Archiv

CETA und Mordio
Ärger über das EU-Kanada-Abkommen hält an

Am 18. Oktober wollen die Handelsminister der EU-Mitgliedsstaaten darüber abstimmen, ob CETA zumindest in Teilen vorläufig in Kraft gesetzt wird. Das wäre der Startschuss für eine spätere Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit Kanada. Doch viele wichtige Fragen sind noch immer ungeklärt. Dabei geht es nicht nur um Arbeitnehmerrechte und Umweltschutz.

Von Jule Reimer |
    Aktivisten protestieren am 12.10.2016 in Berlin vor dem Bundeskanzleramt gegen das geplante Ceta Freihandelsabkommen der EU mit Kanada.
    Der Protest von CETA-Gegnern gegen das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada hält an. (dpa/picture alliance/Kay Nietfeld)
    Es waren kritische Worte, die EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Mitte September an die Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union und ihre Regierungen richtete.
    "Unsere Partner konfrontieren uns zunehmend mit der Frage, ob die Europäische Union noch willens und fähig ist, Handelsabkommen mit dem Rest der Welt abzuschließen."
    Juncker ging es dabei nicht um TTIP, das hochumstrittene Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, sondern um CETA, den Vertrag der Europäer mit Kanada. Weil Europa diesen brauche:
    "Ich bin kein blinder, fanatischer Freetrader [Anmerkung der Redaktion: Freihändler]. Einer von sieben Arbeitsplätzen in Europa hängt von unseren Exporten in andere Teile der Welt ab. Vor allem deshalb setze ich mich mit Nachdruck für das Handelsabkommen mit Kanada ein."
    Dennoch strengten allein in Deutschland 200.000 Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit Verbraucherschützern und Globalisierungskritikern gegen CETA die größte Bürgerklage in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts an:
    "Konsumentenschutz und das Parlament werden entmachtet und das möchte ich nicht."
    "CETA erlaubt es Konzernen, unsere Republik zu verklagen, umgekehrt gibt es aber keine Rechte von Bürgern, diese Konzerne zu verklagen."
    In Brüssel verstehen die CETA-Chefunterhändler der EU-Kommission die Welt nicht mehr. Bis 2014 die großen Proteste gegen TTIP begannen, interessierte sich nämlich kaum jemand für den Freihandelsvertrag mit Kanada, der damals schon unterschriftsreif - durch die Brüsseler Generaldirektion Handel und Kanadas Regierung ausgehandelt - vorlag. TTIP lenkte die empörte Aufmerksamkeit in Europa jedoch auch auf den kleinen Bruder. Fast zeitgleich hatten die Kanadier genug von ihrem unternehmerfreundlichen Regierungschef Stephen Harper und wählten den Liberalen Justin Trudeau zum neuen Premier.
    Bald darauf verhandelten Kanada und die EU-Kommission tatsächlich einzelne Teile des Abkommens neu aus, mit bestem Ergebnis, meint zumindest Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel:
    "Bisher diente die Globalisierung ausschließlich wirtschaftlichen Interessen, jetzt beginnen wir damit endlich, die Interessen von Menschen und Bürgerinnen und Bürgern in den Mittelpunkt zu stellen."
    Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten ist ungewiss
    Am Dienstag wollen die Handelsminister der EU-Mitgliedsstaaten darüber abstimmen, ob CETA zumindest in Teilen vorläufig in Kraft gesetzt wird – der Startschuss für eine spätere Ratifizierung. Für Deutschland ist Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zuständig. Die Zeit drängt: Am 27. Oktober ist nämlich auf dem EU-Kanada-Gipfel in Brüssel die Unterzeichnung durch EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kanadas Premier Justin Trudeau geplant.
    Im Januar wird dann vermutlich auch eine Mehrheit im Europaparlament dem vorläufigen Inkrafttreten zustimmen. Vorläufig, denn um CETA endgültig einzusetzen, müssen auch die nationalen Parlamente ihren Segen geben. Das hatten einzelne Mitgliedsstaaten der EU-Kommission abgerungen. Denn die hatte CETA ursprünglich als "EU-only" eingestuft – und wollte nur das Europaparlament fragen.
    Doch eine Zustimmung in den Mitgliedsstaaten ist längst nicht überall gesichert. In Belgien sitzen entscheidende Skeptiker im frankophonen Regionalparlament, das laut Verfassung bei internationalen völkerrechtlichen Verträgen mitredet. Rumänien ringt um den visa-freien Zugang seiner Bürger nach Kanada, Slowenien sorgte sich um die Wasserwirtschaft und die Österreicher kritisieren ähnlich wie viele Deutsche die geplanten Sonderrechte für Investoren.
