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Ceta und die öffentliche Daseinsvorsorge
Ringen um ein wertvolles Gut

Einer der Punkte, die am Freihandelsabkommen CETA immer wieder kritisiert werden, ist die sogenannte Öffentliche Daseinsvorsorge. Dabei geht es um elementare Dinge wie die Wasserversorgung. Die sei besonders geschützt, sagt die EU-Kommission. Kritiker sehen aber mögliche Schlupflöcher im Vertrag.

Von Bettina Weiz |
    Leitungswasser läuft am 08.03.2013 in Hannover (Niedersachsen) in ein Glas.
    Was wird mit dem öffentlichen Gut Wasser, wenn CETA kommt? (Lukas Schulze / dpa)
    Der Druck ist groß: Noch immer, selbst nach vielen Jahren des Verhandelns, gibt es Kritik an CETA, dem umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen von EU und Kanada. Eine belgische Region, die Wallonie, hat in den vergangenen Tagen deutlich gemacht, wie hoch umstritten der Freihandel nach wie vor ist. Die Skepsis betrifft eine Vielzahl von Aspekten. Ein Thema, das viele Gegner eint, ist die öffentliche Daseinsvorsorge. Gemeint ist damit scheinbar Selbstverständliches, etwa: die Wasserversorgung.
    Besuch im Wasserwerk West von Erlangen in Bayern. Hierher wird das Wasser aus dem Schutzgebiet im Wäldchen nebenan gepumpt und gesäubert. Stolz zeigt der Wassermeister den Reinwasserbehälter. Der ist fest verschlossen.
    "Man sieht eigentlich meistens, dass man nichts sieht, weil es so sauber ist."
    "Sie machen das ungern auf, oder?"
    "Ja, das ist halt unser oder mein wichtigstes Gut, ja."
    Wasserversorgung ist in Deutschland ein Monopol
    Aus dem Reinwasserbehälter fließt das Wasser direkt in die Küchen und Bäder der Erlanger und Erlangerinnen. Wenn etwas darin wäre, was nicht hineingehört, könnte es eine Katastrophe geben. Wasser ist grundlegend für die Gesundheit. Außerdem ist es aufwändig zu transportieren und durch nichts zu ersetzen, und Wasserleitungen sind so teuer, dass man pro Ort nur eine legt, nicht mehrere konkurrierende. Und so ist die Wasserversorgung in Deutschland ein Monopol und eine Gemeinschaftsaufgabe, und zwar in der Verantwortung des Bürgermeisters und der Stadt- oder Gemeinderäte. Jeder muss sich am örtlichen Wasserleitungsnetz beteiligen, muss es mitzahlen und mitnutzen, und das selbst, wenn er eine Quelle im Garten hat. Das soll verhindern, dass ärmere Leute sich das lebensnotwendige Gut nicht leisten können.
    "Wasser ist Menschenrecht, Daseinsvorsorge, das ist Grundrecht, es ist nicht Handelsware, da ist ein Riesenunterschied zwischen Strom- und Wasserversorgung."
    Ein Tropfen Wasser kommt am 21.03.2013 aus einem Wasserhahn in Frankfurt (Oder)
    Laut Unicef haben mehr als 780 Millionen Menschen weltweit kein sauberes Trinkwasser. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Deswegen lehnt der Chef der Erlanger Stadtwerke es ab, die Wasserversorgung zu liberalisieren, so wie im Sinn des Freihandels staatliche Dienstleistungen von privaten Firmen übernommen werden.
    Aber CETA müsse er da nicht fürchten, meint Reinhard Hönighaus, Sprecher der EU-Kommission. Mit dem Abkommen sagten die EU und Kanada einander zwar weitgehende Liberalisierungen zu. Doch die Entnahme, Aufbereitung und Verteilung von Wasser seien davon ausgenommen.
