: Jetzt sind Sie, Herr Otte, ich habe es erwähnt, auch Manager eines Investmentfonds. Da sollte man ja eigentlich meinen, für Sie kommt so ein Handelsabkommen, bei dem durchaus die Wirtschaft etwas mehr zu sagen hat als die Politik, doch eigentlich sehr gelegen. Für Unternehmer, für Menschen, die sich über langfristige Investment- und Vermögensentwicklung Gedanken machen.
    Otte: Also langfristig ist immer gut, aber ob die Wirtschaft immer so langfristig denkt, insbesondere, wenn sie nach angelsächsischem Muster aufgebaut ist, das wage ich zu bezweifeln. Die Manager sind sehr kurzfristig, sehr quartalszahlengetrieben. Das war früher in Deutschland anders in der sozialen Marktwirtschaft. Aber wir übernehmen auch immer mehr die Kurzfristdenke der angelsächsischen Konzerne. Das halte ich für falsch. Eigentlich sollte doch die Politik, so war es zumindest von der Ordnungspolitik der sozialen Marktwirtschaft vorgesehen, Rahmenbedingungen schaffen, dass Menschen auch verlässliche Rahmenbedingungen haben, eine gewisse Arbeitsplatzsicherheit, eine gewisse Planbarkeit – das kommt meines Erachtens langfristig dann auch der Wirtschaft zugute.
    "Bürgerinnen und Bürger sind nicht gefragt"
    Armbrüster: Und so was, meinen Sie, wird durch Abkommen wie CETA und TTIP aufgeweicht?
    Otte: Ja, das wird aufgeweicht. Die Konzerne definieren immer stärker, was sie wollen. Und letztlich sind die Interessen der Bürgerinnen und Bürger immer weniger gefragt und vertreten.
    Armbrüster: Was ist denn mit den Schiedsgerichten? Da gab es ja viel Gerede in den vergangenen Tagen. Da haben wir gehört, dass so etwas eben auch die Rechtsprechung in Deutschland quasi privatisiert. Wir haben aber auch gehört, dass es solche internationalen Schiedsgerichte ja schon seit Längerem gibt, ohne dass irgendjemand darüber viel Aufhebens macht.
    Otte: Die Schiedsgerichte gibt es. Meistens ist ja alles irgendwie schon in gewisser Form da. Aber es ist immer die Frage, wer das benutzt. Wenn Sie jetzt mit Kanada, die wieder über die nordamerikanischen Freihandelsabkommen mit den USA verbunden sind, wenn man dann vors Schiedsgericht geht, dann hat man quasi Kanada und die USA auf der anderen Seite. Oder wenn dann TTIP kommen sollte, das Freihandelsabkommen mit den USA, dann hätten Sie amerikanische Konzerne in dem Schiedsgericht. Das ist also immer auch eine Frage der tatsächlichen Macht- und Kräfteverhältnisse. Und das ist in dem Fall dann schon so, dass, glaube ich, wenn Sie solche potente Verhandlungspartner oder auch -gegner haben, dass dann die eigenen Interessen doch eher untergebuttert werden können.
    Armbrüster: Das heißt, um das kurz zusammenzufassen, diese Abkommen sind eine Nummer zu groß für die EU?
    Otte: Diese Abkommen sind eine Nummer zu groß. Beziehungsweise die Partner auf der anderen Seite sind besser organisiert. Die EU ist doch ein relativ inkohärentes Gebilde, was vielleicht seine Interessen und die Interessen der Mitgliedsstaaten nicht so gut durchsetzen kann.
    Armbrüster: Live hier heute bei uns in den "Informationen am Morgen" war das der Wirtschaftswissenschaftler und, wir haben es gehört, auch Politikwissenschaftler Max Otte. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, hier ins Studio zu kommen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.