    "Es geht nicht um Chlorhühnchen, es geht um unsere Demokratie"
    Was EU-Kommission und kanadische Regierung zu einer breiten PR-Kampagne veranlasste. Kanada und Europa seien quasi ideale Partner, warb Kanadas Handelsminister Chrystia Freeland auf einer ausgedehnten Europa-Tour.
    "Europa ist einfach der beste Partner für uns. Weil wir gemeinsame Werte haben, weil wir an Wohlfahrtsstaat und Öffentlichen Dienst glauben, aber auch an den freien Markt."
    Im Vordergrund ist eine Fleischtheke zu sehen. Im Hintergrund sieht man einen Mann im weißen Kittel.
    Lebensmittelstandards sind nur ein Streitpunkt beim CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada. (picture-alliance / Alexandr Kryazhev)
    Während CETA in Deutschland von Parteianhängern von CDU/CSU weitgehend begrüßt wird, spaltet es die Sozialdemokraten und verärgert den Deutschen Gewerkschaftsbund - ein Konflikt, den Grüne, die Linke und Globalisierungskritiker mit scharfer Zunge befeuern:
    "Es geht nicht um Chlorhühnchen und es geht auch nicht um irgendwelche Lappalien, sondern es geht um unsere Demokratie."
    Wirtschaftsvertreter hingegen können CETA viel abgewinnen. Vor allem die deutsche Autoindustrie würde vom versprochenen Zollabbau profitieren, verspricht das Münchner Ifo-Institut. Deutlich spürbare Wachstumsraten prophezeien die Wirtschaftsexperten allerdings nur für die Kanadier, für das große Europa ist das Land mit seiner relativ geringen Bevölkerungszahl ein eher kleiner Exportmarkt. Der Wert von CETA ergebe sich aus seiner Vorbildfunktion für weitere Handelsabkommen der EU, werben Befürworter.
    Es gibt nicht nur CETA-Gewinner
    Adrian Vannahme ist Manager für Globale Strategien bei dem mittelständischen Recyclingunternehmen Reclay Group (*). Das Unternehmen mit Sitz im hessischen Herborn machte zuletzt 210 Millionen Euro Umsatz jährlich. Reclay ist bereits mit 30 Mitarbeitern in Kanada aktiv, allerdings nur als Berater kanadischer Unternehmen. Adrian Vannahme würde sich dort gerne als Recycler um öffentliche Aufträge bewerben – derzeit geht das noch nicht, mit CETA könnte sich das ändern.
    "Das heißt, dass wir durch CETA die unmittelbare Chance hätten, in British Columbia ein eigenes Recyclingsystem aufzubauen, dort in den Markt zu treten, in ganz Kanada. Konkret würde das für uns bedeuten, dass wir etwa 60 neue Mitarbeiter einstellen könnten."
    Und die Chance, den Umsatz um 30 Millionen Euro zu steigern, konservativ berechnet.
    Kühe stehen auf einer Weide.
    Kanadische Landwirte fürchten durch CETA Billigimporte bei Milchprodukten. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Doch es gibt auch CETA-Verlierer. Kanadische Landwirte fürchten Billigimporte bei Milchprodukten. Dank kanadischer Milchquotenregelung erhalten sie derzeit noch doppelt so viel für den Liter Milch wie ihre europäischen Kollegen. Kanada exportiert auch in großem Stil Rohstoffe und Agrarprodukte – vor allem Rindfleisch, Raps, Mais und Weizen. Ein weiterer Zollabbau hier gefährde viele kleinere Landwirtschaftsbetriebe in der EU, warnt Berit Thomsen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL):
    "Auf dem Weltmarkt findet eine Preisschlacht statt. Nach dem Motto, der billigste Anbieter erhält den Zuschlag. Es geht nicht um Qualität, es geht um den Preis. Aus unserer Sicht sind solche Abkommen auch deshalb abzulehnen, weil das zu einer Kapitalvernichtung in den Betrieben und auch vielen ländlichen Räumen führt. Die Gewinner sind ausschließlich exportorientierte Konzerne."
    Investorenschutz: ein System für den Fall der Fälle
    Hauptstreitpunkt des Abkommens bleiben der vorgesehene Schutz für ausländische Investoren und die damit verbundenen Sondergerichte, englisch ursprünglich als Investor-State-Dispute-Settlement – kurz ISDS - bezeichnet. Das CETA-Abkommen will nun eine reformierte Variante dieser Schiedsgerichte etablieren. Peter Fuchs von der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation Power Shift überzeugt dies nicht:
    "Es ermöglicht Investoren der jeweils anderen Vertragspartei, vor einem Investitionstribunal - nun teilweise Investment Court System, also Gerichtssystem für Investorenklagen genannt - hohe Entschädigungen einzufordern, wenn diese Investoren glauben, dass ihre Eigentumstitel in der Investition als auch ihre künftigen Gewinnerwartungen durch Regulierungen betroffen sind."