    Zweifel bleiben
    "In einigen Abkommen zählt dann die EU die Dienste auf, die für ausländische Dienstleistungserbringer zu öffnen sind, das ist eine Positivliste, das haben wir zum Beispiel mit Südkorea so gemacht, oder man macht eine Negativliste, da sagt man grundsätzlich, die Liberalisierung von Dienstleistungen zu, mit Ausnahme von bestimmten, in den Anhängen aufgeführten Dienstleistungen. So macht man das in diesem Abkommen mit Kanada. Und der Unterschied ist rein formaler Art. Denn die EU gelangt in beiden Fällen zu dem gleichen Ergebnis: Die öffentlichen Dienste sind in allen EU-Handelsabkommen durch solide Garantien geschützt."
    Der Chef der Erlanger Stadtwerke, Wolfgang Geus, bleibt skeptisch. Ihn stört das Prinzip Negativliste.
    "Das Problem ist, was nicht draufsteht, wird künftig unter die Freihandelsabkommen fallen."
    Was, wenn auf der Liste im Anhang etwas vergessen wurde? Außerdem behält sich die EU in bestimmten Fällen zwar vor, kanadische Firmen bei der Wasserversorgung von der Gleichbehandlung mit EU-Bewerbern auszuschließen. Doch Kritiker fordern, die Ausnahmeregelung für Wasser zusätzlich auf die sogenannte Meistbegünstigung auszudehnen. Auf die könnte sich im Ernstfall eine kanadische Firma berufen, die in einem europäischen Ort die Wasserleitungen betreiben will, unter Umständen gegen den Willen des Bürgermeisters oder Gemeinderats. Mit CETA garantieren sich nämlich die EU und Kanada gegenseitig, Unternehmen des jeweils anderen so gut zu behandeln wie Firmen im günstigsten Freihandelsvertrag der Beteiligten. Und allein die EU hat bisher Dutzende von Freihandelsabkommen abgeschlossen. Es ist ein unübersichtliches Feld. Aber EU-Kommissions-Sprecher Reinhard Hönighaus pocht darauf, dass CETA nicht zu einer Liberalisierung der Wasserversorgung führen muss.
    Wasser steht ganz vorne im CETA-Vertrag
    "Die öffentliche Wasserversorgung ist in diesem Abkommen doppelt geschützt", betont er, denn es gebe "ganz ausdrücklich einen Artikel in diesem Vertrag mit Kanada, Rechte und Pflichten in Bezug auf Wasser, und da steht dann 1. ‚Die Vertragsparteien erkennen an, dass Wasser in seinem natürlichen Vorkommen einschließlich des Wassers von Seen, Flüssen, Stauseen, Grundwasserleitern, Wassereinzugsgebieten weder eine Ware noch ein Erzeugnis ist.‘ Und jede Vertragspartei hat das Recht, ihre natürliche Wasserressourcen zu schützen und zu erhalten, und dieses Abkommen verpflichtet eine Vertragspartei eben nicht, die kommerzielle Nutzung von Wasser, ganz egal zu welchem Zweck, zu erlauben."
    Foto vor dem Brunnen: Die arabischen Touristen in Garmisch-Patenkirchen mögen das Wasser.
    Foto vor dem Brunnen: Arabischen Touristen in Garmisch-Patenkirchen mögen das Wasser. (Deutschlandradio/Susanne Lettenbauer)
    Dieser Artikel steht ganz vorne im CETA-Vertrag. Das unterstreicht seine grundsätzliche Bedeutung. Kritiker allerdings weisen darauf hin, dass unmittelbar danach folgender Satz kommt:
    "Erlaubt eine Vertragspartei die kommerzielle Nutzung eines bestimmten Wasservorkommens, so verfährt sie dabei in einer mit diesem Abkommen vereinbaren Weise."