    Zwei Bücher mit der Aufschrift "CETA" und "Grundgesetz" liegen in Karlsruhe vor Verhandlungsbeginn im Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts.
    Kritiker bemängeln, dass der im CETA-Abkommen vorgesehene Investorenschutz aktuell weit über das Grundgesetz hinausgeht. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Also durch Auflagen oder Gesetze, die die Geschäftsgrundlage dieser Investoren nachteilig verändern könnten. Weltweit gibt es bereits rund 3.000 bilaterale Investitionsschutzabkommen. Auch Deutschland hat mit anderen Staaten viele dieser Verträge abgeschlossen – in der Regel mit Schwellen- oder Entwicklungsländern, wo die Rechtssysteme nicht so entwickelt sind wie hierzulande. Dieser Schutz sei im Interesse aller Staaten, argumentiert Lutz Güllner, oberster Kommunikationschef der Brüsseler Generaldirektion Handel:
    "Die Idee des Investitionsschutzes ist ja, dass man Rechtssicherheit schafft, Rechtssicherheit nicht im nationalen Recht, sondern im Völkerrecht, nämlich gegen staatliche Willkür beispielsweise oder Enteignungen ohne Kompensation. Man möchte also ein System schaffen für den Fall der Fälle, auch wenn dieser unwahrscheinlich ist. Das verlangen wir von unsern Partnern, egal ob klein, groß, entwickelt oder nicht entwickelt und müssen uns natürlich genauso dran halten."
    Kritiker verbinden mit den bisherigen Investitionsschutzregeln mehr schlechte als gute Erfahrungen. Rumänien musste einem schwedisch-rumänischen Konzern Schadenersatz für entgangene Gewinne zahlen, weil die Regierung beim Eintritt in die Union gemäß EU-Recht bestimmte Subventionen streichen musste. So entschied es 2013 das private ICSID-Tribunal in Washington. Seit Jahrzehnten richten dort private Anwälte über solche Investorenklagen; diese Anwälte vertreten als Verteidiger mal Unternehmen, mal Staaten und verdienen dabei Millionen.
    Derzeit wird vor dem ICSID die Fünf-Milliarden-Euro-Forderung des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegenüber der Bundesrepublik als Schadenersatz für den deutschen Atomausstieg verhandelt. Und im Dezember steht Rumänien in Washington erneut vor Gericht: Der kanadische Rohstoffkonzern Gabriel Resources klagt, weil die Regierung nach diversen Minenunfällen Bergbaulizenzen widerrufen hatte – der Konzern verlangt Entschädigung für seine Investitionen und zusätzlich für die entgangenen zukünftigen Gewinne. Auch CETA schließe diese in Investitionsschutzabkommen übliche Einbeziehung der Zukunft nicht aus, rügt Pia Eberhard von der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO):
    "Das ist ein Beispiel, wo dieser Vertrag weit über das Grundgesetz hinausgeht. Im Grundgesetz ist nämlich der erwartete Gewinn genau nicht Teil des Eigentumsschutzes."
    EU-Handelsvertreter Güllner dagegen hebt das Fortschrittliche an CETA hervor. Die bisherigen Privatanwälte sollen künftig auf Zeit und öffentlich als Richter bestellt und auf Unabhängigkeit verpflichtet werden. Auch werde es der Vertrag US-Multis nicht erlauben, über den Umweg kanadischer Briefkastenfirmen EU-Regierungen auf Schadenersatz zu verklagen.
    "Was CETA macht, ist genau diese Lücke zu schließen, die diese Abkommen dieser alten Art, also diese ISDS-Abkommen eben heute bieten. Deshalb ist es keine Lösung, CETA abzulehnen oder dieses neue Modell in CETA abzulehnen, sondern es ist ja genau die Lösung, wenn man von diesem alten Modell wegkommen möchte."
    Gewerkschaften fordern klare Formulierung der Vertragsgrenzen
    Dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und seinem kanadischen Partner Canadian Labour Council (CLC) reicht das nicht. Eine Zusatzerklärung der EU gemeinsam mit Kanada müsse dringend und rechtsverbindlich die Grenzen des Vertrags klar formulieren, fordert der DGB. Eine Erklärung, die auch kritisch eingestellte nationale Parlamente besänftigen soll. Der belgische Außenminister Didier Reynders:
    "Es ist entscheidend, dass diese Erklärung rechtlich bindend sein wird. Denn sie wird von der EU-Kommission und Kanada gemeinsam abgegeben."