    Heißt das, dass die Wasserversorgung doch zu Markte getragen werden kann? Kritiker befürchten das. Sie fordern, die Ausnahmeposition der Wasserversorgung in einem Extra-Paragrafen gesetzlich zu verankern statt Regeln für den Fall aufzustellen, dass Wasser doch als Ware wie jede andere vermarktet wird. Reinhard Hönighaus, der Sprecher der EU-Kommission hält dagegen:
    "Das heißt nichts anderes, als dass man das geltende Recht einhält, so wie heute schon auch. Also eine kommunale Behörde kann das Wassermonopol in der öffentlichen Hand lassen, kann es aber auch einem privaten Anbieter übertragen. Einer AG. Und wie sie es macht, ist ihr überlassen. Wenn sie es aber einem privaten Anbieter überträgt, dann gelten da bestimmte Transparenzregeln, das ist völlig unabhängig von diesem Abkommen."
    Wasserversorgung wurde schon an private Firmen übertragen
    Nach den Transparenz-Regeln der EU muss eine Stadt oder Gemeinde größere Dienstleistungen in jedem Fall europaweit ausschreiben. Schließlich soll jede geeignete Firma aus der EU zum Zug kommen können, nicht nur die Spezln der Stadt-Oberen. Das gilt ab 2019 möglicherweise auch für die Dienstleistung Wasserversorgung, in der EU und – wenn CETA dann in Kraft ist – bis hin nach Kanada. Tatsächlich haben schon viele Städte und Gemeinden ihre Wasserversorgung privaten Firmen übertragen, eine verlockende Lösung, wenn ihnen der Betrieb und Unterhalt der Brunnen, Wasserwerke und Leitungsnetze zu komplex oder zu teuer wurde. Auch die Stadtwerke Erlangen gehören zwar komplett der Stadt, sind aber seit 1967 eine AG. Ihr Chef Wolfgang Geus fürchtet, das könnte sich mit CETA rächen.
    "Weil wir kein Eigenbetrieb der Stadt sind. Sondern wir sind ein privatrechtliches Unternehmen, eine AG, die a) eine Wasserversorgung betreibt, b) aber auch öffentlichen Nahverkehr betreibt, ein Bad betreibt, aber auch Energie, Gas, Strom, Wärme erzeugt, und solche Unternehmen sind nicht ausgenommen von diesem Abkommen, sondern fallen drunter."
    Wenn bei einer Ausschreibung zum Beispiel eine französische oder spanische Firma anböte, Erlangen preisgünstiger mit Wasser zu versorgen, müsste der Auftrag an sie gehen. Die Stadtwerke hätten das Nachsehen – obwohl sie der Stadt selbst gehören und parallel wichtige andere öffentliche Aufgaben wahrnehmen, die die Lebensqualität am Ort deutlich erhöhen können. Selbst wenn es so weit nicht käme: CETA träfe die Stadtwerke dennoch in ihrer Geschäftspolitik, meint ihr Chef Wolfgang Geus.
    Ausschreibungen sind aufwendig und erfordern Spezialwissen
    "Wir fallen unter CETA, wenn wir Leistungen für Dritte erbringen, wie zum Beispiel für unsere Nachbarkommunen, für unseren Nachbarzweckverband. Wir bereiten für diese Wasserversorgungs-Unternehmen Wasser auf, wir machen technische Betriebsführungen, zum Teil kaufmännische Betriebsführung in deren Auftrag. Wir haben Partnerschaften, die bestehen schon seit Jahrzehnten, die jüngste ist zwölf Jahre alt."
    Glas und Flasche von Vichy Catalan-Wasser.
    Wasser als Handelsware: Glas und Flasche von Vichy Catalan-Wasser. (imago/Hubert Jelinek)
    Eine Anzeigetafel im Kontrollraum des Wasserwerks zeigt die Zu- und Abflüsse. Es erscheint ein schwer durchschaubares Labyrinth. Manche der Betriebe, die dahinter stecken, sind rein in öffentlicher Hand. Andere wie die Wasserversorgungen von Nürnberg oder Fürth gehören teilweise privaten Firmen. Die Verpflichtung der EU, die Dienstleistungen auszuschreiben, würde da vielleicht tatsächlich für mehr Klarheit sorgen. Allerdings sind die Ausschreibungen extrem aufwendig und erfordern ein Spezialwissen, das eine kleine Gemeindeverwaltung leicht überfordert. Und Klarheit bei der Auftragsvergabe alleine bedeutet noch nicht, dass am Ende die Wasserversorgung besser und billiger wird. Die Eltersdorfer Gruppe, die die Erlanger Stadtwerke mitbeliefern, verlangt derzeit einem vierköpfigen Haushalt im Schnitt 1 Euro 25 für einen Kubikmeter Trinkwasser ab. Das ist weniger als der Kubikmeter Wasser im Bundesdurchschnitt kostet. Und Klagen über schlechte Wasserversorgung wurden auch nicht publik.
    Zum Freihandel wird in CETA auch der Schutz von Investitionen gezählt. Die EU garantiert Kanada für dessen Unternehmen, wenn sie in Europa investieren ...
    "…eine gerechte und billige Behandlung sowie vollen Schutz und volle Sicherheit".
    Investitionen vor offensichtlicher Willkür schützen
    Dasselbe sagt umgekehrt Kanada europäischen Firmen zu, die in Kanada investieren. Kritiker monieren, einheimischen Wasserversorgern garantiere niemand eine gerechte und billige Behandlung, vollen Schutz und volle Sicherheit nach Regeln, die über das nationale und europäische Recht hinausgehen. Außerdem sei "eine gerechte und billige Behandlung" keine klare Formulierung. Gemeinsam mit den vollen Schutz- und Sicherheitsgarantien führe sie dazu, dass kanadische Firmen vom deutschen Staat sogar Ersatz für Gewinne einklagen können, die ihr durch bestimmte Maßnahmen des Staates in Zukunft entgehen können. Doch Reinhard Hönighaus, der Sprecher der EU-Kommission in Deutschland, sagt:
    "Das schützt ja Investitionen vor wirklich ganz offensichtlicher Willkür. Wenn ein Unternehmen diskriminiert ist, weil es eine bestimmte Nationalität hat, oder es wird entschädigungslos enteignet. Um so was geht es. Um so drastische Fälle. Und die gibt es durchaus. Aber nicht wegen einer Regulierung des Zugangs zu natürlichen Wasserressourcen. Denn in dem Vertrag ist klar verankert: Die Gesetzgeber behalten das Recht zu regulieren."
    Allerdings müssen die Umweltregelungen von EU und Kanada, so steht es im CETA-Text, …
    "…im Einklang mit diesem Abkommen…"
    … stehen, und unter "Investition" versteht das CETA-Abkommen ausdrücklich auch...
    "...ein Interesse, das sich ergibt aus einer nach dem Recht einer Vertragspartei oder im Rahmen eines Vertrags erteilten Konzession, beispielsweise für die Aufsuchung, Bewirtschaftung, Gewinnung oder Nutzung natürlicher Ressourcen."
    Klagen zu Milliardensummen
    Auch Wasser ist eine natürliche Ressource. Tatsächlich haben auch schon Firmen die Staaten Deutschland und Kanada auf Milliardensummen verklagt, weil diese ihnen die Wassernutzung eingeschränkt haben, und zwar auf der Grundlage ähnlicher internationaler Regeln zum Investitionsschutz wie der im CETA-Abkommen.
    Die Stadt Hamburg etwa wollte, dass der schwedische Energiekonzern Vattenfall nicht mehr so viel Wasser aus der Elbe pumpt, um sein Steinkohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg zu kühlen. Prompt verklagte der Konzern die Stadt auf der Grundlage internationaler Investitionsschutzregeln. Den Hamburger Steuerzahlern drohte, eine Schadensersatzsumme von 1,4 Milliarden Euro zahlen zu müssen. Da gab die Stadt nach. Sie einigte sich auf einen Vergleich mit dem Konzern – und änderte ihre Umweltauflagen ab.
    Eine intelligente Wasseruhr (Smart-Meter).