    Endgültig vorliegen wird diese Zusatzerklärung erst kurz vor der Abstimmung der Handelsminister. Der bisher durchgedrungene Entwurf der Erklärung geht auf eine zentrale Gewerkschaftsforderung ein und präzisiert: Öffentliche Dienstleistungen unterliegen keinem Privatisierungszwang.
    Das ist wichtig. Denn war in früheren Freihandelsabkommen auf einer Positivliste einzeln aufgeführt, welche Wirtschaftsbereiche liberalisiert werden sollten, arbeitet CETA erstmals mit einer Negativliste: Nur wenn ein Sektor ausdrücklich ausgenommen ist, kann er nicht angetastet werden.
    CETA als wandelbares Abkommen
    Befürworter begründen die Auswahl der Negativliste mit dem Ziel, dass CETA kein statisches, sondern ein "lebendes" Abkommen werden soll: Wer wisse denn schon, wie die Welt in 20 Jahren aussehe? Bei Kritikern klingeln die Alarmglocken, denn die geplanten CETA-Ausschüsse sollen zum Beispiel darüber richten dürfen, ob geplante Gesetze als Handelshemmnis abzulehnen wären – was auch Sache der Parlamente wäre.
    Diese Machtfülle gefällt auch dem Bundesverfassungsgericht nicht. Vergangene Woche lehnten es die Karlsruher Verfassungsrichter in einem Eilverfahren zwar ab, das vorläufige Inkrafttreten von CETA zu stoppen. Aber sie machten Auflagen, ohne die Bundeswirtschaftsminister Gabriel dem Abkommen am Dienstag nicht zustimmen darf. So verlangen sie zum Beispiel, die "demokratische Rückbindung" der CETA-Ausschüsse zu garantieren. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle:
    "Es könnte etwa durch eine interinstitutionelle Vereinbarung sichergestellt werden, dass Beschlüsse des Gemischten CETA-Ausschusses nur auf Grundlage eines gemeinsamen Standpunktes gefasst werden, der im Rat dann einstimmig angenommen worden ist."
    Vetorecht für Wirtschaftsminister gefordert
    Übersetzt: Ein jeder Wirtschaftsminister soll im Handelsrat ein Vetorecht haben, damit CETA und seine Ausschüsse kein Eigenleben entwickeln.
    Von diesen Ausschüssen gehe sowieso keine Gefahr aus, beruhigt Ralf Stegner, der SPD-Vizevorsitzende, die parteiinternen Kritiker. Die sogenannte "Regulatorische Kooperation" erfolge bei CETA nur freiwillig - im Gegensatz zu TTIP. Das Abkommen fördere zudem die hohen europäischen Standards. Tatsächlich will Kanada jetzt auch das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen anerkennen, das die UNO neben anderen Arbeitsnormen eigentlich vorgibt. Ralf Stegner:
    "Die ILO-Kernarbeitsnormen, die die Arbeitnehmerrechte regeln, die waren in Kanada noch nicht alle ratifiziert, da fehlten noch zwei. Die Regierung Trudeau hat gesagt – weil wir gesagt haben, ohne das kann es nicht gehen –, das wird jetzt ratifiziert. Daran denken die Amerikaner gar nicht."
    Ein weiterer Haken im CETA-Vertrag
    Die Bedeutung der Arbeitnehmerrechte und des Umweltschutzes werden im Abkommen und der Zusatzerklärung mehrfach betont. Mit einem Haken: Es gibt keinen wirksamen Mechanismus, diese Rechte durchzusetzen. Und der für das europäische Lebensmittel- und Chemikalienrecht zentrale Begriff des Vorsorgeprinzips – englisch precaucionary principle – fehlt komplett. Dabei wird auf Kanadas Feldern viel gentechnisch verändertes Saatgut angebaut und Rinder erhalten in Europa verbotene Hormone als Leistungssteigerer. Pia Eberhard von CEO:
    "Ganz richtig. Der CETA-Vertragstext enthält nicht das Vorsorgeprinzip und an zwei Stellen sogar den Verweis auf das entgegengesetzte Prinzip, das 'wissenschaftsbasierte Prinzip', was also besagt, dass beispielsweise ein Produkt nur verboten werden kann, wenn es einen wissenschaftlichen Konsens dazu gibt. Das Vorsorgeprinzip erlaubt ja dagegen ein Produkt zu verbieten, wenn man begründete Sorge hat, dass es gefährlich ist."
    Abschaffung von Sonderrechten
    Während Eberhard den gesamten Investorenschutz als Risiko betrachtet, plädiert der Deutsche Gewerkschaftsbund dafür, alle Klagegründe zu streichen bis auf diesen einen: Kein ausländisches Unternehmen dürfe gegenüber inländischen benachteiligt werden. Eine Position, der sich auch Maritta Strasser von Campact anschließen kann, einer Organisation, die ebenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht gegen CETA geklagt hat.
    "Sonderrechte wie die sogenannte faire und billige Behandlung, der Schutz vor indirekter Enteignung, die Entschädigung für erwartete und künftige Gewinne, die Entschädigungsmöglichkeit für gestrichene Subventionen, das muss raus, muss weg."
    Immerhin: Die Bundesregierung hat zugesagt, den umstrittenen Investorenschutz und die Gerichtsbarkeit von der vorläufigen Anwendung auszunehmen – wie weitere Bereiche, die nicht ausschließlich in die Kompetenz der EU fallen.
    Bundesverfassungsgericht fordert CETA-Notausgang
    Viele Unklarheiten bleiben
    Auch das Bundesverfassungsgericht wird sich in dem noch ausstehenden Hauptverfahren kritisch über die Sonderrechte für Investoren beugen. In ihrer Eilentscheidungen vom vergangenen Donnerstag verfügten die Richter außerdem, Deutschland müsse sich noch vor der Abstimmung der Handelsminister am Dienstag das Recht festschreiben lassen, das vorläufige Abkommen einseitig aufkündigen zu können: Als eine Art Notausgang, falls das Gericht nächstes Jahr Teile des Vertrags für grundgesetzwidrig erklären sollte. Dies sei eine Elfenbeinturm-Forderung, hallt es aus Brüsseler Kreisen zurück. Und auch Bernd Lange, SPD-Vertreter und Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, ist skeptisch:
    "Diesen Teil des Spruchs aus Karlsruhe kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben eine vergemeinschaftete Handelspolitik aus guten Gründen und das demokratische Korrektiv für den europäischen Teil von CETA ist das Europäische Parlament. Und wenn dann die vorläufige Anwendung kommt, dann kann eine Korrektur nur über die europäischen Gremien kommen und da kann es keine nationalstaatlichen Alleingänge geben."
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einer Rede im Europäischen Parlament in Straßburg.
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist überzeugt: CETA stellt die Weichen für eine neue, bessere Generation von Freihandelsabkommen. (dpa/picture alliance/Patrick Seeger)
    Ist der Ausstieg also überhaupt möglich? Unklar ist auch, wie bindend und wirkungsvoll die gemeinsame Zusatzerklärung der EU und Kanada im Vergleich zum eigentlichen CETA-Vertragstext sein wird. Während der Deutsche Gewerkschaftsbund den Präzisierungen vertrauen möchte, fehlen Pia Eberhard von CEO Formulierungen, die die Risiken des CETA-Investitionskapitels tatsächlich einhegen würden:
    "Beispielsweise haben die Umweltorganisationen vorgeschlagen, dass man ganz klar festschreibt, dass Maßnahmen, die auf der Basis des Vorsorgeprinzips in der EU getroffen wurden – also das Verbot einer Chemikalie beispielsweise –, dass solche Entscheidungen nicht durch Investor-Staat-Klagen angegriffen werden können."
    Maritta Strasser von Campact fordert zudem, auch mal die Sinnfrage zu stellen:
    "Der Gedanke, die Daseinsvorsorge zu schützen, ist, dass es bestimmte Bereich gibt, die sind als freier Markt und für den unbegrenzten freien Handel nicht unbedingt besser für alle. Und deshalb müssen wir auch darüber reden: Brauchen wir mehr Liberalisierung als wir heute haben?"
    Doch auf so eine Diskussion wird sich die EU-Kommission nicht einlassen. CETA stelle die Weichen für eine neue, bessere Generation von Freihandelsabkommen, ist Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker überzeugt:
    "Eine Milliarde mehr Exporthandelsvolumen schafft 14.000 zusätzliche Arbeitsplätze in Europa. Es ist das Beste, das fortschrittlichste Handelsabkommen, das wir je abgeschlossen haben."
    (* Anmerkung der Online-Redaktion: In einer vorherigen Version und im Audio heißt es: "Der mittelständische Recyclingunternehmer Adrian Vannahme führt die deutsche Reclay Group." Vannahme ist Manager und nicht Reclay-Geschäftsführer.)