    Eine intelligente Wasseruhr. (picture alliance / dpa - Roland Weihrauch)
    Und so fürchtet der Erlanger Stadtwerke-Chef Wolfgang Geus wegen CETA um die Wasserrechte. Das Abkommen gelte nicht nur für Unternehmen aus Kanada. Es würde zum Beispiel auch Firmen aus den USA oder Australien schützen, deren kanadische Tochterunternehmen im Wassereinzugsgebiet von Erlangen tätig würden.
    "Coca Cola, zum Beispiel, ist ja hier in der Nähe, hat auch einen Standort in Erlangen. Die Firma Coca Cola bohrt einen Brunnen und sagt "ich stell Limonade her, und ich setz mich jetzt zum Beispiel genau vor Dein Einzugsgebiet hin". Und das ist dann ein Problem, und was ich da gelesen hab in diesem Abkommen geht es dann drum, welches Recht überwiegt, das Recht der Daseinsvorsorge, der für die Allgemeinheit, oder überwiegt das Recht eines Unternehmens auf Profit. Und das ist dieser Konflikt, der sich in dem Abkommen verbirgt, und deswegen hab ich mit der jetzigen Fassung dieses Abkommens ein Riesen-Problem."
    Unternehmen fordern schon Ausgleichszahlungen
    Natürlich würde CETA nur Investitionen schützen, die bereits getätigt wurden. Eine kanadische Limonaden-Firma könnte zum Beispiel Deutschland verklagen, wenn sie schon Geld für eine Flaschenabfüllanlage ausgegeben hat, diese aber nicht so wirtschaftlich wie vorgesehen nutzen kann, weil ihr Wasserrecht eingeschränkt wird. Diese Einschränkung könnte passieren, wenn Erlangens Wasserbedarf wächst, die Stadtwerke neue Brunnen brauchen und dafür neue Schutzgebiete.
    "Wir haben auch nach heutiger Lesart kein Problem, wenn wir das Schutzgebiet erweitern müssten. Wir würden das beantragen, das dauert einige Jahre, bis das durch ist mit Einsprüchen und so weiter, aber normalerweise würden wir das bekommen. Weil die Daseinsvorsorge einfach eine wichtige Rolle spielt. Die hat ein Privileg. Derzeit."
    Dieses Privileg aber findet sich so im CETA-Vertrag nicht wieder. Der schützt ausschließlich Investitionen von ausländischen Unternehmen.
    Viele Unternehmer machen bisher schon Ausgleichszahlungen geltend, wenn sie wegen eines neuen oder vergrößerten Wasserschutzgebietes nicht mehr wie gewohnt Autofahren, giftige Stoffe lagern, Kies baggern oder Kühe weiden lassen können. Schon nach heutigem Recht kann es viele Jahre dauern, bis ein Wasserschutzgebiet ausgewiesen ist. Mit den CETA-Regeln hätten Unternehmen womöglich eine zusätzliche Rechtsgrundlage, um dagegen vorzugehen. Wasserschutzgebiete aber sind im Allgemeininteresse.
    "Es ist billiger, Vorsorge zu treffen als hinterher das Wasser behandeln zu müssen, teure Aufbereitungsanlagen zu bauen, um gewisse Stoffe, die im Wasser sind, herauszuholen."
    Klagen vor einem speziellen Schiedsgerichtshof
    Um seine Investitionen zu schützen, kann ein kanadisches Unternehmen in Europa mit den CETA-Regeln nicht nur auf ein Extra-Recht pochen. Es braucht dazu noch nicht einmal vor ein deutsches Gericht zu ziehen. Das Freihandelsabkommen sieht für Investitionsschutzklagen einen speziellen Schiedsgerichtshof vor.
    Eine Lupe zeigt Paragrafen Paragraphen Zeichen.
    Juristische Verfahren bei Handelsabkommen sind Sache von Spezialisten. (imago / Jochen Tack)
    Diesen Investitionsgerichtshof dürften nur kanadische Firmen in der EU anrufen, nicht die Stadtwerke Erlangen. Der Münchner Rechtsanwalt Klaus Sachs ist Spezialist für das internationale Schiedsgerichtssystem, in dem Privatunternehmen gegen Staaten klagen können, und erklärt, wie es entstanden ist.
    "Deutschland war sozusagen der Erfinder des Systems, 1958 das bilaterale Schutzabkommen mit Pakistan war das allererste: Eine deutsche Erfindung, das war eine rein deutsche Optik, eine Optik der Exportnation, man wollte sichergehen, dass Investitionen, die beispielsweise durch ein Unternehmen wie Siemens getätigt würden in einem Land wie Pakistan, was ja doch etwas fragil ist, geschützt sind vor Enteignungen ohne Entschädigungen oder vor Diskriminierungen."
    Verhandelt werden Streitigkeiten im Rahmen dieser älteren Abkommen häufig beim privaten ICSID-Schiedsgericht, das in Washington im Gebäude der Weltbank angesiedelt ist. Mit dem Freihandelsabkommen CETA kommt nun die Furcht auf, Deutschland könnte gewissermaßen mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden. Bisher, so erklärt der Erlanger Stadtwerke-Chef Wolfgang Geus, kann sein Hausjurist Rechtsstreite in der Wasserversorgung selbst ausfechten.
    "Da geht es ratz, fatz um Millionen"
    "Vor dem Oberlandesgericht. Vor dem ganz normalen Oberlandesgericht Nürnberg, eventuell landet es auch vor einem Verwaltungsgericht, aber da haben wir eine öffentliche, deutsche Justiz, und da kann man normalerweise davon ausgehen, dass die Daseinsvorsorge in ausreichendem Maß berücksichtigt wird."
    Wenn dagegen ein ausländisches Unternehmen die Bundesrepublik Deutschland gemäß CETA vor dem multilateralen Investitionsgerichtshof verklagen würde, würde der Bund die Angelegenheit an die Kommune weiterreichen und diese an die Stadtwerke Erlangen.
    "Und dann dürfen wir uns mit Rechtsbeistand gegen einen Konzern mit Rechtsbeistand streiten. Das hält ein Unternehmen wie die Erlanger Stadtwerke nicht lange aus, weil da geht es ratz, fatz um Millionen."
    Der Investitionsgerichtshof, wie ihn CETA vorsieht, ist vollkommen neu. Der Münchner Anwalt Klaus Sachs hat jahrelange Erfahrungen mit der bisherigen internationalen Gerichtsbarkeit zum Schutz von Investitionen.
    "Solche Verfahren sind leider nicht billig, das liegt daran, dass die Parteien sich vertreten lassen durch erstklassige, große Anwaltskanzleien. Das hat seinen Preis. Auch der Staat lässt sich durch solche erstklassigen Kanzleien vertreten. Diese Verfahren sind teuer, im Wesentlichen sind das die Anwaltskosten. Die Kosten liegen bei großen Verfahren oft in der Millionenhöhe."
    Mehrere Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht
    Wo der CETA-Gerichtshof wäre, steht noch nicht fest. Wohl kaum in Nürnberg. Klaus Sachs ist für internationale Schiedsgerichtsverfahren häufig in Paris, Den Haag und Washington. Dorthin müssten womöglich dann auch die Stadtwerke Erlangen ihre Vertreter schicken.
    "Das wäre ein irrer Verwaltungsaufwand, der da ausgelöst wird. Auf dem Rücken der breiten Bevölkerung. Die Kosten sind da, und an irgendeiner Stelle müssen sie erwirtschaftet werden."
    Gegen CETA sind mehrere Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Verschiedene Rechtsgutachten monieren, die Vertragstexte seien unübersichtlich und wichtige verwendete Begriffe unklar, gerade auch beim Thema öffentliche Dienstleistungen – und dazu zählt im Kern die Wasserversorgung.
    "Man unterschreibt ein Abkommen, wo so viele offene Fragen drin sind, und da ist schon vorprogrammiert, dass es hinterher Ärger gibt, dass man sich vor Gericht wiedersieht, und die Gefahr, die auf uns zukommt, sehe ich als sehr groß an."